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Kapitel 12

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Ich erwachte wieder in einem Raum und sah eine Person über mich gebeugt. Ich dachte an Carla. Meine Wahrnehmung war noch sehr getrübt, schemenhaft erkannte ich langsam einen Mann. „Guten Morgen, Herr Corner“, er lachte. „Morgen ist gut, es ist bereits halb zwei, hören Sie mich?“ Seine Stimme klang beruhigend. Ich antwortete ihm mit einem einfachen „Ja.“ „Sehr gut, wie geht es Ihnen?“ Diese Frage war so dämlich. Wie sollte es mir gehen, wenn ich vor exakt zwanzig Sekunden aufgewacht war. Ich antwortete mit einem „Geht so.“ Er nahm meinen Arm, maß den Puls und injizierte mir eine Ladung von Medikamenten. „Herr Corner, ich habe ihnen gerade ein paar Wachmacher gespritzt und werde Sie später nochmal besuchen. Sie werden nun langsam fit werden. Herzlich Willkommen zurück in Hamlin!“, er klopfte mir zaghaft auf die Schulter und verließ den Raum. Ich wurde wacher. Die unscharfen Konturen formten sich zu Apparaten, die Farbschleier zu Bildern, die an der Wand hingen. Ich setzte mich langsam auf, um die Umgebung zu erkunden. Ich lag in einem Einzelzimmer, umringt von Apparaten, die mit mir verbunden waren. Gegenüber von mir zeigte eine Uhr kurz nach zwei. Neben mir standen Blumen mit einer Karte. Die Blumen waren so hässlich, dass mir nur Meyers einfiel, der mir das antun konnte. Ich nahm die Karte und fand meine Vermutung bestätigt. Dort stand in einer hässlichen Männerschrift „Von deinen lieben Kollegen.“ Es war eine Sammelaktion von Meyers. Ich fühlte mich nicht besonders gut, was war nur los mit mir? Ich versuchte mich zu erinnern, vergeblich. Was war passiert? Warum lag ich hier eigentlich? Ich bekam Angst. In dieser Minute öffnete sich die Tür und ein Mann trat ein. „Guten Tag, Herr Corner, ich bin Walter Kreinberg, ermittelnder Kriminalbeamter in Dezernat Drei, Polizei Hamburg.“ „Hallo Walter, freut mich, Sie zu sehen, helfen Sie mir auf die Sprünge? Vielleicht damit, was ich hier mache?“ Mein ironisches Grinsen schien ihn zu irritieren. „Sie können sich an nichts erinnern? Nicht an den Abend, nicht an Ihre Begleitung, nicht an Ihre Auseinandersetzung?“ Ich begann zu überlegen. Es war, als ob man in seinem Gehirn einen Gang entlanglief und zu einer Tür kam, hinter der die Antworten lagen. Nur, dass die Tür verriegelt war. Ich versuchte, die Tür einzutreten, mit all meiner Kraft. Walter ließ mir einige Minuten. Ich erinnerte mich an die Spielhalle und Carla. Dann war Schluss. „Herr Corner, oder kann ich Sie James nennen?“ „Klar, nennen Sie mich James, wir Engländer legen auf das Sie nicht so großen Wert wie die Deutschen. Helfen Sie mir! Was ist passiert, wo ist Carla?“ Ich bekam wieder Angst, ein beklemmendes Gefühl stieg in mir empor. „James, du und deine Begleitung wurden überfallen. Eine Gang Jugendlicher war durchgedreht und hat dich niedergeschlagen. Die gesundheitlichen Details wird dir dein behandelter Arzt näher erläutern. Auf jeden Fall bist du zu einem Mord hinzugekommen, den wir aktuell aufklären wollen. Am besten mit entscheidenden Hinweisen von dir. Ein bestialischer Mord, einer der vielen, die sich in dieser verdammten Stadt in den letzten Wochen ereigneten. Entschuldige, ich bin nur übermüdet.“ Walter wirkte bedrückt. Er war nach meinen ersten Einschätzungen Anfang vierzig. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Sein schütteres, ungekämmtes, braunes Haar umschlang seinen schmalen Kopf. Seine Nasalorbital- und Stirnfalten waren sehr tief, er wirkte wirklich fertig. Das hätte er nicht betonen müssen. Schließlich hatte ich ja nicht mein Augenlicht verloren. Ich fragte ihn nach dem Fall. Angeblich waren die Jungs von einem älteren Herrn angegriffen worden, der wahllos auf ein Gruppenmitglied losgegangen war und diesen in den Hals gebissen hatte. Daraufhin hatten sich die vier diesen Herren vorgenommen und auf ihn eingeschlagen. Anfangs mit den Fäusten. Dann mit Füßen und einer Metallstange. So lange, bis das Gehirn auf den Asphalt spritzte und sein Schädel wie eine nach oben geöffnete japanische Vase aussah. Sie hatten laut Autopsiebericht ohne Unterlass auf ihn eingeprügelt. Diese Jungs waren in einem Gefühlszustand gewesen, den man in der Psychologie Amok nannte. In diesem Zustand verliert ein Mensch jegliche Selbstkontrolle und wird extrem gewaltbereit. Hinzu kam die Gruppendynamik, die hier leider eklatante Züge angenommen hatte.

„Und just in diesem sehr kritischen Moment kamst du hinzu, James. Unglücklich für dich, die Jungs traten auf dich ein, bis die Rettungskräfte eintrafen. Dein Glück war deine Begleitung, Frau Johnson. Möglicherweise würde man sonst heute nur noch Spuren deines Gehirns dort finden“ „Carla? Carla soll mich gerettet haben?“ „Indirekt, sie hat für dich die Rettungskräfte alarmiert und kam zurück zum Tatort, um dir zu helfen. Sie trug dabei glücklicherweise nur kleinere Blessuren davon, da die Jungs bei ihrem Eintreffen bereits flüchteten. Nun, wir hofften auf deine Aussage. Vielleicht kommt deine Erinnerung in den nächsten Tagen zurück. Ich werde dir meine Messenger Nummer zusenden, dann kannst du mich jederzeit erreichen. Mit ein paar Details zu den Jugendlichen von dir hätten wir eine Chance, die Jungs zu kriegen. Ein Lichtblick in diesen verrückten Tagen. James, gute Besserung noch.“ Walter verabschiedete sich von mir und ging hinaus. Ich grübelte noch eine Weile darüber nach und schlief dabei wieder ein. Ich schlief, bis mich eine süß klingende Frauenstimme zurück ins Diesseits holte. Es war Carla, die zusammen mit Meyers an meinem Bett stand. Als ich meine Augen öffnete, umarmte sie mich, sie freute sich riesig. Auch Meyers umarmte mich freundschaftlich mit der Frage, wie ich mich nach meiner Schwanzamputation fühlte. Er war und blieb eben ein Penner. Carla schilderte mir nochmal den Fall wie Walter, nur emotionsgeladener. Mit dem Unterschied, dass sie mir noch ein Bild von ihrem Gesicht einen Tag nach dem Überfall zeigte. Einer von den flüchtenden Jungs hatte ihr auf eines ihrer schönen, strahlenden, grünen Augen, die daraufhin eine blaugrüne Corona ausbildeten, geschlagen. Ich grinste bei dem Anblick, sie begann zu lachen. Dann wurde sie ernst. „James, ich muss dir was sagen, und will nicht warten, bis es der Arzt tut. Wir kennen uns und ich denke, es ist besser, du erfährst es von uns. Du… du lagst fast drei Wochen im Koma.“ Carla beendete den Satz abrupt, dann erfüllte Stille den Raum. Drei Wochen sollte ich verpasst haben? Das war unmöglich. Was war mit meinem Zeitgefühl passiert, das war unmöglich! Es war totenstill im Raum, nur die Gerätschaften um mich herum verursachten metallische Geräusche, alle schwiegen.

Meyers beendete als erster die Stille. „James, zwischenzeitlich ist hier einiges passiert, bei uns in der Agentur und in dieser verdammten Stadt.“ Ich spürte in der Stimme und dem Gesichtsausdruck von Meyers, dass hier etwas im Gange war. Etwas Beunruhigendes.

In diesem Moment ging die Tür auf, ein Arzt in einem hellblauen Kittel trat herein. „Hallo Herr Corner, mein Kollege gab mir Bescheid, dass Sie aus dem Koma erwacht sind. Willkommen zurück!“ Er bat Meyers und Carla, kurz den Raum zu verlassen. „Herr Corner, Ihre Erinnerungen an den Überfall scheinen augenblicklich nicht abrufbar zu sein. Dies bezeichnen wir Mediziner als retrograde Amnesie. Leider können wir dagegen nicht viel unternehmen und ich kann Ihnen auch keine Garantie geben, dass Sie diese Erinnerungen irgendwann zurückerhalten. Das Beste ist, Sie versuchen den Fall mithilfe der Erzählungen Ihrer Bekannten aufzuarbeiten. Somit vermeiden Sie mögliche traumatische Folgen. Hierzu würde ich Ihnen nach Ihrem Krankenhausaufenthalt eine entsprechende psychologische Behandlung empfehlen.“ Ich lehnte sein Angebot ab, ich brauchte sicher keine Behandlung. Eine Therapie wegen einer Schlägerei, bei der ich als Verlierer hervorging? Das hatte ich nicht nötig. Gut, dass mich dies drei Wochen gekostet haben sollte, wollte ich nicht glauben. Der Arzt checkte unterdessen an den Geräten meine Werte. Ich bekam noch eine kurze Erläuterung über meinen Gesundheitszustand. Ich hatte einen Bruch der knöchernen Augenhöhle und eine gestauchte Niere, die sich wieder auf dem Weg der Besserung befand. Ein kleiner Riss im linken Lungenflügel kam auch dazu, der aber war durch die Laserbehandlung bereits geschlossen. Und natürlich zu guter Letzt mein Schädel-Hirn-Trauma mit der Folge einer zeitweiligen Amnesie. Also alles in allem ein paar kleinere Blessuren. Ich war aber wieder soweit fit, dass ich in zwei bis drei Tagen hier raus durfte. Der Arzt verließ daraufhin das Zimmer und mein Besuch kam zurück. Carla begann zu erzählen.

„James, in den letzten drei Wochen häuften sich die Fälle der Übergriffe älterer Menschen. Anscheinend ist das ein Phänomen, das ganz Europa betrifft. Es gibt mittlerweile in fast allen Ländern Übergriffe. Der europäische Zentralrat hat deswegen den Beschluss vom 14. März bis auf weiteres verlängert. Hinzu kam, dass dies nun auch für Personen, die vor dem 01.01.2075 geboren sind, gilt. James, für diese Personen wurde der Notcode Winterbreak ausgerufen.“

Ich war schockiert. Winterbreak? Wie konnte das sein, war die Lage so ernst? Waren meine Vermutungen doch richtiger, als erwartet? Und ich schlief drei Wochen in tiefster Gelassenheit hier drinnen. „James, mir ist nicht wohl dabei. Ich überlege, ob ich die Stadt verlassen soll?“, sagte Carla. „Wohin verdammt, Carla?!“, meuterte Edward. „Wir müssen aktuell cool bleiben. Es ist ein Phänomen, okay, aber es trifft nur die Alten, also wovor hast du Angst?“ „Im Moment betrifft es nur die Alten, Edward, aber was ist, wenn es morgen auch Jüngere trifft?“ „Nein, das ist nicht möglich, soweit ist die aktuelle Untersuchung der Fälle bereits. Sie führen es auf die natürliche Abnahme der Astrozyten zurück. Die bilden die Gliagenzmembran, die das Gehirn an der Oberfläche gegen die Hirnhäute abschottet.“

Ich unterbrach ihn mit seinem medizinischen Geschwafel. „Meyers, bleib auf dem Boden und erklär das mal verständlicher!“ „Okay, ich vergaß, dass du ja einen Schlag auf deinen Kopf bekamst. Also gut. Es geht um die Blut-Hirn Schranke im menschlichen Kopf - in deinem ist die mit Sicherheit am Arsch, aber egal. Also diese Schranke trennt, einfach gesprochen, das Nervensystem vom Blutkreislauf, zwei fast völlig autonome Systeme. Diese Schranke ermöglicht dem Gehirn, sich vor Krankheitserregern oder irgendwelchen Toxinen zu schützen, zumindest solange sie intakt ist und funktioniert. Im Alter nimmt diese Funktion ab und Giftstoffe können einfacher passieren. Das ist auch das, was im Moment bei den Alten geschieht. Ob es Gift, ein Virus oder Nanopartikel sind, ist unklar. Auf jeden Fall löst es bei älteren Menschen organische Psychosen aus, die sie schlichtweg austicken lassen. So, das ist der aktuellste Stand, darum müssen wir einfach cool bleiben und warten, die werden das schon lösen. Im einundzwanzigsten Jahrhundert ist Afrika fast ausgestorben, damals wegen Aids. Was glaubt ihr, wie die Menschen damals wohl Schiss gehabt haben müssen. Ein Virus, das sich so verbreitete! Kein Gegenmittel über Jahrzehnte! Oder das Fischvirus vor hundert Jahren, das halb Japan auslöschte und diesen Schlitzaugen wohl jeglichen Appetit auf Sushi vermieste. Es gibt also genügend Beispiele für wesentlich schlimmere Katastrophen in der Welt. Das hier ist bei Gott nicht so schlimm, dass wir panisch flüchten müssen. Locker bleiben und warten.“ Ich stimmte Meyers zu und mit der Zeit konnten wir auch Carla überzeugen.

Winterbreak

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