Читать книгу Broken World 2 - Jana Voosen - Страница 10

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Zwei Tage später erwache ich noch vor dem Weckruf, der jeden Morgen per Lautsprecher in allen Zimmern ertönt und den ich sonst so gerne überhöre. Ich richte mich in meinem Bett auf, die Wäsche fühlt sich klamm an von den Schweißausbrüchen, die mich beinahe jede Nacht heimsuchen. Auch alles andere deutet darauf hin, dass ich mal wieder einen meiner Albträume hatte. Die trockene Zunge, die verspannte Kiefermuskulatur, salzige Tränenspuren auf den Wangen. Zum Glück kann ich mich nicht an den Traum erinnern. Aber das Gefühl, das er hinterlässt, ist auch ohne die genaue Handlung schlimm genug.

„Hey, Dornröschen, was ist denn mit dir los?“ Mayas krauser Lockenkopf erscheint verkehrtherum am oberen Rand meines Bettes. „Du hast frei und kannst ausschlafen. Also los, zurück in die Federn.“

Ich schüttele den Kopf. Auch wenn es meinem chronisch unterschlafenen Körper sicher guttun würde.

Das Schrillen des Weckrufs ertönt, die Frauen um mich herum taumeln aus ihren Betten, und dann geht der Wettlauf in Richtung der Toiletten los.

Fünfzehn Minuten später ist es still. Ich hole den Beutel mit meinen wenigen Habseligkeiten unter meinem Kopfkissen hervor und greife hinein. Mein Herz beginnt heftig zu klopfen, als ich nicht sofort finde, was ich suche. Doch, da, ganz unten, befindet sich der Umschlag mit meinen mühsam zusammengekratzten Ersparnissen. Ich habe sie schon an die hundertmal gezählt. Trotzdem hole ich die Scheine noch einmal hervor. Lasse sie durch die Finger gleiten. Ja, das wird reichen.

Von einem Enthusiasmus gepackt, den ich seit Wochen nicht mehr in mir gespürt habe, springe ich aus dem Bett.

In der Nasszelle ziehe ich mich langsam aus, drehe den Wasserhahn einer der Duschen ganz nach links und voll auf. Der Strahl ist nicht wirklich kräftig, aber annehmbar und schön warm. Niemand brüllt, dass ich nicht das ganze heiße Wasser verschwenden soll. Ich stehe minutenlang einfach nur da und lasse es auf mich regnen. Dann steige ich in meine einzige Garnitur Wechselkleidung, die ich selten trage und die deshalb nicht ganz so abgerissen ist wie meine üblichen Klamotten. Jeans und ein langärmeliges Shirt. Beide auf meinem Weg hierher im Müll gefunden, dabei haben sie noch nicht einmal Flecken oder Löcher.

Als ich aus dem Wohnheim trete, ist Juri gerade dabei, zusammenzupacken und die Kaffeebude zu schließen.

„Spät dran“, sagt er.

„Mein freier Tag“, antworte ich.

Sein Blick schnellt rüber zu einer der drei Filtermaschinen, die hinter ihm stehen.

„Kaffee?“, fragt er und greift gleichzeitig nach der einzigen Kanne, in der sich ein kläglicher Rest der unansehnlich braunen Flüssigkeit befindet.

„Nein, danke“, sage ich und grinse. „Heute trinke ich ihn woanders.“

Der Weg dauert um einiges länger, als ich berechnet habe. Es ist schon Mittag, als ich durch die Fensterscheibe des Zuges endlich die Skyline von Johtaja erblicke. Mein Herz beginnt aufgeregt zu klopfen. Da ist sie. Meine Stadt. Die Metropole von Zentral-Vahvin. Sie sieht beeindruckend aus an diesem klaren Oktobertag. Die hohen, verglasten Wolkenkratzer glitzern und funkeln in der Sonne wie riesige, silberne Raketen, die gen Himmel streben. Auf der Fahrt zum Hauptbahnhof passieren wir den im Zentrum angelegten Binnensee, in dessen Mitte eine riesige Wasserfontäne sprudelt, das Wahrzeichen Johtajas. Rundherum luxuriöse Kaufhäuser und Theater. Schöne, reiche, glückliche Menschen. Die Vorzeigeseite der Stadt, die im krassen Gegensatz steht zu dem Elend, das es hier auch gibt. Am schlimmsten ist es in den Slums außerhalb der Stadt. Der Gestank, die Krankheiten, der Hunger. Die Arbeitskraft dieser Menschen wird vom System aus ihnen herausgequetscht, bis sie leer sind. Dann werden sie sich selbst überlassen. Und dem Tod. Der Abfall der Gesellschaft lebt dort, passenderweise direkt neben der größten Mülldeponie von Johtaja.

Als ich aus dem Zug steige, fühle ich mich seltsam fremd an diesem Ort, der doch mein Leben lang meine Heimat gewesen ist. Dabei bin ich erst seit zwei Monaten von hier fort.

Besorgt schaue ich hinauf zu dem riesigen Uhrturm des Bahnhofs. Kurz vor eins. Ich muss mich beeilen und werde trotzdem nicht sehr lange bleiben können, wenn ich pünktlich zurück sein will. Was ich nicht will. Aber ich muss ja. Hoffentlich ist sie da!

Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, miete ich mir ein Fahrrad. Ich benutze die PIN von Adriel und es funktioniert reibungslos. Aber warum soll ich nicht auch mal ein bisschen Glück haben? Ich radele durch die Straßen. Der Wind pfeift durch meine zu dünne Kleidung, aber es macht mir nichts aus. Mein Körper, der so viele Wochen sechzehn Stunden täglich auf einem Stuhl gesessen hat, mit gebeugtem Kopf, reagiert mit einem wahren Schwall von Endorphinen, weil er sich endlich mal wieder richtig bewegen und auspowern darf. Zwar protestieren meine Muskeln zuerst gegen die ungewohnte Belastung, finden dann aber schnell zu ihrer alten Form zurück. Ich genieße das Pfeifen in meinen Ohren, die kalte Luft auf meiner Haut, das Gefühl von Freiheit.

Und wenn ich einfach nicht mehr zurückgehe?

Eine Dreiviertelstunde später halte ich vor einem Rotklinkergebäude am Rande von Zone Zwei. Die gute Laune fällt von mir ab, während ich langsam das Fahrrad abstelle und die Klingelschilder inspiziere. Einerseits wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass Kimi noch hier ist. Dass ich sie umarmen und mit ihr sprechen kann. Andererseits verkauft sie hier in diesem Haus ihren Körper an Männer. So überlebt sie. Ich kann es noch immer nicht recht glauben, auch nicht nach all der Zeit. Meine Kimi, verwöhntes Elite-Kind, die mich mitgenommen hat in die Welt der Schönen und Reichen, einfach aussortiert vom System. Weil bei ihrem Gesundheitscheck Krebs diagnostiziert wurde. Auch in der Alten Welt war eine solche Diagnose furchterregend. Aber es gab Ärzte, Krankenhäuser. Es gab wenigstens eine Chance. In unserer Welt gibt es nichts von all dem. Die Starken überleben, die Schwachen sterben. Wer versucht, trotzdem zu helfen, so wie Len es getan hat, der wird gnadenlos verfolgt.

Ich entdecke Kimis Nachnamen. Atme tief ein und drücke auf den Klingelknopf.


Broken World 2

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