Читать книгу Highway ins Verderben - Hildegard Grünthaler - Страница 9

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»Sie sind nicht die Höchstbietende«, erschien auf dem Display. Verena zögerte nur kurz, bevor sie ihr Gebot auf 95 Euro erhöhte. 12 Euro war das Mindestgebot gewesen - ein Hammerschnäppchen für diese Designerhandtasche. Regulär kostete die im Laden um die 300. Mindestens. Es gab Leute, die konnten sich das leisten. Einfach so. Mal hier ein Täschchen für 300 Euro, mal da ein paar High Heels für 400 oder ein Kleid für einen schlappen Tausender.

»Sie sind nicht die Höchstbietende!«, reklamierte die Versteigerungsplattform. Verena dachte kurz an ihr überzogenes Konto bevor sie auf € 98,55 erhöhte. Immer noch ein Schnäppchen!

»Herzlichen Glückwunsch, Sie sind derzeit die Höchstbietende!«

Na also! Noch fünf Minuten, dann gehörte die Tasche ihr. Vor Aufregung wurden ihre Hände feucht. Sie wischte sie an der Jeans ab, die sie letzte Woche für 130 Euro ersteigert hatte. Ein Schnäppchen hatte sie gedacht - obwohl, mehr kostete die im regulären Handel auch nicht. Aber das hatte sie erst hinterher festgestellt. Verena griff wieder nach der Maus und aktualisierte.

»Sie sind nicht mehr die Höchstbietende«.

Sie zog nach. Noch vier Minuten. Verdammt - warum musste sie jetzt im Endspurt ständig überboten werden? Verena erhöhte, der unsichtbare Mitbieter auch, Verena erhöhte wieder ...

»Herzlichen Glückwunsch! Der angebotene Artikel gehört Ihnen. Bitte überweisen Sie € 175,90 an ...« Der Rest verschwamm vor ihren Augen. Weil ihr just in diesem Moment die Mahnung einfiel, die auf dem Tisch lag. Es war die Dritte, und sie wusste, dass sie nicht bezahlen konnte. Sie hatte die Lederjacke aus einem Impuls heraus bestellt und gedacht: Nur mal reinschlüpfen, einen Tag damit ausgehen und dann postwendend zurückschicken ...

Die kurze Jacke passte so toll zur neuen Jeans, die ihre schlanke Figur so gut zur Geltung brachte. Dazu hatte sie Ihr schulterlanges, dunkles Haar zu einem modischen Dutt geschlungen und die Nägel verschiedenfarbig lackiert. Dummerweise hatte sie an diesem einen Tag heißen Kaffee über den Ärmel der Jacke geschüttet. Coffee to go - so was blödes. Durch den Styroporbecher hatte sie nicht gespürt, wie kochend heiß die Brühe war und unvorsichtig einen zu großen Schluck durch den Strohhalm genommen. Sie hatte vor Schreck den Becher fallen lassen und dabei nicht nur die Lederjacke ruiniert, sondern auch die erst kürzlich ersteigerten Schuhe. So ein Desaster! Sie konnte sich die Handtasche gar nicht leisten - nicht von ihrem mickerigen Gehalt als Sachbearbeiterin. Im Grunde brauchte sie die Tasche gar nicht, weil bereits fünf ähnlich teure »Schnäppchen« im Schrank lagen. Warum kam sie nicht gegen die Versuchung an, sich ständig in der E-Vote-Plattform oder bei den Internetshops anzumelden. Längst stand ihr das Wasser bis zum Hals - nicht nur wegen der Mahnung auf dem Tisch.

Geldeintreiben war wirklich nicht sein Ding. Aber besondere Vorkommnisse erforderten besondere Maßnahmen - notfalls auch den kurzzeitigen Job bei einem berüchtigten Kredithai. Er war nicht zimperlich. Aber das Bürschchen, das sich mit der Abzahlung des um drei Nummern zu dicken Sportwagens übernommen hatte, mit dem Gesicht in die Kloschüssel zu tauchen, hatte ihm keinen Spaß gemacht. Dem kleinen, vor Angst zitternden Mädchen die Zöpfchen abzuschneiden, damit der Vater an seine fälligen Raten erinnert wurde, war im Grunde auch nicht sein Stil. Jetzt stand Gott sei Dank nur noch ein Auftrag an. Dieser Auftrag war der einzige Grund, warum er den unangenehmen Job überhaupt angenommen hatte. Er würde ihn zwar 400 Euro kosten, so hoch war die Forderung des Kredithais, aber besondere Vorkommnisse erforderten besondere Maßnahmen.

Sebastian Wilke musterte sich im Spiegel. Das, was er dort sah, gefiel ihm nicht, war nicht sein Stil. Er bevorzugte perfekt geschnittene Anzüge oder lässig elegante Freizeitkleidung, nicht diese primitiven Rockerklamotten. Sollte er das aufgemalte Tattoo abwaschen? Die Nietenhosen und das schwarze Shirt ausziehen? Er hatte sich ursprünglich den Brutalo für den Notfall aufsparen wollen. Aber die Zeit drängte. Wenn er mit der sanften Tour käme, müsste er mehrere vergebliche Versuche einplanen. Wahrscheinlich würde schon seine martialische Aufmachung reichen, um diese Verena weichzukochen.

Sie zappte sich unkonzentriert durchs Abendprogramm. Die anstehende Ratenzahlung für diesen verflixten Kredit, den sie bei einem windigen Unternehmen abgeschlossen hatte, schob sich immer wieder in ihr Bewusstsein. Als es an der Tür läutete, zuckte sie zusammen.

»Beim nächsten Verzug hetzen wir dir einen brutalen Geldeintreiber an den Hals!«, hatte man ihr gedroht.

Sollte sie das Klingeln einfach ignorieren? Oder besser doch nachsehen? Mit angehaltenem Atem schlich sie auf Zehenspitzen zur Tür und spähte durch den Spion. Der Typ, der da draußen stand, sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Wie ein Rocker und Schläger! Was sollte sie tun? Sie hatte weder Geld, noch wusste sie, wo sie es beschaffen sollte. Sie konnte niemanden mehr anpumpen. Nicht mal ihre Mutter war bereit, ihr nochmals Geld zu leihen.

Ich mach einfach nicht auf! Ich bin nicht zuhause! Wenn ich mich ruhig verhalte, haut der Kerl vielleicht wieder ab. Aber im nächsten Moment drückte der Typ noch einmal auf die Klingel.

»Frau Schäfer, ich weiß, dass Sie hier sind. Ich komme wegen Ihrer fälligen Ratenzahlung. Das müssen wir aber nicht zum Amüsement der ganzen Nachbarschaft im Treppenhaus besprechen. Wollen Sie, dass hier jedermann von Ihren Schulden erfährt? Ich will Ihnen nur einen fairen Deal vorschlagen!«

Verena sah, dass die Tür von der Wohnung gegenüber aufging. Die neugierige Alte, die dort wohnte, bereits in Nachthemd und Morgenrock, streckte ihren Kopf heraus. Der Rockertyp drehte sich um und sagte freundlich zu der Alten:

»Es ist alles in Ordnung, Sie können getrost wieder ins Bett gehen.«

Verena wartete kein drittes Läuten ab, sondern öffnete die Tür.

Highway ins Verderben

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