Читать книгу Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau - Horst Bieber - Страница 36

Оглавление

18.


Die Waldferien, wie er sein Zwangsversteck nannte, taten ihm gut, in mehr als einer Hinsicht. Er konnte das Bein kühlen und schonen, das bohrende Brennen verflüchtigte sich, kam auch nicht wieder, als er in der zweiten Woche mit vorsichtig gesteigerten Belastungsübungen anfing. Den Ast hatte er sich geduldig auf passende Länge zurechtgeschnitzt und benutzte ihn sofort, wenn der Schmerz sich meldete. Außerdem hatte er abgenommen, und als er zum ersten Mal den Gürtel ein Loch enger schnallen musste, stutzte er, überlegte und begann dann eine strenge Abmagerungskur. Nicht nur wegen des Beines, obwohl er zu spüren glaubte, dass jedes Pfund weniger die Schmerzanfälligkeit herabsetzte, nein, in erster Linie wegen seines Äußeren. Er wusste, wie sehr Magerkeit einen Menschen veränderte. Der Bart wuchs und gedieh; sie hatte ihn in ihrer Art unbeweglich angesehen, als er sie bat, beim nächsten Mal Rasierzeug und Bartschere mitzubringen, und er war sich sicher, dass sie ihn durchschaute.

An die Einsamkeit hatte er sich zwar nicht gewöhnt, aber gelernt, mit ihr fertigzuwerden. Sie kam jeden zweiten oder dritten Abend, stumm wie eine für Stunden bewegliche Statue, und er machte sich keine Illusionen über das Geschäft, das sie stillschweigend geschlossen hatten: Versteck, Schutz und Unterhalt gegen Sex, von dem sie nicht genug bekommen konnte, in einem schamlosen Hunger, der ihn abstieß und auch bald ängstigte. Sie wollte alles, selbst Brutalität; Hörigkeit kannte er nur aus Büchern und Zeitschriften, Masochismus hatte er immer für eine Erfindung der Pornoschreiber gehalten, und deswegen beschlich ihn erst in der dritten Woche der Gedanke, eben das könne sich zwischen ihnen abspielen.

Zu der Zeit konnte er schon wieder längere Strecken laufen und erkundete die Umgebung der Hütte. Sie lag wirklich gut versteckt, doch nicht so weit ab von jeder Zivilisation, wie er anfangs vermutet hatte. Er lief stur nach der Uhr: 15 Minuten Marsch, mit oder ohne Krücke, 15 Minuten Pause. Nach einer Stunde Laufzeit erreichte er in südlicher Richtung den Waldrand. Im Tal erstreckte sich ein Dorf entlang einer Straße. Unbemerkt kehrte er um.

Der Mischwald war immer wieder von Wiesen unterbrochen. An den Rändern standen Hochsitze. Wann genau die Jagd begann, wusste er nicht, aber spätestens dann war es mit der schützenden Einsamkeit vorbei. Das Wetter blieb unverändert trocken und warm. Er hatte sich eine sonnige Senke gesucht und bräunte dort systematisch, nackt auf einer Decke liegend, träumend und dösend, aber inzwischen wie ein Tier instinktiv auf gefährliche Geräusche lauschend. Wenn er fortging, verriegelte und verrammelte er die Hütte, sodass sie unbewohnt aussah. Abfälle sammelte er und vergrub sie im Wald. Einen Monat hatte er sich als Frist gesetzt, früher wollte er nicht aufgescheucht werden. Noch immer verzog er sich in die Büsche oberhalb der Hütte, wenn er ihr Auto hörte; sie erwähnte es nie.

Schlau wurde er aus ihr nicht. Eines Nachts schnupperte er an ihrem Körper und lobte: «Dein neues Parfüm gefällt mir.» Sie schluchzte aus heiterem Himmel los, als wolle es sie zerreißen, aber blieb stumm, als er sie nach dem Grund dieses Ausbruchs fragte. Er drängte, bis er an ihren Bewegungen spürte, dass sie onanierte. Das Fiepen war so schrecklich wie beim ersten Mal.

Zu Beginn der fünften Woche eröffnete er ihr, dass er weiter wollte. Sie nickte mit steinernem Gesicht und ging nackt zum Auto; der Anblick konnte ihn nicht mehr erregen. Bei ihrem nächsten Besuch brachte sie ein Paket mit: «Neue Sachen. Und Geld. Die Brille besteht aus Fensterglas.»

Er schaute sie groß an.

«Nimmst du mich mit?»

«Nein, du weißt doch, dass sie hinter mir her sind.»

«Kommst du wieder?» Sie forschte in seinem Gesicht.

«Ja», log er. «Sobald sich alles geklärt hat.»

Ihre Miene ließ nicht erkennen, ob sie ihm glaubte. Von Psychologie verstand er weniger als nichts, vielleicht war es eine Neurose oder Psychose oder nur ein simpler Dachschaden. Keine andere Frau hätte ihm so geholfen, und wenn er ihr auch nicht dankbar sein konnte, so leugnete er doch nicht, dass er ihr viel schuldete.

Erst als sie fortgefahren war, fiel ihm auf, dass sie beim letzten Mal nicht gefiept hatte. Am Morgen vergrub er seine alten Sachen und machte sich auf den Weg zum Dorf. Als er aus dem Wald trat, warf er seinen Stock weg und stieß ein stummes Gebet aus.

Sammelband 4 Horst Bieber Krimis: Zeus an alle / Was bleibt ist das Verbrechen / Moosgrundmorde / Nachts sind alle Männer grau

Подняться наверх