Читать книгу Vertraue niemandem - Horst Buchwald - Страница 8
Drei
ОглавлениеHans saß in seiner Lieblingskneipe „Ganymed“ im Bahnhof Zoo. Er hatte sich ein Schinkenbrötchen und einen Kaffee bestellt und dachte nach. Er war enttäuscht. Karin hatte ihm nur ein paar Zeilen geschrieben. Sie freue sich, daß er sich gemeldet habe, aber die Zeit wäre knapp. Sie lasse von sich hören, sobald sie wieder durchatmen könne. Kein Wort zum Inhalt seiner „Visionen für einer bessere Welt“.
Sein Taxifahrerkollege James Baier klopfte ihm auf die Schulter und setzte sich zu ihm. „Na, mein Freund, du bist heute anders. Dich belastet irgendetwas. Wer hat dir den Kopf verdreht und dich dann hängen lassen? Etwa deine ehemalige Gattin?“
Hans mußte grinsen. Baier hatte manchmal hellseherische Qualitäten. „Ja, du liegst nicht ganz falsch. Ich habe ihr einen ausführlichen Brief geschrieben. Du kennst ja meine ‚Visionen für eine bessere Welt‘ – von Karin keine Zeile dazu. Nur dies: keine Zeit.“
„Mensch Hans – vergiß das Weib. Die lebt in einer total anderen Welt. Die ist abgehoben. Uns versteht die gar nicht mehr.“
„Glaube ich nicht. Du übertreibst, wenn du behauptest, sie kann uns nicht mehr verstehen. Ich war fünf Jahre mit ihr verheiratet und die meiste Zeit haben wir uns sehr gut verstanden …“
„Aber ihr seid schon seit zwei Jahren getrennt. Es ist viel passiert mit ihr. Da, wo diese Frau gelandet ist, herrscht ein anderer Wind – und der verändert die Menschen total.“
„Ich will dir nicht grundsätzlich widersprechen. Was mich an ihrer Reaktion stört, ist, daß bei ihr immer die Zeit knapp ist. Das erinnert mich an unsere erste Begegnung. Es war an jenem Tag, als die Neue-Welt-Bewegung in Berlin gegründet und wir beide in den Vorstand gewählt wurden. Karin ist ja vier Jahre jünger als ich und sie wollte von Köln nach Berlin ziehen, um hier Jura zu studieren. Ich schrieb damals an meiner Diplomarbeit im Fach Psychologie und hatte mich bei der Polizei um einen Job bemüht. Als ich ihr von meinen beruflichen Absichten erzählte, kommentierte sie das eiskalt mit den Worten: ‚Das paßt doch gar nicht zusammen – unsere Bewegung und die Bullen.‘ Ehrlich gesagt, im ersten Moment habe ich mich wegen dieser Abfuhr ziemlich schlecht gefühlt. Darum schlug ich ihr vor, wir sollten das unbedingt diskutieren. Ihre Antwort: ‚Keine Zeit.‘ Aber dann habe ich ihr erklärt, daß ich kein Bulle werde, sondern ein Spezialist für Konfliktlösungen, und da huschte über ihre Gesichtszüge plötzlich ein Lächeln … ‚Spezialist für Konfliktlösungen‘, wiederholte sie. Sie machte eine Pause und meinte dann mit Begeisterung in der Stimme: ‚Das klingt interessant. Davon will ich mehr wissen.‘ Das reichte mir. Also habe ich sie zum Essen eingeladen. Ihr gefiel ihr sehr, denn wir gingen ins ‚Bruno‘. Ich mußte meine gesamten Ersparnisse investieren. Aber das war der Abend aller Abende. Sie verwandelte sich in einen der liebenswürdigsten Menschen, den man sich vorstellen kann. Und ob du es glaubst oder nicht – über Konflikte und wie man sie löst, haben wir an diesem Abend kein Wort verloren.“
„Und wenn sie nicht gestorben wären, lebten sie heute noch. Blahh, blahh, blahhh. Wach auf Hans! Das war einmal. Jetzt ist sie nicht mehr so. Die ist Außenministerin! Und was bist du?“
„Bitte, keine Häme. Es war eine tolle Zeit mit ihr. Davon verstehst du nichts.“
„Ich weiß, ich weiß. Du bist der Schuldige – ganz allein. Du hast einen Fehler gemacht und so weiter. Sie war nur lieb. Also – ich bin zwar kein Psychologe, aber meine Diagnose lautet: Du bist masochistisch. Schwer masochistisch.“
„Okay Herr Student der Psychologie: Was hat ein Masochist mit Schlagsahne gemeinsam?“
James dachte nach. „Ein Witz soll das werden. Keine Ahnung.“
„Beides muss man steifschlagen!“
James lachte dröhnend los.
Eine halbe Stunde später fuhr Hans einen schweigsamen Gast zum Flughafen Schönefeld. Der ältere Herr hatte sich hinter einer Zeitung verschanzt und zeigte damit, daß er beschäftigt war. Obwohl Hans versuchte, auf andere Gedanken zu kommen, verfiel er in Gespräche mit Karin, und es liefen wieder und wieder Szenen aus der Vergangenheit in seinem Kopfkino. Ja, für sie war Zeit immer „knapp“. Das lag an ihrem Ehrgeiz, alles Wichtige aus der Politik, Jura oder Ökonomie in Rekordzeit aufzusaugen und in die Praxis umzusetzen. Ihr Tempo war enorm. Er war anders, aber, wie sie rasch merkte, keineswegs weniger effektiv. Während sie die Details liebte, konzentrierte sich Hans auf den Punkt, auf den es ankam. Zusammen waren sie ein sehr starkes Team. Ja, es waren fünf phantastische Jahre! Nach diesem Gedanken war er plötzlich wieder da – der Katzenjammer. Hans wurde traurig und dann zornig über sich selbst. Und merkte erst jetzt, daß sein Gast etwas von ihm wollte:
„Bitte, fahren Sie mich zu Terminal 2. Hier sind wir falsch.“
„Oh Pardon.Tut mir leid. „
Hans nahm die nächste Abfahrt, schaltete die Taxiuhr aus. „Das geht auf meine Rechnung“, und lieferte den Zeitungsleser wenig später an Terminal 2 ab.