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Protest und Wirkung
ОглавлениеDer Fahrer, der am 7. Mai 2012 den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder aus dem Hotel Baltschug Kempinski zur Feier der Amtseinführung abholt, ist überpünktlich, obwohl er sich um den Verkehr an diesem Montag keine Sorgen machen muss. Schröder braucht nur wenige Minuten, um in das Machtzentrum Russlands zu fahren. Der Kreml liegt in Sichtweite, nur ein paar Meter jenseits der Moskwa. Die Reihe der schwarzen Limousinen, die sich an diesem Vormittag am Eingang des Kreml-Palastes stauen, ist lang. Der Staatsakt für den politischen Stabwechsel wird erst Stunden später beginnen. 2000 geladene Ehrengäste drängen in Richtung Alexandersaal, um mit dem alten und neuen Präsidenten Wladimir Putin dessen dritten Amtsantritt zu feiern. Die Kontrollen durch die kompakten Männer mit Kurzhaarfrisuren sind strikt. Ohne Einladung und Pass gibt es auch für VIPs keinen Einlass.
Die Polizei hat die Straßenzüge im Zentrum Moskaus hermetisch abgesperrt. Demonstranten haben keine Chance, die Wagenkolonne zu blockieren, in der Putin zu der großen Zeremonie vorfährt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind auch eine Reaktion auf die Massenkundgebung vom Vortag gegen seine Rückkehr. Sie endete, kaum mehr als einen Steinwurf von der Feier entfernt, in einer blutigen Schlägerei zwischen Polizei und Demonstranten. Die Frustration und Wut der Oppositionellen sind groß, ihre politischen Forderungen radikal und illusionär. Die Menge verlangt die »Aussetzung der Amtseinführung« und »Neuwahl des Präsidenten und des Parlaments«.
Die Moskauer Behörden haben sich nach langem Hin und Her mit den Veranstaltern geeinigt, den geplanten »Marsch der Millionen« von Demonstranten durch das Zentrum Moskaus mit einer Großkundgebung auf dem benachbarten Bolotnaja-Platz enden zu lassen, auch wenn man wohl keinen Platz in Moskau findet, der eine Million fasst.
Vor allem der Vorwurf, es sei bei den Parlamentswahlen im vergangenen Dezember zu massiven Manipulationen und Fälschungen gekommen, hält den Protest am Laufen. Die Opposition hat der Regierungspartei Einiges Russland das Label Partei der Diebe und Gauner verpasst. Die Wahlkommission muss sich mit Tausenden von Beschwerden beschäftigen. Auch Wladimir Putin hat reagiert und ließ die mehr als 90000 Wahllokale für die Präsidentenwahl am 4. März 2012 mit Webcams ausstatten. Erstmals konnten Menschen die Abstimmung über Internetkameras verfolgen, und dort entdeckten die Wahlbeobachter der Opposition auch die eine oder andere Manipulation.[44] An dem klaren Sieg Putins am 4. März 2012 änderte dies wenig. Nur der Frust seiner Gegner ist weiter gestiegen.
Was 24 Stunden vor der Inauguration auf dem Bolotnaja-Platz passierte, darüber gehen die Meinungen je nach politischem Standort weit auseinander. Als die Teilnehmer des Marsches versuchen, von der vorgeschriebenen Route in Richtung Kreml abzuweichen, greift die Polizei ein. Menschenrechtler werfen der massiven Einsatztruppe unkontrollierte Brutalität vor, geben aber auch radikalen Demonstranten Mitschuld an der Eskalation. Hunderte von Aktivisten werden festgenommen, es gibt zahlreiche Verletzte – auch unter den Polizisten. Die Zahl der Demonstranten schwankt je nach Lager. Die Behörden geben 8000 Menschen an, die Organisatoren bis zu 40000.
Dieses Mal ist der Präsident, berühmt für seine notorische Unpünktlichkeit, tatsächlich pünktlich. Um 12 Uhr mittags Moskauer Zeit hält der Mercedes mit der Motorradeskorte nach einer Fahrt durch die menschenleeren Straßen im Zentrum Moskaus vor dem Haupteingang des Kreml-Palastes. Die Inszenierung der Macht ist sorgfältig geplant. Putin schreitet auf dem roten Teppich durch das Spalier der Gäste im Georgssaal und dann weiter in den angrenzenden Alexandersaal, um schließlich im Andreassaal die Insignien des Amtes entgegenzunehmen. Das Staatsfernsehen überträgt die Zeremonie live, zusammen mit fünf weiteren Sendern. Russland schaut zu, während der neue Präsident den Eid auf die Verfassung schwört, »die Souveränität, Unabhängigkeit, Sicherheit und Integrität des Staates zu schützen und den Bürgern treu zu dienen«.
Im privaten Teil des Kreml deckt das Personal unterdessen den Tisch für ein kleines Mittagessen zur Feier des Tages. Es sind weder Generäle der russischen Armee noch die Chefs der russischen Geheimdienste unter dem Dutzend Gäste, das Wladimir Putin eingeladen hat. Es sind Menschen, die er schon lange kennt, mich hat die Einladung kurzfristig vorher erreicht. Sein Vorgänger im Amt, Dmitri Medwedew, mit seiner Frau Swetlana Wladimirowna ist dabei. Drei Gäste kommen aus Deutschland, einer aus Italien. Ein Schweizer, ein Franzose und ein Freund aus Budapest komplettieren die Runde. Putins Frau Ljudmila Alexandrowna sitzt an seiner Seite. Das Ehepaar lebt schon seit längerem getrennt und wird sich bald scheiden lassen. Ein entspannter Präsident stellt die Gäste einzeln vor, erklärt, was ihn mit jedem verbindet.
Von Politik ist während der nächsten zwei Stunden kaum die Rede, und wie viele Politiker kann Wladimir Putin seine Mimik je nach Befindlichkeit und beabsichtigter Wirkung dimmen oder aufhellen. Die staatsmännische Pose, die er bei der Vereidigung und der Abnahme der kleinen Militärparade im Hof des Kreml eingenommen hat, verfliegt schnell, wechselt über in eine lockere Tonlage. Mit selbstironischen Bemerkungen, wie dem Hinweis, man sei auch nicht mehr der Jüngste, oder der Frage, ob Haar und Haarfarbe der Tischnachbarn noch echt seien. Auf dem Tisch stehen Plinis mit schwarzem Kaviar, russischer Borschtsch, Fisch aus dem Ladogasee und Schweinekoteletts. Nur Dmitri Medwedew und seiner Frau merkt man an, dass sie derzeit nicht die Glücklichsten sind. Seit einer Stunde ist das Paar nicht mehr die offizielle Nummer eins. Aber immerhin: Das russische Parlament wird Dmitri Medwedew am nächsten Tag wieder zum Ministerpräsidenten wählen. Und er wird Vorsitzender der Regierungspartei.
Später an diesem Abend erfüllt sich Wladimir Putin einen Kindheitstraum, für den er in den vergangenen Monaten in jeder freien Minute trainiert hat. Er fährt mit seinen Gästen in die Megasport-Arena am Chodynski-Boulevard, um mit einer Eishockey-Auswahl gegen das legendäre Altstar-Team aus sowjetischen Tagen anzutreten. Er darf gewinnen und zwei Tore schießen. Die einstigen Profis und der Präsident sind in etwa gleich alt. Das Spiel ist bedeutend amüsanter, als es der Kampf um die Präsidentschaft war.