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Helene Weber fuhr, nach der Aufregung über das Nachbarkind, in den Ort zum Supermarkt, um ihren wöchentlichen Einkauf zu tätigen. Außerdem war das nach dem Schrecken von vorhin eine gute Ablenkung. Eventuell sogar wie eine Therapie, dachte sie bei sich und änderte ganz spontan unterwegs ihren Kurs. Die Idee, mal eben in Bergers-Markt durchs Gartenparadies zu schlendern, kam ihr plötzlich. Nur hindurch schreiten und schauen, einfach nur, um auf andere Gedanken zu kommen. Bei der Gelegenheit konnte sie auch endlich Noppen für die Stuhlbeine kaufen, die bei ihrem letzten Einkauf in Vergessenheit geraten waren. Nun gab es ja in Bergers-Markt, ziemlich nahe am Eingang, dieses breite Brett, die Vorrichtung für Aushänge aller Art. Ständig hielten sich irgendwelche Leute davor auf und schienen sämtliche Karten und Zettel genauestens zu studieren. Helenes Interesse dafür hielt sich in Grenzen, was hätte sie dort auch suchen oder finden sollen? Immer lief sie achtlos daran vorbei. Doch heute war sie nicht so ganz bei der Sache, es war auch ziemlich viel Betrieb, schon mehr ein Menschengedränge. Dieses niedliche Kind und solch eine Rabenmutter, beschäftigte sie gerade wiederholt gedanklich, dann mussten sie wohl irgendwie einige Leute von dem direkten Weg in den Markt abgedrängt haben. Sie bemerkte es gar nicht richtig, jedenfalls stand sie nun doch vor dieser Aushangtafel. Natürlich ohne wirklich etwas zu lesen, oder? So was Dummes, tadelte sie sich selbst, wollte sich abwenden und weiter gehen, da stutzte sie, was war das? Bruchstücke eines Textes verdrängten kurzfristig die Sorgen um die kleine Nachbarin, was hatte sie soeben gelesen? … für Vater – gut kochen – Bergstraße 10? Augenblicklich war sie hellwach. Sekunden später entdeckte sie den Aushang wieder. Da ging es doch um Herrn Scholz! Unverkennbar! Also wollten seine Kinder ihn nicht ins Heim stecken, sondern? Helene wusste was zu tun war. Wenn ich das doch nur geahnt hätte. In rasanter Geschwindigkeit verließ sie den Baumarkt. Keine Noppen, schon wieder nicht, und auch kein Paradies! Sie lenkte ihr Auto zum Supermarkt und kaufte strickt nach ihren Einkaufnotizen ein, auf keinen Fall noch hier und da schauen, nur so viel Aufenthalt wie nötig. Sie beeilte sich so schnell es eben ging, verstaute schließlich den Einkauf im Kofferraum ihres Wagens und fuhr zurück. Nur schnell, schnell zum Nachbar Scholz! Sie lud auch nicht erst die Waren zuhause aus, sie fuhr vorbei an ihrem Haus direkt zu Otto Scholz.

Hans-Peter öffnete die Haustür. Woher kannte er bloß diese Frau? Wo konnte er die schon gesehen haben? Wollte sie etwa auch bei Vater …?

„Hallo, Herr Scholz, ist Ihr Vater da? Ich habe in Bergers-Markt den Aushang gelesen und bin direkt her gefahren. Wenn Sie noch niemand zugesagt haben, dann würde ich gerne die Haushalt-Betreuung bei Ihrem Vater übernehmen. Wir kennen uns, ich bin Helene Weber von schräg gegenüber aus Nummer 5“, dabei nickte sie mehrmals Herrn Scholz‘ Sohn freundlich zu.

„Ach so, ja, jetzt erkenne ich Sie, kommen Sie doch rein.“ Seinem Vater, der hinterm Haus den Kleistereimer reinigte, rief er zu: „Hier ist Frau Weber. Sie bietet sich für den Posten an.“

Otto Scholz unterbrach seine Beschäftigung und kam näher. Das ist ja ein merkwürdiger Zufall, dachte er staunend, da hätte ich auch selbst drauf kommen können. „Bin schmutzig, kann Ihnen die Hand nicht reichen. Danke Frau Weber, das finde ich nett von Ihnen. Dann kann mein Sohn die Zettel entfernen. Möchten Sie einen Kaffee?“

„Ja gerne. Heißt das, ich habe die Stelle?“

Otto Scholz nickte. „Haben Sie, und von mir aus können Sie morgen schon anfangen. Gehe mir eben die Hände waschen, bin gleich wieder da.“

Hans-Peter goss Cappuccino auf, servierte ihn, aus Rücksicht auf die Renovierungsgerüche und auch Unordnung, in großen Tassen draußen am Gartentisch. Als sein Vater hinzukam, die Tassen sah und deren Inhalt erkannte, begann er augenblicklich zu meckern: „Mensch, Junge, das moderne Zeug, vielleicht würde Frau Weber doch lieber einen normalen Kaffee trinken?“

„Nein, nein das ist schon in Ordnung, ich trinke das moderne Zeug gerne“, lachte Helene. „Ich fange wirklich morgen an, um welche Zeit ist es Ihnen denn recht?“

„Schön wäre es um neun, allerdings nur, wenn Ihnen die Zeit auch zusagt?“

Helene Weber nickte und Hans-Peter freute sich. „Das ist gut, dann frühstücken wir gemeinsam und besprechen dabei alles Weitere. Wenn dann hier alles wieder ordentlich auf seinem Platz steht, kann ich den Rest der Woche noch ein wenig Urlaub mit meiner Familie genießen. Die werden sich freuen, dass es so schnell geklappt hat und noch so günstig dazu!“ Sogleich bemerkte er aber Frau Webers plötzliches Stirnrunzeln und erkannte, sie verstand es anders als von ihm gemeint und hängte eilends eine Ergänzung an: „Mit günstig meine ich, dass Sie nur über die Straße einige Schritte gehen brauchen, Frau Weber. Wird Ihnen das nicht komisch vorkommen, eine Arbeit anzunehmen?“

Die Gefragte stellte ihre Tasse ab und bekannte: „Ich habe keine Ahnung, aber es war blitzartig in meinem Kopf, als ich die Anfrage gelesen habe, darum denke ich, es soll so sein!“

In Hochstimmung packte Helene später zuhause ihren Einkauf aus. Sie war inzwischen völlig abgelenkt von der kleinen Rosi und bemerkte es nicht einmal. Neues Denken kreiste in ihrem Kopf und sie lief anschließend sofort hinüber zu Susanne. Die Neuigkeit musste sie unbedingt der Freundin mitteilen. Und kaum war die Klingel gedrückt, da öffnete sich auch schon die Haustür.

„Hallo Helene, du bist das, komm rein es gibt was Neues. Leider habe ich nicht lange Zeit, jeden Augenblick kann mein Telefon läuten. Stell dir vor, Brigitta kommt. Die, die den Spanier, den Matador geheiratet hat. Davon habe ich dir mal erzählt, weißt du noch?“

„Natürlich weiß ich das noch und sie darf dich auf einmal besuchen?“, tat Helene überrascht. „Oder kommt ihr Torero sie wieder einsammeln?“

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht.“ Immerhin verbot der besagte Torero seiner Frau damals sogar zur Beerdigung ihres Bruders nach Deutschland zu reisen. Als sie einige Wochen später trotzdem heimlich hier erschienen war, holte er sie umgehend zurück. Damals war Brigitta so weit gewesen, nicht nach Spanien zurückzukehren, sie hätte die Scheidung eingereicht, doch dieser stolze Mann ließ es nicht zu!

„Brigitta machte nicht die geringste Andeutung“, bekannte Susanne. „Bin ja so gespannt auf sie. Wir haben uns immer sehr gut verstanden und ich freue mich auf meine Schwägerin.“

„Ich freue mich mit dir, aber auch für mich selbst. Ich habe nämlich ebenfalls eine große Neuigkeit, wenn wir schon dabei sind, du wirst staunen! Stell dir vor, ich habe eine Arbeitsstelle angenommen! Was sagst du dazu?“ Helene schaute neugierig zur Freundin.

Susanne war zuerst nur sprachlos, verstand sie das richtig? Zur Sicherheit hakte sie lieber mal nach: „Sagtest du gerade, du hast jetzt eine Arbeitsstelle?“

„Genau das sagte ich – willst du denn nicht wissen, wo?“

„Nun spann mich nicht so auf die Folter, also wo?“

Helene kam nicht mehr dazu zu antworten, das Telefon unterbrach sie und Susanne sagte nur noch schnell: „Helene warte“, dann hob sie den Hörer ab. „Brigitta? Wann? Eine viertel Stunde? Ich fahre sofort los, bis gleich.“ Sie legte den Hörer auf und wendete sich wieder Helene zu. „Sag’s mir rasch!“

„Morgen, 9 Uhr kannst du mich Richtung Bergstraße 10 gehen sehen. Ab sofort bin ich die Haushälterin von Herrn Scholz!“

Susanne nahm Helene in die Arme. „Du bist wahnsinnig, weißt du das?“

Helene nickte nur, hoffentlich habe ich da nicht zu übereilt gehandelt, meldete sich ein winziger Zweifel bei ihr. Gleich darauf verließen beide das Haus. Susanne, um in die Stadt zum Bahnhof zu fahren und Helene, um erst einmal in ihrem Schaukelstuhl alles gründlich zu überdenken. Sie tat tatsächlich heute einen Schritt, mit dem sie nicht nur Susanne, sondern am meisten wohl sich selbst überraschte.

Unabwendbare Zufälligkeiten

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