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»Kaltenbrunner« stand auf dem messingfarbenen Türschild. Sascha stellte das schwere Teil, das er über knarzende Stufen in den ersten Stock des Altbaus geschleppt hatte, seitlich neben der Tür ab. Er hatte sich eine neue Strategie zurechtgelegt. Aus dem Aktenkoffer fischte er ein Foto im DIN A4 Format. Gestochen scharf und in Farbe zeigte es das Bild einer Milbe. In der zigtausendfachen Vergrößerung wirkte das mikroskopisch kleine Spinnentier wie ein furchterregendes Monster. Sascha hielt es sich vor die Brust, atmete einmal tief durch und drückte auf den Klingelknopf. Kurz darauf vernahm er schlurfende Schritte.

Alte Oma, das ist gut, dachte er und sah seine Chancen steigen. Die Oma, die öffnete, war mindestens 80.

»Frau Kaltenbrunner, ich bin hier, um Sie von dieser gefährlichen Plage zu erlösen!«, erklärte er mit theatralischer Stimme und hielt der Alten das Bild unter die Nase.

Mit dem Sehvermögen der alten Kaltenbrunner war es nicht mehr weit her und um ihr Gehör stand es auch nicht sonderlich gut.

»Ruuudiii!«, rief die Frau Kaltenbrunner nach hinten in den Flur, »hier ist schon wieder einer von den Zeugen Jehovas und will uns von irgendwas erlösen!«

Woraufhin Rudi Kaltenbrunner in Trainingshosen und gebügeltem Oberhemd, mit einer zusammengefalteten Zeitung bewaffnet, aus dem Wohnzimmer gestampft kam.

»Äh, nein, das ist ein Missverständnis, ich bin ...«, versuchte Sascha zu erklären.

»Ist uns wurschtegal, ob Sie von den Zeugen Jehovas, von den Mormonen oder den Mohammedanern sind!«, schnaubte Rudi Kaltenbrunner. »Steckens ihren Wachtturm wieder ein. Wir sind katholisch! Sie müssen Sie uns von gar nix nicht erlösen!«, und knallte ihm mit Schwung die Tür vor der Nase zu.

Die Strategie war wohl doch nicht so toll. Das Leben ist ungerecht, fand Sascha, während er keuchend auf dem nächsten Treppenabsatz innehielt. Das unhandliche Trumm wurde täglich schwerer. Warum auch mussten die wenigen Frauen, die an dem sündhaft teuren Teil überhaupt Interesse zeigten, samt und sonders im dritten Stock wohnen. Er hatte sich immer einen Job erträumt, bei dem man ohne Mühe zu viel Ansehen und zu noch mehr Geld kommt. Nicht ein Leben lang krumm schuften wie seine Eltern.

»Du sollst es mal besser haben als dein Vater!«, hatten sie immer wieder versichert, und ihm trotz des relativ mageren Familieneinkommens ein BWL-Studium ermöglicht. Zu blöd, dass alles irgendwie schiefgelaufen war, - mit dem Studium, mit dem Examen, mit den Jobs, mit seiner Ehe. Tanja ließ ihn täglich ihre Unzufriedenheit spüren, stellte Ansprüche an ihn und das Leben, die er nicht erfüllen konnte.

Während Sascha das schwere Teil zum nächsten Treppenabsatz hochwuchtete, fiel ihm der gestrige Abend wieder ein, und erneut kroch der Groll in ihm hoch. Über Tanja und über seinen Schwager. Fred, der gestandene Handwerksmeister, verdiente ohne große Schulbildung dicke Kohle. Und bei jeder sich bietenden Gelegenheit gab er ihm zu verstehen, dass er ihn für einen Loser hielt.

Auch gestern, auf der Party zu Freds 45. Geburtstag. Noch immer klang das wiehernde Gelächter in seinen Ohren, mit dem die Partygäste den blöden Witz quittierten, den Fred auf seine Kosten gerissen hatte.

»Kennt Ihr den schon?«, hatte er, bereits ziemlich bierselig, in die Runde gerufen. »Sagt die gnädige Frau zu ihrer Minna: ›Minna, die Teppiche sind schmutzig!‹, worauf die Minna antwortet: ›Sie haben Recht, gnädige Frau. Wir sollten uns mal wieder einen Staubsauger vorführen lassen!‹«

Sascha hätte den schweren Staubsauger um ein Haar fallen lassen, so sehr zitterten bei der Erinnerung an die Schmach seine Hände. Und Tanja? Sie hatte ihm wütende Blicke zugeworfen. Ihm, nicht ihrem Bruder. Wärst du nicht so ein Loser, könnte er keine blöden Witze über dich reißen, hatten die Blicke bedeuten sollen.

Aber Fred konnte gut lachen, schließlich war er schlau genug gewesen, die richtige Frau zu heiraten. Die Installationsfirma war das Erbe von Tanjas Schwägerin Jutta. Von Tanjas Seite war mit keinerlei Erbschaft zu rechnen. Und was hatten ihm seine eigenen Eltern hinterlassen? Eine schauerlich verschnörkelte Eichenschrankwand und ein Wohnmobil, das sein Vater einst gebraucht gekauft hatte. Die Schrankwand hatte einem mysteriösen, alten Kauz gehört, der alleine in einer riesigen, mit kitschigem Protz vollgestopften Villa gehaust hatte. Nach dessen Tod vor knapp zwei Jahren hatten seine Eltern das wuchtige Möbelstück auf der Nachlass-Versteigerung erstanden. Er erinnerte sich noch mit Schrecken an den Aufwand, den er hatte veranstalten müssen, um das aus vier schweren Einzelteilen zusammengesetzte Möbelstück zu seinem Vater zu transportieren. Er hatte sogar von seinem Schwager einen Transporter ausleihen müssen - zusammen mit ein paar kräftigen Arbeitern aus dessen Firma.

Seine Eltern hatten um die Schrankwand ein Mords Getöse gemacht. »Das ist ein ganz besonderer Schrank. Massive Eiche, vom Schreiner handgefertigt und handgeschnitzt, nicht so ein primitives Schränkchen aus Pressspanplatten«, hatte sein Vater stets voll Stolz geschwärmt, wenn er über das altmodische Teil gelästert hatte. Lang hatten seine Eltern sich an dem angeblichen Schnäppchen aus der Nachlassversteigerung ohnehin nicht erfreuen können. Letztes Jahr waren sie ganz plötzlich kurz nacheinander verstorben. Wochenlang hatte er vergeblich versucht, das verschnörkelte Monstrum per Kleinanzeigen zu verkaufen. Aber letztendlich wollten selbst die Männer vom Sozialkaufhaus das grässliche Teil nicht mitnehmen.

Ihm war nichts anderes übrig geblieben, als noch einmal mithilfe des Schwagers die vier Einzelelemente der Schrankwand zu sich nach Hause zu transportieren und im Keller aufzustellen. Der Rest der elterlichen Wohnungseinrichtung war auf dem Sperrmüll gelandet. Tanja wollte auch das Wohnmobil unbedingt verscherbeln, aber er hatte sich noch nicht dazu durchringen können. »Wir könnten damit doch in den Urlaub fahren«, hatte er einen zaghaften Vorstoß gewagt. Tanjas böser Blick hatte jeden weiteren Überredungsversuch von vorneherein abgewürgt.

»Müller« stand auf dem Messingschild im zweiten Stock. Sascha stellte die schwere Last ab, holte ein Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich die Schweißtropfen von der Stirn. Eigentlich hätte er jetzt schon eine Dusche nötig. Sein Hemd klebte vor lauter Anstrengung am Körper, der billige Anzug war verknautscht. Vorsichtshalber fuhr er mit dem Kamm durchs bereits schütter werdende, aschblonde Haar, bevor er auf die Klingel drückte. Schritte näherten sich und stoppten vor der Tür. Vermutlich spähte jemand durch den Spion. Gleich darauf entfernten sich die Schritte wieder.

Mit bleischweren Beinen hatte Sascha endlich den dritten Stock geschafft. Er hielt einen Moment inne, um seinen Atem zu beruhigen. Staubsaugergeräusche drangen durch die Tür. Ihm schwante Schlimmes. Aber vielleicht hatte diese Frau Berger den Staubsauger auch nur von der Nachbarin geliehen. Ganz sicher hatte ihr eigener, der nur noch asthmatisch geschnauft und gleichmäßig den Dreck verteilt hatte, endgültig den Geist aufgegeben. Vor zwei Tagen hatte er ihr einen langen Vortrag gehalten. Über Milben, über Hausstaub, über Wollmäuse. In den düstersten Farben hatte er ihr geschildert, wie sehr die Gesundheit ihrer Kinder in Gefahr wäre, wenn sie mit einem Billigteil Krankheitserreger in der Wohnung verteilte. Sascha zwang sich zu einem freundlichen Lächeln und drückte auf die Klingel.

Frau Berger öffnete. Sie war gerade dabei den Flur zu saugen. Mit einem nagelneuen Markengerät. Sie überspielte eine kurze Verlegenheit und meinte dann:

»Ach Sie sind das. Wissen Sie, ich hab alles nochmal durchgerechnet. Ihr Edel-Sauger ist mir einfach zu teuer. Ich hab im Moment das Geld nicht. Außerdem gab es im neuen Elektronikmarkt gestern dieses Sonderangebot. Den Testsieger für ganze 119 Euro. Da hab ich sofort zugegriffen.«

Sascha murmelte etwas von einem Kredit, den er ihr eventuell vermitteln könnte. Aber Frau Berger schüttelte nur den Kopf und meinte: »Tut mir leid, aber ein Staubsauger reicht!«

Nach unten war das unhandliche Teil noch schwerer geworden. Sascha verwünschte in Gedanken Frau Berger und sämtliche Elektronikmärkte. Zu allem Überfluss musste er das Monstrum auch noch zwei Straßen weiter schleppen, weil er direkt vor dem Haus keinen Parkplatz hatte finden können. Halblaut vor sich hinschimpfend verstaute er den Staubsauger im Kofferraum. Den ganzen Monat hatte er noch nichts an den Mann, bzw. die Frau gebracht. Im Grunde müsste er jetzt unbedingt Klinkenputzen gehen. Wenn er nur nicht so frustriert wäre und die Nase gestrichen voll hätte - von Staubsaugern, knickerigen Hausfrauen, den Kampfpreisen der Elektromärkte. Er wollte jetzt einfach seine Ruhe und raus aus der hektischen, lärmenden Stadt.

Sascha war schon fast zuhause, da fiel ihm ein, dass ihm jetzt ein oder zwei Bier in der Gaststätte am Kreuzweiher guttäten. Die Vorstellung fand er wesentlich verlockender, als daheim die Wände anzustarren.

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