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„Wenn morgen das Wetter gut ist, bringen wir das Schild zum Ufer und befestigen es neu. Dazu könnten wir ein kleines Picknick am Steg machen, was hältst du davon, Micha?“ Susanne Schnells sah ihrem Sohn, der gerade über seinen Hausaufgaben brütete, über die Schulter.

„Ja, okay Mama, von mir aus gerne, aber jetzt lass mich in Ruhe, das ist gerade sehr knifflig für Mathe.“

Susanne trällerte eine kleine Melodie vor sich hin, während sie die Treppe hinunter in die Küche lief. Ein bestimmtes Menü schwebte ihr bereits vor, auch wie das Picknick verlaufen konnte und sie begann einiges zu notieren, dabei bemerkte sie, sie würde noch einkaufen müssen. Nicht so schön dachte sie, dass wir alleine sind – na, auch egal. Sie entschloss sich für den bunten Reissalat und Frikadellen. Das mochte Michael besonders gerne. Dazu könnte sie auch beim Bäcker noch ein Stangenbrot kaufen und sie rief laut im Flur: „Michael? Hörst du mich? Ich fahre jetzt einkaufen!“

„Jaaaa.“ Immer diese Störungen mitten im Gedanken. Michael seufzte und ließ den Füller sinken. Doch nach einer Weile dachte er: Eigentlich könnte Markus mitmachen, hab nicht so richtig Lust mit Mama alleine.

Susannes spontaner Einkauf entpuppte sich umfangreicher, als gedacht. Soeben lud sie die vollgepackten Taschen und Tüten aus dem Auto, trug sie zur Terrasse hinters Haus und stapelte sie auf dem Tisch, rangierte ihr Auto nun in die enge Garage und sehnte sich zum x-ten Mal nach einem breiten Carport. Auf einmal kam es ihr so vor, als riefe jemand ihren Namen und sie schaute sich suchend um. Die Nachbarin, Helene Weber, stand am Weg, sie musste also nach ihr gerufen haben – und jetzt kam die auch eilends angelaufen.

„Hallo, Frau Schnells, hallo. Sie müssen sich unbedingt in der Schmiede, ach herrje, ich muss mich endlich mal an den Namen Bergers-Markt gewöhnen, die wunderschöne neue Gartenanlage ansehen, das Paradies!“, rief Frau Weber lachend, sofort zum Thema kommend.

„Da war ich schon, sogar pünktlich am Eröffnungstag, ich glaube es war vor drei Wochen, ja genau, in der Woche vor Ostern. Es wird Gartenparadies genannt, es ist schön und umfangreich, ein richtiger Anziehungspunkt. Selbst wenn man nicht vor hat etwas zu kaufen, nur langsam durch die Gänge schlendern dürfte schon ein Besuch wert sein. Eine prächtige Idee, auf diese Weiße bekommt der Baumarkt doch auch noch mehr Kundschaft. Ich finde es super und wir müssen nicht mehr bis in die Stadt fahren.“

„Ja, stimmt, ich bin gerade dabei einzupflanzen, was ich heute gekauft habe, ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Helene Weber wendete sich ab, machte ein paar Schritte als wolle sie wieder gehen, blieb dann jedoch abrupt stehen und drehte sich erneut ihrer Nachbarin zu. Ein wenig zögerte sie noch, vielleicht sollte ich lieber nicht – doch ihre Neugierde war viel zu stark. „Ach, sagen Sie Frau Schnells, wo hat Ihr neuer Freund denn das Schild gekauft?“

„Mein Freund?“ Susanne blieb für Sekunden der Mund offen stehen, sie sank auf die Treppenstufen, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, brauchte einen Moment um das Gehörte zu verdauen. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien das Bild der dürren Tratsche aus dem kleinen Café vor ihrem inneren Auge und sie schüttelte den Kopf. Das darf nicht wahr sein. Gleich darauf ließ sie ihre Hände sinken und erhob sich, um einige Schritte auf die Nachbarin zuzugehen. Leicht tadelnd sah sie diese an und fragte: „Frau Weber, Frau Weber, wem haben Sie das denn schon alles erzählt? Das war ein Herr Hauff, er hat unser entwendetes Schild wiederbeschafft und morgen werden Michael und ich es erneut beim Steg befestigen. Wir wollen nach langer Zeit dazu picknicken.“ Susanne musste sich zwar gestehen, wenn sich Herr Hauff melden würde wie er es sagte, das wäre okay, ja, aber ihr Freund? Nein, daran war doch überhaupt nicht zu denken! Sollte er tatsächlich anrufen oder gar herkommen, sie könnte sich darüber freuen, ja, ganz bestimmt sogar, aber Freund? Er war ein netter neuer Bekannter, ja, sie lächelte die verdutzt dreinschauende Frau Weber an. „Da fällt mir ein, möchten Sie nicht mitmachen? Mit uns zum Steg gehen, zum Picknick?“

Frau Weber zierte sich ein wenig, zu blöd, dass ihr das Wort Freund rausgerutscht war. „Meinen Sie wirklich, soll ich?“

„Ja bitte, immerhin sind wir schon seit Jahren Nachbarinnen! Außerdem kann ich Ihnen dann die peinliche Sache mit dem Schild erzählen.“ Susanne fand ohnehin schon lange, dass in dieser Kleinsiedlung alles viel zu fremd zuging. Wie in einer Großstadt. Außer den täglichen Grüßen, falls man sich überhaupt mal zu Gesicht bekam, in denen man vielleicht noch kurz das Wetter ansprach, blieb doch alles hinter den jeweiligen Haustüren verborgen. Na gut, die meisten Nachbarn waren berufstätig und sicher auch froh, wenn sie nicht mit Erzählungen irgendwelcher belangloser Tagesabläufe belästigt wurden. Frau Weber war da die große Ausnahme, sie hielt sich nun mal sehr oft in ihrem Vorgarten auf und sobald sich etwas auf der Straße bewegte, was nun wirklich nicht so oft vorkam, wurde ihr Interesse geweckt und sie begann ein Gespräch, versuchte es zumindest, und bekam auch irgendwie immer etwas heraus. Möglicherweise hörte sie auch mehr, als ihr anvertraut wurde? Vielleicht kombinierte sie auch so einiges in die falsche Richtung, so wie eben die Sache: Freund Hauff. Eventuell ließ sich gerade damit die Zurückhaltung der Leute erklären?

Als Mark Schnells gestorben war, gab es kurzfristig drei oder vier Gespräche zwischen ihnen, doch schon bald stellte sich leider wieder die übliche Distanz ein, von der eigentlich kein Mensch wirklich wusste, warum das denn so war. Susanne nahm sich augenblicklich vor: Das muss sich ändern! Den ersten Schritt ging sie soeben, sie bat Helene Weber ihr Gast zu sein, beim Picknick für den morgigen Samstag. „Oder haben Sie schon was vor?“

„Nein, ich komme gerne, vielen Dank für die Einladung.“

Susanne verstaute die Einkäufe und suchte gleichzeitig nach dem Rezept für den Salat, ihr eigenes Rezept, obwohl das eigentlich nur einige schnell notierte Zutaten waren, welche sie vor Jahren selbst zu einem Hauptmenü erdachte und es auch mehrfach ausprobierte. Genau das müsste die Nachbarin beeindrucken, mit Sicherheit! Susanne hörte ihren Sohn die Treppe herunter sprinten. Er kam direkt zu ihr in die Küche und legte seine Arme von hinten um ihre Taille. Das hat er schon ewig nicht mehr gemacht, dachte Susanne belustigt.

„Entschuldige Ma, dass ich vorhin so kurz angebunden war, aber auch wenn Mathematik mein liebstes Fach ist, denken muss ich trotzdem dabei!“

Susanne drehte sich um und nahm ihren Sohn in die Arme. Sie strich ihm gedankenverloren übers Haar und hielt plötzlich überrascht inne, bemerkte erstaunt: „Du bist gewachsen!“

Michael lachte herzhaft. „Das hättest du wohl gerne, dass ich so klein bleibe?“, dabei zeigte er mit einer Hand etwa in Höhe seiner Knie. „Übrigens, ich dachte zum Picknick könnte doch Markus auch kommen, oder?“

„Natürlich, wenn du das möchtest, lade deinen Freund ein. Damit sind wir dann schon vier. Du wirst staunen, wen ich soeben eingeladen habe, dreimal darfst du raten, also – was meinst du?“

Michael überlegte: „Frau Pieper?“ Er sah seine Mutter an, doch sie schüttelte nur wortlos den Kopf.

„Das kleine Mädchen von gegenüber? Rosa oder so?“

Und wieder Mutters Kopfschütteln.

„Sag schon, wen dann?“, fragte er ungeduldig.

„Frau Weber!“

Überaus langsam setzte Michael sich auf einen Stuhl, er sah seine Mutter an, als sehe er gerade einen Geist.

„Micha – was ist denn, hey – findest du das so schlimm? Sie ist doch ganz alleine und nur deshalb so neugierig. Außerdem hat sie unser Schild neben der Haustüre stehen sehen und ganz falsch gedeutet. Herrn Hauff hat sie wohl auch gesehen und sich ihren ganz speziellen Reim darauf gemacht.“ Susanne schwieg kurz. „Anscheinend erzählt sie jetzt herum, ich hätte einen neuen Freund“, erklärte sie. „Darum fand ich, die Einladung war nötig!“

Da ging plötzlich ein eigenartiges Grinsen über Michaels Gesicht. Die Idee kam ihm wie ein Blitz und begann, sich augenblicklich in seinem Kopf auszubreiten. Seine Mutter war jedoch viel zu beschäftigt, um dies bewusst wahrzunehmen. Wie sollte sie aber auch ahnen, dass inzwischen ein ganz bestimmtes Telefonat erfolgt war.

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