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7. Endlich weg

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Als ich vierzehn war, befand sich meine Mutter wieder einmal für einige Wochen auf einer Entziehungskur. Für mich war es, wie immer, wenn sie nicht da war, eine schöne Zeit. Es gab zu Hause eine Haushaltsteilung, und ich konnte mehr draußen bei meinen Freunden sein. Und das Schönste daran war, dass ich keine Angst hatte, nach Hause zu gehen.

Sobald sich die schöne Zeit dem Ende zu und neigte, beschlich mich wieder meine alte Angst. Gleichzeitig hegte ich die Hoffnung, dass sich endlich alles ändern würde, dass ich wieder von meiner Mutter in den Arm genommen werde, ohne dass sie mehr will. Diese Sehnsucht nach einem Menschen, der einfach wie eine Mama ist, habe ich heute noch.

Wir haben zu Hause alles schön gemacht und ich habe ihr sogar einen Kuchen gebacken. Ich liebte es, zu backen, um so meine Liebe zu zeigen.

Als sie kam, freuten wir uns. Aber am Abend, als mein Vater wieder arbeiten war, ging es erneut los. Meine Mutter setzte sich vor den Computer, spielte Solitär und holte sich eine Flasche Goldkrone. Sie sagte, dass es der Abschiedstrunk sei, aber ich wusste, dass es der Beginn war. Seitdem trank sie wieder, aber erst abends, wenn mein Vater weg war. Die Angst war wieder da und sie wurde immer größer. Ich konnte ja auch nicht weg. Ich musste um acht im Bett sein, und der Computer, den mein Bruder zur Jugendweihe geschenkt bekommen hatte, stand bei uns im Kinderzimmer. Meine Mutter saß also jeden Abend am Computer, trank, und ich lag genau gegenüber. Jedes Mal, wenn ich wach war, schimpfte sie. Irgendwann war meine Angst so groß, dass ich beschloss, zu gehen. Es war Karfreitag 1996. Ich war vierzehn, und mein einziger Wunsch war es, von Zuhause wegzukommen. Ich stieg in den frühen Morgenstunden aus dem Küchenfenster und rannte weg. Stundenlang saß ich an der Spree und genoss die Sonnenstrahlen und die Ruhe. Später streifte ich durch die Stadt. Als ich in Nordend war, traf ich auf Manu. Ich weiß nicht mehr, wo ich sie kennengelernt hatte, aber sie war meine Rettung. Wir waren den ganzen Vormittag zusammen, und als sie zum Mittagessen rein musste, wunderte sie sich, dass ich draußen auf sie warten wollte. Also erzählte ich ihr von meinem Problem. Daraufhin brachte sie mir etwas zu essen und klärte mich darüber auf, dass meine Eltern eine Vermisstenanzeige aufgeben konnten und die Polizei dann nach mir suchen würde. Da die Polizei öfters vorbeifuhr, versteckten wir uns zur Sicherheit jedes Mal. Gegen Abend musste Manu nach Hause. Sie konnte mich nicht mitnehmen, sonst hätte ihrer Mutter unangenehme Fragen gestellt und womöglich bei mir zu Hause angerufen.

Also streifte ich wieder durch die Straßen. Am späten Abend wurde mir kalt und der Hunger stellte sich wieder ein. Nach Hause konnte und wollte ich nicht. Ich überlegte lange, was ich tun könnte. Irgendwann fasste ich den Entschluss, zu meiner Englischlehrerin zugehen. Ihr vertraute ich. Ich stand lange vor ihrer Tür, ehe ich klingelte. Sie bat mich hoch und wir redeten lange. Ich teilte ihr mit, dass ich auf keinen Fall nach Hause möchte. Den wahren Grund verschwieg ich, aber ich setzte darüber in Kenntnis, dass meine Mutter Alkoholikerin war. Da sie mich nicht bei sich behalten konnte, rief sie im Krankenhaus an. Nach dem Anruf brachte sie mich ins Krankenhaus. Kurze Zeit später holte mich die Polizei ab und brachte mich in den Kindernotdienst bei uns im Ort. Dort blieb ich nur kurz, da das Gebäude baulich noch nicht fertig war, musste ich über Ostern zur Notunterkunft ins Heim. Es war eine mir völlig fremde Gegend mit mir fremden Menschen, aber Hauptsache ich war von Zuhause fort. Zum Osterfest gingen alle Kinder nach draußen, um nach ihren Osternestern zu suchen. Ich setzte mich auf die Bank, da ich nicht damit rechnete, dass für mich auch etwas dabei war. Als mich aber Kai mit einem Lächeln ansah, war ich doch sehr überrascht und glücklich, dass auch ich ein Osternest bekam. An diesem Tag wurde mir bewusst, dass es Menschen gibt, die ohne viel von mir zu wissen, ihre Liebe für mich bereit hielten. Dieses Gefühl kannte ich nicht.

Das Heim sah wie ein kleines, altes Schloss aus, und das Grundstück rundherum war riesig und grün. Es war ein traumhafter Ort. Dort waren viele Kinder in mehreren Gruppen. Während meines Aufenthaltes freundete ich mich mit Beate an. Sie war aggressiv und aufsässig, aber sie hatte ihre Rolle dort. Während meines Aufenthalts in diesem Heim wollte sie mir mal Karate beibringen. Dabei kickte sie gegen meinen Hals, sodass mein Kopf an die Wand knallte. Obwohl ich ihr das nicht übel nahm, zeigt sie zum ersten Mal Mitleid, eine Charaktereigenschaft, die ich später nur selten an ihr zu sehen bekam.

Die Tage meiner Notunterkunft vergingen schnell und meine Eltern sollten mich abholen, da kein Platz frei war. Ich hatte mich dagegen gewehrt. Es war furchtbar. Meine Eltern standen mit dem Auto vor dem Zaun. Ich verabschiedete mich von allen, und ich spürte Schmerz in meinem Herzen. Meine Mutter drängte mich, mit Beate die Telefonnummern zu tauschen.

Während der Heimfahrt schwieg ich. Als wir daheim waren, ging ich in mein Zimmer, oder besser gesagt in das Kinderzimmer von meinem Bruder und mir. Mein Vater folgte mir und wollte wissen, was los sei. Ich wiederholte nur immer wieder, dass ich nicht zu Hause bleiben wolle. Schließlich informierte er den Kindernotdienst bei uns im Ort und ließ mich abholen. Dafür bin ich meinem Dad heute noch dankbar. Er war der Vernünftige und hatte erkannt, dass ich sowieso wieder gehen würde.

Am nächsten Tag musste ich in einen anderen Kinder- und Jugendnotdienst musste. Dort verbrachte ich zwei Wochen. Es war schön. Am Abend spielten wir Karten mit den Erziehern oder trieben uns auf dem gegenüberliegenden Friedhof rum. Ich hatte viel Spaß mit den anderen Kindern. Beim Toben fiel ich einmal vom Bett. Außerdem bekam ich Angina. Die Erzieher waren super und kümmerten sich jedes Mal um mich. Es war anders als zuhause. Daheim war es meist wie eine Strafe, wenn ich krank war und im Bett bleiben musste, ohne dass ich etwas machen durfte. Dort aber war es anders. Ich konnte fernsehen und es kam öfter ein Erzieher zu mir und streichelte meinen Kopf. Es war ein schönes Gefühl und eine wunderbare Zeit.

Mein Kampf, das Leben

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