Читать книгу Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2 - Inger Gammelgaard Madsen - Страница 7

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Nicolaj, der neue Praktikant, der gerade eingestellt worden war, klickte mit einem Kugelschreiber, Britt machte Blasen mit ihrem Kaugummi und ließ sie mit einem provokanten Knall zerplatzen, gleichzeitig spielte ihr Transistorradio lauter als normal. Mads Dams Stuhl war leer, er war irgendwo draußen – wo, wusste niemand. Höchstwahrscheinlich saß er in einer Kneipe ohne Rauchverbot mitten in der Stadt. Die Redaktion war spürbar davon geprägt, dass der Redakteur Ivan Thygesen sich krankgemeldet hatte und alle »Ist die Katze aus dem Haus ...« spielten.

Obwohl Anne auch das befreiende Gefühl im Körper spürte, Thygesens stechende Schweinsäuglein in dem rotwangigen Gesicht auf der anderen Seite der Glasscheibe, die die Redaktion von ihrem kleinen, stickigen Büro abtrennte, nicht sehen zu müssen, drangen alle Geräusche in ihr Nervensystem und hinderten sie am Denken. Sie hatte mehrfach ihren Kontakt im Präsidium angerufen, um etwas über die Moorleiche zu erfahren. Aber niemand wollte ihr etwas mitteilen, daher musste sie schön auf die Pressekonferenz warten. Ihr Ärger wuchs stetig. Dieses Mal hatte sie die Auskünfte über den Fund im Moor nicht vor allen anderen Journalisten bekommen. Ihr Informant, der über eine illegale Ausrüstung zum Abhören des Polizeifunks verfügte, war im Frühjahr verhaftet und wegen Haschbesitz verurteilt worden. Glücklicherweise hatte weder er noch sie ihre Zusammenarbeit erwähnt. Mit Hasch hatte sie nichts mehr zu tun. Alle Verbindungen zu ihrer Nørrebro-Clique waren gekappt. In den zwei Jahren, die sie in Aarhus wohnte, hatte sie mit keinem von ihnen gesprochen. Interessierte sich auch überhaupt nicht mehr für ihre Aktionen, die meist pöbelhafter Vandalismus waren. Aber alles hatte sie noch nicht abgelegt; der Nørrebro-Dialekt schien deutlich durch, als sie knurrend um etwas Ruhe bat und sich erhob, um Kaffee zu holen. Britt ließ noch eine Kaugummiblase platzen und sah sie verärgert an.

»Na, hier haben wir vielleicht die weibliche Ausgabe von Ivan dem Schrecklichen«, meinte sie trocken. Der Praktikant lachte. Er spielte mit ein paar Bildern in Photoshop, in dem er nach eigener Aussage Experte war. Sie bemerkte flüchtig, dass er nicht wesentlich weiter damit gekommen war, die schlechten Fotos von einem der Spiele des AGF zu retuschieren, über das Mads Dam, der Sportverantwortliche der Redaktion, gerade schrieb – wenn er nicht gerade in der Kneipe saß. Aber wenn man verträumt aus dem Fenster schauen und mit dem Kugelschreiber klicken musste, war es ja auch nicht so leicht, das Ganze zu schaffen. Säße Kamilla, die Fotografin der Redaktion, an den Bildern, wären sie schon längst fertig retuschiert. Kamilla war seit Anfang des Jahres fest angestellt, nachdem sie viele Jahre als Freelancer gearbeitet hatte. Aber heute hatte sie frei. Das hatte bestimmt etwas damit zu tun, dass ihre Mutter im Krankenhaus lag. Als ob Kamilla nicht schon genug um die Ohren hätte.

»Bist du mit deiner Moorleichen-Sache ins Stocken geraten?«, erkundigte sich Britt mit ein bisschen mehr Anteilnahme, nachdem sie sich mit einem Plastikbecher lauwarmen Kaffees wieder an den Computer gesetzt hatte. Sie drehte die Musik ein bisschen leiser, und Anne genoss es, dass es ihr geglückt war, sich in der Redaktion ein wenig Respekt zu verschaffen. Sie hatten ihr hitziges Temperament oft genug erlebt. Oder vielleicht lag es auch an ihrer Vergangenheit, die mittlerweile alle kannten. Vielleicht war es mehr Angst als Respekt.

»So ’ne Moorleiche ist schon geil. Mein Onkel ist verrückt nach Vögeln und Mitglied des Dänischen Ornithologischen Vereins, wo er Beobachter ist. Verdammt, er zählt die – die Vögel! Bestimmt hat er oft am Ufer vom Moor mit einem Fernglas auf der Lauer gelegen, ohne zu wissen, dass eine alte, verrottete Leiche direkt unter ihm lag«, sagte Nicolaj und grinste, bevor Anne antworten konnte. Sie sah ihn wütend an. Eigentlich war er ein ganz süßer Kerl mit frechen, grünen Augen, rot gelocktem Haar und Sommersprossen auf einer Haut, die genauso hell wie ihre eigene war. Trotzdem störte sie irgendetwas an ihm. Vielleicht nur, dass sie die Betreuung des Praktikanten übernehmen musste, weil Nicolaj sich am meisten für Kriminalthemen interessierte und er deshalb in dem halben Jahr, das er in der Redaktion angestellt war, ihr zugeteilt worden war. Sie sollte ihn coachen, anleiten und ihm einen Überblick über seine Stärken und Schwächen geben. Wenn er vorhatte, sich mit Verbrechen zu beschäftigen, sollte ihm das Geile an einer verrottenden Leiche möglichst schnell ausgetrieben werden.

»Ja, es ist ein bisschen schwer weiterzukommen, wenn keiner irgendetwas verraten will.« Sie trank einen Schluck Kaffee und ignorierte Nicolaj. »Das Einzige, was ich weiß, ist, dass es um einen Mord geht, der vor vielen Jahren begangen wurde. Wenn ich wüsste, um wie viele Jahre es geht, könnte ich nach alten Vermisstenanzeigen des betreffenden Jahres suchen, aber wie weit muss ich zurückgehen?«

Britt streckte sich, sodass ihre fülligen Brüste beinahe aus der allzu tief ausgeschnittenen Bluse quollen. Nicolaj erfasste das mit einem kurzen Blick, den er schnell und errötend abwandte. Sie lächelte hinter dem Bildschirm. Es war eine Neuerung, dass Thygesen endlich Mitarbeiter des anderen Geschlechts eingestellt hatte. Als sie in der Redaktion angefangen hatte, waren alle Journalisten Frauen gewesen und die reinsten babes – wie Britt –, aber als Bertha fertig ausgebildet war, bekam sie einen Job beim Extrablatt und war nach Kopenhagen gezogen. Tove war in den Mutterschaftsurlaub gegangen und nie mehr in die unsichere Zeitungsbranche zurückgekehrt. Ein neuer Auszubildender wurde nicht eingestellt. Für Tove wurde Mads Dam eingestellt, als jemand mit Gespür für Sport fehlte. Wie Thygesen auf die Idee kam, dass es von all den Qualifizierten auf Jobsuche ausgerechnet er sein sollte, hatte sie nie verstanden; es hatte bestimmt etwas damit zu tun, dass sie alte Freunde waren. Oder vielleicht war er schlicht und ergreifend der Einzige, der das Gehalt akzeptierte. Die Branche war unter Druck. Zeitungskriege hatten getobt, ohne dass es einen Sieger gegeben hatte, weitere Kriege würden zweifelsohne folgen. Zeitungskonzerne fusionierten und verdrängten die Kleinen, um den ganzen Markt für sich selbst zu haben – inklusive der lokalen Themen. Mehrfach hatte Ivan Thygesen sie darauf vorbereitet, dass die Redaktion vielleicht schließen müsste, aber das Tageblatt hielt noch stand, kräftig unterstützt von den Werbeeinnahmen vieler treuer Anzeigenkunden. Die Werbung überschattete fast den redaktionellen Stoff und wurde sogar manchmal in Zeiten ohne große Neuigkeiten als Titelseite benutzt.

»Vielleicht wurde die Moorleiche nicht vermisst und es wurde nie nach ihr gesucht«, schlug Britt vor, als sie sich fertig gestreckt und eine Zigarette aus der Packung geklopft hatte, obwohl sie sich in der Redaktion normalerweise an das Rauchverbot hielten. Sie gestikulierte, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, als Anne sie vorwurfsvoll ansah. »Verdammt, die Gewerbeaufsicht wird schon nicht herkommen«, verteidigte sie sich und zündete sich mit einem Einwegfeuerzeug von Opel die Zigarette an.

Anne schüttelte den Kopf über sie. »Kann schon sein, dass es eine Person ist, die nicht vermisst wurde«, meinte sie. »Ich bin mir sicher, irgendwo bei einem alten Fall liegt eine Suchmeldung, die man nur ausgraben muss.« Das Klingeln des Telefons auf Thygesens Schreibtisch unterbrach sie. Alle sahen einander an.

»Lass es einfach klingeln«, sagte Britt und nahm ihre Arbeit an der Tastatur wieder auf.

»Das können wir aber verflixt noch mal nicht einfach. Vielleicht geht es um die Pressekonferenz im Polizeipräsidium. Die wissen doch nicht, dass Thygesen krankgemeldet ist, oder?« Anne stand auf und schüttelte erneut missbilligend den Kopf.

In Thygesens Büro roch es immer noch nach Zigarren und alter Kneipe. Sie glaubte auch nicht, dass er sich die Zigarren verkniff, wenn er hier spät am Abend allein saß. Die Sonne schien durchs Fenster, das dringend mal geputzt werden müsste, und auf den verstaubten Rahmen. Das Reinigungspersonal war ebenfalls den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen, sodass sie nun selbst dafür verantwortlich waren, die Redaktion sauber zu halten. Sie warf einen Krug mit abgekauten Bleistiften und Reklamekulis um, als sie sich über den Schreibtisch beugte und den Hörer abhob. Hätten sie die Umstellung nach dem Blitzschlag letzten Sommer gemacht, hätte sie das Gespräch mit einem einzigen Tastendruck auf ihrem eigenen Telefon annehmen können.

»Redakteur Thygesens Telefon«, meldete sie sich, während sie den Krug aufrichtete, die Bleistifte einsammelte und sie wieder hineinstellte. Durch die schmutzigen Fenster konnte man im diesigen Nebel gerade so am Horizont den Rathausturm ausmachen. Sie hörte ein leises Luftholen im Hörer.

»Hallo, mit wem spreche ich?«, fragte sie und war versucht, wieder aufzulegen.

»Mit wem spreche ich? Ich will nur mit dem Verantwortlichen vom Tageblatt reden!« Die Stimme klang so, als ob sich der Anrufer die Nase zuhielt oder Asthma hatte. Sie witterte die Stimmung von etwas Wichtigem.

»Der verantwortliche Redakteur ist leider krank, kann ich Ihnen weiterhelfen? Ich bin Journalistin. Anne Larsen.«

Langes Schweigen.

»Sie haben über den Mord an dem Mädchen geschrieben. Das sie im Container gefunden haben, stimmt’s?«

Jetzt war sie diejenige, die schwieg.

»Ja, das war ich.«

»Gut, Sie kann ich auch gut gebrauchen. Ich glaube, ich weiß etwas über die Leiche im Moor«, fuhr die Stimme fort. »Wenn meine Vermutung richtig ist, wird es noch weitere Morde geben.«

Mord auf Antrag - Roland Benito-Krimi 2

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