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1.3. Habituelle Dispositionen, ‘natürliche’ und ‘eingegossene’ Tugenden und ihre Bedeutung für die Erlangung der Glückseligkeit a) »Habitus« als spezifisch menschliche Tätigkeitsvorprägungen

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Der von den meisten Kommentaren150 gewählte Zugang zu dem der thomanischen Tugend- und Gnadenlehre zugrundeliegenden »habitus«-Begriff scheint zumeist nur um den Preis ‘hoher begrifflicher Abstraktion’ möglich. Gerade dadurch aber, d.h. durch einen zu frühen Rekurs auf die Kategorientafel des Aristoteles, wird m.E. das Verständnis in der heutigen Zeit eher erschwert als erleichert. Dies ist um so mehr zu bedauern, weil sich eine Hinführung151 zu dem von Thomas Gemeinten eigentlich ohne größere Umstände in direktem Anschluß an die zuvor in dieser Arbeit skizzierten Leitsätze der thomanischen Ethik ergibt: Der Mensch, so ist in den unterschiedlichsten Zusammenhängen wiederholt gesagt worden, verhält sich durch seine Seelenvermögen (»potentiae animae«), d.h. durch Vernunft, Wille und durch das psychische Triebpotential, zu seiner Um- und Mit-Welt. Indem der Mensch sich mit seiner Vernunft, seinem Willen und seinen Affekten (in Akten, bei denen diese Seelenvermögen zusammenwirken) auf seine Umwelt bezieht, ergeben sich durch den bloßen und unvermeidbaren Gebrauch (oder Nicht-Gebrauch) notwendig (An-) Gewohnheiten als Reflex und Ergebnis der jeweiligen Tätigkeiten. Und genau diese unvermeidbaren (An-) Gewöhnungen und Gewohnheiten bezeichnet Thomas als »habitus« und versteht sie als Handlungsdispositionen bzw. Tätigkeitsvorprägungen152, in denen sich die Weise der Aktuierung der oben genannten Vermögen (Vernunft, Wille, Affekte) in Bezug auf ein bestimmtes Objekt oder Objektfeld verfestigt hat. Insofern die »habitus« einem bestimmten, konstanten Objektfeld (»causa immobilis«) entsprechen, sind sie durch eine gewisse Beständigkeit153, Konstanz und Dauerhaftigkeit154 ausgezeichnet und garantieren eine grundsätzliche Befähigung zu einer prompten155 Aktuierung der entsprechenden Seelenvermögen.

Im Hinblick auf die nachfolgenden Kapitel kann nicht entschieden genug darauf hingewiesen werden, daß Thomas als »habitus« nur die spezifisch menschlichen Handlungsvorprägungen bezeichnet, also weder den dressierten Trieb bzw. Instinkt noch eine körperliche Disposition (wie z.B. Gesundheit, Schönheit, etc.), die es auch bei Tieren gibt156, sondern die durch die Tätigkeit von Vernunft und Wille - gewissermaßen freiwillig und selbstbestimmt - zustandegekommene Handlungsdisposition eines der genannten Vermögen.157 »Habitus« können den Verstand, den Willen und die Affekte auf unterschiedliche und sogar in entgegengesetzter Weise bestimmen158 und sind als Tätigkeitsvorprägungen bezüglich eines konstanten Objektfeldes somit auf ein ihnen entsprechendes ‘Tätigwerden’, auf »operationes«, bezogen.159 Zur Entstehung bzw. Ausprägung eines »habitus« bedarf es allerdings mehr als nur einer einfachen, einzelnen Aktuierung eines Seelenvermögens. Vielmehr ist er das zu einem (habituellen) Zustand ‘geronnene’ Ergebnis vieler einzelner, gleichförmiger und gerichteter Einzelakte.160

Die bisherigen Überlegungen zum thomanischen »habitus«-Begriff können wie folgt Satz zusammengefaßt werden: Ein »habitus« ist eine nur den Menschen aufgrund seines Verstandes- und Willensvermögens auszeichnende und durch vielfältige, gleichförmige Einzelakte angewöhnte Disposition eines Vermögens, wodurch dieses Vermögen gegenüber einem bestimmten Objektfeld zu konstanten, gleichförmigen Tätigkeiten befähigt wird.

Ein über das Gesagte hinausgehendes Verständnis des thomanischen »habitus«-Begriffs ergibt sich, wenn man den »habitus« in seinem ontologischen Bezug, in seiner Beziehung zur menschlichen Natur bzw. zur menschlichen Seele betrachtet.161 Weil sich die menschliche Seele vermittels der Seelenvermögen aktuiert und verwirklicht162, qualifizieren die Handlungsvorprägungen der einzelnen Seelenvermögen zugleich auch das menschliche Sein insgesamt.163 Der »habitus« ist also, weil er auch auf die menschliche Natur bezogen ist, in scholastischer Terminologie ausgedrückt, eine ‘Qualität’ der Seele, eine »qualitas«.164 Mit dieser den ontologischen Bezug des »habitus« reflektierenden Terminologie (»qualitas«; »modus et determinatio subiecti«165) gelingt es Thomas, auf zwei Hauptgedanken seines »habitus«-Verständnisses aufmerksam zu machen: Bei den »habitus« handelt es sich nicht um notwendige Entfaltungen eines inwendigen Prinzips, sondern um freie, d.h. durch Vernunft und Wille vermittelte, und insofern kontingente und akzidentielle Selbstbestimmungen des Menschen. Darüber hinaus ist es durch den Bezug der »habitus« auf die menschliche Natur bzw. auf deren Ziel(e) möglich, ‘gute’ und ‘schlechte’ »habitus« voneinander zu unterscheiden. ‘Gut’ ist nach Thomas ein durch die rationalen Vermögen des Menschen vermittelter »habitus«, der der menschlichen Natur ‘gemäß’ (»conveniens«) ist. Umgekehrt wird ein »habitus«, der der menschlichen Natur nicht entspricht, als ‘schlecht’ bezeichnet.166

Mit der - im Blick auf die menschliche Natur vorgenommenen - Unterscheidung von guten und schlechten »habitus« wird nun auch gegen Ende dieser Einftührung die Definition des »habitus« verständlich, von der Thomas seine Untersuchung direkt im allerersten Artikel der qu. 49 ihren Ausgang nehmen läßt: ‘Als »habitus« wird eine Disposition bezeichnet, durch die etwas Disponierbares gut oder schlecht disponiert wird, entweder in Bezug auf sich selbst oder zu etwas anderem.’167 Aufgrund der Unterscheidung zwischen ‘guten’ und ‘schlechten’ »habitus« kann nun zu der in qu. 55 ansetzenden Untersuchung über den Tugend-Begriff übergeleitet werden, da alle Einteilungskriterien genannt sind, nach denen die »habitus« (und im folgenden auch die Tugenden) unterschieden werden: Die Differenzierung der »habitus« erfolgt 1. nach den jeweiligen Objekten, 2. nach den sie ‘tragenden’ Vermögen und 3. nach der ‘Gemäßheit’ oder ‘Nicht-Gemäßheit’ mit der menschlichen Natur.168

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