Читать книгу Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau - Horst Bieber - Страница 31

Оглавление

15.


Gegen Mittag rief Staatsanwalt Wagner an und bat ihn mehr als höflich um eine Unterredung; Holm schmunzelte in sich hinein und verabredete sich mit ihm auf 17 Uhr.

Das Gespräch mit Stolle verlief noch viel unangenehmer, als er befürchtet hatte. Stolle war gestern nach Dienstschluss auf ein Bier in die «Räuberhöhle» gegangen, wie die Kneipe schräg gegenüber dem Präsidium allgemein hieß, und hatte sich mit drei angetrunkenen Kollegen angelegt. Ob sie wirklich so empört über den Tod der Polizeibeamtin Christa Oldenberg waren oder in ihrem Alkoholdunst nur verbal entgleisten, blieb unklar; Stolle jedenfalls hatte die Beschimpfung noch immer nicht verwunden: «Was soll ich denn bloß tun, Herr Holm?»

Holm zwang sich zur Ruhe: «Weitermachen wie bisher - ja, ich habe Ihre Berichte gelesen. Wenn die SoKo keinen Erfolg haben sollte, werden wir versuchen, diese Zeichnung bei <XY ungelöst> ausstrahlen zu lassen, um den Mann zu identifizieren. Aber vielleicht haben wir ja auch vorher Glück, und dieser Juke wird irgendwo aufgegriffen. Ewig kann der ja nicht untergetaucht bleiben.»

«Haben Sie denn überhaupt noch Hoffnung, dass ...»

«Passen Sie mal auf, Herr Stolle, langsam platzt mir der Papierkragen. Selbst wenn Sie in der Sache nicht weiterkommen, erwarte ich dennoch von Ihnen, dass Sie nach außen den Optimisten spielen. Halten Sie den Mund und tun Sie meinetwegen so, als gebe es eine Spur, aber reißen Sie sich um Himmels willen zusammen!»

Darauf nickte Stolle so jämmerlich, dass Holm ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte.

Das Gespräch hatte ihn aber auf eine Idee gebracht, und deswegen fuhr er zum Ebertdamm. Vor dem Haus Nummer 133 verriet nichts mehr das Drama, das sich dort abgespielt hatte. Er schellte mehrmals bei Katrin Eggert, aber niemand öffnete. Also musste er in die Innenstadt, hatte Mühe, einen Parkplatz zu finden, und wartete dann ergeben in ihrem Studio, wo sie gerade ein Hochzeitspaar nach allen Regeln der Kunst ablichtete und sich damit abquälte, aus dem verkniffen unzufriedenen Ausdruck der Braut eine Miene strahlenden Glücks hervorzuzaubern, und sei es auch nur für eine Fünfzigstelsekunde. Völlig erledigt schlich sie in das Büro, erkannte ihn aber sofort wieder: «Herr Kommissar», grüßte sie erstaunt. «Gibt’s was Neues?»

«Nein, das nicht, nur eine Frage habe ich noch. Sind Sie jemals darauf angesprochen worden, was Sie bei der Polizei ausgesagt haben?»

Sie wurde verlegen: «Na ja, angesprochen ...»

Also das auch noch! Er seufzte ergeben: «Sie haben es natürlich Ihren Freunden und Bekannten erzählt?»

Eine zarte Röte breitete sich über ihrem hübschen Gesicht aus: «Jaaa - so oft hat unsereins mit der Kripo ... ja, das habe ich. War das falsch?»

«Nein», beruhigte er sie. «Haben Sie auch erzählt, dass Sie eine Zeichnung angefertigt haben?»

Jetzt ahnte sie seine Unzufriedenheit. Denn bei ihrem verschämten Nicken schaute sie, inzwischen glühend rot, zur Seite.

«Kein Vorwurf, Frau Eggert», tröstete er sie müde. «Vielen Dank, das war’s auch schon.»

Staatsanwalt Wagner behandelte ihn so vorsichtig, als habe er mehrere versteckte Zünder an seinem Körper und könne jeden Moment explodieren. Natürlich lag die Akte Waldsaum vor ihm, obenauf Holms Abgabeverfügung, und natürlich stand Wagner mächtig unter Druck: «Sind Sie - ähem - meinen Sie, es wäre richtig, die Ermittlungen jetzt schon abzubrechen, Herr Kriminalrat?»

Der Mann tat ihm leid, und deswegen blieb Holm ruhig: «Sie haben die Akte ja gelesen, Herr Wagner. Wir sind mit unserem Latein am Ende und können jetzt nur noch auf einen Zufall hoffen.»

Wagner räusperte sich noch umständlicher als Wello: «Sie wissen, ich habe nicht so viel Erfahrung wie Sie ...»

«Lassen Sie uns offen reden. Es gibt keine Spuren oder Hinweise auf die Waldsaum-Täter. Es steht neun zu eins dafür, dass sie gar nicht aus der Stadt stammen, dass sie einen Helfer hier gehabt haben, der sie an den Tatort geführt hat. Sie kennen doch die Masche: Ein Einheimischer baldowert den Bruch aus, die Täter reisen von außerhalb an, übergeben die Beute, werden ausgezahlt und verschwinden sofort wieder.»

«Das vermuten Sie auch in diesem Fall?»

«Ja.» Holm gab sich überzeugter, als er war. «Und der hiesige Tippgeber ist auf Tauchstation gegangen, den können wir vergessen.»

«Die drei angereisten Täter sind nach dem Waldsaum - hm - Zwischenfall nicht gleich umgekehrt?»

«Sie denken an die Schießerei auf dem Ebertdamm?» Und weil Wagner nur unmerklich nickte, fuhr Holm gleichmütig fort: «Durchaus möglich, dass es sich um dieselben Täter handelt.»

«Möglich oder wahrscheinlich, Herr Holm?»

«Ich sehe in beiden Wörtern keinen Widerspruch, Herr Wagner.»

Der Staatsanwalt faltete die Hände fest über der Akte: «Die Mutter des Opfers ...» Er war kaum zu verstehen.

«Ich weiß. Um sie zufriedenzustellen, läuft eine der kompliziertesten SoKos, die mir je untergekommen sind.»

«Also haben Sie doch noch Hoffnung, die Täter vom Waldsaum ...»

«Ich bin nicht gefragt worden, Herr Staatsanwalt, welche Aussichten ich der SoKo gebe.» Nun musste Wagner doch kapiert haben, dass die Kripo den Schwarzen Peter an die Politik zurückreichte. Die Staatsanwaltschaft war weisungsgebunden, sollte sich doch in letzter Instanz der Justizminister mit den Politikern herumärgern. Oder mit einer Abgeordneten.

Mühsam die Fassung wahrend, flüsterte Wagner: «Früher erschlug man den Boten mit der schlechten Nachricht.»

«Ich bin recht zivilisiert, Herr Staatsanwalt.»

Darauf lächelte Wagner flüchtig und richtete sich auf: «Es werden einhunderttausend Mark für die Ergreifung der Täter ausgesetzt. Befehl - äh - Anordnung von oben.»

«Von ganz oben?»

«Ja. Von der Spitze, Herr Holm.»

«Okay.» Holm stand auf, nicht einmal erzürnt: «Ich hoffe, die andere Seite ist ebenso zivilisiert, Herr Wagner. Lieber eine Belohnung als der Versuch, in diesem Fall die Kronzeugenregelung anzuwenden, das ist wenigstens meine Meinung.»

Das leise Zucken um den Mund des Staatsanwalts verriet alles.

Nach langem Zögern begann er: «Wir können nicht einstellen, bei Mord ohnehin nicht, und in diesem Fall ...»

«Kein Einwand. Ich kenne die Gesetze. Ich will nur meine Leute nicht verheizen lassen. Und andere Arbeit haben wir genug.»

Erst an der Tür, die er ihm höflich öffnete, ließ Wagner durchschimmern, was er wirklich dachte: «Mit anderer Arbeit meinen Sie zum Beispiel den Mord auf dem Ebertdamm?»

«Zum Beispiel.» In letzter Sekunde verkniffen sie sich beide das wissende Lächeln der Auguren, aber Holm bezweifelte, dass sie beide dasselbe wussten. Und Wagner rechtfertigte seine Skepsis umgehend: «Die Kronzeugenregelung ist ja sehr speziell und limitiert ...» Obwohl er ausgiebig hüstelte und sich mit dem Finger unter dem Kragen entlangfuhr, tat Holm ihm nicht den Gefallen, etwas zu erwidern. Wagner errötete sacht: «Immerhin wäre es eine Überlegung wert, in diesem speziellen Fall ...» Wieder brach er ab, er konnte einem leid tun, aber Rückgrat musste jeder Mensch selbst beweisen.

«Dann weisen Sie mich an!», versetzte Holm trocken. «Hunderttausend plus Straffreiheit. Ich bring’s dann unter unsere Spitzel und Informanten.»

Wagners Gesicht verzerrte sich wie bei heftigen Zahnschmerzen. Sicher, er konnte Holm entsprechend anweisen und hoffen, der Kriminalrat werde nicht remonstrieren, er konnte es zumindest versuchen, aber niemand in seiner Behörde würde ihn decken, er wusste es, Holm wusste es, und beide kannten die Lage des anderen. Nach einer Minute peinlichen Schweigens trennten sie sich wortlos.

Nach der «Tagesschau» schnappte er sich Cordula Matthies. Doch sie erwiderte sein Lächeln so knapp, dass er auf einen dienstlichen Ton umschaltete, während er ohne jeden Kommentar die Unterredung mit Staatsanwalt Wagner schilderte. Bei der Hunderttausend-Mark-Auslobung verfärbte sie sich: «Das darf nicht wahr sein! Warum werde ich nicht wenigstens informiert, wenn mich schon keiner fragt?»

«Nicht aufregen! Einige Leute werden sich ausrechnen, dass wir mit unserem Latein am Ende sind. Vielleicht werden sie leichtsinnig.» Das leuchtete ihr ein - oder wenigstens tat sie so.

Noch immer näherte er sich seiner Tiefgarage mit viel Vorsicht und Umsicht, das Tor war jedoch ordnungsgemäß verschlossen, niemand ließ sich blicken.

Dafür zog er scharf die Luft ein, als er im Treppenhaus den ersten Absatz erreichte. Auf der oberen Stufe, direkt neben seiner Wohnungstür, saß Annegret und betrachtete ihn aus großen Augen halb wehmütig, halb aufgebracht.

«Hei!», dröhnte er überrascht. «Wie kommst du hierher?»

Sie atmete so tief durch, wie es die enge Bluse erlaubte: «Gewonnen!»

«Wer hat gewonnen?»

«Ich! Ich habe mit mir selbst gewettet, was du wohl zuerst sagen oder fragen würdest. Und habe richtig getippt.»

Er lachte, während er die restlichen Stufen hinaufstieg und ihr die Hand reichte, um sie hochzuziehen: «Hast du auch um meine zweite Frage gewettet?»

«Sicher! Woher weißt du meine Adresse? Ich stehe doch nicht im Telefonbuch.»

«Erraten.» Er schloss auf und ließ sie eintreten.

«Lieber Arno, du verfügst über deine Quellen, und Makler haben ihre Quellen. Decken wir unsere Karten auf?»

«Lieber nicht. Ich bin an das Legalitätsprinzip gebunden ...»

«Ich weiß. Es erlaubt das außereheliche Bumsen, zwingt dich aber einzugreifen, wenn ich dir nachher die Seife aus dem Bad klaue.» Sie hielt ihn am Ärmel fest. «Kennst du das Gleichnis vom Propheten und dem Berg?»

«Ja...aaa», antwortete er gedehnt. Ein anderes Sprichwort war ihm geläufiger, das vom kreißenden Berg und der Maus.

In der Nacht wachte er mehrmals auf. Sein Bett war zu schmal für zwei Personen, und sie schlief sehr unruhig, aber er hatte sich nicht getraut, sie wegzuschicken. Beim Frühstück begann sie unvermittelt zu kichern: «Komm, du Legalitätsprinzipienreiter. Deine Anschrift habe ich ganz irre bekommen.»

«So? Von wem denn?»

«Den Namen habe ich nicht verstanden. Sie sitzt in deinem Vorzimmer. Nach der Stimme zu urteilen, recht jung. Ist sie hübsch?» Einen Moment zwinkerte er verwirrt, dann schaltete er mit ziemlicher Verspätung. Das Aushilfsgirl - wie hieß sie bloß noch? -, das ihm die Personalabteilung zugeteilt hatte, weil seine Sekretärin ihren Mutterschaftsurlaub angetreten hatte.

«Sie ist noch nicht lange bei euch?»

«Ich glaube nicht, wieso?»

«Oh, sie war ganz reizend und offen. Ich musste nur so mit heiserer Stimme gurren: <Geben Sie mir mal bitte den Arno, da war sie gleich hin. Der Herr Kriminalrat sei in der Zentrale der Sonderkommission Hehlerei. Ob sie verbinden solle? Ach nein, ich wollte dich nicht im Dienst stören. Wo ich dich denn abends erwarten dürfe? In der alten Wohnung? Aber sicher, in der Weidenfelsstraße 24. Doch erst nach der <Tagesschau>.»

Ihre Heiterkeit konnte er nicht teilen. Zwar hatte er nie daran gezweifelt, dass die einzig unbegrenzte menschliche Fähigkeit die Dummheit sei, aber so viel Blödheit gehörte verboten.

Sein Gesicht verriet seine Gedanken, Annegret wurde unvermittelt ernst und legte ihre Hand auf seine: «Komm, mach keinen Ärger, Arno. Ich schweige, und du sagst dem jungen Ding mal ganz höflich, dass sie am Telefon nicht alle Geheimnisse der Polizei ausplaudern darf. Sie schien mir wirklich sehr jung zu sein.»

Er musste erst seine Wut niederkämpfen, bevor er zustimmen konnte. Sie hauchte: «So, und dann wäre noch die Frage zu klären, welches Bett bequemer ist.»

«Deins, ohne Zweifel.»

«Dann ist ja klar, wo wir uns das nächste Mal treffen, okay?»

«Gebucht!», pflichtete er ihr bei und schaute ihr lange nach.

Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau

Подняться наверх