Читать книгу Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums - Horst-Joachim Rahn - Страница 36
2.4 Tugenden des Menschen
Оглавление„Die Tugend ist die Gesinnung eines Menschen, welche auf die Verwirklichung moralischer Werte ausgerichtet ist“ (Sokrates). Sie ist eine vorbildliche Haltung bzw. eine hervorragende Charaktereigenschaft, die eine Person dazu befähigt, das Gute in der Welt des geisteswissenschaftlichen Universums zu realisieren. Zu den Kardinaltugenden zählen Klugheit, Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Demgegenüber bestehen soziale Tugenden127 aus Hingabe, Dankbarkeit, Staunen, Vergebung, Vertrauen und Aufrichtigkeit. Soldatische Tugenden sind gegenseitiges Verständnis, guter Wille, Hilfsbereitschaft und Kameradschaft. Weitere wichtige Tugenden sind: Mut, Bescheidenheit, Besonnenheit, Höflichkeit und Menschlichkeit. Auch Tugenden unterliegen einem Wandel.128 Wo ist die Tugend denn einzuordnen? „Die Tugend wohnt im Herzen und sonst nirgends“ (Voltaire).
Die christlichen Tugenden gehen auf die Zehn Gebote zurück (Altes Testament). Im Neuen Testament ergänzt Jesus Christus in seiner Bergpredigt die Tugenden Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Sanftheit, Reinheit des Herzens und Friedfertigkeit. Die drei göttlichen Tugenden bestehen aus Glaube, Hoffnung und Liebe. Nach Prudentius kämpfen die sieben himmlischen Tugenden (Demut, Mildtätigkeit, Keuschheit, Geduld, Mäßigung, Wohlwollen und Fleiß) mit den entsprechenden Untugenden des Menschen (Stolz, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit) um die Vorherrschaft in der Seele. Auch die Tugenden werden in der Philosophie unterschiedlich gesehen.
► Welches sind die wichtigsten Tugenden? „Die nützlichen Tugenden der Bürger sind Menschlichkeit, Billigkeit, Tapferkeit, Wachsamkeit und Arbeitsliebe“ (Friedrich der Große). Und: „Scham ist eine große Tugend“ sagt B. Freidank. Außerdem wird auf die Diskretion hingewiesen, denn: „Eine der wichtigsten Tugenden … ist die Verschwiegenheit“ (A. von Knigge). Die Gesinnung des Menschen ist dabei auf hohe Ziele gerichtet: „Tugend ist der Weg zur Glückseligkeit, zu einem geglückten Leben“ (Aristoteles). Außerdem besteht ein direkter Bezug zur Wahrheit: „Die höchste, ja … die einzige Tugend, die der Mensch besitzen kann, ist die Wahrheit gegen sich und andere“ (S. Bernhardi). Aus der Erfahrung wissen wir: „Wahre Stärke liegt im Verzeihen“ (R. Bloch). Auch die Selbstlosigkeit hat hier ihren Platz: „Mehr als jede andere Tugend betont der Buddhismus Uneigennützigkeit, die in Liebe und heilender Hinwendung Ausdruck findet“ (T. Gyatso).
► Aber wir sollten uns durch die positive Würdigung der Tugenden nicht blenden lassen: „Tugenden sind mit Zunahme der Reichtümer gesunken“ (K.J. Weber). Denn: „Wenn das Geld ruft, hat die Moral seit jeher kaum eine Chance.“* Auch die Eitelkeit kann Tugenden zunichte machen: „Tugenden und Mädchen sind am schönsten, ehe sie wissen, dass sie schön sind“ (L. Börne). Wenn wir bestimmte Tugenden von anderen Menschen fordern, tun wir das nicht immer ganz selbstlos. Marie von Ebner-Eschenbach sagt dazu: „Wir verlangen sehr oft nur deshalb Tugenden von anderen, damit unsere Fehler sich bequemer breitmachen können.“ Wahre Tugend ist reinste Gesinnung und ist streng von Schmeichelei zu trennen: „Schöne Worte und schmeichlerisches Gehabe gehen selten mit wahrer Tugend einher“ (Konfuzius). Zum Schluss erkennen wir, dass hohe Tugendhaftigkeit im praktischen Leben durchaus nicht erfolgreich sein muss: „Wenn einer besonders tugendhaft ist, lass ihn zum Einsiedler werden“ (von den Philippinen). Ähnlich: „Wem die Scham erste Tugend ist, darf sich nicht wundern, wenn sich kein Partner findet.“*
► Wir lernen aus den Thesen und Antithesen zur Tugend: „Die Verwirklichung moralischer Werte ist durchaus nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn Geldgier, Eitelkeit und Stolz verführen uns schneller als wir es verhindern können.“* „Eine vorbildliche Haltung und hervorragende Charaktereigenschaften sind ohne Frage anstrebenswert: Aber sie müssen nicht zum unbedingten Lebenserfolg führen.“* „Wer möchte in tugendhafter Größe und in einer sich schnell verändernden Welt zum totalen Eigenbrödler werden oder ein Leben lang ganz ohne Partner sein?“*
Vielleicht kann der Kategorische Imperativ als Tugend-Grundsatz die Lösung aus dem Dilemma bringen: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer Allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte“ (E. Kant). Aber es gilt auch, dass dem Leben eigene Gesetze innewohnen, wie es sogar die Bibel offen legt: „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach“ (Matthäus 26.41). In diesem Sinne scheint mir auch bei der Bewertung von Tugenden ein wenig menschliches Verständnis angebracht, weil wir alle Fehler machen:
„Die großen Tugenden machen einen Menschen bewundernswert. Die kleinen Fehler machen ihn liebenswert“
(P.S. Buck)
Deshalb wohl auch die Feststellung: „Wer tugendhaft lebt, wird geehrt, aber nicht beneidet“ (aus Persien). Dazu eine weitere Forderung: „Der Mensch sollte nicht tugendhaft, sondern nur natürlich sein, so wird die Tugend von selbst kommen“ (G. Keller). Interessant ist auch die Herstellung des direkten Bezugs der Tugend zum Laster: „Der Tugend folgt die Belohnung, dem Laster die Strafe“ (H. von Kleist). Ein früherer amerikanischer Präsident philosophiert: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben“ (A. Lincoln). Abschließend die schlitzohrige Aussage eines Menschenkenners: „Man denkt sich den moralischen Unterschied zwischen einem ehrlichen Manne und einem Spitzbuben viel zu groß“ (F.W. Nietzsche). Zum Schluss mein Rat: „Bei der gezielten Bewertung von Tugenden sollte das menschliche Verständnis nicht außen vor bleiben.“* Alle folgenden Tugenden werden in dialektischer Sicht betrachtet.