Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 14

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Roland seufzte erleichtert, als er sich auf den Bürostuhl plumpsen ließ, sodass die Gasdruckfeder unter ihm mit einem klagenden Laut nachgab. Obwohl er die Zigaretten vermisste, musste er zugeben, dass die Luft im Büro frischer war, nachdem er aufgehört hatte. Er hätte sonst auch gut in seinem Einmannbüro rauchen können, aber er entschied sich dafür, solidarisch zu sein und auch sein kleines Büro rauchfrei zu halten. Hatte er auch schon oft Pläne gehabt, mit dem Rauchen aufzuhören, jetzt gab es einen guten Grund. Raucher waren nicht länger eine gern gesehene Rasse. Im Übrigen fand er, die Vorschrift, dass man in einem kleinen Einmannbüro und in kleinen Bars und Restaurants rauchen durfte, war ein Fehler. Sollte es sein, sollte man es ordentlich machen wie in Schweden – totales Rauchverbot. Entrüstet hatte er zu Irene gesagt, dass es schlimmer war, den Rauch in kleinen Lokalen einzuatmen als in Großräumen. Irene hatte nie geraucht und sah das Problem nicht. Sie sagte, er solle an all die Passivraucher denken und dass er als das Auge des Gesetzes ein Vorbild sein müsse. Das war er dann geworden, so schwer es auch war, das Rauchen durch zähes Kaugummi zu ersetzen.

Das Fenster war offen gewesen, während er bei der Pressekonferenz war, und nun konnte er das Meerwasser vom Hafen riechen. Sein Geruchssinn hatte sich verbessert. Er füllte einen Plastikbecher zur Hälfte mit Kaffee und trank einen Schluck. Auch der Geschmackssinn hatte sich verbessert, was man von dem miserablen Kaffee nicht behaupten konnte, den die Kantine des Präsidiums immer noch lieferte. Irene hatte angeboten, eine Thermoskanne Kaffee mit ihrer eigenen italienischen Bohnenmischung zu machen, die er dann mit auf die Arbeit nehmen konnte, aber er sah das ein bisschen als Hohn gegenüber der Kantine. Es gab so viel anderes abgesehen von schlechtem Kaffee, mit dem sie sich abfinden mussten. Die Gemeindezusammenlegung mit Viborg als Hauptstadt und politischem Machtzentrum in der neuen Region Mitteljütland mit einem weit größeren Polizeikreis zum Beispiel – und die Polizeireform, die von einer großen Mehrheit im Parlament beschlossen wurde, um mehr Polizei auf den Straßen zu haben und eine siebzig Jahre alte Organisation zu modernisieren.

Warum auch nicht, sie war modernisiert worden mit neuen Telefonen und technischen Systemen, die nicht funktionierten. Und nun bekamen sie – die Polizei – sowohl von den Bürgern als auch den Politikern und der Presse dafür auf die Mütze, dass die Dinge noch nicht so funktionierten, wie sie sollten. Umstellungen und Reformen brauchten Zeit und passierten nicht von einem Tag auf den anderen. Zweifelsohne gab es auch diejenigen, die bewusst das Ihre dazu taten, die hochfliegenden Pläne der Politiker, die Reform ohne große finanzielle Unterstützung durchzuführen, zu vereiteln. Besser war es jedenfalls nicht geworden. Nie waren sie mit Fällen so im Rückstand gewesen und für die ganz banalen Dinge wie Diebstahl war weder Zeit noch Belegschaft vorhanden. Roland beneidete die älteren Mitarbeiter, die dankend annahmen, als ihnen eine Vorruhestands-Regelung angeboten wurde, falls sie die zu erwartenden Änderungen mit Stellenwechsel oder neuem Arbeitsplatz nicht wünschten. Mit seinen fünfundfünfzig Jahren gehörte er nicht zu den Auserwählten. Mehr Leute als erwartet nahmen diese Chance war, und leicht war es nicht, die offenen Stellen neu zu besetzen. Die neue Polizeibehörde wurde in drei sogenannte Säulen eingeteilt, bestehend aus ›Bereitschaft‹, worunter Verkehrspolizei, Überfallkommando, Bereitschaftsdienst und Wachdienst zählten, ›Lokalpolizei‹, die sich mit Kriminalität gegen Bürger wie Einbrüchen, Raubüberfällen, Diebstahl, Aufnahme von Anzeigen und Präventivmaßnahmen befasste. Die dritte große Säule, zu der er selbst gehörte, war ›Ermittlungen‹ und umfasste neben den großen Wirtschaftsdelikten, organisierter Kriminalität, Drogen- und Bandenkriminalität auch die Ermittlungen in Fällen von Mord, Sittlichkeitsverbrechen und IT-Kriminalität. Alles Fälle, die früher von der Kriminalpolizei bearbeitet worden waren. Der Begriff ›Kriminal-‹ wurde gestrichen.

In den neuen Führungspositionen war er nicht länger existent. Er als gewöhnlicher Beamter hatte wählen können, seinen Titel als Kriminalkommissar zu behalten, und das hatte er getan, da Polizeibeamter oder Polizeikommissar, wie Zukünftige in seiner Position nun heißen würden, in seinen Ohren nicht besonders Achtung gebietend klang. Das war natürlich Quatsch. Der Titel bedeutete ja nichts. Beamte, die darin überhaupt nicht ausgebildet waren, durften auf die Straße, um die Forderung nach mehr sichtbarer Polizei zu erfüllen. Nach und nach hatten viele der tüchtigen Jüngeren aufgrund der schlechten Bezahlung aufgehört. In anderen Berufen konnten sie mehr verdienen, ohne die Gefahr für Leib und Leben, die der Polizeijob in einer Zeit mit sich brachte, in der niemand mehr eine Dienstmarke respektierte. Kim Ansager beklagte sich darüber, dass seine Frau, die als Grafikerin in einer Werbeagentur arbeitete, mehr als er verdiente. Dabei zeichnete sie einfach Logos für verschiedene Unternehmen und Etiketten für Shampoos.

Tja, aber die Presse hatte heute auch andere Sorgen gehabt als die Polizeireform und den ›mangelnden Einsatz der Polizei‹. Eine fünfundzwanzig Jahre alte Leiche in einem Moor war trotz allem spannender und verkaufte sich besser. Er hatte Anne Larsen vom Tageblatt mitten in dem Haufen gesehen, aber sie war ungewöhnlich schweigsam gewesen. Sie hatten nur ein einziges Mal Augenkontakt gehabt, wobei er die Andeutung eines freundlichen Lächelns in ihrem Gesicht gesehen hatte, das sonst wegen der Narbe in der einen Augenbraue immer ernst aussah.

Der Vizepolizeidirektor war sehr großzügig mit Informationen gewesen. Das war etwas Neues, das er sich ausgedacht hatte, da er der Meinung war, es würde dem Fall nützen, wenn sie die Presse – und damit die Bevölkerung – in die Aufklärung eines so alten Mordfalls miteinbezogen. Irgendjemand da draußen musste etwas wissen, meinte er. Außerdem bezog er sich auf andere alte Mordfälle, die deutlich zeigten, dass die Aufklärung schneller erfolgte, wenn die Presse miteinbezogen wurde und Hinweise aus der Bevölkerung bekommen konnte. Und genauso war es ja auch; die Journalisten glaubten, sie seien kleine Detektive, die all das erledigen müssten, was die Polizei nicht selbst herausfinden konnte. Das war genau der Grund, warum Roland es nicht mochte, sie zu sehr zu involvieren. Er dachte wieder an Anne Larsen, die als Detektivin im Gitte-Mord ihre eigenen Wege gegangen war. Dabei war natürlich etwas Gutes herausgekommen – manche Journalisten hatten ein besseres Gespür dafür als andere.

Er saß in der Stille und bereitete sich mental auf die Konferenz mit seinen Mitarbeitern vor. Sie sollten mit Hypothesen arbeiten, und er sollte selbst einige parat haben, bevor die Versammlung begann. Schließlich war er der Ermittlungsleiter. Er schrieb ›Moorleiche‹ und löschte es wieder mit der am meisten gebrauchten Taste, bei der das ›le‹ von ›delete‹ schon fast abgerieben war, und schrieb stattdessen ›Leiche im Moor‹. Jetzt, wo damit ein richtiger Mensch verbunden war, wirkte es unethisch, von einer Moorleiche zu sprechen. Kannten sich Opfer und Täter oder nicht? Vielleicht konnten sie von Letzterem für die Zeit vor fünfundzwanzig Jahren absehen. In den Jahren danach hatten sich die Fälle, in denen sich Opfer und Täter nicht kannten, gehäuft. Die Globalisierung. Naja, sie war ja zu etwas gut, aber offene Grenzen, bessere und billigere Reisemöglichkeiten und Zugang zur Kommunikation via Internet gaben auch der Kriminalität einen größeren Spielraum. Ein Mörder konnte aus einem fremden Land anreisen – zum Beispiel Afrika – einen Mord in Dänemark begehen und praktisch ungesehen in sein Heimatland zurückkehren, bevor die Polizei Antworten auf eventuelle DNA-Analysen bekam. 1983, in einer kleinen Gesellschaft, war es wahrscheinlicher, dass sich der Mörder und das Opfer kannten. Die Ermordete konnte eine der statistischen ›Dunkelziffern‹ geworden sein – verborgene und nicht aufgeklärte Morde und damit frei laufende Täter. Wenn sich nicht die beiden Jungen in Mundelstrup ins Moor gewagt hätten ... Mit einer Aufklärungsrate für Mord von fünfundneunzig Prozent war Dänemark sonst gut dabei. Er traute sich überhaupt nicht, an Italiens Aufklärungsrate zu denken, allein in Neapel ... Sofort schlug er sich den Gedanken aus dem Kopf und gab es auf, mehr schreiben zu wollen. Er hatte überhaupt keine Zweifel, dass es wirklich gelingen könnte, das perfekte Verbrechen zu begehen. Ohne eine Leiche, eine Mordwaffe und ein Motiv gab es keinen Fall. Was kaschierten die Selbstmordstatistiken? Die Drogentoten? Die Verschwundenen, wie die Frau im Moor. Die Vergessenen, für deren Verschwinden oder Tod schnell eine natürliche Erklärung gefunden worden war und der Fall eingestellt oder abgeschlossen wurde. Früher half der Suchdienst in diesen Fällen, wenn die lokale Polizei aufgegeben hatte. Es wurde nicht ermittelt, man wartete nur darauf, dass der Verschwundene – oder eine Leiche – auftauchte. Der Fall aus Silkeborg war ein gutes Beispiel. Er hatte auch keine Zweifel daran, dass wohl auch unschuldig Verurteilte in den dänischen Gefängnissen saßen. Einige davon hatten sich selbst aus irgendeinem Grund gestellt, obwohl sie unschuldig waren. Gefälschte Beweise, Justizirrtümer, Fehler von Seiten der Ermittler und der Techniker, unentdeckte Beweise, die den Verurteilten entlasten könnten.

Er streckte den Rücken und die Beine, stand auf und schaltete den Drucker ein. Der brummte und jammerte ein paar Mal und begann dann, Papier auszuspucken. Er sammelte sie auf einem Haufen. Nun wollte er hören, was die anderen zu dem Fall zu sagen hatten. Nur in einem Punkt war er sich sicher – es kam viel Arbeit auf sie zu.

Drei Mal schnelles Klopfen an der Tür, die aufgerissen wurde, bevor er antworten konnte, ließ ihn Kim Ansager wütend ansehen, dessen bebrilltes Gesicht sich entschuldigend in der Tür zeigte.

»Verzeihung, dass ich unterbreche, aber diese Journalistin ist hier draußen und will mit dir reden. Die, du weißt ...«

Er wusste genau, wen Kim meinte. Außerdem konnte er ihre dünne Gestalt hinter ihm ungeduldig trippeln sehen.

»Ich hoffe, es ist wichtig«, brummte er, legte schnell die Ausdrucke in die Schublade und fuhr den PC runter.

Anne Larsen setzte sich unaufgefordert auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Sie hatte weiter abgenommen und das Gesicht unter dem kohlschwarzen Haar wirkte besonders blass.

»Ich hoffe, es ist wichtig«, wiederholte er.

»Ist es. Danke übrigens für die gute Pressekonferenz. Es ist selten, dass ihr so informativ seid.« Sie lächelte.

Er murmelte irgendetwas Unhörbares. Ginge es ausschließlich nach ihm, hätte die Presse nicht so viele Informationen bekommen. »Was wollen Sie dann noch? Es kann unmöglich etwas geben, das Sie noch nicht wissen«, sagte er sarkastisch.

»Nein. Das gibt es auch nicht. Aber es gibt da etwas, das Sie noch nicht wissen.«

Der Machtkampf war eröffnet.

»Darf ich?«, fragte sie und nahm die Thermoskanne vom Schreibtisch und einen Becher aus dem Stapel, der auf dem Sideboard am Fenster stand.

»Natürlich.« Jetzt war es ohnehin zu spät, Nein zu sagen. »Ich habe in zehn Minuten ein Meeting, also ist nicht viel Zeit. Was weiß ich nicht?« Es war noch eine halbe Stunde Zeit bis zu dem Meeting, aber das musste sie nicht wissen. »Wo haben Sie heute eigentlich ihre Fotografin gelassen?«, fragte er schnell, um die Lüge zu kaschieren, obwohl sie diese natürlich trotzdem nicht durchschauen konnte.

»Kamilla? Die ist im Krankenhaus bei ihrer kranken Mutter«, antwortete Anne Larsen mit einem Tonfall, als ob die Fotografin in einem Café säße und Kaffee tränke.

Roland schwieg und beobachtete sie irritiert, während sie es sich mit dem Kaffee, von dem sie trank, ohne ein Zeichen des Unbehagens zu zeigen, wieder auf dem Stuhl bequem machte.

»Ich wurde gestern Vormittag in der Redaktion angerufen. Der Anrufer wollte eigentlich mit dem Verantwortlichen reden, aber Thygesen ist krank. Der Mann hatte eine Stimme, als ob er sich die Nase zuhielte, und sagte, er wisse etwas über die Leiche im Moor«, fuhr sie fort.

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sah sie mit einem nachsichtigen Lächeln an. »Sie wissen doch, dass so ein Fall alle Verrückten anzieht. Das war bestimmt nur einer, der in die Zeitung wollte.«

Anne schüttelte den Kopf und trank wieder von ihrem Kaffee. »Das dachte ich auch erst, und ich habe dem zunächst auch keine Bedeutung zugemessen vor der Pressekonferenz. Er sagte nämlich, er habe eine Vermutung, wer die Leiche sei, und wenn sich seine Vermutung bewahrheiten sollte, würden noch mehr Morde geschehen. Es klang fast, als ob er ein ganzes Massaker erwarten würde!«

»Das ist ja wohl auch genug für euch, um einen tollen, großen Artikel über ihn zu bringen, stimmt’s?« Roland lächelte immer noch und nahm sich einen Kaugummi, als sich der Drang nach einer Zigarette plötzlich meldete.

»Ja, wenn es das wäre, was er wollte. Aber er wollte anonym bleiben.« »Noch schlimmer!«

»Ja, er wäre zu nichts zu gebrauchen, wenn nicht ...«

Anne Larsen tat es wieder. Das, was ihn immer quälte, wenn sie auf etwas Interessantes zu sprechen kam. Sie machte eine Kunstpause und wollte seine Augen betteln sehen, dass sie weiter redete.

»Was denn?«, sagte er nach der Pause, in der sie provozierend in den schwarzen Kaffee im Plastikbecher sah, während sie wie eine Fanfare vor dem großen Finale mit den Nägeln dagegen trommelte. Seine Stimme zitterte ein bisschen vor Spannung und das ärgerte ihn noch mehr, weil er wusste, dass sie das genoss.

»Sie meinen, dass er wirklich wusste, wer die Ermordete war?« Er gewann die Oberhand und sah die Enttäuschung in ihrem Gesicht.

»Genau. Woher hätte er wissen können, dass es sie war, lange vor der Pressekonferenz – ja, lange vor dem Ergebnis der Rechtsmedizin?«

Er bezwang sich selbst darin, ein bisschen zu energisch auf dem Kaugummi zu kauen.

»Sie haben keinen Namen bekommen? Haben Sie Geräusche im Hintergrund gehört, die einen Hinweis geben könnten, von wo er anrief?« »Nichts, nein. Doch, es klang so, als ob im Hintergrund gedämpfter Verkehrslärm wäre, aber das ist heutzutage ja überall so. Und ich glaube, er ist leider zu klug, um von einem Handy aus anzurufen, das man aufspüren kann, wenn er daran dachte, seine eigene Stimme unkenntlich zu machen.«

»Verdammt. Das ist die heißeste Spur, die wir bisher haben«, unterbrach er und sah deutlich, wie stolz Anne Larsen wurde. Aber es schmerzte sie wohl auch. Sie hätte die Information für sich behalten und sie in ihrer Zeitung als Titelstory bringen können, aber sie hatte sich entschieden, zu ihm zu gehen. Sie hatte wohl auch entdeckt, dass es besser war, zusammenzuarbeiten als gegeneinander, wie Kurt Olsens neue Vision lautete. Oder vielleicht war es auch, weil sie selbst mit ihren eigenen Informationen so großzügig gewesen waren.

»Sie haben keine Verabredung mit ihm für weitere Gespräche getroffen?«

»Ich habe es vorgeschlagen, aber er wollte nichts versprechen, also bleibt es ganz ihm überlassen.«

Sie trafen sich im Besprechungsraum. Alle kamen pünktlich und nahmen rund um den Tisch Platz, der mit Bechern und Thermoskannen gedeckt war. Kurt Olsen saß am Tischende und sortierte Fotos aus der Rechtsmedizinischen und Kriminaltechnischen Abteilung. Niels Nyborg war auf Streife gewesen und hatte Kopenhagener Gebäck mitgebracht. Er servierte, indem er die Tüte in der Mitte mit einem schnellen Ruck aufriss, sodass der Zucker über den Tisch rieselte.

»Man muss sich nur mal vorstellen, dass die das Gebäck hier im Ausland ›Danish‹ nennen. Wofür halten die uns?«, fragte Dan Vang, der auf die Idee gekommen war, dass man keinen Zucker essen solle. Bestimmt eine neue Freundin.

Roland forderte zur Ruhe auf, indem er an die Tafel zu schreiben begann. Er fing mit ›Mo‹ an, wischte es aber wieder weg und schrieb ›Leiche im Moor‹. Von da aus zog er einen Strich und notierte den Namen des Opfers, von diesem aus zog er einen weiteren Strich und schrieb ›Sebastian Juhl, Sohn‹. In die eine Ecke schrieb er ›Mörder aus dem Umfeld – fremder Mörder?‹, dann wandte er sich dem kleinen Haufen vertrauensvoller Mitarbeiter zu und bekam Blickkontakt mit Isabella Munch; sie lächelte ihn an. Wie erhebend es mit einem weiblichen Beamten war. Er räusperte sich.

»Das hier ist unser Ausgangsmaterial. Aber ich hatte gerade Besuch von einer Journalistin vom Tageblatt. Sie wurde von einem unbekannten Mann angerufen. Er kannte die Identität der Leiche – vor dem Rechtsmediziner und dem Rechtsodontologen. Ich weiß allerdings nicht, in welcher Verbindung er zu dem Fall steht.« Er schrieb ›unbekannter Zeuge – Täter?‹ auf eine zufällige Stelle an der Tafel. Kurt Olsen reichte ihm die makaberen Fotos der irdischen Überreste der Krankenpflegerin, die er ebenfalls auf der Tafel platzierte, und ein Foto der Holzspitze, die Leander im Schädel gefunden hatte.

»Der Mörder kann Verbindungen nach Afrika haben. Vielleicht ist er einfach dahin gereist und hat ein Souvenir mit nach Hause gebracht. Es sieht so aus, als ob die Mordwaffe ein großer, schwerer Gegenstand aus schwarzem, afrikanischem Ebenholz ist.«

»Vielleicht wohnte das Opfer oder der Mörder einfach mit jemandem zusammen, der reiste«, wandte Kim ein, und Roland nickte.

»Du verwendest die Vergangenheitsform, Kim, und genau das ist unser größtes Problem. All das hier ist fünfundzwanzig Jahre her und die meisten Spuren sind weg. Sie wurde 1983 als vermisst gemeldet. Nach der Erklärung des Sohnes klingt es so, als ob die Polizei sie einfach für eine Frau hielt, die mit ihrem Geliebten durchgebrannt war, daher war die Suche sicher nicht besonders intensiv. Jedenfalls wurde sie nie gefunden.«

»Verflixt, das glaub ich sofort. Wer sucht schon in einem Moor?«, murmelte Dan und schielte mit Abscheu zu Mikkel, der ein Stück Gebäck abbiss und mit Zucker um den Mund mit Kaffee nachspülte.

»Den Gedanken hatte der Mörder sicher auch. Wir fangen damit an, uns auf den Bekanntenkreis und die Bewohner rund um das Moor in dem betreffenden Jahr zu konzentrieren. Wir müssen mit einer fächerförmigen Ermittlung anfangen, da wir nichts haben, dem wir nachgehen könnten. Es ist sicher nicht leicht gewesen, eine Leiche unbemerkt dahin zu transportieren, es sei denn, der Mörder wohnte in der Nähe oder es fand nachts statt. Kim, du darfst mit deiner Geduld und deiner Erfahrung mit Recherchen die alten Berichte durchgehen. Bezieh die Kollegen der Polizei von Mittel- und Westjütland so viel wie möglich mit ein. Schnapp dir Arne Svendsen. Grüß ihn nur von mir.« Er setzte sich und nahm ebenfalls ein Stückchen Gebäck, verfolgt von Dans vorwurfsvollen Augen. Ob es sein Lob an Kim oder seine Lust auf Zucker war, die den Vorwurf hervorrief, konnte er nur raten. Es war selten, dass ein Lob für Dan Vang abfiel.

»Kann es einer der Patienten der Verstorbenen gewesen sein? Sie war ja Krankenpflegerin«, schlug Isabella Munch vor, und Roland nickte ein bisschen zu eifrig.

»Wir sollten ihre Patienten ausfindig machen, besonders die, die sie am letzten Tag ihres Lebens besucht hat.«

»Genau darüber habe ich mit den Kollegen in Silkeborg gesprochen«, meinte Kim. »Aus den alten Berichten ging das nicht hervor, und leider gibt es keine Verzeichnisse von damals darüber, wo sich die Krankenpfleger an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten aufhielten. So etwas wird nicht so lange aufgehoben.«

»Gut, Kim, dann vergeuden wir keine Zeit mehr damit. Aber irgendwie müssen wir sie finden. Der Sohn konnte uns leider nicht viel helfen, er war erst acht, als das alles passierte.«

»Es kann aber nicht der gewesen sein, der die Journalistin angerufen hat?« Kurt Olsen kaute auch, aber es war bestimmt eher Stimorol- als Nikotinkaugummi. Seine geliebte Stanwell-Pfeife, die normalerweise wie eine Verlängerung seiner rechten Hand wirkte, wollte er um nichts in der Welt entbehren. Er nutzte eine Gesetzeslücke und qualmte weiter in seinem Einmannbüro.

»Der junge Mann wirkte sehr geschockt, als er vom Tod seiner Mutter erfuhr, daher bezweifle ich das sehr«, antwortete Roland und sah zu Mikkel, der Sebastians Reaktion ebenfalls gesehen hatte. Er schüttelte den Kopf und stimmte seinem Chef zu.

»Ich frage mich, warum eine Krankenpflegerin aus Silkeborg Patienten hier in Aarhus hat. Wirkt das nicht seltsam?«, fragte Isabella.

Die wunderbare weibliche Intuition. Roland runzelte die Augenbrauen und nickte. »Ja, da hast du Recht. Ich habe mich das auch schon gefragt«, log er. »Niels, darum kümmerst du dich. Wir müssen wissen, was eine Krankenpflegerin aus Silkeborg hier in Aarhus gemacht hat.«

»Können wir denn ausschließen, dass die Leiche aus Silkeborg nach Aarhus transportiert wurde? Also, dass sie in ihrem eigenen Zuhause ermordet und hierher gebracht wurde? Das könnte ihre Patienten ausschließen.« Kurt Olsen krempelte die Ärmel hoch und wirkte von seiner Theorie sehr überzeugt. Roland war nur davon überzeugt, dass es viele Möglichkeiten gab, wenn man keine Fakten hatte, von denen man ausgehen konnte.

»Wie lange braucht man, um von Silkeborg nach Mundelstrup zu fahren?«, fragte er in die Runde.

»Kommt drauf an, ob man mit Blaulicht fährt«, kommentierte Dan, was ihm von Niels einen harten Schlag auf den Arm einbrachte.

»Mann, ein Mörder fährt doch nicht mit Blaulicht, du Knalltüte.«

Dan wurde rot, als ihm auffiel, worauf die Frage abzielte. Roland schüttelte unbemerkt den Kopf. Nun war Dan bald vier Jahre bei der Polizei, und es war nur dem Mangel an Beamten zu verdanken, dass er noch nicht gefeuert worden war. Er war nicht der Hellste, und viele ernste Gespräche unter vier Augen hatten seine Einstellung zu seiner Arbeit nicht verbessert, die scheinbar für ihn nur darin bestand, eine Uniform und Waffen tragen zu können.

»Von Silkeborg nach Mundelstrup sind es rund vierzig Kilometer, ich denke, das ist in etwas mehr als einer halben Stunde zu schaffen«, sagte Niels Nyborg, der dort Verwandte hatte.

»Wenn wir davon ausgehen, dass es an einem kalten Wintertag mit Minustemperaturen geschah, könnte dieser Transport vielleicht die Ursache dafür sein, dass die Leiche kalt war, als sie ins Moor geworfen wurde. Dem Obduktionsbericht zufolge wurden die Eingeweide in dem sauren Moorwasser sehr gut erhalten. Man meint sogar, ihre letzte Mahlzeit sei Rindfleisch gewesen, aber das ist nicht hundert Prozent bewiesen«, sagte Roland.

Kurt Olsen erhob sich und studierte mit den Händen in den Hosentaschen die Fotos der Leiche. »Aber wer versteckt eine Leiche und fährt sie so weit? Sollte man sie nicht einfach so schnell wie möglich aus dem Weg räumen?« Er drehte sich zum Tisch um, wo alle ihn anstarrten.

»Haben wir noch überhaupt keinen Todeszeitpunkt?«, erkundigte sich Niels Nyborg und drehte eifrig seinen Kugelschreiber zwischen den schlanken Fingern.

»Leider noch nicht. Das Alter der Leiche macht es kompliziert, an dem Teil arbeiten sie also noch«, seufzte Roland und richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Aber wir haben genug mit dieser Aufklärung hier zu tun. Der unbekannte Mann, mit dem die Journalistin gesprochen hat, kündigte weitere Morde an, wenn er Recht hätte – und das hatte er ja.« Es lief ihm eiskalt den Rücken runter. Was, wenn das nicht nur eine Warnung, sondern eine Drohung war!

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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