Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 24
Anfang August 2015 - USA: Charlotte – Nächtliche Warnung
ОглавлениеRayan hatte einen Moment lang überlegt, ob er sich für sein Vorhaben ein anderes Auto besorgen sollte. Aber der schwarze Lexus, den er sich als Mietwagen genommen hatte, war unauffällig genug. Im Vergleich zu seinen sonstigen durchaus luxuriösen Ansprüchen, was sein Fahrverhalten anging, hatte er sich einschränken müssen, weil er sein Kommen nicht angemeldet hatte. Und somit mit den gerade im Fuhrpark der Leihwagenfirma vorhandenen Fahrzeugen vorlieb nehmen musste.
Nachdem er eine Weile in seinem Büro fassungslos seinen Gedanken nachgehangen hatte, beschloss er, sich abzulenken, um nicht den Verstand zu verlieren. Mit einem Schlag war die Trauer um seinen Adoptivvater wieder so präsent, viel zu nah. Jack Tanner, der das genaue Gegenteil seines leiblichen Vaters gewesen war. Der ihm immer zugehört hatte. Der immer seine Entscheidung erst dann getroffen hatte, wenn er beide Seiten ihren Standpunkt hatte erklären lassen. So voller Güte und trotzdem ein harter Mann, wenn es darauf ankam. Hart, aber immer fair. Den er geliebt hatte, wie ein Sohn seinen Vater lieben sollte!
Wie unfair war es, dass eine derartige Persönlichkeit auf diese Weise hatte sterben müssen, im besten Alter? Rayans Trost, dass es ein höherer Wille gewesen sein musste, der wohl einen Plan gehabt haben möge für dieses Timing, hatte sich mit einem Schlag in Luft aufgelöst. Stattdessen war diese Entscheidung von höchst irdischen Mächten getroffen worden. Was für eine Nachricht. Sie hatte ihn nicht nur wegen der unverblümten Art der Übermittlung getroffen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Erst war Hanif verschwunden, von dem er nach wie vor nichts mehr gehört hatte, dann entpuppten sich seine beiden Freunde als Verräter und nun das? Was kam wohl als Nächstes?
Doch bevor er sich weiter seinem Selbstmitleid ergab, würde Rayan sich zuerst um sein anderes Problem kümmern. Er machte einige Telefonate und bekam schnell die benötigten Informationen heraus: Die Schicht des Texaners am Flughafen war erst in zwei Stunden zu Ende.
Noch genügend Zeit für den CEO, sich in seinem eigenen Apartment nicht weit vom Büro frisch zu machen und sich zu bewaffnen. Ohne zu zögern oder einen Gedanken an seine beiden Kollegen zu verschwenden verließ er den Bürokomplex und fuhr nach Hause. Keine zehn Minuten später war er angekommen. Auch hier bewahrte ihn ein für ihn reservierter Tiefgaragenstellplatz vor aufwändiger Suche. Flüchtig sah er sich nach Post um, doch es schien sich lediglich um die üblichen Werbemitteilungen zu handeln. Alle Rechnungen waren von einem Angestellten seines Vertrauens, der sich in seiner Abwesenheit um alles kümmerte, bereits aussortiert und in seinem Namen bezahlt worden. Keine sonstigen persönlichen Nachrichten.
Nach einer ausgiebigen Dusche zog er sich zügig an. Er wählte ein legeres Outfit mit schwarzem Rollkragen Pullover und einer gleichfarbigen Stoffhose. Dazu weiche Lederschuhe und eine dunkelgraue Lederjacke mit Innenfutter gegen die doch schon recht kühle Nachtluft. Vor allem für sein Empfinden, weil er sich gestern noch im heißen Alessia aufgehalten hatte. Verdammt ich hätte mit Carina über den Basar schlendern können und nun stattdessen dieser Shit hier!
Auch hier hatte er sich passende Unterarmmanschetten anfertigen lassen, die er nun vorsichtshalber anlegte. Er schob die beiden flachen Wurfmesser hinein, die seinen in Alessia zurückgelassenen, gar nicht unähnlich waren. Dann nahm er noch seine Glock 17 an sich sowie entsprechende Munition und den passenden Schalldämpfer. Und ein kleines, aber leistungsfähiges Nachtsicht-Fernglas. Denn inzwischen war es bereits dunkel geworden. So präpariert fuhr er zum Flughafen, wo er fünfzehn Minuten später ankam. Noch kurzfristig in den abgesicherten Sperrbereich einzudringen, auf dem der Texaner sein Auto geparkt hatte, grenzte an Selbstmord, vor allem ohne Verstärkung.
Also parkte er den Lexus außerhalb des Zaunes und suchte mit dem Fernglas in Ruhe den Mitarbeiterstellplatz ab, bis er problemlos bereits kurz darauf den dunkelblauen Dodge Ram des Officers ausgemacht hatte. Beim Anblick des mächtigen Fahrzeugs musste er lächeln, das Gefährt passte zu dem dynamischen Mann. Er erforschte seine Gefühle und fand zu seiner Überraschung die gleiche Bewunderung, die ihn damals veranlasst hatte, sowohl den Texaner als auch seine beiden Freunde gehen zu lassen. Schon damals hatte er gefallen an dessen Mut gefunden und auch, dass der Mann offensichtlich nicht auf den Kopf gefallen war.
Doch das Lächeln verging ihm, als er erneut an Jack denken musste. Was wohl Julie sagen würde? Er beschloss, ihr zunächst einmal noch nichts zu sagen, denn er wollte bei ihr nicht die gleichen Wunden aufreißen, die in seiner Brust zurzeit einen brennenden Schmerz entfachten, der ihm den Atem zu nehmen schien.
Er war froh, als er im gleichen Moment Bewegung am Fahrzeug ausmachte, was ihn aus diesen Gedanken riss und ablenkte. Sofort war er wieder hochkonzentriert. Das Schichtende des Texaners war gekommen und der Mann würde sich nun auf den Heimweg machen. Rayan hatte zwar auch die Adresse herausgefunden, was nicht weiter schwer gewesen war, doch auch dort wäre ein Einsatz ohne weitere Erkundungen so kurzfristig einfach zu leichtsinnig. Stattdessen hoffte er auf einen Halt unterwegs.
Und tatsächlich: nur zwei Straßen entfernt von dem Haus, in dem der Sicherheitsbeamte wohnte, hielt Burt an einem „Mexican-Grill“ an.
Rayan, der schon die Hoffnung auf eine schnelle Aktion aufgegeben hatte, atmete zufrieden auf. Obwohl der Officer seinen Wagen abschloss - was er durch das in Amerika übliche erneute Drücken der Türverriegelung und das daraufhin ertönende Signal der Autohupe verifizierte - war es für Rayan kein Problem, auf die Rücksitzbank des Fahrzeugs zu gelangen. Seinen Mietwagen hatte er kurzerhand direkt nebenan abgestellt. Burt kannte ohnehin nicht nur seinen Namen, sondern andere wichtige Daten von ihm, also war es auch überflüssig sich die Mühe zu machen, einen anderen Wagen zu besorgen, um seine Identität zu verschleiern.
Keine zehn Minuten später stieg der Texaner in seinen Dodge Ram ein. Sofort erfüllte ein Geruch nach heißem Essen das Fahrzeuginnere. Doch noch bevor der Officer die Zündung betätigen konnte, erstarrte er, denn Rayan drückte ihm die Mündung seines Schalldämpfers ins Genick. Der Mann erstarrte. Vorsichtig warf Burt einen Blick in den Rückspiegel. „Du!“, stellte er dann trocken fest. „Hätte ich mir denken können. Na los. Drück schon ab“, geiferte er voller Verachtung.
Wieder bewunderte der Scheich die kühne Reaktion des anderen, aber ohne den Kommentar zu beachten, sagte Rayan ruhig: „Keine Angst, ich bin nicht hier um dich zu töten. Ich will dir nur vor Augen führen, wie leicht es für mich ist, dich zu kriegen, wenn ich das wirklich wollte. Und dass dies nun das zweite Mal ist, dass ich dir das Leben schenke. Und genau genommen, sogar das dritte Mal. Denn ich bin gekommen, um dich zu warnen. Du hast keine Ahnung, auf was du dich einlässt, oder besser: auf wen! Ich habe gute Freunde, denen sehr daran gelegen ist, wenn niemand von meinen beiden Leben erfährt. Welche übrigens – so unwahrscheinlich es klingt – beide echt sind. Als dein Kollege also heute mein Foto an die üblichen Stellen gesendet hat, hat er damit bereits einige Alarmglocken ausgelöst. Verstehst du? Du stehst bereits im Fokus. Aber weil ich deinen Mut schon damals bewundert habe, habe ich denen gesagt, dass ich nicht will, dass sie dich aus dem Verkehr ziehen. Sondern, dass ich mit dir reden werde. Es liegt also nun an dir! Tu dir selbst und allen deinen Freunden einen Gefallen und behalt deine Story für dich. Dann wird niemandem etwas passieren.“
Burt überlegte einen Moment und wollte gerade antworten, doch da fiel schon die hintere Tür ins Schloss und kurz darauf fuhr der Wagen nebenan weg. Er war wieder alleine in seinem Dodge. Der Texaner widerstand dem Impuls, dem anderen Auto zu folgen.
Dann fiel ihm siedend heiß Arthur ein und schnell zog er sein iPhone heraus. Doch er bekam nur die Mailbox seines Freundes und bat ihn daher um Rückruf.
Weil er keine Aufmerksamkeit erregen wollte – denn er zweifelte keine Sekunde lang an den warnenden Worten dieses Tanners – zwang er sich, es zudem bei dem einen Anruf zu belassen. Arthur würde sich schon bei ihm melden, da half es auch nichts, wenn er ihm mehrfach auf die Blechmaschine sprach.
Beunruhigt warf er sein soeben gekauftes Abendessen in den nächsten Mülleimer. Der Appetit war ihm für heute vergangen. Stattdessen entnahm er seinem Kühlschrank eine Flasche Budweiser und leerte sie fast auf einen Zug.
Wenig später machte er sich noch immer hochgradig nervös auf den Weg ins Bett, wo er in dieser Nacht kaum ein Auge zutat.
Am nächsten Morgen checkte er als Erstes das Display seines Mobiltelefons. Doch Arthur hatte sich nicht gemeldet. Verdammt!
Drei Stunden später hörte er statt von seinem Freund, von dessen Schwester. Sie informierte ihn weinend, dass Arthur am Vorabend das Opfer eines schief gegangenen Raubüberfalls mitten auf der Straße geworden war. Ein Mann hatte ihn um seine Brieftasche und Uhr erleichtert, dann war es zu einer Rangelei gekommen, wobei sich ein Schuss gelöst hatte. Unglücklicherweise hatte die Kugel seinen Freund direkt in die Brust getroffen. Danach war der Täter unerkannt entkommen.
So zumindest die offizielle Version. Entsetzt meldete sich Burt für den Tag krank, ihm war klar, dass dieser „Unfall“ eine direkte Folge seines Anrufes am Nachmittag zuvor gewesen war. Tanners Warnung war für Arthur zu spät gekommen.