Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 18

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Jetzt bellten sie wieder. Verärgert erhob er sich aus dem Ledersessel und schaute aufmerksam aus dem Fenster. Draußen war es dunkel und diesig, aber er erahnte gerade so den Hundezwinger bei der Stallmauer auf der anderen Seite des Hofes. Die Hunde bellten aus vollem Hals und warfen sich gegen den Drahtzaun. Er wandte den Blick in Richtung Waldrand. Das war wohl wieder der verdammte Fuchs. Im Licht der Hoflampe und des Fensters konnte er ein Stück über die Felder sehen, dann verschwand der Wald in Nebel und Dunkelheit. Auf dem Stück des Feldes, das er sehen konnte, gab es kein Lebenszeichen. »Verdammte Köter«, murmelte er, aber meinte es nicht so. Die drei kurzhaarigen Hühnerhunde folgten ihm treu auf die Jagd, die seit seiner Pensionierung im letzten Jahr zu seiner Leidenschaft geworden war. Sie sollten morgen zeitig los, deswegen konnte er auch nicht hier sitzen bleiben und auf den dummen Fernseher glotzen. Die Jagdsaison auf Rothirsche hatte gerade begonnen.

Es lief der übliche blutige Freitagabendfilm, aber er hatte keine Lust ihn zu sehen, natürlich war es eine Wiederholung. Und er hatte in seinem Leben schon genug Blut gesehen, erst als Chirurg, später als praktizierender Arzt. Die Patienten kamen schon schreiend rein, wenn sie sich nur in den Finger geschnitten hatten und es ein bisschen blutete. Die Menschen waren ach so krank, aber vieles von dem, was ihnen fehlte, war oft selbstverschuldet oder reines Gejammer. Fette Menschen, die nicht verstehen konnten, warum sie Rücken- und Knieschmerzen hatten. »Bedenken Sie doch mal, was dieser Rücken und diese Knie an Gewicht aushalten müssen!«, wollte er ihnen am liebsten ins Gesicht brüllen. Trotzdem verwies er sie weiter im System zum Röntgen und Ultraschall, sodass sie die Plätze derjenigen, die wirklich Hilfe brauchten und nicht einfach nur dreißig Kilo abnehmen müssten, in Beschlag nahmen – und das nur, um sie nicht Woche für Woche in seinem Wartezimmer sitzen zu sehen. Kleine Gebrechen, die früher nur gewöhnliche Bagatellen waren, gegen die man ein Aspirin nahm, sollten umgehend mit Penicillin behandelt werden – und das war viel schlimmer. Ein schlechter Tag, an dem die Laune nicht bestens war, oder es nicht das perfekte Leben war, nach dem heutzutage alle verlangten, und schon erforderte es Glückspillen. Nicht mal zum Examen konnten die jungen Leute gehen, ohne vorher ein Rezept für Beruhigungsmittel bekommen zu haben. Und er schrieb die Rezepte gern. Er hatte in seinem Leben viele geschrieben, zur großen Freude der Arzneimittelfirmen, mit denen er Vereinbarungen hatte. Eine Industrie, die der dänischen Ökonomie nutzte. War etwas dagegen zu sagen, dass Ärzte unter Druck und vorzeitig abgearbeitet waren? Es war höchste Zeit, dass er in Rente ging. Der Arztberuf hing ihm längst zum Hals raus und niemand hätte ihn einen Tag länger auf dem Arbeitsmarkt halten können, obwohl sie über einen Mangel an Ärzten klagten.

Er machte den Fernseher aus und schaute wieder aus dem Fenster. Die Hunde wurden immer aufgedrehter. Das ging nicht. Dann waren sie morgen erschöpft.

»Was ist denn mit den Hunden los, Helge?« Plötzlich stand Victoria im Nachthemd in der Türöffnung zum Schlafzimmer und sah verschlafen aus. Die grauen Haare standen ab. Sie war nicht der Typ Frau, der sie färbte. Wie er sie nun ohne Make-up sah, wirkte sie alt, aber sie hatte immer noch die gleiche Ausstrahlung von Klasse, der er erlegen war. Sie war ein bisschen jünger als er und sie wussten immer, dass sie ein tolles Paar waren. Er hatte sich maskulin und schlank gehalten mit einer gesunden Hautfarbe, da er immer viel im Freien gewesen war, zum Teil auf der Jagd, zum Teil auf dem Golfplatz. Seine Haare waren wie ihre grau, aber es passte zu den beiden. Manche trugen das Silberhaar mit Pracht und Würde. Morgen früh sollten sie gemeinsam gehen, er auf die Jagd, sie zur Arbeit in der Apotheke, wo sie in der Rezeptabteilung arbeitete. Um ausgeruht zu sein, war sie beizeiten ins Bett gegangen. In diesen Zeiten war der Arbeitsdruck hoch – weil die Leute so krank waren und die Ärzte so viele Rezepte verschrieben. Früher war er ironischerweise einer der Gründe für ihre Überarbeitung gewesen. Aber in drei Jahren konnte auch sie in Rente gehen. Deswegen hatten sie das Traumhaus in Spanien gekauft, um dorthin zu ziehen und ihren Ruhestand zu genießen. Viele seiner alten Kollegen wohnten dort. Einer von ihnen betrieb immer noch eine Praxis an der Costa del Sol, obwohl er das nach den Patientenklagen hier zu Hause, vor denen er geflüchtet war, wohl nicht tun sollte. Die dänischen Behörden waren nicht so streng, was das anging. Aber darüber sollte er sich nicht beklagen. Wenn man mit Menschen arbeitet, kann viel schiefgehen – Ärzte sind ja auch nur Menschen, die Fehler machen können, und wenn die Behörden nicht hier und da ein Auge zudrücken würden, wer würde sich dann noch trauen, Arzt zu werden?

»Ich glaube, es ist wieder dieser verdammte Fuchs. Ich gehe raus und schaue nach. Geh du mal wieder ins Bett, meine Liebe«, antwortete er mit einem kleinen Lächeln und sah ihr nach, als sie gehorsam wieder zurück ins Schlafzimmer ging, das weiße Satinnachthemd um die nackten Füße tanzend. Sie erinnerte an eine Fee, die im Dunkeln verschwand.

Auf dem Weg zum Waffenschrank bemerkte er, dass das Gebell der Hunde aufgehört hatte. Eine Weile blieb er stehen und lauschte, dann drehte er sich stattdessen zum Barschrank um und schenkte sich einen Cognac ein. Er trank einen Schluck, während er raus in die Dunkelheit starrte und nach dem Fuchs Ausschau hielt. Falls er zurückkam, dann würde er ...

Eine schnelle Bewegung draußen ließ ihn trotzdem das Jagdgewehr holen. Wachsam stand er am Fenster, bereit, auf den Hof zu laufen, aber im diesigen Licht der Lampe sah er, dass es nur ein Hase war. Er trank einen weiteren Schluck Cognac und genoss das angenehme Brennen auf der Zunge. Es war ein guter Cognac, den er von seinem Sohn zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Er beschloss, ihn morgen in die Jagdtasche zu packen, damit die anderen Jungs ihn auch probieren konnten.

Plötzlich ging ihm auf, dass irgendetwas nicht normal war. Er stellte das Glas auf dem Fensterbrett ab. Der Hase lief im Licht der Hoflampe verstört herum. Der Hundezwinger war dunkel, er sah keine Bewegungen oder leuchtende Augen. Hörte kein Bellen. Vorsichtig nahm er sein Jagdgewehr in die Hand und ging in den Flur. Er steckte die Füße in ein Paar Gummistiefel und trat hinaus in den Hof.

Sie hatten das Landhaus vor vielen Jahren als Hobbylandwirtschaft gekauft. Es war restauriert und das strohgedeckte Dach war ganz neu. Vor ein paar Jahren war es bis auf die Grundmauern niedergebrannt und sie hatten es bei der Gelegenheit so wieder aufbauen lassen, wie sie es wollten. Letzten Sommer hatten sie alle Sprossenfenster weiß gemalt, um das ursprüngliche Aussehen des Hofes zu bewahren. Victoria hatte immer Pferde gemocht, und ihre braune Stute stand im Stall, der ein neuer Anbau war.

Der Hundezwinger war gegen die Stallmauer gesetzt worden, mit einer Klappe zum Stall, sodass die Hunde in eine der Pferdeboxen gehen konnten, die für sie eingerichtet war. Victoria wollte die Hunde nicht drinnen haben. Vielleicht sind sie einfach nur im Stall, beruhigte er sich selbst, aber ein merkwürdiges Gefühl sagte ihm, dass etwas ganz und gar nicht stimmte.

Beim Hundezwinger schien die Hoflampe so stark, dass er hineinsehen konnte. Der Erste, den er sah, war der Rüde Pax. Er lag in einer verdrehten Stellung da. Ein Stück entfernt lag Dax und neben ihm Max, der in einer Lache Erbrochenem lag. Helge richtete seine Aufmerksamkeit auf den Hals. Ein seltsames Geräusch röchelte darin. Ein Ruf, der nicht herauskam. Als Arzt hatte er keinen Zweifel daran, dass die Hunde vergiftet worden waren. Er war so von dem Anblick und seiner Verzweiflung gefesselt, dass er die Schritte auf dem Kies hinter sich nicht hörte. Der erste Hieb war nur ein Stich, den er als kalt und unwirklich wahrnahm. Er konzentrierte sich auf den Rücken und bemerkte erst dann den Schmerz und das Klebrige an den Fingern. Nach Luft schnappend sah er auf das Blut auf seiner Hand. Er drehte sich um. Der nächste Hieb rammte ihn in den Brustkorb. Obwohl er viel maskuliner und trainierter als sein Gegner war, schaffte er es nicht, zu reagieren. Das Jagdgewehr fiel mit einem kratzenden Geräusch auf den Kies. Die dunkle Gestalt vor ihm hob erneut das Messer. Es war hübsch. Ein Jagdmesser. Diesen Typ hatte er noch nie zuvor gesehen, obwohl er einige in seiner Jagdtasche hatte und Sammler war. Er starrte darauf. Die blanke Klinge blitzte im Licht der Hoflampe. Den nächsten Hieb spürte er. Der kalte Stahl glitt zwischen die Rippen. Entsetzt sah er auf das dunkle Gesicht, das unter der Kapuze einer schwarzen Jacke verborgen war.

»Welcher ... meiner ... Patienten bist ... du?«, stöhnte er schwach.

Einen Augenblick stand die Gestalt unbeweglich da, dann wurde die Kapuze aus dem Gesicht gezogen und die Augen starrten direkt in seine, als sie wieder zustich. Die Augen des Arztes wurden groß und verwundert, bevor er neben dem Hundezwinger und seinem Jagdgewehr umfiel.

Victoria schrak hoch, schnappte nach Luft und setzte sich im Bett auf. Die Hunde waren jetzt still, aber ein furchtbares Gefühl hatte sie geweckt. Ein Traum? Oder war es ein Laut? Sie stand aus dem warmen Bett auf und ging barfuß über den kühlen Holzboden zum Fenster. Draußen war es dunkel, und es dauerte ein wenig, bis ihre Augen das Bündel erfassten, das im Hundezwinger lag. »Helge!«, schrie sie. Sie riss die Haustür auf und lief hinaus auf den kalten Kies, der in ihre Füße schnitt, aber sie ignorierte den Schmerz. Ein heiserer Schrei, der klang, als käme er von einem verwundeten Tier, erfüllte die dunkle, diesige Nacht, als sie sich neben dem blutigen Körper ihres Mannes auf die Knie warf.

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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