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2.2.2 Vernunft

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Die Vernunft ist die geistige Fähigkeit des Denkens eines Menschen, nämlich in konkreten Fällen zu erkennen, aus welchen Gründen etwas geschieht und welche Folgen abzuleiten sind. Die Vernunft ist einerseits als theoretische Art (als sinnliche Wahrnehmung) und andererseits praktisch als Orientierung des Handelns zu sehen. „Vernünftig ist, was mit Verstand geschieht.“* Außerdem: Vernunft ist eng mit Kritik verbunden.89 Die Vernunft wird aber nicht einheitlich bewertet.

► Es gibt zur Vernunft viele Meinungen: „Die Vernunft unterscheidet uns Menschen von Tieren.“* „Einsicht ist der erste Schritt zur Vernunft“ (S. Gönül). „Durch Vernunft, nicht durch Gewalt, soll man Menschen zur Wahrheit führen“ (D. Diderot). „Wenn du eine weise Antwort verlangst, musst du vernünftig fragen“ (J.W. von Goethe). Rudolf Walter Leonhardt betont folgende pro-Argumente zur Vernunft: Wo die Vernunft nicht in höhere Vernunft abhebt, leistet sie einiges. Wenn wir selbst unsere Interessen durchboxen und gegen eine allgemeine Vernunft handeln, dann spüren wir, dass es eine solche gibt. Auch wer überall nur Unvernunft zu entdecken meint, setzt damit eine Norm, die Vernunft heißt. Die Vernunft ist der größte Hauptnenner der Menschheit (z. B. gegen den Atomtod). Zum Schluss: Ohne Vernunft gäbe es die Wissenschaft nicht.90

► „Der Mensch ist vielerlei, aber vernünftig ist er nicht“ (O. Wilde). „Vor allem ökonomische Interessen können die Vernunft am Gängelband führen.“* „Fast nie kommt der Mensch aus Vernunft zur Vernunft“ (C. de Montesquieu). „Wo der Mut keine Zunge hat, bleibt die Vernunft stumm“ (J. Müller). „Kein Vormarsch ist so schwer wie zurück zur Vernunft“ (B. Brecht). „Mit unserer Vernunft ist es so weit nicht her: was vermag sie gegen die Liebe?“ (unbekannt). Und vor allem: „Die Vernunft ist des Herzens größte Feindin“ (G. Casanova). Auch: „Gegen Emotionen hat die Vernunft kaum eine Chance.“* Interessant: „Wer sich ständig von der Vernunft leiten lässt, ist nicht vernünftig“ (Ch. Tschopp). Ähnlich: „Vielleicht ist es unvernünftig, immer vernünftig zu sein.“ (S. Rogal). „Wenn man sich von der Vernunft lange genug leiten lässt, kommt man zu ganz unvernünftigen Schlussfolgerungen“ (S. Butler). Auch die „großen“ Philosophen konnten nicht einheitlich klären, was „vernünftig“ ist.91

► Ein Fazit zieht Grillparzer: „Die Vernunft ist der durch die Phantasie erweiterte Verstand.“ Wir Menschen haben aber mitunter unsere Probleme mit der Vernunft. Die Vernunft ist wohl auch nicht die Schaltzentrale unseres Verhaltens. Deshalb kommen Wissenschaftler zu dem folgenden Ergebnis:92

„Der klare Verstand als zentrales Merkmal des menschlichen Handelns ist eine Fiktion“

(Richard David Precht)

Die wichtigsten Impulse unseres Verhaltens kommen nicht aus dem Großhirn – dem Sitz der Vernunft, sondern sie kommen aus unserer Gefühlszentrale im Zwischenhirn. J.J. Rousseau meint dazu: „Die Vernunft formt des Menschen, das Gefühl leitet ihn.“ Als Vordenker in der Zeit der Aufklärung war Rousseau überall in Frankreich bekannt. Er war zu einem kleinen Waldgasthaus gewandert und er merkte, dass die Leute wieder einmal über ihn tuschelten. „Das ist der Lohn meines Ruhmes“, brummelte er vor sich hin und setzte sich an einen freien Tisch. Ein älteres Weib wagte sich an seinen Tisch und fragte: „Sind sie nicht der bekannte Philosoph Voltaire?“ „Nein, Madame! Der bin ich nicht!“ knurrte Rousseau. Dennoch ließ die Frau nicht von Rousseau ab, der in Ruhe gelassen sein wollte und nun bereits etwas unwirsch reagierte. Endlich kam der Wirt mit dem Wein: „Madame!“ sagte er tadelnd zu der Frau: „Wisst Ihr denn nicht, wer dieser Herr ist? Es ist der vortreffliche Diderot, Frankreichs Stolz und unter den Lebenden unser gewaltigster Philosoph.“93

Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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