Читать книгу Mein Kampf, das Leben - Ines Glantz - Страница 8
5. Etwas, das mein Leben und mich veränderte
ОглавлениеMeine Mutter trank immer mehr. Mein Bruder war tagsüber selten zu Hause, ähnlich wie mein Vater, der meist erst abends von der Arbeit heimkam. Ich war durch die durch die auf aufgebürdete Hausarbeit ans Haus gefesselt. Es war schrecklich.
Irgendwann beging meine Mutter ihren größten Fehler. Die jetzigen Zeilen übernehme ich aus meinem Tagebuch:
Dann beging sie ihren größten Fehler, zerstörte den letzten Rest Mutter-Tochtergefühl, der Rest an Liebe und Vertrauen ging für immer verloren. Eines Nachts, als mein Bruder bei einem Freund übernachtete, rief sie mich zu sich und forderte mich auf, mich auszuziehen und mich zu ihr zu legen. Sie sagte, dass sie mich aufklären will, mir den Unterschied zwischen Mädchen und Frau zeigen will. Sie berührte mich am ganzen Körper und ich musste bei ihr das Gleiche tun. Da sie es sagte, dachte ich, das wäre normal, aber es ekelte mich an.
Am 28.10.2003 schrieb ich nach dem Gespräch mit meiner Psychologin:
Soeben war ich bei meiner Psychologin. Es war nicht leicht für mich. Die Bilder aus meinen Träumen und meiner Vergangenheit waren wieder da. Es ist ein erdrückendes Gefühl. In solchen Momenten möchte ich am liebsten weglaufen, aber das hab ich die ganze Zeit getan. Jetzt bin ich schon so weit, denn ich habe den ersten Schritt, mir Hilfe zu suchen, geschafft.
Heute haben wir über mein Hauptproblem gesprochen; über die Zeit, in der alles begann, als ich zehn Jahre alt war. Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre, denn seit diesem Zeitpunkt verfolgen mich die Ereignisse Nacht für Nacht. Es gibt keine Nacht, in der ich nicht dreimal nachsehe, ob die Tür verschlossen. Seit besagtem Zeitpunkt gibt es keine Nacht, in der ich durchschlafe, in der ich nicht von Albträumen geplagt werde in der sich keine abscheulichen Bilder vor meinem inneren Auge abspielen. Ich schäme mich so dafür, obwohl ich weiß, dass ich nichts dafürkonnte. Schließlich war ich Kind und ein Opfer. Meine Mutter vergriff sich am Tag oder in der Nacht, je nachdem wie sie wach war und Gelegenheit dazu hatte, an mir. Beim ersten Mal nannte sie es Aufklärung. Sie rief mich zu sich ins Schlafzimmer, und es war niemand da, der mir hätte helfen können. Sie lag nackt und betrunken im Bett und sagte, ich solle näher kommen und bräuchte keine Angst haben. Es sei was ganz Normales, dass macht jede Mutter mit ihrer Tochter. Ich hatte Angst und ekelte mich; Ich wollte es nicht und doch ließ ich es über mich ergehen. Sie wandte keine körperliche Gewalt an und doch spürte ich diesen Zwang. Sie drohte mit Liebesentzug, dass ich dann nicht mehr ihre Tochter sei, dass ich ins Heim kommen würde. Was das ist, wusste ich damals nicht. Als ich neben ihr lag, fing sie an, meinen Köpern zu streicheln, und ich sollte es bei ihr gleichtun. Es war widerlich. Dann küsste sie mich überall, auch an meinen nicht vorhandenen Brüsten. Sie meinte, sie wachsen noch. Selbst wenn ich es schreibe, empfinde ich den gleichen Ekel, wie damals. Sie zeigte mir, wie Frauen sich lieben, gelegentlich bekam sie auch einen Orgasmus. Ich weiß nicht, wie oft sie mich zu ihr rief und wie lange es ging. Es hörte erst auf, als ich ihr sagte, dass ich aufgeklärt genug sei.
Dieses Erlebnis veränderte mein ganzes Leben. Ich wurde meines Urvertrauens beraubt. Wenn einem das die eigene Mutter antut, geht sämtliches Vertrauen verloren. Vertrauen zu sich selbst und zu anderen.
Es ist mir unbegreiflich, wie man ein Kind auf die Welt bringen kann, ihm das das Leben schenkt, ihm Urvertrauen in die Wiege legt, um ihm dann alles, außer dem Leben, wieder wegzunehmen. Meine Mutter raubte mir jedes Vertrauen, Geborgenheit, Schutz und die Liebe zu mir selbst und zu den anderen. Damit löste sie große Angst und Unsicherheit in mir aus. Die Angst habe ich zum Teil abgelegt, aber Unsicherheit und Misstrauen sind heute noch meine ständigen Begleiter.
Nach diesen Vorfällen habe ich mich anfangs zurückgezogen. Ich habe es nicht verstanden und konnte mit niemanden darüber reden. Einige Zeit später, als ich mit Freunden unterwegs war, bauten wir uns Höhlen oder suchten alte Bunker oder Keller, in denen wir die Szenen aus den zuvor gesehenen Sexfilmen nachstellten. Ich hasste diese Spiele, aber es war meine einzige Möglichkeit, Nähe zu zulassen. Es war die frühpubertierende Zeit, die dem Entdecken des eigenen und gegengeschlechtlichen Körpers galt. Aber diese Phase hatte bei uns alle Grenzen überschritten. Obwohl ich mich total davor ekelte, konnte ich mich davon lösen. Später verkaufte ich meinen Körper, um Nähe und Geborgenheit zu spüren. Ich bin heute noch dabei, dieses Laster zu verarbeiten.
Während und nach den sexuellen Übergriffen meiner Mutter, wurde aus mir, dem lieben Mädchen, das nie großen Unfug angestellt hatte, eine Lügnerin und Diebin.
Ich durfte mich nie weit von unserem Wohngebiet entfernen. Einige meiner Freundinnen wohnten aber nicht in unserer Nähe, und so besuchte ich sie heimlich. Meinen Eltern erzählte ich immer, dass ich bei einer Freundin nebenan bin. Das ging auch ein paar Mal gut, bis sie mich kriegten. Der Ärger, der danach kam, sorgte dafür, dass ich es nicht mehr machte. Stattdessen ging ich mit anderen auf Diebesbeute. Wir nahmen alles mit, was wir brauchen konnten. Es waren meist nur kleine Sachen, auch Essen und Trinken. Aber irgendwann wurden wir erwischt. Das brachte mir einen Monat Hausarrest ein, der pure Horror. Einen Monat nur zu Hause bei meiner Mutter. In dieser Zeit war die Angst wieder mein ständiger Begleiter. Meine Mutter trank immer noch von früh bis abends. In diesem Zustand war sie unberechenbar, und es war das Beste sie zu meiden. Daher zog ich mich so oft wie möglich in unser Kinderzimmer zurück, was nur sehr begrenzt möglich war, da sie mir immer mehr Aufgaben im Haushalt aufhalste.