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6. Gerichtliche Leichenöffnung

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Die gerichtliche Leichenöffnung nach § 87 II StPO erfordert grundsätzlich eine richterliche Anordnung (§ 87 IV StPO), die – außer im Fall des § 165 StPO – nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft ergehen darf. Wenn der Untersuchungserfolg durch Verzögerung gefährdet würde, beispielsweise wegen des Zustandes der Leiche oder der Notwendigkeit sofortiger Aufklärung der Todesursache, ist die Staatsanwaltschaft zur Anordnung befugt, nicht aber deren Ermittlungspersonen. Es liegt im Ermessen des Staatsanwalts, ob er sich mit einer Leichenschau begnügt und die beschlagnahmte Leiche zur Bestattung freigibt, oder ob er eine Leichenöffnung beantragt. Kann durch die Leichenschau und erste Ermittlungen ein fremdes Verschulden ausgeschlossen werden, muss nicht in jedem Fall des § 159 StPO eine Leichenöffnung erfolgen.

In keiner Vorschrift ist geregelt, bei welchen Sterbefällen eine Leichenöffnung durchgeführt werden soll oder muss. Lediglich eine allgemein gehaltene Entscheidungsgrundlage findet sich in Nr. 33 II RiStBV: „Lässt sich auch bei der Leichenschau eine Straftat als Todesursache nicht ausschließen oder ist damit zu rechnen, dass die Feststellungen später angezweifelt werden, so veranlasst der Staatsanwalt grundsätzlich die Leichenöffnung. Dies gilt namentlich bei Sterbefällen von Personen, die sich in Haft oder sonst in amtlicher Verwahrung befunden haben.“

Die gerichtliche Leichenöffnung wird von zwei Ärzten vorgenommen, von denen einer über eine rechtsmedizinische Qualifikation verfügen muss. Der Erste Obduzent, der die größere Sachkunde und Erfahrung besitzt, wird bei der Leichenöffnung vom Zweiten Obduzenten unterstützt.

Der § 87 II StPO räumt der Staatsanwaltschaft eine Teilnahmebefugnis bei der Leichenöffnung ein. Unter Nr. 33 IV RiStBV heißt es: „Der Staatsanwalt nimmt an der Leichenöffnung nur teil, wenn er dies nach seinem pflichtgemäßen Ermessen im Rahmen einer umfassenden Sachaufklärung für geboten erachtet. Eine Teilnahme des Staatsanwalts wird in der Regel in Betracht kommen in Kapitalsachen, nach tödlichen Unfällen zur Rekonstruktion des Unfallgeschehens, bei Todesfällen durch Schusswaffengebrauch im Dienst, bei Todesfällen im Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen oder in Verfahren, die ärztliche Behandlungsfehler zum Gegenstand haben.“

Nimmt der Staatsanwalt an der Leichenöffnung teil, muss er während des ganzen Vorgangs anwesend sein und die Untersuchung leiten. Er hat, soweit ihm das als Laie möglich ist, zu prüfen, ob die von den Sachverständigen festgestellten Befundtatsachen mit seinen Beobachtungen übereinstimmen. Ebenso obliegt es dem Staatsanwalt, beweissichernde Maßnahmen zu veranlassen (Nr. 35 RiStBV). Er kann auch weitere Sachverständige hinzuziehen, beispielsweise beim Verdacht eines Stromtodes einen Sachverständigen für Elektrotechnik (Nr. 36 II RiStBV).

Die Anwesenheit von Ermittlungsbeamten bei der Leichenöffnung kann zweckmäßig, oft sogar notwendig sein.

Nach § 87 III StPO ist zur Besichtigung oder Öffnung einer beerdigten Leiche ihre Ausgrabung (Exhumierung, Enterdigung) statthaft. Angeordnet werden muss die Exhumierung von dem mit der Sache befassten oder nach § 162 StPO zuständigen Richter. Der Staatsanwalt ist zur Anordnung befugt, wenn durch eine Verzögerung der Untersuchungserfolg gefährdet würde. Zur Exhumierung heißt es unter Nr. 34 RiStBV: „Bei der Ausgrabung einer Leiche sollte einer der Obduzenten anwesend sein. Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so ist das Mittelstück der Bodenfläche des Sarges herauszunehmen und aufzubewahren; von dem Erdboden, auf dem der Sarg stand, und von dem gewachsenen Boden der Seitenwände des Grabes sind zur chemischen Untersuchung und zum Vergleich Proben zu entnehmen. In solchen Fällen empfiehlt es sich, zur Ausgrabung und zur Sektion der Leiche den chemischen Sachverständigen eines Untersuchungsinstitutes beizuziehen, damit er die Aufnahme von Erde, Sargschmuck, Sargteilen, Kleiderstücken und Leichenteilen selbst vornehmen kann.“

Die Strafprozessordnung enthält keinerlei Bestimmungen über die Voraussetzungen sowie über die Art und Weise einer Leichenausgrabung. Daher wurden von den einzelnen Bundesländern in Gesetzen und Verordnungen über das Leichenwesen einige Vorschriften für die Exhumierung aufgenommen. Die landesrechtlichen Regelungen richten sich vorrangig auf gesundheitspolizeiliche Erfordernisse und können auf strafprozessual begründete Exhumierungen nicht angewandt werden. Insbesondere darf die Ausführung der gerichtlichen Anordnung niemals von der Zustimmung einer Verwaltungsbehörde abhängig gemacht werden.

Vorwiegend wird eine Leiche exhumiert, wenn sich nach der Beerdigung Zweifel ergeben, dass der Tod aus natürlicher Ursache eingetreten ist. Diese Zweifel können entweder durch Gerüchte oder durch eine förmliche Anzeige entstehen. Damit ergibt sich nachträglich eine Leichensache gemäß § 159 I StPO. Ebenso ist es möglich, dass später geführte Ermittlungen Anhaltspunkte für ein Verschulden Dritter erbringen oder ein Geständnis des Täters eine Exhumierung notwendig macht. Schließlich können Zweifel an der Identität des Bestatteten zu einer Exhumierung führen, sodass daraus gleichfalls eine Leichensache nach § 159 I StPO wird.

Die Benachrichtigung von Angehörigen des Toten ist zulässig, hat aber zu unterbleiben, wenn dadurch der Untersuchungszweck gefährdet würde.

In § 88 StPO wird gefordert, die Identifizierung eines Toten möglichst vor der Leichenöffnung vorzunehmen. Die Feststellung der Identität ist aber auch erforderlich, wenn keine Leichenöffnung stattfindet. Selbstverständlich sollten unbekannte Tote stets obduziert werden (Näheres siehe Kapitel X, Nummer 1.1).

Der § 89 StPO regelt den Umfang der Leichenöffnung. Soweit der Zustand der Leiche es gestattet, müssen bei der Obduktion die Kopf-, Brust- und Bauchhöhle geöffnet werden. Die Öffnung aller drei großen Körperhöhlen hat selbst dann zu erfolgen, wenn nach Öffnung einer Höhle die Todesursache erkennbar ist. Zu einer ordnungsgemäßen Obduktion gehört auch die sorgfältige äußere Untersuchung des Leichnams mit Feststellung der sicheren Zeichen des Todes. Äußere und innere Leichenschau sind unverzichtbar, da die gerichtliche Leichenöffnung nicht nur der Feststellung der Todesursache dient, sondern bei der gutachtlichen Würdigung des Todesfalles alle Verletzungen und vorbestehenden krankhaften Organveränderungen berücksichtigt werden müssen. Aus diesem Grund ist aus rechtsmedizinischer Sicht eine Teilsektion abzulehnen.

Für die Durchführung der gerichtsärztlichen Leichenöffnung gibt es keine allgemein verbindliche Technik. Dennoch hat sich ein bestimmtes Grundschema bewährt, das je nach Sachlage um spezielle Sektionstechniken ergänzt wird. So erfolgt beispielsweise bei Todesfällen durch Strangulation die Sektion der Halsregion in sog. künstlicher Blutleere. Durch ein entsprechendes Vorgehen bei der Öffnung der Körperhöhlen werden zunächst die Blutgefäße des Halses entleert, bevor man mit der schichtweisen Präparation der Halsweichteile beginnt. Es muss durch die praktizierte Sektionsmethode stets gewährleistet sein, dass kein Befund übersehen oder gar zerstört wird.

Zur Vorgehensweise bei der Sektion und für die Protokollierung der erhobenen Befunde hat die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin umfangreiche Leitlinien unter dem Titel „Die rechtsmedizinische Leichenöffnung“ ausgearbeitet.[1]

Selbstverständlich ist während der Leichenöffnung von allen Beteiligten und anderen Anwesenden die gebotene Ehrfurcht vor dem Toten zu wahren. Das bedeutet auch, den obduzierten Leichnam sorgfältig wieder herzurichten. Die Belange der Pietät gelten gleichermaßen für Transport und Lagerung des Verstorbenen.

Gelegentlich wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft die gerichtliche Leichenöffnung einer bereits andernorts obduzierten Leiche angeordnet. Eine solche Nachsektion soll die formalen Erfordernisse der Strafprozessordnung erfüllen. Trotz ihres oft verminderten Aussagewertes kann die Nachsektion zusammen mit den Ergebnissen der zuerst vorgenommenen Obduktion zu einer verfahrensgerechten Einführung der Befunde führen.

Für die beiden Spezialfälle der Leichenöffnung von Neugeborenen (§ 90 StPO) sowie bei Verdacht einer Vergiftung (§ 91 StPO) sind in der Strafprozessordnung selbstständige, von § 87 II StPO abgetrennte Regelungen enthalten.

Im Anschluss an die gerichtliche Leichenöffnung erteilt oder besorgt der Staatsanwalt die schriftliche Genehmigung zur Bestattung (§ 159 II StPO). Spätestens bei der Freigabe der Leiche zur Bestattung hat der Staatsanwalt regelmäßig dafür zu sorgen, dass ein Totensorgeberechtigter auf die Möglichkeit einer Nachbestattung entnommener Körpermaterialien hingewiesen wird (Nr. 35 III RiStBV).

Die rechtsmedizinischen Obduktionsprotokolle weichen kaum voneinander ab und sind an folgender Gliederung orientiert:

A. Äußere Besichtigung Geschlecht, Alter, Größe, Gewicht und Körperbau Bekleidung Sichere Zeichen des Todes Kopf Hals Brust Bauch Äußere Geschlechtsorgane Obere und untere Gliedmaßen Rücken und After
B. Innere Besichtigung (Beschreibung der Körperhöhlen und der einzelnen Organe nach Farbe, Größe, Gewicht, Gestalt, Konsistenz und Blutgehalt sowie Feststellung von krankhaften Veränderungen und von Verletzungen) Kopfhöhle Hals Brusthöhle Bauchhöhle Skelettsystem
C. Vorläufiges Gutachten I. Sektionsergebnis (zusammengefasste Obduktionsbefunde) II. Todesursache III. Beurteilung der Todesart IV. Vorgeschichte (meist aus der Akte; bei Kapitalsachen eigene Wahrnehmungen des Obduzenten vom Tat- oder Fundort und mündlich mitgeteilte, erste Ermittlungsergebnisse) V. Gutachtliche Beurteilung des Todesfalles (insbesondere zur Fremdeinwirkung, zum Geschehensablauf bzw. Tathergang, zur Todeszeit und zum Kausalzusammenhang) VI. Asservate VII. Hinweise auf mögliche Zusatzuntersuchungen (histologische, toxikologisch-chemische, bakteriologische, virologische, spurenkundliche Untersuchungen) VIII. Vorbehalt (Da das Vorläufige Gutachten nur den ersten Eindruck der Obduzenten wiedergeben kann, erfolgt der Hinweis auf ein endgültiges Gutachten nach Abschluss der Zusatzuntersuchungen und der Ermittlungen.)

Unmittelbar nach der Leichenöffnung erläutern die Obduzenten den anwesenden Vertretern der Ermittlungsbehörde das Obduktionsergebnis. Dabei werden die Obduktionsbefunde und die Todesursache in Verbindung mit den ersten Ermittlungsergebnissen erörtert und gegebenenfalls weitere Ermittlungen angeregt.

Als Anlage werden den Obduktionsprotokollen Skizzen beigefügt, aus denen beispielsweise die Lokalisation der Verletzungen, der Verlauf von Stich- oder Schusskanälen und Knochenbruchlinien ersichtlich sind. Weiterhin dienen Lichtbildtafeln der Dokumentation wesentlicher Obduktionsbefunde.

Nicht immer gelingt es, bei der Leichenöffnung aus den Organveränderungen die Todesursache abzuleiten. In solchen Fällen werden Zusatzuntersuchungen vorgenommen, die eine gewisse Zeit erfordern. Häufig sind das toxikologisch-chemische Analysen und mikroskopische Gewebeuntersuchungen (= histologische Untersuchungen). Bei histologischen Untersuchungen werden von asservierten Gewebeproben nach einer Vorbehandlung ganz dünne Schnittpräparate angefertigt, gefärbt und unter dem Mikroskop betrachtet. Wenn die Ergebnisse aller Zusatzuntersuchungen vorliegen, wird eine Stellungnahme zur Todesursache nachgereicht.

Das rechtsmedizinische Gutachten kann gemäß § 256 I StPO in der Hauptverhandlung verlesen werden und geht als Urkundenbeweis (§ 249 StPO) in das Verfahren ein. Deshalb muss es allgemeinverständlich formuliert sein. Dazu gehört, dass medizinische Fachausdrücke ins Deutsche übertragen und erläutert werden.

Nachfolgend sind wesentliche Aufgaben und Ziele der gerichtlichen Leichenöffnung zusammengefasst:

Sicherung von Spuren an der Bekleidung und am Körper der Leiche,
Entnahme von Körperflüssigkeiten und Organproben,
Sicherstellung von Sachbeweisen aus dem Körperinneren (Projektile, Werkzeugspuren an Knochen),
Erfassung äußerer und innerer Identitätsmerkmale,
Hinweise zur Todeszeitschätzung,
Feststellung von Todesursache und Todesart, häufig verbunden mit der Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einer Körperschädigung und dem Tod,
Fotodokumentation bzw. Videoaufzeichnung äußerer und innerer Befunde je nach Erforderlichkeit,
Tat- oder Unfallrekonstruktion,
Beurteilung einer Überlebenszeit,
Einschätzung einer Handlungsfähigkeit nach der Gewalteinwirkung,
Anregungen für die wissenschaftliche Untersuchung kriminalistisch und rechtsmedizinisch bedeutsamer Fragen.

Obwohl an der Notwendigkeit von Leichenöffnungen kein Zweifel besteht, gibt es in Deutschland seit Jahren eine gleichbleibend niedrige Rate rechtsmedizinischer Obduktionen. Nur 2 % aller Verstorbenen werden gerichtlich seziert. Dabei sind erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern festzustellen, die sich um den Faktor fünf bewegen.

Neben der gerichtlichen Leichenöffnung gibt es weitere Möglichkeiten der Obduktion. Das sind:

Sektion bei Seuchenverdacht (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen vom 20. Juli 2000 = Infektionsschutzgesetz),
klinische Sektion (Leichenöffnung im Institut für Pathologie von Kliniken zur Qualitätskontrolle und für wissenschaftliche Zwecke),
anatomische Sektion (Leichenöffnung in einem Anatomischen Institut zum Zweck der Lehre und Forschung über den Aufbau des menschlichen Körpers),
Sektion im Auftrag von Berufsgenossenschaften (Träger der gesetzlichen Unfallversicherung), gesetzlichen und privaten Versicherungen sowie Versorgungsämtern,
Sektion im Auftrag von Angehörigen (Privatsektion zur Feststellung der Todesursache),
außergerichtliche Obduktion (Landesrecht in einigen Bundesländern).

Unabhängig vom Rechtsstatus der Leiche genießen Ansehen und Würde eines Verstorbenen rechtlichen Schutz. Durch § 189 StGB wird die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Strafe gestellt. Die Vorschrift schützt das Pietätsempfinden der Angehörigen und die nach dem Tod fortbestehende Menschenwürde. Geschütztes Rechtsgut bleibt auch über den Tod hinaus der persönliche Lebens- und Geheimbereich (§ 203 StGB). Die Störung der Totenruhe ist gemäß § 168 StGB gesetzwidrig. Danach wird bestraft, „wer unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten den Körper oder Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen, eine tote Leibesfrucht, Teile einer solchen oder die Asche eines verstorbenen Menschen wegnimmt oder wer daran beschimpfenden Unfug verübt […]. Ebenso wird bestraft, wer eine Aufbahrungsstätte, Beisetzungsstätte oder öffentliche Totengedenkstätte zerstört oder beschädigt oder wer dort beschimpfenden Unfug verübt.“ Auch bestimmte Rechte und Willenserklärungen des Verstorbenen (z. B. Urheber- und Erbrechte) gelten nach dem Tod weiter.

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