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Kapitel 4

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Gegen 12.30 Uhr ging ich mit Meyers in unserem Firmenrestaurant Mittagessen. Das Restaurant gehörte zu den modernsten Schnellrestaurants im kompletten Industriepark. Es war mit dreihundert Tischen für jeweils vier Personen ausgestattet. Mittendrin gab es so genannte Inseln, runde Tische, an denen bis zu zwölf Personen sitzen konnten. Von uns wurden diese spöttisch „Inseln der Verdammten“ genannt, da dort meist eher die Außenseiter oder einzelne verirrte Kreaturen saßen.

Wir setzten uns an Tisch 227. Nach zwei Minuten fuhr uns ein silbernes Gefährt entgegen, ein Serviceroboter. Er sah aus wie ein überdimensionierter Staubsauger. Er war rund und hatte einen Durchmesser von circa 80 Zentimetern bei einer Höhe von ungefähr 50 Zentimetern. „Guten Tag, die Herren, bitte identifizieren Sie sich!“ Oben auf dem Körper des Roboters war in der Mitte neben einem Lautsprecher eine Kamera verbaut, die uns mittlerweile fokussiert hatte. „James Corner“, antwortete ich. „Muuiiiierrschiyss“, Edward konnte es nicht lassen, diese Maschinen zu fordern und zu verwirren. „Eingabe nicht erkannt! – Es wurde kein Herr Muschis gefunden, bitte wiederholen“. Diesen Witz brachte Meyers mindestens zweimal pro Woche und seine Wortkreationen waren niemals dieselben. Die Maschine wiederholte das Wort Muschi. Meyers lachte laut. Für ihn war das der größte Spaß, er war manchmal so albern wie ein Kind. Wirklich witzig war diese Aktion vor einem halben Jahr gewesen. Meyers diktierte dem Roboter mal wieder einen Namen, dieses Mal einen richtig kreativen. Just in diesem Moment kam unser Bereichsleiter an den Tisch, um uns zu begrüßen. Der Roboter begann, den Namen auszusprechen und antwortete somit auf die Begrüßung unseres Chefs mit „Maschinenmuschilecker wurde nicht erkannt, bitte wiederholen Sie die Eingabe.“ Dies war einer der Momente, in denen selbst Meyers knallrot wurde und keiner von uns mehr etwas sprach. Ich hätte in diesem Moment zu gerne die Gedanken unseres Chefs lesen wollen.

Meyers identifizierte sich nun auch endlich richtig und der Roboter fuhr Richtung Küche. Nach fünf Minuten kam er zurück. Vorne öffnete sich eine Klappe und unsere Essen standen darin. Meine Portion war leider nicht, das was ich erwartet hatte. Präferiert hätte ich donnerstags etwas anderes, zum Beispiel ein saftiges Steak serviert mit PumPlums. Stattdessen schallte mir die Stimme des Roboters entgegen: „James Corner, ihr Speiseplan wurde entsprechend der heute empfangenen Gesundheitsdaten adaptiert. Im Moment sind keine weiteren Schritte notwendig. Ihr Plan wird bis zum 18. April automatisch für vier Wochen geändert!“ Ganz toll, dachte ich mir, während Edward wie immer sein Wunschessen bekam. Auf meinem Teller lag ein Gemüsebrei, der stark danach aussah, als beinhalte er Brokkoli. Dabei war Meyers fett und nicht ich. Ich wunderte mich stets, wie er es schaffte, diesen Check zu umgehen. Wahrscheinlich nahm er den Urin der Nachbarskatze für den Morgentest. Das System musste fehlerhaft arbeiten, die Welt war auch im 22. Jahrhundert weiterhin ungerecht. Das Essen bei uns verlief in völliger Stille und Nachdenklichkeit. Jeder von uns aß. „Also, Freund, heute Abend darf uns mit den Hasen nichts schief laufen!“, Meyers unterbrach die Stille. „Ich bin wirklich heiß auf die Kleine!“. Plötzlich begann mein Messenger zu blinken, ich hatte eine neue Email erhalten. Ich stand auf und verabschiedete mich schnell von Meyers und begab mich auf dem Weg zurück ins Büro. Er schrie mir irgendetwas hinterher. Er war wohl über meinen plötzlichen Aufsprung nicht erfreut. Es war eine Message von unserem Bereichsleiter, die mich aufstehen ließ. Unser Controllermeeting war kurzfristig abgesagt worden. Ein Grund dafür stand nicht dabei. Ich rief ihn an. In einem kurzen Gespräch erläuterte er mir die Neuigkeiten, die es seitens unseres CEOs gab. Anscheinend hatte dieser ein Treffen mit dem Management von Noky Cell Phones, in dem auch unser Projekt zur Sprache kam. Wir hatten durch dieses Meeting die nötige Vorstandsattention erhalten. Es musste also doch einen Gott geben! Dies war die Nachricht über unseren Sieg, das Controllingmonster war beseitigt! Mit dem Rückenwind aus dieser Ebene stand unseren weiteren Forschungen nichts mehr im Wege. Ich fühlte mich richtig gut. Der Tag wandelte sich in Sekunden in einen der wenigen Tage im Arbeitsleben, die richtig Spaß machen. Mein Mittag konnte einen entspannten Verlauf nehmen. Ich beschloss kurzerhand, Corinna Steinberger zu besuchen, um die Situation von heute Morgen wieder gerade zu biegen. Was würde da besser helfen als ein kleiner, belangloser Smalltalk nach dem Mittag. Sie saß vier Etagen über mir. Nachdem man den Fahrstuhl verlassen hatte, empfing einen die gleiche Halle wie bei uns. Mit dem Unterschied, dass hier zahlenmäßig nicht einmal 20 % der arbeitenden Menschen aus unserer Etage saßen. Hier waren die Flächen weitläufiger und die Gehälter höher. Pflanzen unterbrachen diese Freiflächen immer wieder, sie schirmten wohl die leichten Gehaltsdifferenzen auf diesem Stock gegenseitig ab. Direkt am Fenster saß Corinna. Sie wirkte nachdenklich und in ihre Arbeit vertieft. Mit einem sanftmütigem „Hallo“ holte ich sie von ihrer Arbeit langsam zurück. „James, freut mich dich zu sehen. Mir geht es heute leider nicht besonders gut. Ich fühle mich schlapp und müde.“ Sie sah auch bleich im Gesicht aus. Die Farbe ihrer sonst so schönen Lippen war weißlich. „Ich muss immer wieder an den alten Mann aus dem Einkaufszentrum denken, das macht mir Angst.“ Ich wollte sie wieder besänftigen, doch sie unterbrach mich. „James, stopp! Es ist nett, dass du mich beruhigen willst, aber hör mal zu. Ich habe heute mit meinem Schwager in Paris telefoniert. Er arbeitet doch dort seit einem halben Jahr in dem Zentralklinikum. Du wirst es nicht glauben, aber es gab anscheinend in Frankreich in der Nähe von Lyon einen ähnlichen Fall. Dieser wurde heute in den Medien bekannt und sorgt in ganz Frankreich für Entsetzen. Eine vierundachtzigjährige Frau, es ist schrecklich. Sie war eine einfache Bäuerin, die alleine und zurückgezogen auf ihrem Bauernhof lebte. Ihr Mann war bereits vor Jahren gestorben. Also eine ganz gewöhnliche alte Frau. Anscheinend, wie jeden Wochentag, übernahm sie die Aufsicht für ihre Enkelin, da ihre Tochter geschieden war und nicht die finanzielle Möglichkeit hatte, ihr Kind in eine private Kinderaufsichtsstation abzugeben. Als die Tochter gegen Spätnachmittag zurückkam, war ihre Mutter nicht aufzufinden. Der Hof wirkte wie leer. Im ersten Moment dachte sie, die beiden seien bei den Nachbarn. Also wartete sie draußen auf einer Bank. Als eine halbe Stunde später noch immer niemand auftauchte, begab sie sich in das Haus. Das Essen stand fertig gekocht auf dem gedeckten Tisch, aber niemand war zu sehen. Sie ging nach oben, um nach ihnen zu suchen. Auch in den oberen Zimmern war niemand. In ihrer Verzweiflung lief sie die alte Kellertreppe hinab. Als sie das Licht anschaltete, bot sich ihr ein Bild des Grauens: Ihre Tochter lag blutüberströmt auf einem alten Holztisch. In ihrem Kopf steckte ein 30 Zentimeter langes Küchenmesser. Der ganze Körper war übersäht mit Messereinstichen. Sie war tot! Es glich einer Hinrichtung. Der Boden war blutverschmiert. Nur lag dort nicht ein Mörder wie im Mittelalter, sondern ein kleines Mädchen von knapp acht Jahren. Plötzlich bewegte sich aus dem Dunkeln ihre Mutter auf sie zu. Anscheinend war sie total verwirrt. Sie attackierte ihre Tochter mit bloßen Händen. Die begann sich heftig zu wehren, stieß die alte Frau zurück und lief nach oben. Dort schloss sie die Treppe ab und alarmierte über ihren Messenger die Polizei. Als die eintraf, lag ihre Mutter tot im Keller. Sie war beim Stoß ihrer Tochter gestolpert und hatte sich beim Fallen das Genick gebrochen. Die Tochter wurde in die psychiatrische Anstalt eingeliefert, in der mein Schwager arbeitet. Der Fall wird aktuell untersucht. Sie haben aber noch keine Anhaltspunkte. Laut meinem Schwager wollten sie im Laufe der Woche eine Autopsie des Gehirns der alten Frau durchführen, um mehr Licht ins Dunkle dieses Falles zu bringen. Gruselig James, das ist der reinste Horror, diese Geschichte. Meinst du, es gibt einen Zusammenhang?“ Ich war selbst etwas überrascht und als ich meinen Arm erblickte, sah ich, dass ich eine Gänsehaut bekommen hatte. Einen Zusammenhang schloss ich aber sofort aus. Zwei Fälle, zwei Länder, da lag der Zufall näher als die Zusammengehörigkeit der Taten.

„Corinna, das ist Zufall, mach‘ dir keine Sorgen darüber. Ich gebe zu, es ist schockierend, was da in Frankreich passiert ist, aber das ist unsere Welt. Auf uns prasseln täglich neue Informationen ein, die unser Gehirn erfassen und verarbeiten muss. Da kann es vorkommen, dass nach ein einigen Jahrzehnten Defekte daran auftreten, die dann zu solchen Fehlreaktionen führen. Ich glaube, es war Zufall.“ Corinna lächelte mich an. „James, es ist wirklich süß von dir, dass du mich beruhigen willst, aber du schaffst es nicht. Ich bleibe dabei, hier stimmt etwas nicht!“ „Gut, wir werden sehen, bei weiteren Taten bekommst du bei uns unten eine Gratistasse guten, alten, afrikanischen Kaffee!“ Sie lachte und blickte zurück auf ihren Schreibtisch. Ich merkte, dass sie keine Zeit zum Reden hatte, also verabschiedete ich mich. Als ich zurück zum Fahrstuhl lief, fiel mir ein, dass ich bei dem Gespräch gerade unverschämt oft auf ihre Brüste geschaut hatte. Fuck, dachte ich mir, dabei wollte ich mir diese Abart wieder abgewöhnen. Hier im Büro hatte es 19° Grad, es war so kalt, dass man ihre Brustwarzen deutlich durch die Bluse sehen konnte. Es waren diese kleinen runden Magneten, die meine Augen magisch anzogen. Hoffentlich hatte sie es nicht bemerkt. Ich war mir aber sicher, sie hatte. Ob es ihr wohl gefallen hatte?

Ich arbeitete den restlichen Tag konzentriert an meiner Kampagne. Meyers hatte einen Termin auswärts, was die nötige Ruhe für ein kreatives Arbeiten schuf. Gegen 18.00 Uhr verließ ich das Büro. Ich wollte unbedingt vor dem Treffen mit Meyers noch daheim vorbeischauen. Irgendwas in mir sagte mir dauernd, dass etwas Schlimmes mit meiner Wohnung passierte. Keine Ahnung, wieso. Ich hatte dieses Gefühl nun schon seit Monaten. Immer wieder sah ich gedanklich meine Wohnung in Trümmern, in Flammen oder unter Wasser stehen. Manchmal dachte ich, ich sollte doch einmal einen Psychiater aufsuchen und nach dem Rechten schauen lassen. In meinem Kopf musste irgendwas aus der Spur laufen. Im Transporter zahlte ich dieses Mal 0,5 Eurocoins, um in einem werbefreien Wagen zu sitzen. Um mich herum waren eigentlich nur ältere Menschen. Spöttisch wurde dieser Teil auch oftmals Sterbewagen genannt. Die Jüngeren würden sich hier nie hinein verirren. Es war einfach herrlich ruhig. Nur beim Beschleunigen hörte man ab und zu den Magnetantrieb aufheulen. Es war ein leichtes Surren, das die Stille kurzzeitig unterbrach. Ich öffnete meinen Messenger und schloss meine Earphones an. Ich suchte im Nachrichtenarchiv nach dem Fall aus Frankreich. Es lagen aber noch keine weiteren Erkenntnisse vor. Ich hatte das Cliparchiv angeschaut, der Tatort sah wirklich aus wie in einem Horrorfilm.

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