Читать книгу Boston Bad Boys (Sammelband) - Holly Summer - Страница 4

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1 – Sunday

»Elijah?«, rufe ich laut in den Flur, dabei hüpfe ich unbeholfen auf einem Bein aus der Tür meines Schlafzimmers, während ich die flachen Schuhe überstreife.

Der Duft von frischem Kaffee steigt mir verführerisch in die Nase. Aber ein Blick auf meine Armbanduhr genügt, um mir darüber klar zu werden, dass aus einem gemütlichen Frühstück mit Elijah heute nichts werden wird. Ich bin spät dran. Fast wäre ich in meiner Eile auf der vorletzten Treppenstufe hängen geblieben und murmle wilde Verwünschungen. Verdammter Stromausfall letzte Nacht! An der Tür stecke ich den Kopf zur Küche hinein. Elijah steht mit der Hüfte schwingend am Herd und wippt im Takt der Musik aus dem Radio mit.

»Eliiiijjjaaah«, rufe ich ihn laut und wild mit der Hand fuchtelnd. Endlich dreht er sich zu mir um und stellt das Radio leise.

»Guten Morgen, Süße. Du bist spät, hast du mal auf die Uhr geschaut?«

»Das weiß ich selbst«, stöhne ich. Wäre Elijah nicht der beste Freund, den man sich wünschen kann, würde ich ihm seinen Sarkasmus übel nehmen. Aber ihm böse zu sein, ist genauso, als wollte man den Mond vom Himmel holen: unmöglich.

»Mein Wecker war aus. Wir hatten letzte Nacht einen Stromausfall, falls du es nicht bemerkt haben solltest. Du hättest mich ruhig wecken können«, halte ich ihm vor und betrete die Küche.

»Sorry, Süße.«

»Schon gut. Ich nehme dein Rennrad, okay? Mit dem Bus schaffe ich es nicht mehr.« Das ist eigentlich keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Ich würde dich gerne fahren, aber ich erwarte jeden Moment den Handwerker, damit endlich diese verdammte Treppenstufe repariert wird. Also gut, nimm das Rennrad. Es ist gestern Nacht spät geworden bei mir, wir hatten Ärger im Club«, teilt er mir mit, während er geschäftig in der Pfanne rührt. Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch, aber sein Bericht muss bis heute Abend warten.

»Lass uns später darüber reden, okay? Und mach dir keine Gedanken, mit dem Rad bin ich ohnehin viel schneller im Büro. Ich nehme einfach die Abkürzung durch den Park.«

»Okay, aber pass auf, dass es nicht geklaut wird«, sagt er und wendet das Omelett in der Pfanne.

»Ich lass doch dein heiß geliebtes Rennrad nicht auf der Straße stehen. Was denkst du denn von mir? Ich stelle es natürlich in den Hausflur«, verspreche ich ihm.

Der Geruch von geschmolzenem Käse und frischen Tomaten steigt mir verführerisch in die Nase. Elijah ist ein fabelhafter Koch. Seit ich nach der Trennung von meinem Ex vor einem Monat bei ihm eingezogen bin, habe ich sicher schon ein Kilo zugenommen. Darüber sollte ich eigentlich glücklich sein, denn die Trennungsphase war alles andere als leicht. Sechs Jahre streicht man nicht einfach so aus dem Leben. Auch wenn Sean, mein Ex, sich wie ein verficktes Arschloch verhalten hat, habe ich immer noch Gefühle für ihn. Als ich erfahren musste, dass er schon seit über einem Jahr ein Verhältnis mit einer anderen Frau hatte, brach eine Welt für mich zusammen.

Vielleicht hätten wir unsere Beziehung noch kitten können, doch die Situation, in der er sich jetzt befindet, hat das unmöglich gemacht. Zwar versprach er mir hoch und heilig, sein Verhältnis zu beenden, aber das wollte ich nicht. Von dem Baby, das er mit ihr hat, kann er sich schließlich nicht so einfach trennen.

Als ich das Bild von seinem Kind sah, gab es für mich nur noch eins: Meine Koffer packen und ausziehen. Einen glatten Schlussstrich ziehen, auch wenn es noch so sehr wehtat. Seitdem wohne ich bei Elijah in seinem Haus, aber über kurz oder lang muss ich mir eine eigene Wohnung suchen und meine Möbel bei Sean abholen.

Elijah und ich haben uns vor einigen Jahren kennengelernt, er hatte meinem Ex und mir Jobs als Bedienungen in seinem Nachtclub angeboten. So konnten Sean und ich uns trotz des Studiums die schöne Wohnung leisten, in der ich so glücklich war. Jetzt quält mich der Gedanke an unser Zuhause nur noch. Ich konnte es nicht mehr ertragen, dortzubleiben. Dort, wo mich alles an unsere gemeinsame Zeit erinnerte.

Für manche Menschen mag es merkwürdig klingen, mit einem schwulen Nachtclubbesitzer zusammen zu wohnen, dessen Körper über und über mit Tattoos bemalt ist. Meine Eltern würden die Nase darüber rümpfen, wenn sie wüssten, dass ich nicht mehr mit Sean zusammen bin und stattdessen im Haus eines Mannes lebe, der ein ziemlich ungeordnetes und zügelloses Leben führt und auf Konventionen und Vorurteile pfeift. Aber gleichzeitig ist Elijah der liebevollste Mensch, den ich hier in Boston kenne, ein wirklicher Freund.

Meine Eltern wissen noch nichts von der Trennung von Sean und seinem Doppelleben.; Ich muss es ihnen endlich sagen. Spätestens nächsten Monat kommt es sowieso raus, denn meine Mom feiert ihren fünfzigsten Geburtstag, und dann erwartet sie, dass ich mit Sean bei ihr aufkreuze. Er war für sie immer der perfekte Schwiegersohn, und wenn es nach ihr ginge, wären wir sicher schon verheiratet. Es wäre unfair, wenn ich es ihr nicht vorher sage.

Schnell schiebe ich, nicht zum ersten Mal, diese negativen Gedanken zur Seite und angele nach dem Brötchen, das Elijah sich aufgeschnitten und mit Butter bestrichen hat. Er zieht lächelnd eine Augenbraue hoch und haut mir leicht auf die Finger.

»Hab dich auch lieb«, rufe ich ihm zu und sehe nur noch seinen gespielt tadelnden Gesichtsausdruck, als ich mich umdrehe und herzhaft in das Brötchen beiße.

»Sunday?«, pfeift er mich zurück.

»Ja?«, sage ich undeutlich mit vollem Mund.

»Pass auf mein Rennrad auf«, warnt er mich schmunzelnd mit erhobenem Holzlöffel.

Lächelnd werfe ich ihm einen Kuss zu, bevor ich das Haus verlasse und mich auf den Weg ins Büro mache.

Meinen Beruf als Immobilienmaklerin liebe ich sehr, ich hatte schon immer eine Schwäche für schöne Häuser. Sobald ich ein leeres Haus betrete, richte ich es in Gedanken ein. Leider ist mein neuer Chef, Mister Fullerton Junior, ein widerlicher Stinkstiefel, der mir nicht nur einmal zweideutige Angebote gemacht hat. Ein Blick auf meine Uhr zeigt mir, dass er mich in zehn Minuten zu einem Brainstorming erwartet. Mein kleiner roter Nissan ist in der Werkstatt und zu Fuß oder gar mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schaffe ich es unmöglich, pünktlich zu sein. Ich hänge die große Tasche um, in die ich mein Kleid und ein Paar Pumps gepackt habe, und schwinge mich auf den Sattel. Da Freitag ist und ich keine Kundentermine habe, ist es völlig in Ordnung, mit Jeans, Bluse und Blazer im Büro zu erscheinen, aber für alle Fälle habe ich ordentlich zusammengelegt mein Businesskleid dabei. Korrekte Kleidung und Etikette sind das A und O in der Firma.

Manchmal wünschte ich mir, wir hätten keinen Dresscode, so wie es in anderen modernen Firmen üblich ist. Besonders, wenn ich an den Hai von einem Chef denke. In letzter Zeit ist er besonders penetrant. Mister Fullerton Junior ist und bleibt ein alter Kotzbrocken, der nur Dollarzeichen in den Augen hat – wenn er nicht gerade seine Mitarbeiterinnen betatscht.

Diesen Monat konnte ich trotz vieler Außentermine noch keinen Abschluss machen. Das liegt nicht an mir, sondern an der Konkurrenz. Besonders an unserem stärksten Rivalen, J. Edwards Immobilien. Jedes Mal, wenn ich glaubte, das Geschäft in der Tasche zu haben, kam ein Mitarbeiter seiner Firma und hat dazwischengefunkt.

Dieser Edwards ist nicht nur mir ein Dorn im Auge, er ist der Schrecken der ganzen Immobilienbranche. Ich kenne ihn nicht, weiß nicht mal, wie er aussieht, aber ich kann ihn mir lebhaft vorstellen. Sicher ein schmieriger Businesstyp mit Bauchansatz, schütterem Haar und einem dicken Schlitten, mit dem er bei seinen Kunden vorfährt, um Eindruck zu schinden. Man hört, dass er in der High Society von Boston verkehrt.

Seine Methoden sind mir ein Rätsel, aber sicher spielt er mit den oberen Zehntausend am Sonntagmorgen Golf oder wickelt seine Klienten mit Besuchen in Nachtclubs um den Finger, in denen die Frauen mehr zeigen, als nötig wäre. Was für ein Klischee! Vorstellen könnte ich es mir, denn dass er nicht ehrlich spielt, ist in der Branche bekannt.

Nächste Woche habe ich einen Termin für ein Objekt, das richtig viel Provision bringt, da muss es klappen. Mein Klient ist ein Mann und keine von den reichen First-Class-Ladys, die auf ein bisschen Speichelleckerei abfahren und sich von einem arroganten Sack wie Edwards einwickeln lassen. Ich sehe mich schon, wie ich meinem Chef den unterschriebenen Vertrag auf den Tisch knalle, innerlich zufrieden grinsend, während er fett und feist hinter seinem Schreibtisch sitzt und ein verdutztes Gesicht macht.

Schnell weiche ich einer Pfütze aus und hätte dabei beinahe den Lenker verrissen. Die Straßen sind noch nass von dem Unwetter, das gestern Nacht über die Stadt gefegt ist, und überall liegen Blätter, die der Wind von den Bäumen gerissen hat. Die Luft riecht frisch nach feuchter Erde. Ich sauge sie gierig ein, als ich in den Park einbiege. Nur noch ein kurzes Stück, dann habe ich es geschafft. Vor mir ragt schon der Wolkenkratzer auf, in dem sich das Maklerbüro Fullerton befindet. Um diese frühe Tageszeit ist es noch ruhig hier, nur ein Jogger und eine Frau mit einem kleinen Kind an ihrer Seite kommen mir entgegen. Die Kleine zerrt quengelnd am Arm der Frau, die mit dem Handy in der anderen Hand keinen Blick für das Mädchensie übrig hat. Stattdessen ist sie ganz auf ihr Gespräch konzentriert.

Plötzlich reißt sich das Kind von der Hand der Frau los, deutet auf irgendetwas auf meiner linken Seite und läuft ohne zu schauen direkt in meine Fahrtrichtung. Die Kleine muss mich total übersehen haben. Ihr Schrei, der folgt, als sie mich dann doch entdeckt, hallt in meinen Ohren, der entsetzte Blick brennt sich in meine Gedanken und ich reagiere instinktiv. Ich greife in die Bremsen und reiße den Lenker zur anderen Seite. Den Jogger, der jetzt fast auf meiner Höhe ist, blende ich dabei völlig aus.

Dann passiert das Unvermeidliche: Statt einen Sprint über die Rasenfläche zu machen und dem Jogger damit noch auszuweichen, bleibe ich mit dem Vorderrad an einem kleinen Mäuerchen hängen, das ein Blumenbeet abgrenzt, und verliere die Kontrolle über das Rad. Der entsetzte Ausruf des Joggers, die aufgerissenen Augen der Frau und mein Aufprall auf dem sandigen Boden sind alles, was ich noch wahrnehme, bevor ich mit dem Kopf auf den weichen Sandboden aufschlage.

Verdammte Scheiße! Im ersten Moment verspüre ich keinen Schmerz, sehe in Gedanken nur die schreckliche Szene vor mir, wie das Kind blutend auf dem Weg und der Jogger unter dem Rennrad begraben liegen. Ich öffne die Augen und ein Stöhnen entfährt mir, als ich meinen Kopf heben will. Zum Glück scheint mir nichts Schlimmeres passiert zu sein. Vielleicht eine Gehirnerschütterung? Dafür war der Aufprall nicht heftig genug. Das erschrockene Weinen des Kindes durchdringt die Stille um mich herum.

Nachdem der erste Schock überwunden ist, sehe ich unter dem Schmutz an meinen Händen, dass die Haut leicht aufgekratzt ist. Der Schreck sitzt mir in allen Gliedern und mein linker Arm schmerzt ein wenig. Mit der anderen Hand streiche ich darüber. Ein Blick auf den Mann, den ich zu Boden gerissen habe, zeigt mir, dass ihm vermutlich auch nicht viel passiert ist. Er steht auf, klopft sich den Schmutz von der Kleidung und schaut sich nach dem Kind um, das für den Unfall verantwortlich war und jetzt unbeschadet in den Armen der Frau an seiner Seite liegt und sich langsam wieder beruhigt. Dann gleitet sein Blick zu mir und alle Freundlichkeit verschwindet wie durch Zauberhand aus seinem Gesicht.

Dabei sieht er verdammt sexy aus.

Warum beunruhigt mich das? Vielleicht weil er mich mit diesem drakonischen Gesichtsausdruck fixiert? Ein kurzer Schauer legt sich über meine Haut und ich ziehe unbewusst die Schultern nach oben, als würde es mich frösteln. Ich spüre, wie sich meine Nippel hart zusammenziehen. Er zieht sich die Kopfhörer aus den Ohren und spricht mich an.

»Können Sie aufstehen? Oder sind Sie verletzt?«

Seine Stimme ist kräftig und doch wirkt sie sinnlich und anziehend auf mich. Ich muss bei dem Sturz doch etwas mehr abbekommen haben, anders kann ich mir meine Reaktion auf ihn nicht erklären. Ich versuche umständlich, auf die Beine zu kommen.

»Es geht schon. Ich glaube nicht.«

Jetzt, wo er direkt vor mir steht, wird mir seine Wirkung auf mich erst bewusst. Er ist groß, muskulös gebaut und sieht nicht nur fantastisch aus, er ist ein Traum von einem Mann. Das fällt mir jetzt so richtig auf, als ich vor ihm auf dem Boden sitze und zu ihm aufschaue. Mein Blick gleitet unbewusst zu seinem Ringfinger. Da ist nichts, nur glatte Haut.

Immer noch fixieren seine stahlblauen Augen mich unter seiner Baseballkappe. Ich kann nur verlegen zur Seite sehen. Er geht zwei Schritte auf mich zu, greift entschlossen unter meine Arme und zieht mich vorsichtig hoch, nachdem er sich davon überzeugt hat, dass mir wirklich nichts weiter fehlt, dann setzt er mich auf dem Gras neben dem Fußgängerweg ab. Anschließend dreht er sich um, greift nach dem Rennrad und hebt es hoch wie ein Spielzeug, um es aus dem Weg zu räumen. Als ich den verkratzten Rahmen und das verbogene Vorderrad sehe, bin ich schlagartig wieder im Hier und Jetzt und kann einen Fluch nicht unterdrücken.

»Verdammter Mist!«

Wieder trifft mich sein strenger Blick. Hat er noch nie eine Frau fluchen gehört? Das Nächste, was ich aufschnappe, ist die laute Stimme der Frau, die das Kind immer noch an sich gedrückt hält. Sie beschimpft mich auf das Übelste, während sie mit der freien Hand in der Luft herumfuchtelt. Seit dem Augenblick, als ich in die Augen dieses Alphagottes geschaut habe, hat sich alles um mich herum in Luft aufgelöst. Ich sollte mich bei der Frau entschuldigen, das ist das Mindeste, was ich tun kann. Dennoch sitze ich einfach hier und bin wie verhext von diesem Mann.

»An Ihrer Stelle würde ich den Mund halten«, wendet der große Unbekannte sich an die Frau, was sie sofort verstummen lässt.

Seine Stimme ist überlegen, aber nicht beleidigend oder laut. Völlig sprachlos wegen seiner Impertinenz bleiben ihr die Worte im Hals stecken. Sie reißt die Augen auf und schnaubt aufgebracht. Ich halte kurz die Luft an, als mir die Unverschämtheit seiner Worte bewusst wird. Warum ergreift er Partei für mich, obwohl ich ihn gerade über den Haufen gefahren habe?

»Der Kleinen ist doch nichts passiert, oder? Sie sollten besser auf sie aufpassen und Ihre Pflichten nicht vernachlässigen, dann wäre das hier nicht geschehen«, zischt er. Dem kleinen Mädchen zwinkert er dabei verschwörerisch, ja fast liebevoll zu.

Innerlich lächle ich über seine Worte, aber gleichzeitig kann ich nur den Kopf schütteln über seine Dreistigkeit ihr gegenüber. Ich hätte mich niemals getraut, die Frau in diesem beleidigenden Ton anzugreifen, besonders, da das hier ein Fußgängerweg ist, und die Schuld damit ganz allein bei mir liegt.

»Es tut mir leid«, versuche ich, zu retten, was zu retten ist. »Es war meine Schuld.«

»Die Menschen werden immer dreister«, dringen noch die verärgerten Worte der Frau an mein Ohr. Meine Entschuldigung hat sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.

Dann dreht sie sich völlig empört über seine Reaktion um, nimmt das Kind an der Hand und verschwindet vor sich hin schimpfend hinter der nächsten Biegung. Bevor ich aufstehen kann, wendet er sich wieder mir zu.

»So, und jetzt zu Ihnen«, funkelt er mich aufgebracht an.

Ich schaue zu ihm hoch, während ich vorsichtig den Schmutz von meinen Händen reibe, und verziehe nun angefressen das Gesicht. Ups, scheinbar habe ich ihn falsch eingeschätzt. Jetzt bin ich es, die in sein Visier geraten ist.

»Sie hätten sie nicht so anfahren dürfen. Es war ganz allein meine Schuld.«

»Dann brauche ich Ihnen ja auch nicht zu erklären, dass das hier ein Fußgängerweg ist!« Dabei zeigt er provozierend auf den Gehweg und das Schild hinter mir.

Mein Gott, seine Belehrung kann ich jetzt gebrauchen wie einen Pickel an meinem Hintern. Und was heißt hier überhaupt »erklären«? Ich bin nicht blöd. Nur, weil ich blondes Haar habe, muss er mich nicht behandeln wie die sprichwörtliche Blondine. Dieser Machomann mir gegenüber spielt sich auf wie einer meiner Lehrer in der Schule, der auch bei jedem kleinsten Vergehen den Autoritären raushängen lassen musste.

»Ach, wirklich?«, rutscht es mir jetzt herablassend heraus, dabei streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Eigentlich wollte ich mich bei ihm entschuldigen, aber seine überhebliche Art lässt meinen Adrenalinspiegel wieder in die Höhe schnellen.

»Sie finden das wohl auch noch witzig?«, brummt er.

»Sehe ich etwa so aus?«, kontere ich genervt. »Ja klar, ich liebe es, mich auf dem Boden im Dreck zu wälzen. Was dachten Sie denn?« So viel Zynismus ist eigentlich ganz untypisch für mich.

»Werden wir jetzt etwa auch noch zickig?«, provoziert er mich weiter. Dabei umspielt ein kleines Lächeln seine Mundwinkel. Ich atme hörbar ein und will ihm antworten, doch er unterbricht mich sofort. »Ich sage Ihnen mal was. Wenn Sie mir gehören würden, würde ich dafür sorgen, dass Ihnen so etwas nicht noch einmal passiert. Ich kann sehr überzeugend sein.« Dabei zeigt er mit dem Finger auf mich.

Mir bleibt im ersten Moment vor Sprachlosigkeit der Mund offen stehen. Ist dieser Kerl denn verrückt? In welcher Welt lebt er eigentlich? Und was fällt ihm ein, von mir als Besitz zu sprechen? Der hat doch nicht mehr alle Latten am Zaun! Schnell fasse ich mich wieder.

»Das glaube ich Ihnen sofort«, antworte ich schnippisch. »Allerdings finde ich Ihre Wortwahl etwas übertrieben.«

»Ach ja? Inwiefern?«

Dabei fixiert er mich wie eine Klapperschlange, die ihr Opfer vor sich sieht und nur darauf wartet, im richtigen Moment die Giftzähne in das Objekt ihrer Begierde zu schlagen. Seine Worte sind leise, aber sehr bestimmt, sodass es mir heiß und kalt wird.

»Na, Menschen als Besitz zu bezeichnen. Das geht ja wohl entschieden zu weit. Finden Sie nicht?«

Seine einzige Antwort auf meine Frage ist ein geheimnisvolles Lächeln. Dabei beobachtet er mich, als wollte er abschätzen, wie ich reagiere. Er regt mich auf eine Art auf, die mir unbegreiflich ist. Ob es an den Worten liegt, die er gerade zu mir gesagt hat, oder an seinem verdammt guten Aussehen, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass das warme Gefühl in meinem Bauch bis in meine Scham dringt. Was ich überhaupt nicht verstehen kann.

Schnell besinne ich mich wieder darauf, wo ich mich befinde, und die unverschämten Worte eines mir völlig Fremden.

Wenn ich ihm gehören würde? Was fällt diesem eingebildeten, arroganten Arsch eigentlich ein? Seit wann gehört ein Mensch einem anderen? Vielleicht sollte ich ihm klar machen, dass die Sklaverei schon vor über 100 Jahren endgültig abgeschafft worden ist. Seine Augen bohren sich hypnotisierend in meine. Oh Gott, diese Augen, sie scheinen mich verschlingen zu wollen. Warum stehe ich nicht einfach auf und sage ihm, was er mich mal kann? Damit habe ich doch sonst kein Problem. Warum kommen mir bei ihm keine coolen Sprüche über die Lippen?

Ich bin unfähig, mich zu bewegen. Das Einzige, was ich wahrnehme, ist mein Herzschlag, der sich von Sekunde zu Sekunde beschleunigt, je länger er mich ansieht, und das ärgert mich. Ich öffne den Mund und bewege die Lippen, ohne ein Wort herauszubringen, was ihm wiederum ein angedeutetes Lächeln entlockt. Er hält mir die Hand hin und zieht mich vorsichtig nach oben. Als ich vor ihm stehe, wird mir seine männliche Ausstrahlung erst recht bewusst. Er ist mindestens 20 Zentimeter größer als ich. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht zu schauen. Seine Haut glänzt noch leicht vom Schweiß, aber er riecht gut. Verdammt, riecht er gut ... Es ist eine Mischung aus frischem Aftershave und seinem Körpergeruch. Wie kann ein Mann, der Sport treibt, dabei noch so gut riechen? Und warum kann ich den Blick nicht von seinen sinnlichen Lippen nehmen? Kurz flackert der Gedanke in meinem Kopf auf, von diesen Lippen geküsst zu werden. Wie mag sich der Dreitagebart auf meiner Haut anfühlen, wenn er mich damit an Stellen berührt, die ... Sunday, deine Fantasie geht mit dir durch. Reiß dich gefälligst zusammen, ermahne ich mich stumm. Er hält mich immer noch am Arm fest, während ich in seinen Augen zu ertrinken drohe. Dann streckt er die Hand aus und ich weiche unwillkürlich zurück. Aber er lässt sich von meiner Reaktion nicht beirren und wischt zärtlich über meine Wange.

»Was soll das?«

Er zuckt nur die Achseln. »Da war ein Schmutzfleck«, rechtfertigt er sein Verhalten. Und wieder sind es seine Worte, die mir noch im Kopf herumspuken. Da er nichts sagt, greife ich das Thema noch einmal auf.

»Ich gehöre Ihnen aber nicht«, kommt es jetzt doch über meine Lippen. »Im Grunde gehört kein Mensch einem anderen. Es gibt Gesetze, die die Menschenrechte ganz klar definieren«, setze ich noch bestimmt hinzu, als würde ich gerade ein Referat halten. Warum ich noch einmal auf dieses Thema eingegangen bin, weiß ich eigentlich nicht. Aber irgendwie beschäftigt es mich. »1804 hat Massachusetts die Sklaverei abgeschafft und bereits 1773 fing alles mit der Boston Tea Party an«, sprudelt es aus mir heraus. »Das ist alles rechtlich geregelt.«

Jetzt lacht er mich doch tatsächlich aus. Aber dieses Lachen ist nicht provozierend oder anmaßend, es wirkt versöhnlich und liebevoll.

»Okay, kleine Lady. Nicht im rechtlichen Sinne, aber auf eine andere Art. Eine freiwillige Art. Außerdem hatte ich nicht vor, Ihnen die Ohren abzuschneiden. Ich zwinge auch niemanden mit Mitteln zur Disziplin, die menschenunwürdig sind«, sagt er kopfschüttelnd. Als er die Mundwinkel nach oben zieht, zeigt sich wieder das kleine Grübchen.

Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich annehmen, er hätte Interesse an mir. Welcher Art dieses Interesse sein soll, kann ich aber nicht sagen. Irgendetwas Magisches liegt zwischen uns in der Luft.

»Eine freiwillige Art? Was meinen Sie damit?«, stoße ich empört aus. Wer will schon freiwillig einem anderen Menschen dienen? Wir befinden uns nicht mehr im Mittelalter, sondern im 21. Jahrhundert. Wofür gibt es Menschenrechte und Gesetze? Er unterbricht meine Gedankengänge, als er zu meinen Händen greift und die Handflächen nach oben dreht.

»Vergessen Sie es. Es ist nicht wichtig. Reinigen Sie die Wunden gut. Es sind zwar nur kleine Kratzer, doch auch damit sollte man vorsichtig sein. Sind Sie geimpft?«

Seine Stimme nimmt jetzt einen neutralen Ton an. Die provozierende Haltung ist völlig verschwunden, was ich fast ein wenig bedaure. Selbst die aufgeladene Atmosphäre zwischen uns hat Normalität Platz gemacht. Ich ziehe meine Hände aus seinem Griff, als hätte ich mich verbrannt, und wische die letzten Reste Erde an meiner Jeans ab.

»So schlimm ist es nicht«, wehre ich ab.

»Sagen Sie das nicht. Es gibt Menschen, die sind schon wegen kleinereren Kratzern an einer Blutvergiftung gestorben.«

»Ich glaube, jetzt übertreiben Sie.«

»Mein bester Freund ist Arzt. Sie können mir also glauben.« Dabei greift er wieder nach meinem Arm, um sich meine Kratzer anzusehen. »Wissen Sie, wie gefährlich Bakterien sind und was sie im Blutkreislauf anrichten können?«

Als hätte mir der Tag heute nicht schon genug schlechte Überraschungen gebracht; ich brauche jetzt nicht auch noch eine Lehrstunde in medizinischer Hygiene. Und doch lässt er mich nicht kalt. Im Gegenteil, sein Interesse an mir ist nicht gespielt, als würde er sich aufrichtig Sorgen machen.

Das laute Kreischen einiger Kinder, die auf dem Weg zur Schule sind, lässt mich aus meiner Benommenheit erwachen, die mich bei seiner Frage wieder überkommen hat, sodass ich nicht gezwungen bin, auf seine Äußerung einzugehen. Abrupt gibt er mich frei, tritt einen Schritt zurück und bückt sich, um das Rennrad vom Boden aufzuheben.

»Passen Sie das nächste Mal besser auf«, belehrt er mich in einem ruhigen, versöhnlichen Ton und schiebt das Rad neben mich.

Ein letzter Blick in seine verführerischen Augen und er ist weg. Ich drehe mich um und starre ihm nach, wie er schnell um die nächste Biegung joggt. Aber er wendet sich nicht mehr um und dann ist er aus meinem Blickfeld verschwunden. Als hätte ich etwas verloren, stehe ich stumm da und schaue auf den leeren Weg, in der Hoffnung, ihn wiederzusehen. Doch nur die Blätter, die der Wind von den Bäumen gerissen hat, wirbeln über den sandigen Boden. Ich möchte ihm am liebsten nachlaufen, ihn nach seinem Namen oder seiner Telefonnummer fragen, aber das ist unmöglich. Resigniert schnappe ich mir das Rennrad und schiebe es den Weg entlang.

Was meinte er damit, ›nicht im rechtlichen Sinne‹, sondern auf eine andere Art? Welche Art sollte das sein? Auf dem restlichen Weg zum Büro lässt mich dieser Gedanke nicht mehr los. Er beherrscht mich regelrecht, sodass ich gar nicht mitkriege, dass ich schon vor dem Firmengebäude angekommen bin. Die einzige Verbindung, die für mich akzeptabel ist, ist die einer aufrichtigen Beziehung, in der Vertrauen und Liebe die Basis bilden, rede ich mir ein, während die Eingangstür des Bürokomplexes geräuschvoll hinter mir ins Schloss fällt.

Aber welche Garantie gibt es schon? Bin ich nicht erst vor kurzem mit der harten Realität konfrontiert worden? Ich sollte diesen Typen schnellstens aus meinen Gedanken streichen. Ein Mann mit diesem Aussehen kann nicht der Richtige sein. Niemals! Schöne Männer hat man nie für sich allein. Da brauche ich nur an Sean zu denken. Schwanzgesteuert, alle!

Ich drücke auf den Aufzugknopf und warte.

Jetzt bereue ich es fast, dass nicht mehr passiert ist, denn dann hätten wie unsere Personalien austauschen müssen. Über mich selbst und meine hirnrissigen Gedanken den Kopf schüttelnd steige ich in den Aufzug und fahre in den zweiten Stock. Ich muss doch härter mit dem Kopf aufgeschlagen sein, als ich dachte. Habe ich nicht gerade erst eine beschissene Beziehung hinter mich gebracht? Daraus sollte ich doch gelernt haben.

Es ist zehn Minuten nach neun, als ich den Gang bis ans Ende hechte, die Büroräume von Fullerton & Fullerton Immobilien betrete und Elijahs Fahrrad im Flur in die Ecke schiebe. Mein Chef steht mit einer Tasse dampfenden Kaffee in der Hand in seiner offenen Bürotür und schaut provozierend auf seine Armbanduhr, die er von seinem Vater geerbt hat. Innerlich mache ich mich schon für eine Auseinandersetzung bereit.

Mister Fullerton Senior ist vor einem Jahr verstorben, sein Bild hängt neben dem von Fullerton Junior im Foyer und darunter ein kleines Schild mit seinem Namen und der Information, dass er der Gründer der Immobiliengesellschaft war. Jetzt wird die Firma ganz allein von seinem Sohn geführt.

Nicht zum ersten Mal bedauere ich den Tod von Mister Fullerton Senior. Er war ganz anders als sein Sohn, hatte immer ein offenes Ohr und stand loyal zu seinen Mitarbeitern. Bei ihm florierte das Geschäft trotz der Konkurrenz, was man heute nicht mehr behaupten kann. Sonst hätte Mister Fullerton Junior Adam und Mia nicht entlassen müssen. Wie ich diesen Sack von Juniorchef hasse. Nicht, weil er einen pedantischen Stil verfolgt und auf Pünktlichkeit und Ordnung Wert legt, das tue ich auch. Es ist vielmehr sein Charakter, der mich ihn hassen lässt. Vor kurzem, als ich wieder einmal Überstunden machen musste und wir allein im Büro waren, drückte er sich von hinten an mich, bis ich seinen harten Schwanz durch seine Hose an meinem Po gespürt habe. Sein schneller Atem, der mir signalisierte, wie scharf er auf mich war, trieb mir vor lauter Ekel eine Gänsehaut über den Körper. Als ich mich erschrocken zu ihm umdrehte, leckte er sich gerade mit der Zunge über die schmalen Lippen und ein wenig Speichel klebte in seinem Mundwinkel. Mich schüttelt es jetzt noch, wenn ich daran denke. Unangenehm berührt wandte ich mich einfach ab und gab der ganzen Situation etwas Belangloses, um ihn nicht bloßzustellen.

Am Ende machte er mich dafür verantwortlich, ich hätte ihn mit meiner engen Jeans gereizt und angemacht. Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit. Was bildet sich dieser Mensch nur ein? Er ist an die 60, ich bin 27. Außerdem ist er verheiratet und wirklich nicht das, was ich als attraktiv einstufen würde. Er wirkt schwammig, hat mindestens 20 Kilo Übergewicht, leidet an Blut­hochdruck und ist Choleriker.

Ich hätte mir nach diesem Vorfall einen anderen Arbeitgeber suchen sollen, aber nach der Trennung von Sean hatte ich einfach nicht die Energie dazu. Nur weil ich nicht auf seine Annäherungsversuche eingegangen bin, versucht mein Chef jetzt, mich zu tyrannisieren, wo er nur kann. Als sein Vater noch lebte, hätte er sich solche Unverschämtheiten nicht herausnehmen dürfen.

Seine Stimme holt mich aus meinen Gedanken und katapultiert mich zurück in die Wirklichkeit.

»Schön, dass Sie sich auch zu uns gesellen, Miss Anderson, dann können wir endlich mit unserer Besprechung beginnen. Wir warten bereits seit zehn Minuten auf Sie.«

»Tut mir leid, ich hatte einen Unfall«, verteidige ich mich reserviert, obwohl jeder sehen kann, was passiert ist. Meine Hose ist total verschmutzt und zerrissen, meine Haare haben sich aus dem Zopf gelöst und auch mein Gesicht dürfte immer noch einige Schmutzspuren aufweisen. Meine Kollegin kommt auf mich zu.

»Sunday, was ist denn passiert?«

Ich winke ab. »Ich bin auf dem Weg hierher mit einem Jogger kollidiert und vom Fahrrad gefallen.«

»Wie lange wollen Sie meine Zeit noch strapazieren? Erzählen Sie Ihre Geschichten jemand anderem, aber nicht mir«, grunzt der Alte.

Manchmal könnte ich ihn in der Luft zerreißen. Seine Besser­wisserei und Arroganz gehen mir schon lange auf die Nerven. In gewisser Weise unterstellt er mir, ich wäre eine Lügnerin. Da kann ich nur lachen: Er betrügt seine Frau seit Jahren. Ich sollte ihn wirklich bei der nächsten Gelegenheit in die Pfanne hauen, aber am Ende werde ich es doch nicht tun. Meine Kollegin wirft ihm einen vernichtenden Blick zu.

»Gehen Sie schon und machen sich frisch. Ich erwarte Sie in zehn Minuten in meinem Büro«, teilt uns mein Chef noch mit, bevor er seine heiligen Hallen betritt und die Tür geräuschvoll hinter sich schließt.

»Was hat der Alte denn?«, frage ich Jessy auf dem Weg zum Waschraum.

»Du kennst ihn doch. Heute ist er besonders schlecht drauf. Keine Ahnung, was los ist. Vielleicht hat seine Frau ihn wieder mal abgewiesen und was Neues hat er nicht in Aussicht«, mutmaßt sie belustigt.

»Ich weiß nicht. Irgendetwas stimmt nicht.»

»Ach was, er ist schrecklich wie eh und je.«

Ich zucke mit den Achseln.

»Soll ich dir helfen? Du hast noch Schmutz an der Wange.«

Wir betreten den Waschraum und ich nehme meine Wechselklamotten aus der Tasche, während Jessy einige Tücher aus dem Spender zieht und sie mit Wasser und Seife befeuchtet.

»Hier, bitte.«

Sie reicht mir die Papiertücher, damit ich mir vor dem Spiegel das Gesicht reinigen kann.

»Du solltest dir diese Unverschämtheiten von Fullerton wirklich nicht gefallen lassen«, redet Jessy auf mich ein.

»Ich weiß. Aber solange ich keinen neuen Job in Aussicht habe, werde ich mich zurückhalten.«

»Suchst du eigentlich nach einem neuen Job?«, will Jessy wissen und grinst mich an.

»Lass mich erst mal die Sache mit der Wohnung in Angriff nehmen.«

»Tut mir leid. Erzähl, was war denn heute Morgen los?«

»Durch den verdammten Stromausfall war mein Wecker aus und du weißt doch, dass mein Auto in der Werkstatt ist. Es kommt immer alles zusammen«, erkläre ich ihr die Situation, während wir uns im Spiegel anschauen und ich die Schmutzstreifen aus meinem Gesicht wische.

»Du Arme hast es wirklich nicht leicht in letzter Zeit.«

»Das kannst du laut sagen.« Dabei schlüpfe ich schnell aus der zerrissenen Hose, streife mir die Bluse von den Schultern und ziehe mir mein Etuikleid über.

»Und wie ist das passiert?« Dabei deutet sie auf meine zerrissene Jeans.

»Ich wollte die Abkürzung durch den Park nehmen, da kam mir ein Jogger entgegen und eine Frau mit einem Kind, das einem Eichhörnchen oder so nachlaufen wollte. Wenn ich nicht eine Vollbremsung hingelegt und den Lenker zur Seite gerissen hätte, wäre das Kind mir direkt ins Fahrrad gelaufen. Also habe ich mich dafür entschieden, diesen tollen Typen einfach umzufahren, um so mit ihm anzubändeln.« Dabei rolle ich genervt die Augen.

»Ach, so kenne ich dich ja gar nicht«, wundert sich Jessy grinsend.

»Nein, wirklich, ich wollte ausweichen und habe stattdessen den Jogger über den Haufen gefahren.«

»Oh Gott, hoffentlich ist ihm nichts passiert! Und dem Kind?«

Ich schüttle verneinend den Kopf.

»Nein, alles okay. Ich war die Einzige, die etwas abbekommen hat. Aber am schlimmsten hat es Elijahs Rennrad erwischt. Ich weiß doch, wie sehr er an dem Teil hängt. Von diesen Rennrädern gibt es nicht viele.«

»Männer und ihre Spielzeuge«, sagt sie und grinst mich im Spiegel an. »Aber erzähl mal, sah er wirklich so scharf aus?«

Ich werfe das benutzte Papiertuch in den Abfalleimer und schaue auf.

»Wer?«

»Na, der Typ, den du umgefahren hast.«

Ich zucke mit den Achseln, um Gleichgültigkeit zu signalisieren. Leider ist er ebenso schnell wieder aus meinem Leben verschwunden, wie er mit voller Power hineingetreten ist. Zu schade, dass wir uns nicht unter anderen Umständen kennengelernt haben. Er war wirklich eine Sahneschnitte ...

»Lassen wir den Alten nicht unnötig warten«, entscheide ich, anstatt Jessys Frage zu beantworten, und stopfe die schmutzige Hose und die Bluse in die Tasche.

Fullerton sitzt mit ernster Miene wie eine Spinne im Netz in seinem Chefsessel hinter seinem Schreibtisch, während Jessy, seine Sekretärin und ich uns auf den unbequemen Stühlen davor niederlassen.

»Wir haben einige neue Objekte zum Verkauf bekommen. Die müssen sofort beworben werden«, bestimmt er. »Jessy, übernehmen Sie das?«

»Natürlich«, sagt sie reserviert.

Nach 20 Minuten weiterer Belanglosigkeiten zum Tagesgeschäft, fordert er uns auf, wieder an die Arbeit zu gehen.

»Sie nicht, Miss Anderson. Mit Ihnen habe ich noch etwas zu besprechen.«

Ich werfe Jessy einen genervten Blick zu, da ich genau weiß, um was es geht, und setze mich wieder. Als Jessy und die Sekretärin die Tür hinter sich geschlossen haben, wendet sich Mister Fullerton an mich und beugt sich über seinen Schreibtisch nach vorne, während er seinen silbernen Kugelschreiber durch die wulstigen Finger gleiten lässt. Diese Besprechung war so unnötig wie ein Kropf. Der kollektive Arschtritt, den er uns ab und zu verpasst, hat dazu beigetragen, mir den Tag so richtig zu vermiesen, und jetzt wird er das Fass zum Überlaufen bringen.

»Der nächste Punkt betrifft Sie, Miss Anderson. Ich brauche Sie in der nächsten Woche für einen Abend hier.« Ich schaue verwundert auf. »Für das Marketingkonzept, das ich ausarbeiten werde«, lässt er mich wissen. Als wäre ich diejenige, die Hintergedanken hat.

»Nächste Woche habe ich einige private Termine am Abend, Mister Fullerton«, will ich seinen Versuch, mich nach Büroschluss hierzubehalten, abwehren.

Er tippt auf seiner Computertastatur und ruft eine Excelliste auf.

»Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, Forderungen zu stellen«, wirft er beiläufig ein, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden. Ich spüre, wie Wut in mir aufsteigt, und balle unbewusst die Hände zu Fäusten.

Am liebsten hätte ich laut aufgelacht. Was heißt hier Forderungen stellen? Er redet von Überstunden, die weit über mein Tätigkeitsfeld hinausgehen. Ich bin Immobilienmaklerin, ich zeige Kunden Häuser und hochwertige Wohnungen, fertige Verträge und Expertisen aus, aber ich bin nicht sein Mädchen für alles. Das sollte ich ihm endlich klar machen.

»Ich kann mich nicht erinnern, Forderungen gestellt zu haben«, antworte ich leicht angefressen. Aber er geht nicht weiter darauf ein. Im Gegenteil, jetzt kommt die Ansprache, die ihm schon die ganze Zeit unter den Nägeln brennt.

»Soweit ich sehen kann, haben Sie in der letzten Zeit nicht einen einzigen Abschluss getätigt. Was ist mit dem Grundstück in der Elm Street? Wieso sind die Interessenten abgesprungen? Sie hatten den Vertrag doch schon so gut wie unterzeichnet.«

»Sie wissen genauso gut wie ich, dass unser stärkster Konkurrent J. Edwards dazwischen gefunkt hat. Wie er es so oft tut«, verteidige ich mich. Fullerton winkt genervt ab.

»Sie machen es sich reichlich einfach, Miss Anderson. Setzen Sie Ihren Charme ein. Das können Sie doch.«

Ich ziehe entsetzt die Luft ein. Diese Anspielung hat gesessen und war obendrein vollkommen aus der Luft gegriffen. Ich sollte mir diese Unverschämtheiten nicht weiter gefallen lassen, also stehe ich jetzt entschlossen auf. Mein Stuhl rutscht dabei über den polierten Parkettboden nach hinten und kippt, aber ich kann ihn zum Glück noch davor bewahren, auf dem Boden aufzuschlagen.

»Ich habe nicht vor, mir weiter Ihre Frechheiten anzuhören«, kontere ich erhitzt.

Fullertons arrogantes Grinsen verschwindet augenblicklich aus seinem Gesicht. Dann bedeutet er mir, mich wieder zu setzen, und räuspert sich kurz.

»Ich kann mich nicht erinnern, Sie beleidigt zu haben«, zischt er durch die Zähne.

»Das sehe ich anders.«

»Dann tut es mir leid, wenn ich den Eindruck erweckt haben sollte. Bitte, setzen Sie sich.«

Ich nehme wieder Platz und verschränke die Arme vor der Brust. »Wenn Sie keine weiteren Themen haben, würde ich jetzt gerne anfangen zu arbeiten. Ich erwarte einen Anruf von einem Kunden«, lasse ich ihn wissen.

»Wir sind gleich fertig. Um auf die aktuelle Situation zurückzukommen: Wie stellen Sie sich eigentlich vor, wie ich weiter Ihr Gehalt finanzieren soll?«

Natürlich, er versucht wieder die alte Nummer. Er will mich einschüchtern. Aber dieses Mal werde ich ihm entschlossen entgegentreten. Das hätte ich schon längst tun sollen.

»Mister Fullerton, Sie wissen, dass es nicht an mir liegt. Ich habe jeden Tag mehrere Termine vereinbart und den Kunden die Häuser und Wohnungen gezeigt. Wieso wir den Abschluss am Ende nicht machen konnten, weiß ich nicht. Vielleicht arbeitet dieser Edwards mit Mitteln, die mir zuwider sind«, erkläre ich. »Ich konnte für nächste Woche einige Termine vereinbaren, die sehr vielversprechend klingen. Ich bin ganz sicher, dass ...«

Er unterbricht mich, indem er die Hand hebt.

»Also schön, verkaufen Sie das Watson-Anwesen«, bestimmt er.

»Was? Mister Fullerton, diese Immobilie wird nicht nur von uns offeriert. Auch J. Edwards hat sie im Angebot. Das Objekt ist das Hochpreisigste, das wir haben. Sie glauben doch nicht, dass Edwards sich dieses Geschäft von uns vor der Nase wegschnappen lässt!«

Mein Chef grinst mich falsch an, indem er die Lippen nach oben zieht. Er erinnert mich an eine Hyäne.

»Eben, zeigen Sie mal, was Sie können, und luchsen Sie ihm den Auftrag ab. Hängen Sie sich ans Telefon und bieten Sie diese Immobilie unseren Interessenten an.«

Ich spüre, wie mir die Felle wegschwimmen. Es ist so schon schwierig genug, gegen J. Edwards anzukommen, aber dieses Objekt ist eine allzu große Herausforderung. Wie Edwards die Abschlüsse für sich gewinnt, weiß ich nicht. Vielleicht verzichtet er auf Provisionen, macht seine Abschlüsse beim Golfspielen oder wendet irgendwelche skrupellosen Methoden an. Doch das ist nicht meine Art.

»Wie sieht es mit dem Haus auf der Washington Avenue aus?«, versuche ich, einen Kompromiss auszuhandeln. »Dafür hätte ich einen Interessenten. Ich bin sicher, dass er unterschreibt.«

Der Alte schüttelt den Kopf, bevor er antwortet. »Das ist Ihre letzte Chance. Wenn Sie diesen Auftrag auch nicht bekommen, dann können Sie sich nach einer neuen Stellung umschauen. Das ist alles, Miss Anderson.«

Er wendet sich wieder seinen Zahlen zu und ich bin entlassen. Dieser verdammte Mistkerl. Ich weiß genau, dass es nicht an meiner Arbeit liegt, sondern daran, dass ich ihn abgewiesen habe. Deshalb will er mich loswerden. Nur aus diesem Grund verlangt er das Unmögliche von mir. Sein verdammtes Ego ist angekratzt. Er selbst bekommt nichts auf die Reihe und mich stellt er hin wie einen Versager. Ich stehe wortlos auf und verlasse sein Büro.

Jessy schaut von ihrem PC auf, als ich unser Büro betrete. »Und, was wollte das Ekel von dir?«

Ich zucke mit den Achseln und lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen.

»Was wohl. Ich soll das Watson-Anwesen verkaufen«, stoße ich verärgert aus.

Sie lacht erstickt auf. »Das Haus wird auch von J. Edwards angeboten. Der hat doch schon längst seine besten Leute darauf angesetzt. Was erwartet diese Mistkröte denn eigentlich von dir? Soll er doch selbst versuchen, den Kasten zu verhökern.«

Ich fahre meinen PC hoch und gehe meine Adresslisten durch. Vielleicht ist wirklich ein Klient dabei, der sich dafür interessieren könnte. Am Nachmittag habe ich einen Termin für nächste Woche vereinbart, der sehr vielversprechend klingt.

»Ich habe einen Termin«, rufe ich Jessy zu.

»Gratuliere, ich hoffe, der Kunde nimmt das Ding.«

»Ich auch, sonst bin ich geliefert.«

Als ich am Abend nach Hause komme, sehe ich Skys Wagen vor dem Haus stehen. Sky ist Elijahs Ex. Die beiden haben sich vor einigen Wochen getrennt, doch wie es aussieht, haben sie wieder zusammengefunden. Da zumindest in dieser Richtung alles in Ordnung zu sein scheint, gehe ich etwas entspannter auf die Haustür zu und stecke den Schlüssel ins Schloss, als die Tür von innen geöffnet wird.

»Hi, Elijah, ist das Skys Wagen?«, frage ich und deute auf das Fahrzeug.

Er zieht mich rein und nickt. Ein Blick in sein Gesicht und ich weiß, dass ihm etwas schwer im Magen liegt.

»Was ist los?«, frage ich besorgt.

»Sunday, Sky wird hier wohnen. Wir haben uns ausgesprochen. Aber wenn das ein Problem für dich ist, ich meine, falls es dir zu viel wird mit einem schwulen Pärchen unter einem Dach zu leben, dann ...«

Ich unterbreche ihn sofort und lege meinen Zeigefinger auf seine Lippen. Er wirkt verunsichert, etwas, das ich von ihm nicht kenne.

»Elijah, das ist dein Haus. Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich bin dir unendlich dankbar, dass ich hier wohnen kann, und sobald ich etwas Passendes gefunden habe, bist du mich auch wieder los.«

»Hey, davon will ich nichts hören. Du kannst hier wohnen, so lange du willst, ist das klar.«

Elijah kann unwahrscheinlich beharrlich sein, wenn es darum geht, seine Interessen durchzusetzen. Scheinbar hat er sich wirklich Gedanken darüber gemacht, wie ich darauf reagieren werde, dass Sky hier mit einzieht. Aber das war vollkommen unnötig.

»Na gut, wenn du mir versprichst, die Schlafzimmertür zu schließen, sobald du und Sky dort drinnen seid, habe ich kein Problem«, spiele ich auf seine speziellen Sexpraktiken an.

Zwischen Elijah und Sky sind die Rollen klar verteilt. Elijah ist der Mann im Haus und gibt den Ton an, wohingegen Sky liebevoll und anschmiegsam ist. Manchmal tut er mir direkt leid, mit einem Alphatier wie Elijah zusammen zu sein. Mein Freund kneift mich liebevoll in die Wange und grinst mich an.

»Wer sagt denn, dass wir uns nur auf das Schlafzimmer beschränken? Du weißt, dass ich Sky quer durch das ganze Haus ficke, wenn mir der Sinn danach steht.«

Ich spüre die Hitze in meinen Wangen, ein sicheres Zeichen, dass ich rot werde, und schüttle den Kopf.

»Hör auf! Auf diese Art Kopfkino kann ich verzichten.« Dann fällt mir sein Rennrad ein, das beschädigt in der Garage liegt. »Elijah«, sage ich langsam zu ihm und starre auf seine Brust, die unter einem engen schwarzen T-Shirt verborgen liegt, dabei fahre ich mit dem Finger über den Stoff. Er neigt den Kopf zur Seite, fasst mich an den Armen und ermuntert mich, weiterzusprechen.

Gott, wie soll ich es ihm nur sagen? Das Rennrad bedeutet ihm so viel ... Aber was soll’s, einfach gerade raus. »Dein Rennrad ... aber das ist gar nicht so schlimm, das lässt sich alles wieder reparieren.«

»Was?«

»Ich hatte heute Morgen einen Unfall im Park, dabei bin ich gestürzt und dein Rad hat einiges abbekommen. Es tut mir wirklich leid, Elijah«, gestehe ich ihm zerknirscht.

»Ist alles in Ordnung mit dir, Sunday? Warum hast du mich nicht angerufen?«

Ich zucke mit den Schultern, als Sky uns entgegnen kommt.

»Hi, süße Prinzessin, du siehst wieder fantastisch aus«, begrüßt er mich mit einem Kuss auf die Wange. Ich lächle ihn an.

»Und du bist der charmanteste Lügner aller Zeiten.«

»Wo ist das Rennrad?«, unterbricht Elijah.

»In der Garage.«

»Mh, ich schaue es mir später an. Und dir ist wirklich nichts passiert?«

»Nein, nur ein paar Schrammen, nichts, was nicht nach ein paar Tagen wieder heilt.« Aber der unbekannte Fremde wird mir sicher noch einige Zeit länger im Kopf herumspuken. »Und du bist mir nicht böse?«

»Spinnst du? Natürlich nicht. Hauptsache, dir ist nichts zugestoßen.«

Körperlich ist mir nichts zugestoßen, bis auf ein paar Kratzer und vielleicht den einen oder anderen blauen Fleck. Aber was ist mit den aufwühlenden Gefühlen, die ich immer stärker empfinde, sobald ich nur an ihn denke?

Boston Bad Boys (Sammelband)

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