Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 25
Anfang September 2015 – München – Ungenierte Observation
ОглавлениеDen folgenden Vormittag hatten sie Zeit für sich. Sie mussten erst um 15 Uhr in der Kirche sein.
Also blieben sie fast bis um 9 Uhr gemeinsam im Bett, was ein absolutes Novum war. Zuhause stand Rayan in der Regel vor Sonnenaufgang auf, um zu trainieren. Manchmal fragte sich Carina heimlich, wie er mit so wenig Schlaf klarkam. Sie war ihm dankbar, dass er sie schlafen ließ, solange sie wollte und ihr in dieser Hinsicht keinerlei Vorschriften machte. Natürlich hatte sich dieser Rhythmus auch ein wenig verändert, seitdem sie die kleine Sheila hatten. Andererseits war Fatima, die junge Tarmanin, die sie mit der Versorgung des Kindes beauftragt hatten, ein absoluter Luxus, der ihr vieles erleichterte. Sonst hätte sie jetzt auch kaum auf diese Reise gehen können. Sie hatte lange gehadert, ob sie Sheila nicht mitbringen sollte, aber sie wollte einem derart kleinen Baby nicht den Stress einer Reise antun. Dafür telefonierte oder „skypte“ sie jeden Tag mit Fatima, die ihr in aller Ausführlichkeit jedes noch so kleine Detail schilderte und sie beruhigte.
Sie hatten sich mitten in der Nacht noch etwas Obst und Käse bringen lassen, weil Carina ihren Hunger nach dem ausgiebigen Sex noch mehr als vorher verspürte. Es war fast 2 Uhr, als sie endlich eingeschlafen waren.
Carina wachte als Erste auf und prüfte sofort, ob Rayan auch wirklich da war. Erleichtert stellte sie fest, dass der gestrige Nachmittag und die ereignisreiche Nacht kein Traum gewesen waren. Tatsächlich lag er, nach wie vor völlig unbekleidet, neben ihr. Er schlief offenbar noch fest. Wie üblich lag er auf dem Bauch. Die Bettdecke hatte er irgendwann im Schlaf zur Seite geschoben.
Sie nahm sich Zeit, den atemberaubenden Anblick, der sich ihr bot, in Ruhe in sich aufzunehmen, schließlich konnte sie ihn sonst so gut wie nie beim Schlafen beobachten: seine fast schwarzen Haare waren zerzaust. Beide Hände hatte er unters Kopfkissen geschoben, was die Muskeln an seinen Oberarmen schön zur Geltung brachte. Sein Oberkörper war lang und athletisch, auch hier gab es kein Gramm unnötiges Fett. Sein Hintern war knackig und sexy. Alleine der Anblick reichte aus, sie erneut zu erregen. Seine langen Beine konnten ebenfalls das regelmäßige Training nicht leugnen.
Dann wandte sie ihren Blick den vielen Narben zu, die seinen Körper zierten. Am linken Oberschenkel, den er etwas nach außen gedreht hatte, konnte sie eine tiefe, etwas mehr als zehn Zentimeter lange Narbe erkennen. Er hatte ihr erzählt, dass diese von einer Eisenstange stammte, mit der man im letzten Jahr in London versucht hatte, ihn zu töten. Die Erinnerung brachte ihren Blick auf die linke Schulter, die damals ebenfalls getroffen worden war. Dort bezeugten Operationsnarben von den Versuchen, die Knochen alle wieder an ihren rechten Platz zu bringen.
Sonst gab es noch mehrere kleinere Blessuren, die sie nie im Speziellen hinterfragt hatte, vermutlich würde er sich nicht einmal mehr erinnern, von welchem Kampf sie stammten.
Und dann musterte sie ausführlich die vielen weißen Linien, die das tiefe Braun seines Rückens durchzogen. Natürlich war ihr dieser Anblick inzwischen etwas vertrauter geworden, aber noch immer drehte sich Rayan meistens weg, wenn er ihren Blick bemerkte, oder zog sich schnell ein Shirt über. Offenbar schämte er sich nach wie vor dieses Anblicks. Daher konnte sie nun nicht widerstehen, ungeniert alle Details zu betrachten. Unbewusst versuchte sie, die Striemen zu zählen. Doch als sie bei dreißig angelangt war, und noch kein Ende in Sicht war, wurde ihr klar, dass es nicht besonders pietätvoll war, was sie da gerade machte. Liebevoll streckte sie ihre Hand nach ihm aus und strich ihm über die vernarbte Haut. Ihr war bewusst geworden, wie oft er bei jeder Gelegenheit ihren Rücken liebkoste und sie wollte sich nun zum ersten Mal dafür revanchieren. Allerdings hatte sie nicht mit seiner Reaktion gerechnet. Er fuhr so schnell herum, dass sie erschrak, und packte grob ihr Handgelenk. „Was machst du da?!“, herrschte er sie an. Obwohl er wenige Sekunden vorher noch tief und fest geschlafen hatte, schien er nun hellwach zu sein. Und wütend!
Carina fühlte sich ertappt und hatte ein schlechtes Gewissen. Gleichzeitig ärgerte sie sich über sich selbst: Was hatte sie denn gemacht? Ihrem „Freund“ liebevoll den Rücken gestreichelt - was für ein Verbrechen!
„Au! Du tust mir weh!“, beschwerte sie sich, woraufhin er ihren Arm sofort freigab. Sein Blick war etwas weicher geworden.
„Ich wollte dich nur liebkosen - entschuldige bitte vielmals, wie unangemessen von mir“, fuhr sie beleidigt fort. Woraufhin er die Brauen über ihren Sarkasmus hob. Dann seufzte er: „Schon gut, es tut mir leid. Du weißt doch, dass ich in dieser Hinsicht empfindlich bin …“
„Das ist noch reichlich untertrieben“, fuhr es Carina durch den Kopf, doch sie biss sich auf die Zunge, um es nicht laut zu sagen. Sie wollte an diesem schönen Morgen auf keinen Fall mit ihm streiten.
Daher ließ sie es zu, dass er sie an seine Brust zog. Er hatte sich auf den Rücken gedreht und sie schmiegte sich an ihn. Eine ganze Weile blieben sie einfach so liegen, und er spielte mit den Strähnen ihres Haares. Das war ein so behagliches Gefühl, dass es Carina gelang, ihren beinahe Streit völlig zu verdrängen und sich stattdessen ganz dem Gefühl der Zweisamkeit, ohne jegliche Verpflichtungen, bald schon wieder irgendwo sein zu müssen, hinzugeben.
Irgendwann holte ein vernehmliches Knurren sie in die Realität zurück. „Ich habe Hunger!“, stellte Rayan fest. „Ich auch“, stimmte Carina grinsend zu. Also beschlossen sie, endlich aufzustehen.
Nachdem sie sich ein reichhaltiges Frühstück aufs Zimmer hatten servieren lassen, machten sie sich auf den Weg ins Zentrum, welches nur einen Kilometer vom Hotel entfernt war.
Rayan wollte den Aventador nehmen, der in der Hotelgarage sicher geparkt stand, doch Carina überredete ihn schmunzelnd, dass sie unbedingt mit der U-Bahn fahren müssten. Wenn sie schon ihren Traum leben wollte, mit der Liebe ihres Lebens durch München zu schlendern, dann richtig! Die hochgezogenen Brauen des Scheichs verrieten, dass er von dieser Idee überhaupt nichts hielt.
Auch Jassim sah aus, als zweifle er an ihrem Verstand, sobald sie ihn in Kenntnis setzten, was ihr Plan war. Doch er verbiss sich seinen Kommentar. Er würde sie begleiten, auf welchem Weg auch immer. Die beiden Leibwächter, die Carina zugeteilt gewesen waren und die die Nacht vor der Türe zur Suite gewacht hatten, konnten sich dann in der Zwischenzeit ausruhen.