Читать книгу Highway ins Verderben - Hildegard Grünthaler - Страница 8
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ОглавлениеBevor sich Johannes Werning der Krawatte entledigte, musterte er sich noch einmal prüfend im Spiegel. Der gut geschnittene Anzug ließ ihn schlanker erscheinen, als er in Wirklichkeit war. Er kaschierte auch die Kugel, die sich unter dem Sakko zu wölben begann. Das Grau, das Wernings dunkles Haar langsam aber stetig immer stärker dominierte, hatte er mit einer Tönung überdeckt. Dass die Stirn sichtbar höher wurde, ließ sich leider nicht so leicht vertuschen. Trotzdem fand er, dass er mit seinen 57 Jahren durchaus passabel aussah.
Werning hängte den Anzug über den Herrendiener, warf das Oberhemd aufs Bett und begutachtete sich noch einmal im Spiegel.
»Jo, du kriegst einen Bauch!«, hatte Nina letzte Woche so ganz beiläufig bemerkt. Seinen Protest hatte sie mit der gnadenlosen Bemerkung abgeschmettert:
»Einen Rettungsring auch!«
Reflexartig zog er den Bauch ein, hielt die Luft an. Doch mit dem Ausatmen wölbte sich die verflixte Kugel schlagartig wieder nach vorne. Er gestand sich ein, dass er unübersehbar schlaff wurde.
Werning wusste genau, Nina hatte ihn mit ihrem beiläufigen Hinweis auf den Bauch nicht nur necken wollen. Den Nadelstich hatte sie gezielt gesetzt. Schließlich hatte sie auf ein schickes Penthaus gehofft. Jetzt war sie enttäuscht, dass das Liebesnest nur eine kleine Zweizimmerwohnung in einem schon etwas heruntergekommenen, aber billigen und vor allem anonymen Hochhaus geworden war.
Was dachte sie denn, welche Reichtümer der Direktor eines Kleinstadtmuseums verdient? Es war schon schwierig genug, die Miete für die kleine Wohnung unauffällig abzuzweigen. Ganz zu schweigen von dem vielen Geld, das die teuren Klamotten kosteten, die Nina bevorzugte. Von den paar Kröten, die ihr Studentenjob einbrachte, konnte sie sich die edle Garderobe schwerlich leisten.
Werning seufzte. Es war verdammt anstrengend, sich eine 23-jährige Geliebte zu leisten. Noch anstrengender war es, sie vor der Ehefrau geheim zu halten. Das Geld für die Miete und ihre vielen Wünsche gab er Nina in bar. Keinesfalls wollte er irgendwelche nachvollziehbaren Spuren auf seinen Kontoauszügen hinterlassen. Zum Glück ging Sabine völlig in ihrem Beruf als Studienrätin auf. Abends war sie meist mit Unterrichtsvorbereitungen beschäftigt, saß über Korrekturen und zusätzlich leitete sie die Theatergruppe der Schule.
Werning kramte die neuen Fitnessklamotten aus der Kommode und schlüpfte in einen Trainingsanzug. Er konnte Nina kein Penthaus mieten, geschweige denn kaufen, also musste er wohl oder übel etwas gegen den Bauch tun. Kurz darauf verließ er die Wohnung. Seine Frau saß noch immer in ihrem Arbeitszimmer am Schreibtisch.
»Tschüs!«, rief er im Vorbeigehen. »Ich gehe ins Fitnessstudio. Du weißt ja, dass mir der Arzt das dringend angeraten hat!« Das war nicht mal gelogen.
Sein Kopf färbte sich vor Anstrengung tiefrot. Mit gepresstem Atem und brennenden Oberschenkeln drückte er gegen die Platte der Beinpresse. Vergeblich! Er schaffte es nicht, das verflixte Ding nach vorne zu drücken. Noch keine halbe Stunde hatte er trainiert und schon jetzt war er fix und fertig. Voll Neid beobachtete er den Typen am Gerät nebenan. Scheinbar spielerisch bewegte der die Butterfly-Maschine. Der tätowierte Bizeps schwoll sichtbar unter dem engen Muskelshirt.
Du musst dich noch mehr anstrengen, befahl Werning sich selbst, und drückte noch einmal mit aller Kraft gegen die Presse.
Der Muskeltyp verließ den Butterfly. Schnell wechselte Werning selbst zu dem Gerät. Dem ersten Impuls, die Gewichte zu reduzieren, widerstand er. Was der konnte, musste er doch auch schaffen.
»Es ist anfangs besser, ein paar Gewichte weniger aufzupacken«, mahnte der Typ, der sich als Harry vorstellte, lächelnd. »Überanstrengung hilft Ihnen nicht weiter.«
»Ja, das leuchtet mir ein. Ich bin nur etwas ungeduldig. Ich möchte mir so schnell wie möglich starke Muskeln und einen harten Waschbrettbauch antrainieren«, gestand Werning.
Harry nickte mitfühlend. »Verstehe! Die ersten Male können extrem frustrierend sein.«
»Wie lange dauert es, bis man den Erfolg der Schinderei sieht?«
Harry witterte seine Chance. Lässig wischte er sich die feuchten schwarzen Locken aus der Stirn, ließ seine vom Schweiß glänzenden Muskeln spielen. Er fand, dass es an der Zeit wäre, zu einem vertraulichen Du überzugehen.
»Wenn du so trainierst, wie man es dir in der Einführung gezeigt hat, dauert es ewig.«
»Das heißt, du kennst eine Methode, mit der es schneller geht?« So schnell zu duzen war Werning zwar fremd, doch er wollte nicht spießig erscheinen.
»Aber hundertpro! Trainieren musst du dabei zwar auch, aber es gibt da gewisse Mittel ...«, Harry legte eine Kunstpause ein, lauerte darauf, dass sein Gegenüber anbiss.
»Jaaa?«
»... gewisse Pülverchen und Pillen, die nicht nur die Muskelbildung, sondern auch die Fitness enorm beschleunigen.«
Zufrieden stellte Harry fest, dass es in den Gehirnwindungen seines Gegenübers sichtbar zu rattern begann. Bevor der Typ weiter nachfragen konnte, dozierte er mit ernsthafter Miene:
»Wie du sicher schon gehört hast, verbrennen starke Muskeln wesentlich mehr Fett als schlaffe. Deshalb ist es nicht nur für die Optik, sondern auch für die Gesundheit besser, für starke Muskeln zu sorgen. Aber wer hat schon Zeit, täglich Stunden im Fitnessstudio zu verbringen.«
Weil Werning nicht gleich reagierte, schob Harry augenzwinkernd nach:
»Na, und Frauen stehen sowieso auf Muskeln. Garantiert!« Dabei ballte er lässig die Faust und ließ seinen Bizeps hervortreten.
»Diese Pillen - kriege ich in der Apotheke?«
»Nein, die kriegst du von mir!«
»Das heißt auf Deutsch: Die Pillen sind illegal?«
Harry hatte mit diesem Einwand gerechnet:
»Was heiß illegal - es geht doch niemanden was an, wie wir unsere Muskeln aufpeppen. Der Staat sollte froh sein, wenn wir was für die Gesundheit tun und nicht der Krankenkasse zur Last fallen«. Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: »Du bekommst die Pillen natürlich zu einem Sonderpreis!«
Werning nickte: »Ich werde die Pillen mal ausprobieren!«
Na endlich hat der Schlaffi angebissen, dachte Harry.