Читать книгу Geschwister - eine ganz besondere Liebe - Jan-Uwe Rogge - Страница 28

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MIT DER SCHULE VERÄNDERT SICH VIELES

Die Entwicklung macht nicht halt, sie schreitet unaufhaltsam voran. Haben schon der Besuch des Kindergartens oder einer Tageseinrichtung viele neue Eindrücke und Erfahrungen mit sich gebracht, wird ein weiterer Einschnitt spürbar, wenn ein Geschwisterkind in die Schule kommt.

Vielleicht sollte man besser sagen: Das Kind geht in die Schule, wie das Hänschen in die Welt hinausgeht. Es nimmt Abschied, freut sich insgeheim, ist aber zugleich unsicher, weil es nicht weiß, was es dort erwartet. Wusste man im Kindergarten, woran man war, fängt man in der Schule nun von vorn an, gehört wieder zu den »Kleinen«. Zu Hause in der Familie aber gehört man zu den »Großen«, hat man doch häufig den Satz der Erwachsenen gehört: »Bald bist du groß, dann kommst du in die Schule.«

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt – für alle

Einem Initiationsritus gleich ist der Schritt hin zum Schulkind ein besonderer. Die meisten Kinder sind sehr gespannt. Vielleicht wurden sie schon in einer Vorschule – ob im Kindergarten oder außerhalb – auf diesen Moment vorbereitet. Nun gilt es verstärkt, Regeln einzuhalten, die vorher nicht gegolten haben. Das Kind soll sich länger konzentrieren und nach einem fremden Plan lernen.

Kinder starten hier oftmals sehr wissbegierig. Endlich lernen sie lesen, schreiben, rechnen. All das sind Dinge, die sie bereits bei den Eltern, Großeltern, Geschwistern und anderen »Größeren«, den erwachsenen Menschen, beobachtet haben. Kinder fühlen sich nun auch groß. »Ich bin ein Schulkind« ist aus dem Mund eines Kindes ein wichtiges Signal – ein Ausrufezeichen auch den »kleinen« Geschwistern gegenüber.

Die Veränderungen im Leben des Schulkinds sind erheblich. Es muss pünktlich aufstehen und morgens fertig werden, zumal die Schule in der Regel früher beginnt als der Kindergarten. Ein Zuspätkommen wird nicht gern gesehen. Auch der Weg dorthin wird bei vielen Kindern zumindest nach einer Einübungsphase allein bestritten, wenn man sie denn lässt und ihnen diese Schritte zutraut. Ein Schulweg ist ein Weg, der mit körperlicher Bewegung zu tun hat. Ein Weg ist ein Weg, keine Fahrt.

Hinzu kommt: Das Lernen strengt an! Nicht selten schlafen Kinder jetzt wesentlich mehr und früher als am Ende ihrer Kitazeit. Der viele Lernstoff braucht viel Konzentration. Das kostet das Kind viel Energie.

DAS GEFÄLLE WIRD GRÖSSER

In der Geschwisterbeziehung kommt es nun – wie im gesamten Familiengefüge – zu Veränderungen. In der Regel ist das Schulkind das ältere Kind, und das jüngere Geschwisterkind schaut zu der »Großen« oder dem »Großen« auf. Umgekehrt: Die Älteren schauen manchmal herablassend auf »die Kleinen« mit ihren Kitaerfahrungen. Schule – das hat etwas Geheimnisvolles. Manches Schulkind verstärkt das mit Andeutungen an die »Kleinen«, Nichtsahnenden gerichtet: »Komm du erst mal in die Schule!«

Ein älteres Geschwisterkind sieht in dem kleineren Geschwisterkind nun ein Kind, das nicht mehr auf Augenhöhe ist. Für das eine Kind erweitert sich das Wissen, neue Mitschüler bringen neue Beziehungen ein, und oftmals wird der Aktionsradius auch größer. Das »kleine« Geschwisterkind fühlt sich zurückgesetzt. Bei ihm finden nur selten direkte Veränderungen in den Einrichtungen statt.

Eltern stellt das vor neue Herausforderungen. Auch für sie ist das ein wichtiger Einschnitt. Mit einem Mal ist da eine »Große«, ein »Großer«, der auch entsprechend behandelt werden möchte.

FEIERN – UND GELASSEN BLEIBEN

Es ist wichtig, den Start in der Schule angemessen zu begleiten. Neben den Feierlichkeiten zur Einschulung tut es dem Schulkind gut, wenn Eltern und andere lieb gewonnene Menschen zu Festen und Vorführungen kommen. Doch Veränderungen brauchen Zeit. Und die brauchen alle Beteiligten – sowohl die Eltern als auch die Kinder. Manch gewohntes Ritual muss verändert werden. Besucht ein Kind den Unterricht, wird die Spielzeit begrenzt, können gewohnte gemeinsame Aktivitäten zwischen Geschwistern nicht mehr stattfinden. Vor allem aber darf das Thema Schule nicht das gesamte Familienleben beherrschen.

Gemeinsame Erfahrungen in der Schule

Wenn ein älteres Geschwisterkind schon die Schule besucht, kann es seine Erfahrungen an seine jüngeren Geschwister weitergeben.

AUS DEM FAMILIEN-LOGBUCH

Alu und Konstantin erzählen: »In Hinblick auf Geschwister haben wir inzwischen mehrere Szenarien kennengelernt. Unsere Tochter ging bereits seit drei Jahren auf jene Schule, die nun auch ihr Bruder besuchen sollte. Sie war sehr stolz auf ihn, als er dazukam. Er wiederum war stolz, da er nun dasselbe erleben konnte wie sie. Zu Anfang zeigte Luna ihren Bruder regelrecht herum. Gab es nur den Anschein eines Problems, war sie oder eine ihrer Freundinnen zur Stelle. Das blieb im ganzen ersten Jahr so. Auch den kurzen Schulweg, hundert Meter die Straße hinauf und über einen Zebrastreifen, machten beide anfangs gemeinsam. Später rückte die direkte Fürsorge in den Hintergrund. Ab und an hörte man aber abends am Esstisch davon, dass der Bruder dies und jenes gemacht habe oder umgekehrt.

Wir ermutigten die Geschwister, miteinander zu reden, sollte es Probleme geben. Die Lehrerinnen und Erzieherinnen unterstützten beide Kinder. Sie wussten von den beiden und zogen gern die große Schwester hinzu. Das geschah auch umgekehrt. Beide Geschwister machten da gerne mit. Da war wenig Konkurrenzverhalten erkennbar. Manchmal, wenn die Große mit ihren Freundinnen Spielpartner suchte, griff sie sogar auf ihren Bruder mit dessen Gruppe zurück. Ich erinnere mich daran, wie ich unseren Sohn einmal früh abholen musste und ihn mit seinen Kumpels im Wäldchen fand. Dort versteckten sie sich vor einer Gruppe größerer Mädchen, die die Jungs mit Geschrei einfangen wollten. Vorneweg seine Schwester.

Kurzum: Vom Moment des gemeinsamen Schulbesuchs an, so die Beobachtung, wuchsen die Geschwister erneut zusammen. Das jüngere Geschwisterkind war mit Unterstützung der Älteren in der neuen Mitte angekommen.«

Vergleichen schafft Probleme

Gemeinsames Wachsen, Sich-Unterstützen und -Haltgeben kann die eine Seite geschwisterlicher Begleitung sein. Zum anderen sind Geschwister aber – wir haben es an anderer Stelle schon erwähnt – verschieden. Jedes Kind ist einzigartig. Und Eltern wollen ja unvergleichliche Kinder, so unsere Beobachtung. Aber was machen einige Eltern (nicht alle, das ist klar)? Sie vergleichen, egal ob nun laut oder leise. Doch der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) war schon vor über zweihundert Jahren der Meinung, man solle ein Kind nie mit einem anderen, sondern höchstens mit ihm selbst vergleichen.

Kurzer Einschub: Wenn Kinder sich miteinander vergleichen, kann das unterschiedliche Beweggründe haben. Vergleicht sich das jüngere mit dem älteren Kind, kann das als Motivation dienen, irgendwann, vielleicht sogar bald, genauso viel zu können oder zu wissen wie die »große« Schwester oder der »große« Bruder. Umgekehrt können die Älteren den »Kleinen« durch Vergleiche beweisen, wie »klein« diese eigentlich sind und was ihnen an Fähigkeiten abgeht; durch solche Vergleiche setzt man sich ab, zeigt Überlegenheit und legt Hochmut an den Tag.

Vergleiche können gemein sein, elterliche sind es ohnehin. Sie bewerten und werden den unterschiedlichen Charakteren und Temperamenten von Kindern nicht gerecht. Kinder so anzunehmen, wie sie sind, nicht wie man sie gern hätte: Nach dieser Devise sollte man die Geschwisterkinder – die großen wie die kleinen – ins Leben begleiten. Nur so wird man ihnen gerecht.

UNTERSCHIEDLICHE LERNCHARAKTERE

Mit wachsendem Alter prägen sich auch die unterschiedlichen Lerncharaktere heraus: Da sind jene, die nach vier Jahren die Schule »ätzend« finden, und da sind genauso diejenigen, die Spaß am Lernen haben. Beide Gruppen halten sich für absolut kompetent.

Dabei hat jedes Kind sein eigenes Lerntempo. Jedes Kind will selbstbestimmt Leistungen erbringen. Jedes Kind ist aber anders: Da gibt es die Neugierigen, die an allem interessiert sind und mehr wissen möchten. Und da sind auch jene, die eher abwarten, Anregungen brauchen und einen Motivationsschub wollen.

AUS DEM FAMILIEN-LOGBUCH

Alu und Konstantin haben ihre Erfahrungen gemacht: »Man muss Verständnis entwickeln. Unsere Kinder sind genauso wie die Pädagogen vor Ort auch nur Menschen und kommen in den Stunden, die sie in der Schule verbringen, mal klar und mal nicht. Hier hilft Familienzusammenhalt. Auch wenn es schwer ist für alle: Man kann darüber reden. Ein achtjähriges Kind weiß sehr genau, wo sein ›Schuh drückt‹, und alle Lernbeteiligten sollten es dort abholen, wo es gerade steht.«

Weiter erzählen sie: »Irgendwann offenbarte sich, dass unser ältestes Kind eine sehr ehrgeizige Schülerin war. Der offene Ansatz der Grundschule – mit vielen Lernelementen in Freiarbeit – und die unterschiedlichen speziellen didaktischen Materialien kamen ihr sehr entgegen. In ihren sechs Grundschuljahren konnte Luna sich sozial und leistungsstark entwickeln, sodass sie es auf ein Gymnasium schaffen wollte. Clemens, unser Sohn, konnte sich nicht so gut konzentrieren, tat sich schwer mit der freien Auswahl, war durch die vielen unterschiedlich arbeitenden Mitschüler abgelenkt und deshalb zeitweise überfordert.

In sozialer Hinsicht war diese Schule mit ihren jahrgangsübergreifenden Lerngruppen in allen Altersstufen ein wahres Geschenk für beide Kinder. Die Lernweisen der Geschwister jedoch entwickelten sich unterschiedlich, und so mussten wir handeln!«

Beide waren sich ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern bewusst: »Obwohl der Protest groß war, entschieden wir, dass Clemens die Schule wechseln sollte. Für seinen weiteren Weg wählten wir eine klassischere Schulform mit angemessenem Betreuungsschlüssel. Sehr oft hatte er sich an seiner leistungsstarken Schwester orientiert. Doch das war nicht sein Ding. Absolut nicht! Seine Begabungen waren von Anfang an andere gewesen. Die wurden in der neuen Schule mehr gewürdigt, ganz ohne direkten Vergleich mit seiner Schwester.«

Abschließend meinen beide: »Mit Blick auf die Charaktere der Geschwister und unter Abwägung weiterer Vor- und Nachteile sollte man stets schauen, ob beide Geschwister auf die gleiche Schule gehen sollten oder besser nicht. Wir haben schließlich etwas nachgesteuert und gehandelt. Mit Erfolg für beide Geschwister. Schule ist eine anstrengende Herausforderung. Sie verlangt Umstellungen und Einsichten bei allen Familienmitgliedern.

Manches ist für Kinder auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar. Aber Eltern haben eine Verantwortung für ihre Kinder. Diese kann man ihnen nicht abnehmen. Aber eine stabile Geschwisterbeziehung kann manch emotionale Konsequenz abmildern. Man kann nicht verhindern, dass Kinder wegen einer elterlichen Entscheidung traurig sind. Aber das muss man dann auch aushalten können!«

ENTSCHEIDUNGEN ZUM WOHL DES KINDES

In der Tat: Man schaut nicht immer in glückliche Kindergesichter, auch wenn man eine Entscheidung für sie und nicht gegen sie getroffen hat. Eine Entscheidung, mit der sie vielleicht auf den ersten Blick nicht einverstanden sind und dies auch gar nicht sein können. Ein Schulwechsel bedeutet eine schmerzhafte Trennung – womöglich auch von dem besten Freund oder der besten Freundin, ganz zu schweigen von dem vertrauten Geschwisterkind.

Manchmal sind Kinder ob eines gefassten Entschlusses unglücklich. Und sie zeigen das in Mimik, in Gestik, in Wort und manchmal in Tat. Und es ist gut, dass sie sich das getrauen, getrauen dürfen. Wer sich die wohlüberlegte Freiheit nimmt, eine Entscheidung – zum Beispiel über eine andere Schule für das jüngere Geschwisterkind – zu treffen, übernimmt dafür auch Verantwortung, für das Kind und für sich. Wenn ein Kind dagegen »rebelliert«, dann ist das normal. Normaler jedenfalls als ein Kind, das mit der elterlichen Entscheidung sofort konform geht: »Schön, dass ihr so entschieden habt!«

Klar, man will glückliche Kinder! Aber Glück stellt sich doch nicht als stillschweigendes Einvernehmen von Eltern und Kindern dar! Hinter Glück und glücklichen Familien verbirgt sich auch kein Geheimnis, wie es der Autor Steven Biddulph den Eltern vor 20 Jahren weismachen wollte. Was Geschwisterkinder glücklich machen soll – um dieses hehre Wort zu gebrauchen –, hört sich vielleicht einfach an, ist aber nicht leicht umsetzbar. Das lässt sich an Alus und Konstantins Entscheidung, die passende Schule für Clemens zu finden, verdeutlichen.

Geschwister - eine ganz besondere Liebe

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