Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 17

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Anne hatte ihren Rucksack startklar gemacht und sah auf die Uhr.

»Verdammt, wo bleiben die?«, fragte sie leicht verärgert.

Mads Dam sah von der Tastatur auf und lehnte sich mit einem kleinen, erfreuten Lächeln zurück, während er sie betrachtete.

»Warum schwirrst du nicht einfach ab? Du willst ihn doch eh nicht dabei haben, oder?«

»Nein, Herrgott noch mal! Aber mein Fotograf muss einfach mit.«

»Kamilla! Ist ihre Mutter nicht heute Nacht gestorben? Sie kommt dann wohl nicht zur Arbeit, wenn ...«

Er kam nicht dazu, mehr zu sagen. Die Tür ging auf, und Kamilla kam außer Atem mit der großen Kameratasche über der Schulter rein. »Entschuldigt die Verspätung. Mir ging’s heute Morgen nicht so gut. Ich hab Nicolaj unterwegs eingesammelt.«

Nicolaj drückte sich mit vom Wind zerzausten Haaren an Kamilla vorbei. »Mein Fahrrad hatte einen Platten, so ein Mist, sonst hätte ich ...«

Anne, die überhaupt keine Lust hatte zu hören, was Nicolaj mit seinem Fahrrad vorhatte, sah Kamilla ernst an und unterbrach ihn. »Das mit deiner Mutter tut mir leid, Kamilla. Warum bist du heute nicht zu Hause geblieben? Alle hätten Verständnis dafür gehabt.«

»Denk nicht mal daran. Mir geht es besser dabei, mir etwas vorzunehmen, als einfach nur zu Hause zu sitzen. So viel habe ich schon gelernt. Wo ist Britt? Und ist Thygesen immer noch krank?«

Anne nickte und erklärte, dass Britt an Stelle von Thygesen in der Stadt bei einem Meeting war. Sie sah unruhig zu Mads, der aufstand und Kamilla die Hand entgegenstreckte. Als er auftauchte, war deutlich, dass er einen Kater hatte, daher konnte man nie sagen, was er von sich geben würde.

»Mir tut das mit deiner Mutter auch leid«, meinte er. »Ich habe auch keine Eltern mehr, das ist echt unschön, wenn man der Nächste ist, der auf der Liste steht ...« Er lächelte verlegen und setzte sich schnell wieder. Kamilla bedankte sich und nahm die Tasche auf.

»Sollten wir nicht mal zusehen, dass wir loskommen?«

Annes Auto war in der Werkstatt, es würde ungefähr eine Woche dauern, bevor es wieder fahrtüchtig war nach dem kleinen Unfall, bei dem ihr ein anderer auf einem überfüllten Parkplatz in der Innenstadt reingefahren war. Deswegen musste Kamilla fahren. Sie hatte sich einen Geländewagen zugelegt. Einen schwarzen Suzuki Grand Vitara, damit sie Platz für ihre ganze Fotoausrüstung hatte und selbst in unwegsamem Terrain fahren konnte, wenn es nötig war. Sie liebte es, in ihrer Freizeit in der Natur herumzufahren und zu fotografieren, und als der alte Ford Ka sich mehrfach im Schlamm und weichen Gras festgefahren hatte, hatte sie keinen anderen Ausweg gesehen. Die Bank war freundlicher gestimmt, nachdem sie Arbeit bekommen und ein gutes, regelmäßiges Einkommen hatte, sodass sie ihr letztlich einen Kredit gegeben hatten. Als freiberufliche Fotografin war es immer schwer, mit Einkommen zu rechnen, und das Konto war oft überzogen gewesen.

Nicolaj wurde zusammen mit der Kameratasche auf dem Rücksitz platziert. Anne setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Oh Mann, ich brauch eine Zigarette. Darf ich hier drinnen rauchen?« Kamilla nickte. »Schon okay. Wenn du das Seitenfenster runtermachst, damit wir anderen nicht ersticken.«

Der Freitagsverkehr hatte eingesetzt. Es war, als ob die Leute aus der Stadt flüchteten und es eilig hatten heimzukommen und Wochenende zu haben. Auf dem Viborgweg krochen die Autos in langen Schlangen vorwärts. Erst als sie auf den Alten Viborgweg abbog, konnte sie ein bisschen beschleunigen. »Was war noch gleich die Adresse?«, fragte sie. »Wir sind dran vorbeigefahren.« Anne lächelte verdächtig.

»Verflixt, was machen wir dann hier?« Sie trat ein wenig auf die Bremse, bereit, eine schnelle Kehrtwende zu machen.

»Ich will mir nur eben das Moor anschauen, wo die Leiche all die Jahre verborgen gewesen ist«, erläuterte Anne, was ein lautes »Geiiiiiil!« auf dem Rücksitz auslöste.

»Bieg einfach hier ab und fahr geradeaus.«

Nicolaj war der Erste, der ausstieg, als das Auto hielt, und starrte mit Ehrfurcht auf die Bäume am Rand des Moors. Er sah aus wie ein gespanntes Kind am Weihnachtsabend.

»Du, entspann dich mal ein bisschen. Das ist nur ein Moor«, meinte Anne mit einem schiefen Grinsen und gab ihm einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter.

»Ja, aber ein Moor, in dem so lange ein Geheimnis versteckt war! Das ist echt total abgefahren!«

Sie wanderten zwischen den Bäumen zum Moor.

»Bestimmt haben sie sie hier gefunden«, sagte Anne und winkte sie zu sich.

Das Gebiet am Wasserrand wies auf die Aktivität schwerer Fahrzeuge hin, deren Reifenabdrücke in der Erde zu sehen waren, zusammen mit mehreren verschiedenen Fußabdrücken, die nicht alle von der Polizei und den Technikern stammen konnten. Hier waren sicher auch viele Spaziergänger entlanggelaufen, um zu gucken. Der menschliche Drang, Unglücksstellen zu sehen. Der Versuch, dem Tod in die Augen zu schauen. Sie stellte sich den dunklen Morgen vor, mit starkem Flutlicht auf den Polizisten, die im und oberhalb vom Wasser arbeiteten, um die Leiche in so gutem Zustand wie möglich zu bergen. Ihr schauderte. Nicht alle konnten ihre Beerdigung im Voraus festlegen. Die Frau hatte sich vermutlich nie gewünscht, in diesem Moor begraben zu werden. Wenn es nach ihr ginge, sollte ihre Mutter eingeäschert werden, aber der Gedanke an deren Aufregung, als Rasmus beigesetzt wurde, änderte diese Meinung. Dem stark von der Inneren Mission geprägten Glauben ihrer Mutter zufolge, der tief in ihr verwurzelt war, sollte man dem christlichen Dogma vom Tod folgen – nach dem der Körper unverletzt in der Erde liegen sollte, in einem so heilen Zustand wie möglich, im Hinblick auf die Wiederauferstehung, und obwohl sie ja jetzt nicht wusste, was mit ihren Körper geschah, wagte Kamilla es nicht, von diesem Glauben abzuweichen. Das war die letzte Rücksicht, die sie zeigen konnte.

»Ist es nicht ein bisschen spät, um ein Foto der Fundstelle zu machen?«, fragte sie und konzentrierte sich darauf, die Kamera bereit zu machen. »Ja, wir sind spät dran«, räumte Anne ein. »Aber ein Foto der Stelle kann vielleicht ein bisschen Würze in einen Artikel bringen.« Sie sah sich nach Nicolaj um, der plötzlich nicht mehr in der Nähe war. »Er wird doch wohl verdammt noch mal nicht ins Moor gefallen sein«, murmelte sie und unterdrückte ein kleines, freudiges Lächeln.

Kamilla machte einige Fotos; plötzlich sah sie Nicolaj im Bildausschnitt im Sucher und ließ die Kamera sinken. »Hey, geh da mal weg, du!«, rief sie.

Er machte einen bewusst komischen Sprung aus dem Kamerawinkel weg und ging zu Anne.

»Dort hinten liegt eine Gärtnerei. Vielleicht haben die was gesehen – damals«, sagte er mit vor Spannung zitternder Stimme.

»Wir wissen nicht, ob sie vor fünfundzwanzig Jahren auch schon hier lag – Herrgott, du selbst warst damals ja noch nicht mal geboren!« Anne bereute schnell ihren Tonfall, aber Nicolaj sah aus, als ob er zu beschäftigt wäre, um ihn zu bemerken. Trotz allem war es eine positive Sache, dass er so in dem Stoff aufging.

»Mit wem reden wir dann in Mundelstrup?«

Sie sah ihn versöhnlich an. »Dort wohnt eine ältere Frau. Sie weiß angeblich alles über alle und hat ein fantastisches Gedächtnis. Bestimmt kennt sie einen Vorfall von damals, über den ich dann gerne ein wenig mehr erfahren würde.« Sie klopfte mit gestrecktem Arm die Asche von der Zigarette, während sie Kamilla ansah, die weiter fotografierte. Wenn er noch mal geiiiil sagt, erwürge ich ihn, dachte sie. Aber Nicolaj begnügte sich mit einem Nicken.

»Wie findest du so eine Dame?« Er sah sie verwundert an, die hellen Augenbrauen zusammengezogen, und runzelte nachdenklich die Stirn. Hier in der Sonne leuchteten seine Haare ganz karottenfarben und passten zu den Herbstblättern.

»Manchmal passiert es zufällig, aber diesmal habe ich die Friseure angerufen«, antwortete Anne. Sie war ja trotz allem seine Mentorin.

»Die Friseure?«

»Es gibt in Kleinstädten immer zwei Stellen, wo man alles erfährt. Beim ortsansässigen Kaufmann und beim Friseur. Beim Friseur wird am meisten geklatscht, daher habe ich es bei verschiedenen Salons versucht – und Bingo, einer von denen kannte also Agnes Isager.«

Nicolaj lächelte schief, während er den Kopf schüttelte und in den blauen Himmel schaute. Als Kamilla fertig war, fuhren sie zurück in den Alten Viborgweg.

Agnes Isagers Haus lag einsam am Rand von Mundelstrup an offenen Feldern. Es war nicht besonders gepflegt, aber das konnte man auch nicht verlangen von einer fast achtzig Jahre alten Dame, die lebte und atmete, um kleine selbst gemachte Kobolde und Weihnachtsschmuck zu basteln. Jetzt im Herbst hatte sie am meisten zu tun, und der ganze Esstisch war voll mit kleinen, weißen Wattebäuschen, auf die sie Gesichter malte, Zweigen, Zapfen, Strohkränzen, kleinen Koboldmützen aus rotem Filz und geschnitzten Miniholzpantoffeln.

Agnes war nicht aufgestanden, um sie hereinzulassen. Als sie klopften, rief sie laut: »Kommt rein!« Sie war eine der wenigen Älteren, die nichts auf das Gerede der Presse von Überfällen im eigenen Heim gab, Angst bekam, sich mit Ketten einschloss und die Tür zuknallte. Wenn sie diese Art Besuch bekäme, könnte sie auch nicht viel Widerstand leisten. Ihre Arme waren fast so dünn wie die roten Pfeifenreinigerarme der Kobolde, der Rücken war ein wenig krumm davon, die meiste Zeit des Tages über die Arbeit gebeugt zu sein. Die Augen waren lebendig und froh und voller Neugier. Es gab keinen Zweifel daran, dass sie eine von denen war, die es liebte zu erzählen. Sie legte Pinsel und Wattebausch mit einem halbfertigen Koboldgesicht zur Seite. Anne und Kamilla setzten sich an den Tisch. Nicolaj war von den Kobolden fasziniert und betrachtete die Details eines Koboldmädchens, das in einer Leiter aus Zweigen hing.

»Entschuldigung, dass wir Sie mitten im Hochbetrieb stören«, sagte Anne und warf einen bewundernden Blick auf alle Weihnachtssachen. Einige der fertigen Kobolde standen in Reih und Glied auf einem Wandregal und ähnelten kleinen ungeduldigen Wesen, die nur auf den Dezember warteten.

»Das macht wirklich überhaupt nichts, ich mache das ganze Jahr über Kobolde, damit ich ohne Weiteres vor Weihnachten fertig werde«, sagte sie mit einem Lachen.

»Verkaufen Sie Ihre Kobolde – oder ist das einfach ein Hobby?«, fragte Kamilla.

Agnes erklärte, dass alle ihre Kinder und Enkel schon in Kobolden ertranken und dass ihre Tochter eine Homepage im ›Indernett‹, wie sie es aussprach, eingerichtet habe, und dass sie auf diese Weise einen Teil davon verkaufte. Darum kümmerte sich ihre Tochter, da die neumodische Technik für sie selbst nichts sei, sagte sie bestimmt.

»Aber ihr wollt doch darüber reden, was vor fünfundzwanzig Jahren hier im Dorf passiert ist, oder?«, schloss sie und machte mit verblüffend sicherer Hand weiter damit, Koboldgesichter zu malen.

»Ja, ich habe gehört, dass Sie sich an vieles von damals erinnern, und wie ich am Telefon sagte, fehlen uns Informationen für einen Artikel über den makabren Fund im Moor.«

Agnes nickte, ohne ein besonderes Interesse oder Angst zu zeigen; sie malte ruhig weiter. »Ja, das ist eine schreckliche Geschichte. Es stimmt, ich erinnere mich an vieles aus den alten Zeiten, manchmal bringe ich die Jahreszahlen durcheinander. Aber an 1983 erinnere ich mich genau, das war das Jahr, in dem Volmer und ich Silberhochzeit hatten. Ich kann mich auch gut daran erinnern, dass sie nach dieser Frau aus Silkeborg gesucht haben. Die nun im Moor gefunden wurde.«

Nicolaj setzte sich auf einen Stuhl am Tisch; jetzt gab es plötzlich etwas, das zündete.

»Ist in dem Jahr etwas passiert und können Sie sich erinnern, was?« Anne hatte ihre aufmerksame Journalistenmiene aufgesetzt und startete das Aufnahmegerät auf dem Tisch. »Es macht Ihnen doch nichts aus, darüber zu sprechen, oder?«, lächelte sie.

Agnes warf einen kurzen Blick auf das Ding und schüttelte den Kopf. »Es stimmt, dass es um die Zeit unserer Silberhochzeit herum einen speziellen Vorfall gab, über den wir geredet haben und an den ich seitdem viel gedacht habe, als ich hörte, dass sie die Frau nie gefunden haben. Sie war Krankenpflegerin bei einer Familie hier im Dorf. Eine arme Familie. Kurz danach sind sie nämlich umgezogen, das hat uns ein wenig misstrauisch gemacht.« Sie war mit einem weiteren Koboldkopf fertig geworden und legte ihn auf den Tisch; dann suchte sie kleine rote Koboldmützen aus Filz heraus, die sie auf die runden Köpfe klebte. Kamilla begann, die Kamera startklar zu machen, aber Agnes machte sehr deutlich, dass sie ihr Foto nicht in der Zeitung haben wollte.

»Erinnern Sie sich an den Namen der Familie?«, fragte Nicolaj ungeduldig. Er machte auf einem kleinen Block Notizen, und Anne begann, ihn sehr nützlich zu finden. Das, was sie nicht gleich fragen konnte, fragte er vielleicht.

»Leider nicht ... Es ist viele Jahre her – und sie sind ja umgezogen. Aber es war die Krankenpflegerin, die bei ihnen war, die verschwand. Sie war sonst so freundlich und lächelte immer, wenn ich sie auf dem Fahrrad traf. Sie kümmerte sich um die Frau, die sehr krank war. Sie starb in dem Jahr. Und ist es denn nicht sonderbar, dass sie so schnell umziehen?«

»Vielleicht wegen der Erinnerungen?«, schlug Anne vor.

»Wissen Sie, wo sie hingezogen sind?«, wollte Nicolaj wissen.

Agnes schüttelte den Kopf.

»Und Sie sind sich ganz sicher, dass sie es war?«, unterbrach Anne, bevor Nicolaj mehr sagen konnte.

»Ich weiß nicht, wie sie hieß. Aber sie war Krankenpflegerin und sie verschwand 1983.«

»Haben Sie das alles der Polizei erzählt?«, fragte Nicolaj.

Agnes sah ihn verwundert an. »Oh nein, warum hätte ich das tun sollen? Das haben die wohl selbst rausgefunden!«

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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