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„Ganz bestimmt nicht“, murmelte Frank vor sich hin und lenkte sein Fahrzeug in die Bergstraße. In jene schwach ansteigende Straße, auf welcher er zum Angeln zu dem kleinen Parkplatz gefahren war. Doch diesmal führte sein Weg daran vorbei. Noch eine schwache Rechtskurve, das erste Haus tauchte auf, eines der beiden, welche vom Parkplatz aus für einen aufmerksamen Betrachter zu sehen oder mehr hinter Bäumen zu erahnen waren. Bisher beschäftigte er sich gedanklich nicht damit, ob und wie viele Gebäude oder eventuell gar Wohnhäuser hier existieren könnten, warum sollte ihn das interessieren? Er wollte nur seinem Hobby nachgehen und angeln. Dass es sich in diesem Falle so ergab, die Fische als Menü-Anreicherung der Restaurantküche zu fangen, war ihm gerade recht gewesen. Angeln war nun mal sein Hobby und die Möglichkeit für die Speisekarte Forellen zu fangen auch immer noch besser, als den Fang wieder frei zu lassen. Ja, Frank Hauff konnte keiner Fliege etwas zuleide tun, geschweige denn Fischen. Für ihn war sein Hobby wirklich nur Angel-Sport!

Das nächste Haus dürfte die 7 sein. Es war ein gepflegtes kleineres Haus. Durch einen schönen eingezäunten Vorgarten führte ein schmaler gepflasterter Fußweg zur Haustür. Das Gartentürchen stand einladend offen. Frank parkte und trat ein, lief über den Fußweg, stieg über zwei Stufen auf ein Podest und drückte den Klingelknopf.

Als sich die Tür öffnete, stand der Junge von vorhin vor ihm. Und ehe Frank noch etwas sagen konnte, rief der laut ins Haus hinein: „Mama, der Angler ist da!“

Susanne erschrak, oh Gott, Michael hörte sich grantig an, war das jetzt unhöflich? Oder? Dann stand sie dem Fremden im Halbdunkel gegenüber und musste schlucken, viel erkannte sie nicht von ihm. Nebenbei bemerkte sie, wie ihr Sohn den Weg in sein Zimmer fortsetzte, anstatt erst einmal abzuwarten.

„Hallo, sind Sie Frau Schnells?“, fragte der Fremde schroff.

„Ja, das bin ich, entschuldigen Sie die Unhöflichkeit meines Sohnes.“

Darauf ging Frank aber erst gar nicht ein. Er wollte nur so schnell wie möglich diese Angelegenheit hinter sich wissen, sich für etwas entschuldigen was er zwar getan, aber nur unwissend verschuldet hatte, dann diesem Ort aller schnellstens den Rücken kehren. Einen dringenderen Wunsch konnte er sich beim besten Willen derzeit nicht vorstellen. „Kommen Sie mit mir.“ Frank Hauff streckte seine Hand nach Susanne aus, ergriff ungeduldig ihre Linke und zog sie hinter sich her hinaus.

Susanne bemerkte einen dunkelgrünen Jeep. Sprach Michael nicht vorhin von einem Jeep? Sie sah sich nun den Mann erst einmal genauer an. Jetzt, bei Tageslicht, erkannte sie einen noch nicht sehr alten Mann, der geschmackvoll gekleidet war und so ganz und gar nicht wie ein Angler aussah. Was will der denn hier? Zaghaft entzog sie ihm ihre Hand, die er mit hartem Griff umspannte

„Schauen Sie mal, das müsste es sein“, begann Frank Hauff zielstrebig, doch im Aufsehen blickte er plötzlich in zwei blaue Augen und irgendwie, so schien es, stockte ihm für Sekunden der Atem. „Ich – äh – ich meine das Schild.“

Komischer Mann. „Wo haben Sie es gefunden? Woher wissen Sie denn überhaupt …?“, beeilte sich Susanne zu fragen und verstummte sogleich mitten in ihrem Satz. Hatte sie ihn etwa angestarrt? Seine Augen waren dunkelbraun, schon beinahe schwarz, unergründlich. Schaute er sauer, gar verärgert drein?

„Gefunden ist nicht das richtige Wort. Ich trage es hinein.“

Beide ergriffen sie gleichzeitig den Pfahl mit dem Schild und trugen es gemeinsam zum Haus.

Damit wurde natürlich die geplante Suche nach dem Schild an Fluss und Parkplatz, für Mutter und Sohn, hinfällig. Ebenso auch ein eventueller Neukauf. Weil aber Susanne nicht wusste, was sie von alledem halten sollte, andererseits auch neugierig war wo dieser fremde Mensch ihr Schild auftreiben konnte, überhaupt, dass er davon wusste und es her brachte – vielleicht doch nur ein Jungenstreich?, lud sie ihn kurz entschlossen zum Tee ein. Sie führte den Fremden ins Wohnzimmer. Während er im Sessel Platz nahm, ging sie rasch in die Küche und setzte Wasser auf. Am Treppenaufgang rief sie nach Michael: „Komm runter Micha und trink mit Herrn – oh – und mir Tee.“

Der Fremde begann laut zu lachen. Es war ein sympathisches und auch ansteckendes Lachen. Offensichtlich war er doch nicht allzu sehr verärgert? Susanne und Michael, der die Stufen herab sprang, mussten unweigerlich einstimmen. Damit war das Eis gebrochen.

„Entschuldigung, aber ich habe mich Ihnen noch gar nicht vorgestellt, ich bin Frank Hauff und habe zurzeit meinen dreiwöchentlichen Jahresurlaub. Das bedeutet für mich angeln und auch ein bisschen faulenzen.“ Und er wunderte sich über sich selbst, wieso er sich auf die Einladung zum Tee überhaupt einließ, war da nicht vorhin sein fester Vorsatz gewesen, diese Gegend schnellstens zu verlassen?

Im Gegenzug zum ersten Eindruck vom Angler, schien nun Michael auch beruhigt zu sein und beteiligte sich rege an der Unterhaltung. Er konnte Herrn Hauff sogar wider Erwarten dessen rechtswidriges Angeln verzeihen, noch ehe dieser die Geschichte vom verschwundenen und dann wieder gefundenen Verbotsschild erzählte.

Sie aßen Kekse zum Tee, während Frank Hauff berichtete wie er zu diesem Schild gekommen war. Susanne wusste über die Verhältnisse im Haus Agnes in etwa Bescheid, dass die es aber nötig hatten zu unerlaubten Mitteln zu greifen, noch dazu einen Gast animierten, mit Fische fangen zur Bereicherung der Küche beizutragen, nur, weil sich dieser Sport als sein Hobby entpuppte, das hätte sie nicht für möglich gehalten. Das ging entschieden zu weit! Sie würde die Namensträgerin des Hotels, ‚Agnes‘ Hackler darauf ansprechen müssen.

Frank Hauff erzählte auch von seinem anstrengenden Beruf als Abteilungsleiter in einem Großbetrieb, von derzeit zwölf Angestellten in seiner Abteilung und dass es deshalb in seinem Jahresurlaub so einfach wie möglich zuging. Er erzählte auch, dass er durch seinen Freund an dieses Hotel am Fluss Sieg mit Angelmöglichkeit gekommen war. Dies konnte nun wiederum nur bedeuten, Frank Hauff war nicht der erste Angler am Steg der Schnells! Allerdings der erste, der erwischt worden war! Das wäre auch die Erklärung dafür, dass immer wieder Fremde auf den Ufergrundstücken gesichtet worden waren. Wer weiß, wie viele Jahre das schon so ging? Eine ernsthafte Diskussion mit Frau Hackler wurde dringend nötig.

„Die letzten Jahre bin ich immer irgendwo am Bodensee gewesen“, erklärte Frank. „Nur diesmal ließ ich mich von Lukas überreden. Es war näher, ich sparte Anfahrtszeit. Lukas Rhode, er ist mein Stellvertreter in der Firma Hansen und gleichzeitig auch mein bester Freund.“

Mit Michaels Hilfe berichtete Susanne auch vom plötzlichen Tod ihres Mannes. Wie er damals im Winter versuchte, wie schon so oft davor, den angetauten Schnee vom Dach zu entfernen, als die Leiter, auf der er stand, seitlich zu rutschen begann und Mark herunterstürzte. Ihm wäre sicherlich nicht viel passiert in dem weichen, tiefen Schnee, aber da war diese kleine Mauer, alt, und im Sommer bot sie etlichen Blumenkästen Platz. Sie stand etwas geschützt und war inzwischen fast vollständig vom Schnee befreit gewesen, genau darauf war Mark hart mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Sein Genick war gebrochen, er spürte es wohl nicht mehr, hatte nicht leiden müssen. Kein wirklicher Trost für die Hinterbliebenen. Gerade noch lachend und scherzend, im nächsten Augenblick für immer schweigend. Es war alles so unvorstellbar schnell gegangen. Praktisch von einer Sekunde zur anderen waren sie völlig alleine auf sich gestellt gewesen. Eine sehr harte Zeit für Mutter und Sohn. Und diese kleine Mauer, die schon dort gestanden war als Mark das Haus kaufte, wurde von Michael mit seinen damals sieben Jahren wütend abgerissen. Mit Werkzeugen umzugehen, brachte ihm sein Vater früh bei. Die Mauer wäre eine bleibende Erinnerung an den Unfall gewesen, für beide unerträglich. Sie konnte und durfte nicht stehen bleiben! Die gesamten Reste der Mauer entsorgten sie nach und nach mit der Mülltonne, nichts sollte davon übrig bleiben!

Die Zeit war mit erzählen nur so verflogen und es war bereits dämmrig, als Frank Hauff in seinen Jeep stieg, wendete und Richtung Stadt davonfuhr. Sie winkten sich zu und er rief: „Ich melde mich!“ So, als wären sie alte Bekannte.

Unabwendbare Zufälligkeiten

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