Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 9

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Sie wurde auf dem Flur angehalten.

»Annemette Knudsen?«

»Ja.«

»Sie ist gerade im Bad, aber es dauert nicht lange. Sie können eine Tasse Kaffee haben, während Sie warten.« Die Frau nickte in Richtung einer Menge verschiedenfarbiger Thermoskannen und Becher, die auf einem Couchtisch standen.

Annemette nickte, setzte sich auf ein hellgraues Sofa mit braunen Kaffeeflecken und wartete, während sie der Frau nachsah, die schnell in Richtung Flur verschwand. Sie hatte sie zuvor noch nicht gesehen, also war sie wohl neu. Aber sie kannte sich selbst mit den Thermoskannen aus, denn sie kam so oft wie möglich hierher. Sie hätte vorher anrufen sollen, wie sonst auch.

Die Sonne schien durch ein hohes Fenster herein und warf blendendes Licht über den polierten Boden und die weißen Wände. Sie betrachtete die abstrakten Malereien. Nicht, weil sie sie nicht schon mal gesehen hätte, sondern weil sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte. Rauchen durfte man hier nicht. Die Zeitung auf dem Tisch hatte sie morgens schon gelesen und Kaffee getrunken hatte sie den ganzen Vormittag im Büro. Nora hatte sich wieder gemeldet, sodass sie mit den ganzen Lohnabrechnungen allein war. Trotzdem war sie dankbar. Dankbar dafür, dass sie den Job trotz ihres Alters bekommen hatte. Als das Geld zur Neige ging, war es schwer gewesen, sich das Ganze leisten zu können. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Aber natürlich musste das eines Tages passieren, so wie sie gelebt hatte. Sie hatte nie etwas gespart.

Die Frau ging erneut vorbei, einen Stapel Handtücher im Arm, und teilte mit, dass sie fertig sei. Annemette stand auf. Warum war sie nicht einfach reingegangen? Warum war sie nicht aus dem Bad zu ihr gekommen? Das hätte sie ohne Weiteres machen können, selbst wenn die Neue sie darum gebeten hatte zu warten. Sie dachte über ihre ungewohnte Passivität nach, während sie den langen Flur mit den geschlossenen Türen entlangging. Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen. Je näher sie kam, desto stärker klopfte ihr Herz, sodass sie meinte, man könnte es hören, als sie die Tür erreichte und die junge Frau betrachtete, ohne hineinzugehen. Sie hatte ihren Gast noch nicht bemerkt. Ihr langes Haar war feucht und ganz schwarz. Die Augen waren ebenfalls schwarz. Sie sahen zum Fenster und fixierten ausdrucklos etwas draußen am Horizont. Das Sonnenlicht ließ die dunkle Haut blass wirken. Ihr Vater war Spanier. Ein Versehen während eines Sommerurlaubs vor zwanzig Jahren.

»Hallo Kit.« Vorsichtig trat sie ein und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite des Tisches. »Alles Gute zum Geburtstag.«

»Hi. Ich wusste nicht, ob du kommst.«

»Natürlich komme ich an deinem Geburtstag! Den müssen wir doch feiern.«

»Ich wurde gefeiert – mit Brötchen und Kakao. Deswegen musste ich ins Bad, ich hab Kakao verschüttet.« Kit versuchte zu lächeln, aber in ihren Augen standen Tränen.

Annemette strich ihr über die Wange. »Ach komm. Es war doch nur Kakao.«

»Ich hab mich verbrannt!«

Sie zog schnell die Hand zurück und steckte sie stattdessen in eine Tragetasche von Salling. »Ich hab ein Geschenk für dich.« Sie legte es auf den Tisch und wartete gespannt, während Kit es mit einem kleinen, schüchternen Lächeln auspackte.

»Was hast du dir jetzt ausgedacht? Das war doch nicht nötig. Gibst du mir einen Tipp?«

Das Auspacken dauerte ziemlich lange. Annemette wartete ruhig, aber ihr Fuß unterm Tisch wippte ungeduldig. Verdammt, wie gern sie jetzt eine rauchen würde. Bevor es ganz ausgepackt war, hielt sie den Pulli vor Kit. Das Lächeln erstarb langsam, auch in ihren braunen Augen.

»Magst du ihn? Kannst du erkennen, was die Pailletten darstellen?«

»Ja. Schmetterlinge. Er ist toll. Wirklich. Aber wann soll ich den anziehen? Wann brauche ich denn mal etwa so Schickes?«

»So ein Quatsch. Das brauchst du doch oft und so schick ist er nun auch wieder nicht, dass du ihn nicht im Alltag tragen könntest.«

Kit berührte vorsichtig die Pailletten. Es war ein Ausdruck in ihre Augen getreten, den Annemette noch nie leiden konnte. Es war einer dieser Tage. Einer dieser Tage, mit denen sie so schwer umgehen konnte.

»Warum hast du mich damals nicht einfach sterben lassen?«

»Nein, hör jetzt auf!«

»Ich weiß, dass du die Wahl hattest. Warum hast du nicht einfach gesagt, sie sollten ausschalten?«

Annemette sammelte geräuschvoll das Geschenkpapier ein und stopfte es in die leere Plastiktüte. »Wer erzählt denn so einen Unsinn? Woher hast du nur solche Gedanken?«

»Oma hat es mir erzählt. Sie sagte, du solltest die Entscheidung treffen. Das war damals, als sie mal Lust hatte, mich zu besuchen.«

»Oma ist krank. Es geht ihr sehr schlecht, und nur deswegen kommt sie nicht. Das weißt du genau.«

»Warum holst du sie dann nicht ab und bringst sie mit?«

Annemette ließ die Frage im Raum stehen.

»Ich hab mich doch damals richtig entschieden, oder? Sonst würdest du heute nicht Geburtstag feiern.«

»Und das wäre besser gewesen. Alles wäre besser gewesen als das hier!« »So was darfst du nicht sagen, Schätzchen.«

Der Puls stieg und das Zwerchfell krampfte sich zusammen. Hätte sie das Frühstück besser nicht ausfallen lassen sollen?

»Gibt es zur Feier des Tages nicht ein bisschen Kaffee und Kuchen?«

Sie versuchte die Gereiztheit in ihrer Stimme zu verbergen.

»Sie geben heute Abend eine Feier für mich. Kommst du?« Kit sah sie bittend an.

»Du weißt genau, ich kann nicht.« Sie nahm ihre Hände, die schlaff auf dem Tisch lagen. »Ich muss doch arbeiten.«

Kit riss ihre Hand an sich und sah sie wütend an, bis sie plötzlich die andere Hand losließ. »Du hättest mich sterben lassen sollen, dann hättest du nicht so viel arbeiten müssen. Dann hätte der Bürojob ausgereicht. Dann hättest du kommen können.«

»Ja, aber dann wärst du nicht hier gewesen und es hätte keine Feier gegeben.« Sie lächelte und versuchte neckend zu klingen. Manchmal reichte das. »Aber dann kannst du heute Abend deinen schicken Pullover anziehen. Das wird bestimmt schön mit all deinen Freunden.« »Freunde! Nennst du das Freunde? Wo sind meine Freunde jetzt? Verrat mir das mal!«

»Schätzchen, du verstehst doch bestimmt, dass sie ...« Sie stockte, als ihr aufging, dass der Satz katastrophal missverstanden werden würde. Sie stand auf und begann, den Mantel anzuziehen. Kits Blick folgte jeder ihrer Bewegungen. Es tat im Innersten weh und sie freute sich beschämt darauf, wieder draußen im Sonnenschein zu stehen und die reine Luft einzuatmen. Draußen in einer anderen Welt. Ihrer eigenen.

»Rufst du morgen an und fragst, wie die Feier war?« Es kam eine Bewegung über Kits Lippen, die zur Feier des Tages einen Hauch schimmernden Lipgloss verpasst bekommen hatten.

Annemette deutete das als ein Lächeln und atmete erleichtert auf. »Natürlich. Hab einen schönen Abend und freu dich darüber, zwanzig zu werden. Das ist das beste Alter im Leben.« Vielleicht war das unangebracht – geradezu böse, aber jetzt war es gesagt.

»Ja, das Alter, in dem man sich amüsiert und sein Leben lebt.« Dieses Mal lächelte sie, aber es war ein ironisches und bitteres Lächeln. »Darf ich dir winken?«

»Natürlich darfst du das. Ich muss dann mal.«

Sie ging um Kit herum und schob den Rollstuhl ans Fenster.

Als sie vom Parkplatz aus zum Fenster schaute und zurückwinkte, dachte sie, dass Kit der größte Fehler war, den sie je begangen hatte.

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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