Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 10

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In der Klosterstraße öffnete niemand, daher gingen sie davon aus, dass Sebastian Juhl noch bei der Arbeit war.

Die Autowerkstatt lag versteckt in einem Hinterhof. Wäre das Schild Ole Hanssons Autowerkstatt an der Tür nicht so markant, hätten sie sie nie gefunden. Und markant war das Schild mit kräftigen roten, gelben und blauen Farben – nicht weiter schön, was Mikkel Jensen zu einer Grimasse veranlasste, als er es sah. »Es ist bestimmt hier«, kommentierte er trocken, fuhr über den Bürgersteig hinein und parkte.

Die Werkstatt war ein niedriges Gebäude, das mehr an einen Hühnerstall als an eine Werkstatt erinnerte. Wenn man von den verrotteten Autos absah, die dahinter geparkt waren, hätte es ohne Weiteres Hühner beherbergen können. Aber der Mann, der sofort heraus ins Sonnenlicht kam, war ohne Zweifel Mechaniker und kein Geflügelzüchter. Er war saudreckig und trocknete die Ölfinger an einem Stück farbiger Putzwolle ab, während er sie mit schmalen Augen in einem fetten, unrasierten Gesicht abschätzig musterte. Seine Haare waren nach vorne gekämmt, um eine beginnende Glatze zu verstecken.

»Kriminalpolizei«, erklärte Roland und zeigte ihm seine Dienstmarke. »Wir würden gerne mit Sebastian Juhl sprechen.«

»Ole Hansson«, stellte sich der Mechaniker vor, wodurch ihnen schnell klar wurde, dass sie mit dem Eigentümer persönlich sprachen.

»Sebastian hat heute frei«, ergänzte er ohne ein besonderes Interesse, worüber die Polizei mit einem seiner Angestellten sprechen wollte.

»Weiß jemand, wo er ist? Bei ihm zu Hause war keiner«, fragte Roland ihn aus.

»Woher soll ich das wissen? Was meine Leute in ihrer Freizeit machen, geht mich nichts an.« Ole Hansson fuhr fort, seine Finger an der Putzwolle zu trocknen und Kaugummi zu kauen. Sie hielten sich wohl auch an das Rauchverbot, war Rolands erster Gedanke, bis er die Glut einer Zigarette in der dunklen Werkstatt erblickte. Rauchen war im Präsidium verboten, aber anscheinend nicht hier im Benzin- und Öldunst.

»Dürfen wir uns ein wenig umsehen?«, fragte er, und war höflicher als Mikkel Jensen, der schon auf dem Weg in die Werkstatt war.

»Worum geht’s?«, wollte Hansson schließlich wissen.

»Wie lange arbeitet Sebastian hier schon?«

»Es müssten jetzt ungefähr sechs Jahre sein, glaube ich. Er hat hier seine Lehre gemacht. Sobald er fertig ausgebildet war, hat er eine Stelle in der Werkstatt bekommen. Sebastian ist ein tüchtiger Mechaniker.« Ole Hansson sah ihn skeptisch an, während er ihm in die Werkstatt folgte, die nur von den Arbeitslampen erhellt wurde. Es gab keine Fenster und es roch nach Benzin. Alles wirkte schmutzig. In der Ecke waren Autoreifen aufgestapelt und überall lagen gebrauchte Motoren herum. An einer Wand hing ein ölfleckiges Bild eines Pin-up-Girls. In der Werkstatt waren zwei Mechaniker in ihre Arbeit vertieft. Der eine hantierte in der Schmiergrube unter einem verhältnismäßig neuen Fiat, der andere kümmerte sich um den Unterboden eines verrosteten weißen Lieferwagens, der auf einer Hebebühne aufgebockt war. Er war derjenige, der eine angezündete Zigarette zwischen den fülligen Lippen unter einem schwarzen Schnurrbart hängen hatte. Er schmiss sie schnell auf den Boden und trat die Glut aus, als er die beiden Fremden in schicker Kleidung erspähte. Sie könnten ja von der Gewerbeaufsicht sein. Er nahm seine Arbeit wieder auf und schaute sie nicht mehr an.

»Weiß einer von euch, ob Sebastian heute was vorhat?«, rief Ole Hansson. Aus dem Autograben wurde etwas Verneinendes gemurmelt und der an der Hebebühne zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Können wir uns kurz unterhalten?« Roland machte eine Kopfbewegung in Richtung eines abgeschlossenen Raums mit dreckigen Glasscheiben zur Werkstatt hin, in dem er das Büro vermutete. Undeutlich konnte er darin eine Kaffeemaschine und einen neueren Flachbildschirm ausmachen.

Ole Hansson nickte und öffnete die Tür zum Büro. Auch hier roch es nach Benzin. Roland spürte einen beginnenden Kopfschmerz. Mikkel blieb in der Werkstatt und beobachtete die Arbeit am Unterboden. Er bastelte in seiner Freizeit selbst an alten Autos, deswegen würden sie wohl hauptsächlich darüber reden.

»Wissen Sie etwas über Sebastians Familie?«, fragte Roland und lehnte dankend den ihm angebotenen Kaffee ab. Er konnte riechen, dass er lange in der Kaffeemaschine gestanden hatte. Ole Hansson schenkte sich etwas davon in einen großen, ölverschmierten Becher ein und trank einen Schluck.

»Nicht viel. Er redet nicht darüber. Aber was sollen die ganzen Fragen? Hat Sebastian was ausgefressen?«

»Nicht soweit wir wissen. Es geht um seine Mutter.«

Ole Hansson schüttelte mit einem besserwisserischen Lächeln den Kopf. »Soviel ich weiß, ist seine Mutter verschwunden, als er noch ziemlich klein war. Armer Junge. Sicher, dass ihr nach dem Richtigen sucht?«

Roland nickte langsam. Er war sich nun noch sicherer als vorher. »Was hat er sonst noch über seine Eltern erzählt? Wissen Sie beispielsweise, was seine Mutter gemacht hat?«

»Nee, es hat ihn keiner nach seiner Mutter gefragt. Das ist wie gesagt nichts, worüber er redet, und was soll das auch helfen. Sie ist nun mal verschwunden – oder nicht?« Nun stand dem Mann die Neugier in sein fettes Gesicht geschrieben. Roland wollte gerade etwas erwidern, als das Handy in seiner Tasche vibrierte.

Gert Schmidt sprach wie gewöhnlich so laut, dass er aus Sorge darüber, dass Ole Hansson das Gespräch mithören könnte, in eine Ecke des Büros ging. »Die Tote ist identifiziert. Es ist die Krankenpflegerin aus Silkeborg, die 1983 verschwunden ist. Der Zahnarzt hat es bestätigt.«

Er bedankte sich und legte schnell auf. »Ich glaube, wir müssen sehen, dass wir weiterkommen. Danke fürs Gespräch.« Er verließ das Büro und rief Mikkel zu sich. Die Sonne blendete, als sie hinaus auf den Hof gingen.

»Die Frau ist identifiziert. Sie ist es, also sollten wir jetzt den Sohn finden. Einerseits, um ihm die grauenhafte Nachricht zu überbringen, andererseits müssen wir Gewissheit haben, wie viel er über das Verschwinden seiner Mutter weiß.«

Mikkel nickte und folgte ihm widerwillig zum Auto. Die Arbeit in der Garage interessierte ihn anscheinend mehr.

Als sie erneut bei der Wohnung in der Klosterstraße klingelten, war immer noch keiner da, der aufmachte.

»Verflixt! Kurt besteht darauf, dass heute Nachmittag die Pressekonferenz stattfinden soll. Wir müssen vorher mit dem Sohn reden.« Er klopfte fest gegen die Tür. Es könnte ja sein, dass die Klingel in den alten Wohnungen nicht funktionierte. Ein junges Mädchen, das auf dem Weg die Treppe hoch war, schaute zu ihnen herunter und erkundigte sich, ob sie Sebastian besuchen wollten. Sie erzählte, er sei auf dem Weg, sie habe ihn nämlich gerade auf dem Bürgersteig gegrüßt, wo er einer alten Bewohnerin des Hauses aus einem Taxi geholfen habe. Roland murmelte einen unverständlichen Dank und sah ungeduldig auf die Uhr. Sie warteten im Treppenhaus, das nach altem Linoleum und Schmierseife roch. Dann hörten sie Stimmen aus dem Erdgeschoss und schwere, schleifende Schritte. Kurz darauf tauchte eine alte Dame zusammen mit einem jungen Mann auf, der sie fest untergehakt hatte und sie bei ihrem unsicheren Gang nach oben stützte. Er half der Alten die Treppenstufen zur nächsten Etage hoch und ließ ihren Arm erst los, als die krummen Finger festen Halt am Geländer gefunden hatten. Sie dankte ihrem Nachbarn und setzte den schleifenden Gang ins nächste Stockwerk fort, wo das junge Mädchen darauf wartete, sie in Empfang zu nehmen. Roland und Mikkel sahen sich vielsagend an. Von Jugendlichen kannten sie häufig mangelnden Respekt, Überfälle bei den Älteren zu Hause, Fälle von Gewalt gegen Senioren bis hin zu bestialischem Raubmord.

»Wollten Sie mit mir sprechen?«, fragte Sebastian mit einem unbekümmerten Lächeln und steckte den Schlüssel ins Schloss zu seiner Wohnung. Rolands Darm krampfte sich bei dem Gedanken zusammen, dass er dem jungen Mann den Tag ruinieren würde. Sie folgten ihm in eine gemütliche Wohnung, die dem Türschild zufolge eine Junggesellenbude, aber trotzdem schön und freundlich war. Das Bett im Schlafzimmer war gemacht und farbige Kissen zierten die Bettdecke. Der Tisch in der kleinen, engen Küche war sauber und abgewischt. Es stand kein Geschirr von mehreren Tagen herum, nur eine einzelne benutzte Kaffeetasse. Auch das Wohnzimmer war aufgeräumt, ohne dass es unbewohnt aussah. Eine Schale mit frischem Obst stand in der Mitte des runden Esstisches und signalisierte gesunde Ernährung.

»Geht es um das Auto, das ich zu verkaufen habe? Ich dachte, Sie kämen erst morgen«, sagte Sebastian fröhlich und hängte die Schlüssel in einen kleinen Schlüsselschrank aus gebürstetem Stahl.

»Leider nicht.« Roland zeigte seine Erkennungsmarke und sah, dass in Sebastians einem Augenlid fast unmerklich ein Nerv zu zittern begann. Er setzte sich und lud sie mit einer Handbewegung ein, ebenfalls Platz zu nehmen. Er war Mitte dreißig. Die sonnengebräunte Haut ließ das blonde Haar noch heller wirken und die blauen Augen tiefer. Sie erinnerten ihn an die Augen der Schlittenhunde, die er in einer Doku über Finnland gesehen hatte. Sibirische Huskys hießen die. Auf dem Kinn und den Wangen hatte er helle Bartstoppeln, ohne dass es ungepflegt aussah.

Sebastian nahm einen roten Apfel aus der Obstschale und warf ihn mit kleinen, schnellen Bewegungen von einer Hand in die andere, während er sie prüfend ansah. »Es ist schon lange her, dass ich Besuch von der Polizei hatte«, meinte er.

Roland sah das als guten Aufhänger.

»Es geht um Ihre Mutter.«

Sebastian hörte abrupt mit dem Apfelwerfen auf und sah einen Moment ehrlich überrascht aus. »Meine Mutter?« Die Worte kamen wachsam und fast unverständlich, als ob er sie lange nicht ausgesprochen hätte.

Der Kerl tat Roland leid. Der unglückliche Ausdruck, der plötzlich in seine Augen trat, konnte nicht aufgesetzt sein.

»Ich weiß, dass Sie ziemlich klein waren, als Ihre Mutter verschwand. Aber können Sie sich an irgendwas von diesem Tag erinnern?« Seine Frage brachte Sebastian dazu, ihn direkt anzusehen.

»Ich war erst acht. Ich war in der Schule.«

Der Augenkontakt war so intensiv, dass Roland sich unbehaglich fühlte. Es war, als ob Sebastian in seine Seele blicken könnte, und das mochte er nicht. Selten wandte er zuerst den Blick ab.

»Sie wissen also überhaupt nicht, was Ihre Mutter an diesem Tag vorhatte? Sie wohnten in Silkeborg – wollte sie nach Aarhus?«

Sebastian sah Mikkel nach, der still umherging und sich in der Wohnung umsah. Er hatte kein Wort gesagt und Roland hatte nichts dagegen. Mit seiner direkten Art fand er nicht immer die richtigen Worte. Aber nun kam er mit einem Foto in der Hand zu ihnen ins Wohnzimmer.

»Ist das Ihre Mutter?«, fragte er. In seiner Stimme lag Mitgefühl, das Roland dazu zwang, ihn verwundert anzusehen. Sebastian nickte und sah schnell weg. Die Frau auf dem Bild war ungefähr Ende zwanzig. Nur ein paar Jahre jünger als zum Zeitpunkt ihrer Ermordung. Es gab keinen Zweifel, wem der Sohn ähnlichsah. Die besonderen Augen hatte er von ihr.

»Ich wurde damals vernommen, aber wie ich schon sagte, ich war in der Schule und sie hat mir nie erzählt, was sie vorhatte. Sie war oft auf Krankenbesuch – was weiß ich.«

Das Wort Mutter war wieder aus dem Wortschatz des Sohnes verschwunden, jetzt umschrieb er sie als sie auf eine beinahe feindliche Art. Aber es war nur verständlich, dass das Verschwinden der Mutter für einen Achtjährigen einem Versagen gleichzusetzen war. Er kannte ihr Schicksal ja noch nicht.

Sebastian betrachtete den Apfel in seiner Hand, als ob er eine Kristallkugel wäre, die ihm erzählen könnte, warum seine Mutter verschwunden war.

»Sie haben gesagt, sie sei bestimmt mit einem Mann durchgebrannt und ich wäre ihr egal.« Seine Stimme war heiser.

»Wer hat das gesagt, Sebastian?«

»Alle. Auch die Polizei, als etwas Zeit vergangen war und sie sie nicht gefunden hatten.« Der intensive Blick traf ihn erneut, jetzt lag darin auch ein Vorwurf.

»Glauben Sie das auch?«, fragte Mikkel, der sich auf die Tischkante gesetzt hatte. Sebastian schüttelte den Kopf und sah nicht, dass Mikkel seinem Chef vielsagend zunickte. Es war sicher an der Zeit zu erklären, warum sie gekommen waren.

»Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihre Mutter gefunden haben. Sie ist tot.«

Von Sebastian kam ein halberstickter Schluchzer. Er ließ den Apfel fallen und verbarg das Gesicht in seinen Händen. Der Apfel kullerte unter den Tisch.

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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