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Alles war bereit für das geplante Picknick. Micha trug schon die Klappstühle zum Steg und auch den Campingtisch. Soeben ergriff er Spaten und Vorschlaghammer, dann nichts wie ab zum Steg damit. Schließlich kümmerte er sich noch um das vermeintlich geklaute und wiederbeschaffte Verbotsschild. Es war ein wenig sperrig zu tragen und er zog es neben sich her durchs Gras, legte es neben dem Steg ab. Er sah sich um, noch war niemand zu sehen und erneut lief er zurück zum Haus.

Seine Mutter rief ihm zu: „Micha nimm Kissen mit und auch Decken aus der Truhe, wer weiß, so warm ist es ja noch nicht.“

„Jawohl Mama. Dann bin ich aber auch genug hin und her gelaufen und bleibe gleich am Steg, Markus wird sicher jeden Moment da sein.“ Michael grinste innerlich, er war gespannt auf das Gesicht seiner Mutter, auf ihre Reaktion, wenn außerdem plötzlich seine eingeladene Überraschung dastehen würde.

Inzwischen zeigte die Uhr 14:22 und Frau Weber traf mit einem hübsch verzierten Tablett ein, worauf einige Schüsselchen mit verschiedenem Beerenobst gefüllt, platziert waren. „Da bin ich, war noch schnell Beeren kaufen für uns. Meine sind noch nicht reif“, grinste sie.

„Oh, Frau Weber, das ist eine gute Idee, danke“, freute sich Susanne. Dann schritten beide Frauen voll bepackt zum Fluss.

Markus war schon da und grüßte höflich wie immer oder war er heute besonders freundlich? Michael zog seinen Freund am Ärmel den Pfad entlang und sie entschwanden den Blicken der Frauen. Sehr komisch, Susanne schüttelte den Kopf, irgendwie verhielten sich die Jungen merkwürdig, oder? Bald war der Tisch gedeckt und sobald es die beiden Buben fertig bringen würden wieder zu erscheinen, konnte der gemütliche Nachmittag mit leckeren Schlemmereien beginnen. Doch vorher füllte Susanne zwei Gläser mit Saft, reichte eines Frau Weber und stieß mit ihr an, als wäre es Sekt. „Liebe Frau Weber, ich bin dafür, dass wir uns duzen, Prost!“

„Genau das schwebte mir auch schon vor, also, ich bin die Helene.“

„Und ich bin Susanne und ich wünsche mir, dass wir ab sofort ein freundschaftliches Verhältnis pflegen!“

„Unbedingt Susanne! Und ich wünsche mir, dass wir uns gegenseitig unterstützen und helfen, wann immer es nötig ist!“

Beide Frauen nahmen inzwischen auf Stühlen ihre Plätze ein, nippten am Saft, als Susanne auffiel: „Komisch, ein Stuhl ist zu viel, Michael kann nicht mehr bis vier zählen.“

Helene lächelte, sie saß Susanne gegenüber, ihre Sicht ging in Richtung Pfad, dorthin, wo vorhin die Jungen verschwunden waren. „Es ist sehr schön hier, vielleicht können wir das in Zukunft öfter mal …“ Helene bekam plötzlich große, erstaunte Augen und brachte es nicht fertig, ihren angefangenen Satz zu beenden.

Susanne sah fragend zu ihr hin und es ging ihr durch den Kopf: Was haben denn die Jungen jetzt schon wieder angestellt?, als eine Stimme sie herumfahren ließ.

„Darf ich mit picknicken?“

Susanne erkannte ihn sofort, es war Frank Hauff. Sie erhob sich langsam von ihrem Stuhl und ergriff seine Hände, die er ihr entgegenhielt. Sie war dermaßen überrascht, sie brachte kein Wort hervor und nickte nur. Dafür also ein zusätzlicher Stuhl! Michael musste das irgendwie eingefädelt haben. Jetzt kam ihr auch seine komische Grimasse zu Bewusstsein von gestern, als sie ihm von Frau Webers Verdacht: ‚Freund Hauff‘ erzählte. „Das gibt es doch nicht!“, rief sie jetzt übertrieben laut und versuchte sich der Magie, die ganz offensichtlich von diesem Mann ausging, zu entziehen.

Die Jungen hüpften indes vor Freude um beide herum. Die Überraschung war bombig! – Frank Hauffs Anruf war während Susannes Einkauf erfolgt. – Michael erzählte ihm natürlich gleich vom Picknick und er war augenblicklich einverstanden gewesen, als Micha ihn spontan dazu einlud. Mutter damit zu überraschen, dachte er sich aber erst in dem Moment aus, als er den Weber-Klatsch von ihr hörte.

Aber jetzt: Susanne Schnells sah Frank Hauff an, er sah gut aus und seine Augen? War das Freude? Und was empfand sie selbst? Ich muss etwas zu ihm sagen, dachte sie, etwas sagen, sagen, schwirrte es in ihrem Kopf. Doch sie konnte nur unentwegt in seine Augen schauen und um sie herum entstand eine seltsame Stille, kein Laut war zu hören, nicht einmal das Gurgeln des Flusses nahm sie wahr, und sie befand sich irgendwo in einem absoluten Nichts! Sämtliche Geräusche um sie herum schienen verstummt zu sein. Diese magische Stille schien gleichzeitig auch ihren Mund zu verschließen, obwohl sie immer noch versuchte etwas zu reden, ganz einfach nur irgend etwas.

Aber auch Frank Hauff schwieg, warum nur schwieg er?

Wie viel Zeit war vergangen? Sekunden? Minuten?

„Wir haben einen Mordshunger Mama, wann gibt es was zu essen?“ Michael unterbrach unbarmherzig diese gefühlvollen Augenblicke.

Und seine Mutter bemühte sich, in die Gegenwart zurück zu finden und flüchtete, erschrocken über ihre eigene unbekannte, gar seltsame Empfindung, in leichte Burschikosität. „Sieh dir das an, Helene. Diese Lauser, die bringen mich vollkommen aus dem Konzept. Das ist übrigens Frank Hauff, der unser Schild wieder beschafft hat, ach, das erzähle ich dir später mal etwas genauer!“

Helene war aufgestanden. „Wer dich aus dem Konzept bringt, na ja, die Jungen sind das eher nicht, denke ich“, nuschelte sie ihrer neuen Freundin ans Ohr und wandte sich spontan Frank Hauff zu, reichte ihm die Hand und stellte sich selbst vor: „Ich bin die Nachbarin, Helene Weber, sagen Sie bloß, Sie sind der Mann mit dem Jeep?“

„Ja genau, aber den habe ich heute nicht dabei“, lächelte er verschmitzt und wendete sich den Jungen zu, die ihm erst vorhin vom Weber-Klatsch petzten, beziehungsweise auch beichteten, dass Mutter nichts von seinem Besuch ahnte. Er tuschelte über etwas mit ihnen, dann reichte er Michael seinen Schlüsselbund und die Buben rannten durch den Pfad davon. Als sie bald darauf zurückkehrten, lieferten sie nicht nur Blumen ab, sondern auch eine Flasche Sekt im Kühlbeutel, beides übergaben sie Frank Hauff.

„Darf ich?“ Frank Hauff legte die Blumen in Susannes Arme.

„Danke“ hauchte sie, denn immer noch stand sie ziemlich neben sich. Vorsichtig brach sie dann eine gelbe Rose aus dem üppigen Strauß, die sie Helene reichte. Nur langsam wich der soeben erlebte eigenartige Bann der Freude. Es kam ihr vor, als hätte sie gerade etwas Wunderbares und überaus Wichtiges gefunden, etwas, zum nicht wieder loslassen.

Doch zuerst kehrte der Alltag zurück in Gestalt einer recht fröhlichen Runde, die Susannes Kochkünste nicht nur ausgiebig lobte, sondern auch die Ergebnisse schnell schmälerte. Der bunte Reissalat wurde zum besonderen Hit, kurz gesagt, die Esserei zog sich ziemlich lange hin. Während dem wurde die komplette Geschichte ausführlich, ab ‚Angler am Steg’, Helene und Markus kundgetan. Natürlich kam auch Helenes Verdacht ‚neuer Freund‘ nicht zu kurz. Dies war dann auch wiederum der Punkt, endlich die Flasche Sekt zu entkorken und nachdem selbst die Jungen vom Inhalt kosten durften, waren sich alle einig, ab genau diesem Augenblick Freunde zu sein. Das förmliche Sie wurde zum zwanglosen du. Doch, auch wenn es noch so schön war, die Dämmerung konnte niemand aufhalten. Nun war Eile geboten, schließlich musste das Schild noch aufgestellt werden. So befestigten sie feierlich und mit Franks Hilfe das Verbotsschild neu im Boden. Es war spät geworden und gemeinsam trugen sie alle Picknickgegenstände zurück zum Haus.

Helene umarmte Susanne, und gestand: „Es war so schön mit euch, ich könnte vor Rührung heulen“ und verabschiedete sich.

„Ja, Helene, heute war ein wunderschöner Tag“, stimmte Susanne versonnen zu.

„Und der ist auch noch nicht zu Ende“, kicherte Helene und zwinkerte ihr vielsagend zu. „Ich geh dann mal, gute Nacht.“

„Gute Nacht“, antworteten sie ein wenig kanonartig und winkten ihr nach.

Susanne war glücklich, diesen Tag würde sie nie und nimmer vergessen! Und wie auch immer es nun weiter gehen würde, irgendetwas war heute geschehen, das spürte sie sehr deutlich.

Frank lief mit den Jungen zum Parkplatz an sein Auto. Markus wurde nach Hause gefahren, obwohl er fand: „Das Stück kann ich doch laufen.“ Aber er kannte Frank noch nicht wirklich. Der bestand nämlich darauf, ihn mit Michael zu bringen und erklärte: „Man lässt einen Freund im Dunkeln nicht alleine gehen!“ Nun warteten Frank und Michael im Hof bei Piepers bis Markus die Haustüre hinter sich schloss, dann wendete Frank und fuhr zurück. „Jetzt bringe ich dich nach Hause, Michael. Ich glaube, ich muss mich noch ordentlich von deiner Mutter verabschieden und mich vor allen Dingen bei ihr bedanken für den schönen Tag. Das habe ich vorhin völlig verschwitzt.“

Michael grinste, als ob er nicht gewusst hätte, dass Frank noch mit Mama reden wollte, oder so. Vielleicht war es ein wenig vorlaut, aber Michael sagte es trotzdem: „Fahr vor die Garage, von der Straße runter, du bleibst ja doch noch länger!“

Und Frank gehorchte dem klugen Zwölfjährigen.

Ziemlich verschlafen schaute Michael aus seinem Zimmer, erst mal die Lage peilen, vielleicht …? Das Bad war frei. Schneller als jemals zuvor war er mit Duschen fertig, kleidete sich an und stieg vorsichtig, ganz gegen seine Gewohnheit jedes Knarren der Holzstufen vermeidend, die Treppe hinab. „Hi, morgen, ihr sitzt ja schon beim Frühstück, warum habt ihr mich denn nicht geweckt?“ Er setzte sich auf seinen Bankplatz und griff nach einer Scheibe Brot. Und als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, verlor er kein einziges Wort darüber, dass Frank über Nacht geblieben war.

Der Junge ist ein Schatz, dachte Frank beeindruckt.

„Michael, ich habe Frank eingeladen seinen Rest-Urlaub bei uns zu verbringen“, begann Susanne. „Natürlich nur, wenn du auch damit einverstanden bist?“

„Mm“, Michael nickte kurz. „Klar, kann er, und was stellen wir heute an?“ Die Schnelligkeit, mit welcher dieser Junge die neue Situation begriff und für sich nutzte, war bemerkenswert.

„Schlag was vor“, bat Frank schmunzelnd.

„Wir könnten in den Zoo fahren“, fand Michael.

„Aha – in den Zoo?“, rief Frank begeistert.

Susanne klärte ihn lachend auf: „Spricht Micha vom Zoo, meint er eigentlich Aquarium!“

„Das ist gut, richtig gut, das machen wir!“ Frank sprang auf. „Ich setze schon mal mein Auto raus“, rief er erfreut.

Kurze Zeit später fuhren sie schon auf der Autobahn. Da war also etwas, eine Gemeinsamkeit der beiden Männer, ein Hobby? Zumindest aber großes Interesse an Fischen und sonstigem Wassergetier, und diesmal spielte wenigstens die Angel keine Rolle. Eigentlich hegte Susanne eher die Hoffnung, ihr Sohn würde einige Stunden mit seinem Freund Markus verbringen wollen, doch da täuschte sie sich wohl. Andererseits konnte sie mehr als zufrieden sein, dass er sich mit Frank so gut verstand. Besser konnte es doch gar nicht kommen. Sie wunderte sich über sich selbst, dachte an ihren verstorbenen Mark, bisher fiel es ihr im Traum nicht ein, sich nach einem Mann auch nur umzudrehen, hielt es eigentlich auch nicht für möglich, sich noch einmal zu verlieben, aber jetzt – Frank! Da war gleich so viel Vertrauen zwischen ihnen gewesen. Durch einige Zufälle, die Susanne ein wenig anders sah als die meisten Leute, war er einfach da, so, als sollte es so sein. Oder, als wäre es nie anders gewesen.

Frank sah zu Susanne hinüber. „Na, so in Gedanken?“ Er ergriff Susannes linke Hand und drückte sie leicht.

„Ja, mir fiel eben ein, dass wir uns vorigen Samstag noch gar nicht kannten und es doch ist, als würden wir uns schon ewig kennen.“

Von der Rückbank meldete sich Michael: „Jetzt kommt das mit der Vorsehung“ und es hörte sich mehr wie ein Stöhnen an, „die uns führt. Mama glaubt nämlich, es gibt keine Zufälle, aber das wird sie dir mit der Zeit schon noch klar machen!“

Frank lächelte. „Schicksal Michael, glaube ich auch nicht, Micha, ich auch nicht. Zufall, das ist ein Wort, das eben mal so dahin gesagt wird, doch sehr oft eine viel ernstere und manchmal auch große Bedeutung haben kann. Aber gleich sind wir da, wir können ein anderes Mal darüber reden.“

„Och, lass mal, das muss nicht sein“, äußerte sich Michael träge, und dachte: Da haben sich ja die Richtigen getroffen. Ob Zufall oder nicht, das ist mir doch so was von egal.

Der Besuch des Aquariums nahm viel Zeit in Anspruch, sehr viel, sodass Susanne manchmal mehr die zwei männlichen Wesen betrachtete, anstatt die Wasserbewohner und sich außerdem auch manchmal wie das ‚fünfte Rad …‘ vorkam. Die zwei mussten die einzelnen Fische und sonstige Wassertiere nämlich genauestens besehen und studieren, hielten sich langatmig mit den Namen auf und ob Flossen oder Farbmuster, es war alles derartig interessant, die Zeit flog für Michael und Frank einfach nur so dahin, was Susanne ganz und gar nicht von sich behaupten konnte. Einfacher gesagt, sie zog schon eine Weile ‚ein Gesicht‘, denn für die Besichtigung des Zoos blieb nur noch der Schnelldurchlauf.

„Wir fahren noch mal her, dann machen wir es umgekehrt“, versprach Frank und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Und das hörte sich gerade so an, als habe Frank vollkommen vergessen, nur noch wenige Tage seines Urlaubes mit ihnen zu verbringen.

Unabwendbare Zufälligkeiten

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