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UNTERSCHIEDLICHE ERZIEHUNGSSTILE

Kinder erleben in ihrem engeren wie weiteren Umfeld ganz spezifische Erziehungsstile. In Kindergarten, Schule oder Sportverein erfahren Kinder, dass manches von dem, was zu Hause möglich ist, dort nicht läuft. Solcherart sachbezogene Frustrationen sind den Kindern zuzumuten und können von ihnen durchaus produktiv bewältigt werden.

Die Begegnung mit ganz unterschiedlichen Erziehungsvorstellungen gehört zum kindlichen Alltag. Und genauso alltäglich ist die Erfahrung, dass sich Erziehungsbeziehungen verschieden gestalten: Der Kontakt zu den Eltern ist ein anderer als der zur Erzieherin oder Lehrerin, der Kontakt zu den Großeltern ein anderer als zu Bekannten. Das Kind erfährt unterschiedliche Erziehungsstile, indem es sie als gelebte Modelle spürt.

Ein gemeinsamer Nenner

Bei aller Unterschiedlichkeit sollten allerdings einige Grundsätze bei der Erziehung beachtet werden:

 Kinder müssen wissen, an wen und woran sie sich in bestimmten Situationen zu halten haben. Besteht hier keine Einigkeit, spielen Kinder die Beteiligten gegeneinander aus.

 Die Verantwortlichkeit muss den Kindern klar sein. Sonst kann sich das Kind nicht orientieren.

 Unterschiedliche Einstellungen dürfen Erwachsene nicht dazu missbrauchen, sich beim Kind einzuschmeicheln (»Bei mir darfst du mehr …«) oder andere Bezugspersonen herabzusetzen (»Ich bin netter zu dir als …«). Dies bringt Kinder in Loyalitätskonflikte.

Es lernt zu vergleichen; es erfährt, welches Modell angemessener ist. Die Begegnung mit unterschiedlichen Erziehungsstilen macht Kinder lebenstüchtig und gibt ihnen Selbstvertrauen, sich im Alltag zurechtzufinden.

Verantwortung klären

ROGGES FALLGESCHICHTEN

Szene in einem Garten: Felix, sechs Jahre, und Manuel, vier Jahre, helfen ihrem Vater beim Aufbau eines Holzhauses, das in Fertigteilen angeliefert worden ist. Horst Eberhard, der Vater, haut mit wuchtigen Schlägen Nägel in Bretter. Felix und Manuel unterstützen ihn. Die Kinder halten zwei kleine Hämmer in der Hand und schlagen ebenfalls Nägel ein. Die Kinder gehen äußerst konzentriert, vorsichtig und gewissenhaft vor. Horst Eberhard hatte es ihnen zuvor genau erklärt:

»Den Hammer haltet ihr so … die Nägel so … Schlagt nicht zu fest … Ich denke, ihr schafft das schon.«

Begeistert und engagiert gehen die Kinder an die Sache heran. Sie hantieren geschickt mit den Werkzeugen. Zwar fällt mal ein Nagel herunter und mal der Hammer. Aber der Vater ermutigt seine Kinder weiterzumachen. Und sie geben nicht auf … bis Heike, die Mutter, in den Garten kommt, ihre Kinder mit dem Werkzeug bei der Arbeit sieht und laut ausruft: »Was ist denn hier los? Seid ihr denn verrückt geworden!«

Sie sieht, wie Manuel gerade dabei ist, mit einer wuchtigen Bewegung einen Nagel einzuschlagen. »Manuel, pass auf!«

Manuel haut zu und trifft … seinen Daumen, nicht den Nagel. »Aua! Aua!«, schreit er vor Schmerzen auf.

»Siehst du, ich hab’s ja gesagt, Manuel.« Sie entreißt ihm den Hammer, besieht flüchtig den Daumen, pustet den Schmerz weg, streichelt kurz sein Haar: »Ich geb dir nachher noch ‘ne Salbe.«

Manuel nickt, und ein paar Tränen schießen ihm in die Augen. Die Mutter sieht Manuel an. »Wo ist Papa?«, fragt sie entrüstet.

Felix weist mit der Hand hinter eine Holzwand. Mit schnellen Schritten tritt sie zu ihrem Mann. »Sag mal, spinnst du? Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Sie schüttelt heftig den Kopf.

Manuel und Felix kommen hinzu, wohl von der mütterlichen Lautstärke angezogen. »Du bist völlig verantwortungslos!«

»Mama!«, ruft Felix sehr laut.

Sie stockt und sieht zu ihm hinunter: »Was ist?«

»Mama, wir wollten Papa helfen. Und das können wir!« Felix klingt überzeugend, und Manuel stimmt selbstbewusst zu: »Aber du denkst, wir sind noch klein.«

Die Augen der Mutter verengen sich: »Und wer hat sich auf den Daumen geschlagen? Wer?« Ihre Stimme überschlägt sich.

»Wenn du nicht gekommen wärst, dann hätt’ ich den Nagel getroffen!«

»Jetzt bin ich auch noch schuld. Nun hört’s aber auf!« Sie lässt sich nicht beruhigen.

»Heike!« Die Stimme ihres Mannes, der bisher gelassen zugesehen hat, klingt ruhig: »Heike! Bitte geh! Lass uns nachher darüber reden.«

Aber Heike ist voll in Fahrt: »So ist es immer. Du kneifst mal wieder. Typisch! Typisch! Wenn’s wichtig wird, kneifst du!« Sie schaut ihren Mann wütend an: »Macht euren Scheiß allein weiter. Aber ich fahr die Kinder nicht ins Krankenhaus, wenn noch was passiert. Das sag ich dir!« Dann geht sie mit bösen Blicken und schnellen Schritten von dannen.

Manuel schaut Felix an, Felix ahmt den hektischen Abgang seiner Mutter nach.

»Felix! Hör auf!«, mahnt der Vater und hebt seinen Zeigefinger.

»An die Arbeit! Macht weiter, wie ich es euch gesagt habe.

Wenn ihr mich braucht, könnt ihr mich holen.«


KOMPETENZKONFLIKTE

Die Verantwortung in dieser Situation war zunächst klar verteilt. Sie lag beim Vater. Und er behielt die Übersicht. Er hatte seine Kinder ermutigt und traute ihnen zu, mit Hammer und Nägeln angemessen umzugehen.

Der verbale Eingriff der Mutter verursacht eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Sie traut ihren Kindern – in dieser Situation – nicht so viel zu und will die Gefahr möglichst schnell abwenden. Der missglückte Schlag Manuels scheint ihr recht zu geben. Das entscheidende Problem: Sie greift in die Kompetenzen ihres Mannes ein und will die Verantwortung an sich ziehen. Er rettet die Situation, indem er sich darüber mit seiner Frau in Anwesenheit der Kinder nicht auseinandersetzen will.

Um hier nicht missverstanden zu werden: Eltern können Meinungsverschiedenheiten vor den Kindern austragen, wenn die Kinder danach eine versöhnliche Konfliktlösung erleben. In der oben geschilderten Situation stellt sich die Sachlage aber anders dar: Der Zorn und die Angst der Mutter lassen die Suche nach einer Lösung momentan nicht zu.

Der Vater hat den Kindern durch sein Handeln – nicht durch Worte – ein Modell vorgelebt: Derjenige, der die Verantwortung in einer Situation trägt, ist der Bezugspunkt. Es geht hier nicht darum, der Mutter den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dieses Prinzip gilt in einer anderen Situation für den Vater genauso.

INDIVIDUELL, ABER GERECHT

Kinder möchten nicht, dass man in der Erziehung an einem Strang zieht. Intuitiv haben sie wohl ein Gespür dafür, dass ein Strang und Erziehung nicht zusammenpassen – höchstens dann, wenn man Erziehung als Zurichtung missversteht. Sie mögen die Unterschiedlichkeit von Erziehung, sie erleben, wie Mutter und Vater sie verschieden begleiten, sie erfahren – learning by doing –, wo die Eltern ihre liebenswerten Macken haben, aber zugleich auch, wo mit ihnen »nicht zu spaßen« ist.

Geschwister - eine ganz besondere Liebe

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