Читать книгу Rayan - Der Stich des Skorpions - Indira Jackson - Страница 30
2013 - Rub‘ al Khali: kleine Oase - Gefährlicher Übereifer
ОглавлениеMit weit aufgerissenen Augen starrte Burt die beiden Reiter an. Damit war er nicht alleine, denn auch die wenigen Bewohner der Oase richteten ihre Aufmerksamkeit auf die zwei Tarmanen, die gerade stolz aufgerichtet dort einritten. Doch im Gegensatz zur freudigen Verehrung der Wüstenbewohner für die beiden Besucher galt das Interesse des Texaners den edlen Pferden. Die feurigen Tiere, die halbwild und trotzdem gut ausgebildet zu sein schienen, begeisterten ihn so sehr, dass er die Männer auf deren Rücken allenfalls mit einem Blick streifte.
Kaum dass die Krieger etwa fünfzig Meter entfernt abgestiegen waren, ging einer von ihren los, um Wasser zu besorgen, der andere machte sich daran, das Lager für die Nacht vorzubereiten. Offenbar ein eingespieltes Team. Wie in Trance ging Burt auf den Mann zu, der sich anschickte, ein kleines Zelt aufzubauen. Die Pferde waren nur etwa zehn Meter entfernt stehen geblieben. Als der Texaner einen kurzen Moment lang anhielt, um nach dem anstrengenden Weg durch den Sand zu Atem zu kommen, beobachtete er voller Faszination, dass es für die Tiere offenbar ein Zeichen war stillzustehen, wenn die Zügel über den Kopf gezogen waren und lose auf den Boden hingen. „Ich muss wissen, wie diese Halbwilden das machen, ohne die Tiere zu brechen.“ In Texas war es oft noch immer gang und gäbe, ein Pferd mit Gewalt zu zwingen, den Menschen zu Diensten zu sein. Dadurch ging jedoch meist der Charakter mit zugrunde. Und dass er es bei den stolzen Wüstenbewohnern nur mit unerzogenen Analphabeten zu tun hatte, war für ihn ohnehin ein Fakt. Darum betitelte er sie gerne für sich als „Halbwilde“.
Aufgrund seiner Begeisterung für die Pferde hatte er eben jeglichen gesunden Menschenverstand ausgeschaltet. Sämtliche Warnungen, die sein Wüstenführer ihm und fünf anderen Männern in seiner Gruppe seit Tagen immer wieder herunterbetete, waren wie ausgelöscht. Seine Gedanken drehten sich lediglich darum, wie er an eines dieser edlen Tiere kommen könne. Er sah sich selbst schon auf der dunkelbraunen Stute durch seine Heimat reiten. Die Gesichter seiner Freunde wären jegliche Kosten wert! Glücklicherweise war sein alter Vater ebenfalls ein Pferdenarr und hatte noch dazu die finanziellen Mittel, sodass Geld keine Rolle spielen würde.
Mit diesen Überlegungen näherte er sich bis auf wenige Meter den Pferden, als ihn eine scharfe Stimme erschreckt aufschauen ließ. Obwohl er des Arabischen nicht mächtig war, war ihm sofort klar, dass es eine Warnung gewesen sein musste. Das brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtshalber hob er die Hände halbhoch, um klarzumachen, dass er nichts Böses im Schilde führte. Und als er sich langsam umdrehte, sah er wenige Meter vor sich denjenigen der beiden Reiter vor sich, der gerade noch mit dem Zelt beschäftigt gewesen war. Das Gesicht des Mannes sagte mehr als tausend Worte, was er von der ungestümen Annäherung eines Fremden hielt. Seine rechte Hand befand sich im Ärmel seines linken Armes und zu seinem Entsetzen sah Burt etwas Silbernes blitzen. Sofort war ihm klar, dass es sich nur um ein Messer handeln konnte. Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen, als er schlagartig die Gefahr spürte, in der er sich befand.
Und zum ersten Mal musterte er „den Halbwilden“ genauer. Der Mann war groß, mit Sicherheit fast 1,90 m schätzte Burt. Dazu schlank und muskulös, seine Bewegungen geschmeidig. Eigenartigerweise ging dem Amerikaner in diesem Moment durch den Kopf, dass der Mann überaus gutaussehend war, genau der Typ, auf den die Frauen flogen, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, in denen die Proportionen wunderbar harmonierten. Stolz aufgerichtet sah der den Texaner drohend an. Die fast schwarzen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen und Burts Nackenhaare richteten sich auf. Die Gefahr, in der er schwebte, war nun deutlich greifbar. Eine einzige falsche Bewegung und das Messer würde auf seinen tödlichen Weg geschickt werden. Instinktiv war dem Texaner klar, dass der andere keine Sekunde zögern würde, ihn auszulöschen. Der Pferdeliebhaber zwang sich zur Ruhe. Er hatte schließlich nichts verbrochen. Noch nicht einmal angefasst hatte er die Tiere! Trotz regte sich in ihm und er reckte angriffslustig sein Kinn vor, was sein Gegenüber dazu brachte, überrascht die Brauen hochzuziehen. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man sich von seinen Drohungen nicht einschüchtern ließ.
Das gab Burt Hoffnung und betont frech musterte er sein Gegenüber von oben bis unten, was dazu führte, dass sich dessen Miene noch weiter verdunkelte. Wut blitzte nun in den dunklen Augen. Burt jedoch nahm sich Zeit, die Kleidung und Ausrüstung des Wüstenbewohners zu mustern: Ganz und gar in Schwarz, angefangen von einem Turban, der durch eine gleichfarbige Kordel an Ort und Stelle gehalten wurde, über ein Obergewand und eine weitfallende Hose bis hin zu eleganten Stiefeln, die speziell auf die Anforderungen der Wüste ausgerichtet zu sein schienen. Überrascht stellte er fest, dass der andere zudem ein für hiesige Verhältnisse ungewöhnliches Schwert quer über dem Rücken trug. „Wie aus diesen japanischen Filmen“, fuhr es ihm durch den Kopf. „Wie kommt so jemand an so eine elegante Waffe?“, fragte er sich neugierig.
Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als er in diesem Moment eine Bewegung aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Er drehte den Kopf und sah zu seiner Rechten auf einmal den zweiten der beiden Männer stehen, ein Gewehr auf seinen Bauch gerichtet. Dieser Reiter trug exakt die gleiche Kleidung, woraus Burt korrekt schloss, dass es eine Art Stammesgewand handeln musste. Obwohl der Mann mit dem Gewehr einen halben Kopf kleiner war, war auch er keineswegs zu unterschätzen, das spürte man sofort. Er blickte zudem so finster drein, dass der Texaner sich fragte, ob der in seinem Leben überhaupt schon einmal gelacht hatte.
Der Größere sagte etwas zu seinem Begleiter, was Burt nicht verstand. Und doch wusste er, dass es ein Befehl gewesen war, den der andere mit einem grimmigen Kopfnicken bestätigte. Somit war ihm sofort die Hierarchie der beiden klar und er wandte sich wieder dem Mann mit dem Messer zu, der offenbar der Ranghöhere der beiden war.
„Hör zu, ich wollte mir nur eure Pferde ansehen. Ehrlich! Sehr beeindruckende Tiere“, versuchte Burt die Situation zu entschärfen. Natürlich hatte er Englisch gesprochen, nachdem das die einzige Sprache war, die er beherrschte. Er bereute nun doch, dass er nicht aufgepasst hatte, als ihr Wüstenführer vergeblich versucht hatte, ihnen wenigstens zwei oder drei höfliche Grußfloskeln beizubringen.
Als sein Gegenüber mit keiner Wimper zuckte, seufzte Burt und murmelte halblaut, aber in genauso unschuldigem Tonfall wie vorher: „Hab ich mir doch gedacht, dass ihr wilden Kameltreiber kein Wort von dem versteht, was ich hier erzähle. Woher solltet ihr Sandkriecher auch eine Weltsprache wie ENGLISCH können?“
Rayan gelang es, trotz der Beleidigung sein Pokerface beizubehalten. Ihn amüsierte die Situation. Zunächst hatte er anhand der einheimischen Kleidung angenommen, dass es sich um einen der Bewohner der Oase handeln müsse. Für denjenigen wäre es fatal, sich einfach so heranzuschleichen und sich auch noch so frech zu verhalten. Aber hier stand ganz eindeutig ein Tourist! Offenbar war er schon einige Zeit hier in der Gegend unterwegs, denn sein Gesicht hatte eine dunkle Färbung durch die Sonne angenommen, sodass man ihn nicht sofort als Ausländer erkannte. Nun aber war der texanische Akzent so eindeutig, dass Rayan sich bemühen musste, nicht breit zu grinsen. Als Burt dann auch noch mit ausladenden Gesten zu wiehern anfing, um ihnen klar zu machen, dass es ihm nur um die Bewunderung der Pferde ging, musste der Tarmane all seine Beherrschung aufbringen, nicht laut zu lachen. Das war mal wieder typisch für seine amerikanischen Landsleute! Unbesorgt wie so oft rannten sie durch die Welt.
Er warf Hanif einen warnenden Blick zu, der ganz offenbar ebenfalls einigermaßen Englisch verstand. Zumindest reichte sein Sprachwissen dafür, die Aussage von vorhin als Beleidigung richtig einzuordnen, das sah Rayan ihm sofort am Gesicht an. Und nachdem sein treuer Begleiter nicht seine Sympathien für Amerikaner teilte, stand er kurz davor, den aufdringlichen und unverschämten Touristen niederzuschießen.
Es war nur Glück, dass der Mann sich vollständig zu Rayan hingedreht hatte, so entging ihm die Reaktion des Reiterführers der Tarmanen, denn der Scheich wollte nicht, dass der Texaner bemerkte, dass sie jedes seiner Worte verstanden hatten. „Schon gut Hanif. Nimm das Gewehr runter, er ist keine Gefahr“, befahl er seinem Begleiter. Der holte Luft, um zu widersprechen, natürlich war auch ihm klar, dass der Mann nicht gefährlich war, aber er hatte sie immerhin beleidigt! Doch ein weiterer Blick von Rayan brachte ihn dazu, sich zusammenzureißen.
Der Scheich überlegte derweil, wie er nun aus dieser Situation wieder herauskam, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne den Amerikaner zu verletzen.
In diesem Moment rettete der Wüstenführer die Lage. Entsetzt hatte der bemerkt, dass eines seiner „Schäfchen“ auf Wanderschaft gegangen war und sich ausgerechnet die beiden Tarmanen als Ziel ausgesucht hatte. Das grenzte an Selbstmord!
Von weitem hatte er schon das Schlimmste befürchtet, denn wie jeder in weitem Umkreis kannte auch er den Ruf der Krieger aus Zarifa. Gerecht, aber absolut rücksichtslos, wenn man sie herausforderte. Er hoffte bloß, dass sie den Amerikaner nicht als Bedrohung ansahen. So schnell es seine kurzen Beine erlaubten, näherte er sich. Etwas kurzatmig begann er schon aus zehn Metern Entfernung: „Werte Herren Tarmanen! Der Mann ist kein Einheimischer! Nur ein Tourist. Völlig ungefährlich! Es tut mir sehr leid, dass er die erlauchten Herrschaften belästigt hat!“
Genervt ließ Rayan einige Minuten lang den nachfolgenden Redeschwall über sich ergehen. Er war froh, dass er quasi „inkognito“ unterwegs war. Weder trug er die blutrote Kordel am Turban, die ihn als Anführer markierte, noch hatte er seinen Leibwächter Ibrahim mit dabei. Und auch auf seinen dunkelbraunen Hengst hatte er schweren Herzens verzichtet. Zudem trug er seine schwarzen Kontaktlinsen, denn seine auffällig blauen Augen waren in der Region berüchtigt. Hätte der Mann ihn erkannt, hätte er ihn wohl überhaupt nicht mehr dazu gebracht, seine Litanei an Entschuldigungen zu unterbrechen.
Fasziniert hatte der Amerikaner währenddessen von einem zum anderen geschaut. Auch Hanif hatte sowohl den Wortwechsel als auch die Reaktion des Fremden schweigend beobachtet. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass eine Kugel zu schade wäre. Stattdessen würde er dem Kerl liebend gerne eine Abreibung verabreichen. Für seine Frechheit vorhin und für sein offensichtliches Amüsement jetzt, wo der krummbeinige Araber sich nur bemühte ihrer beider Leben zu retten. Aber er wusste, dass er im Moment kein Recht hatte, sich einzumischen. Seine Exzellenz würde schon mit der Situation fertig werden. Er hoffte nur, dass dies bald passieren würde, denn seine Geduld war am Ende. Er wollte nur noch nach Hause und freute sich, dass sie morgen bereits Zarifa erreichen würden, was nur noch wenige Stunden entfernt lag. Und nun diese absolut unwillkommene Störung ihrer abendlichen Routine.
In diesem Moment hob Rayan mit einer herrischen Bewegung die Hand, was Murat zum Verstummen brachte.
„Genug. Ich bin weder taub noch begriffsstutzig. Nimm deinen ‚Touristen‘ und verschwindet ganz schnell aus unseren Augen. Bevor ich es mir noch anders überlege.“
Wiederum folgten Lobpreisungen und viele Verbeugungen, aber immerhin nahm Murat den Amerikaner am Arm und zog ihn mit sich fort. Der setzte noch einmal kurz an „aber ich wollte doch nur die Pferde …“ aber eine Schimpftirade in Englisch, verbunden mit der Drohung sofort jegliche weiteren Erkundungen abzublasen und zurück nach Alessia zu reiten brachte ihn dazu, dann doch brav seinem Wüstenführer zu folgen.
Rayan riss sich zusammen, bis die beiden weit genug weg waren, wobei seine Lippen angesichts der lautstarken Beschimpfungen des Arabers gegenüber dem Texaner bereits verräterisch zuckten. Doch das konnte nur Hanif sehen, was dessen Stimmung aber keineswegs aufhellte.
Sobald die beiden Männer außer Reichweite waren, wandte sich der Anführer der Tarmanen mit einem strafenden Blick an Hanif: „Sollten wir je wieder in so eine Situation kommen, erwarte ich von dir, dass du dich im Griff hast! Ich dulde auf keinen Fall, dass Fremde auch nur ahnen, dass wir sie durchaus verstehen können. Also reiß‘ dich gefälligst zusammen. Wenn ich mit derartigen Beleidigungen umgehen kann, wirst du es auch lernen. Verstanden?“ Zerknirscht verneigte sich Hanif: „Natürlich Herr!“
Als sie später zu zweit am Feuer saßen, hatte Rayan die Zurechtweisung bereits wieder vergessen. Er konnte Hanif ohnehin nie etwas nachtragen. Stattdessen amüsierte er sich wieder über das Auftreten dieses Amerikaners. Als sie auf den Punkt in der Unterhaltung kamen, wo der Tourist tatsächlich gewiehert hatte, konnte endlich auch Hanif die Komik der Situation sehen und beide lachten schallend.
Trotzdem grübelte Rayan später, als er auf seinem Lager im Zelt lag noch einige Zeit über eine Bemerkung Hanifs nach, die er nicht so einfach wegwischen konnte: „Und was macht überhaupt eine Touristengruppe so tief in der Wüste? Wer ist dieser Wüstenführer, dass er seine Schützlinge in diese Region bringt? Das ist für meinen Geschmack viel zu nahe an Zarifa.“ Womit sein Begleiter leider absolut Recht hatte.