Читать книгу Broken World 2 - Jana Voosen - Страница 11
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ОглавлениеDie Frau, die mir die Tür öffnet, habe ich noch nie gesehen. Sie trägt ein rosafarbenes Baby-Doll mit Rüschen, Plüschpantoffeln mit Hasenohren und hat die platinblond gefärbten Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr auf die Schultern fallen. Die mädchenhafte Aufmachung steht in einem krassen Kontrast zu ihrem wirklichen Alter, den Falten in ihrem Gesicht und dem grauen Haaransatz. Sie geht sicher schon auf die fünfzig zu. Misstrauisch sieht sie mich an.
„Ja?“
„Entschuldigung. Ich möchte zu Kimi. Sie wohnt doch noch hier?“
„Ist beschäftigt.“ Sie macht Anstalten, mir einfach die Tür vor der Nase zuzuknallen, aber ich stelle meinen Fuß in den Spalt und halte sie davon ab.
„Ich würde gerne auf sie warten“, sage ich freundlich, und sie lässt mich widerwillig eintreten.
„Wenn´s sein muss.“ Sie mustert mich von oben bis unten. „Kennen wir uns?“
Ich schüttele den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Aber ich kenne mich hier aus.“ Das ist die Übertreibung des Jahres. Schließlich bin ich nur ein einziges Mal hier gewesen. Damals. In meinem anderen Leben. Ich weiß noch, wie entsetzt ich über Kimis neuen Job gewesen bin. Mir wird heiß vor Scham, wenn ich mich an meine Gedanken von damals erinnere. Wie kann sie das tun? Es muss doch einen anderen Weg geben. Das ist würdelos.
All das habe ich Kimi nicht gesagt, Gott sei Dank. Trotzdem saß ich auf einem ganz schön hohen Ross. Wie mir jetzt klar wird.
„Ich warte einfach in der Küche und werde ganz bestimmt nicht stören“, versichere ich meinem Gegenüber, die mich noch immer betrachtet. Ich verstehe nicht ganz, warum sie das tut. Schließlich bin ja nicht ich diejenige, die diesen seltsamen Aufzug trägt, sondern sie.
Es klingelt an der Tür, und sie hört endlich auf, mich anzustarren.
„Ich bin schon weg“, sage ich schnell und gehe durch den Flur. Öffne die Tür, die meiner Erinnerung nach in die Küche führt. Und richtig.
Die Frau ist mittlerweile zur Gegensprechanlage getreten und hebt den Hörer ab.
„Wer ist da?“ Sie lauscht in den Hörer. „Oh“, haucht sie dann mit vollkommen veränderter Stimme. „Das ist schön, dass du mich besuchen kommst, Daddy!“
Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
Die Frau drückt den Türöffner und wirft mir einen drohenden Blick zu, der aber gar nicht nötig gewesen wäre. Ich bin wirklich überhaupt nicht scharf darauf, ihrem Daddy zu begegnen und schließe schnell die Küchentür.
Alles sieht noch aus wie vor ein paar Monaten. Küchenzeile, Holztisch, Kerzen und Kunstblumen. Wie magisch angezogen gehe ich zu der Kaffeemaschine, aus deren Kanne es verführerisch duftet. Niemand hat mir angeboten, mich zu bedienen, aber Kimi hat bestimmt nichts dagegen. Ich angele mir einen angestoßenen Becher vom Regal und fülle ihn mit Kaffee. Finde sogar eine Keramikdose mit Würfelzucker und lasse zwei Stück davon in die dampfende Flüssigkeit fallen. Trinke langsam und in kleinen Schlückchen. Das tut gut. Juri sollte sich schämen. Aber wirklich.
Aus dem Flur höre ich Stimmen. Die Wände sind dünn wie Papier, so dass ich Daddy jetzt leider doch näher kennenlerne, als mir lieb ist. Er hat eine sonore Altherrenstimme und fragt Kimis Mitbewohnerin dröhnend, ob sie ein unartiges Mädchen gewesen ist. Was sie anscheinend bejaht, denn kurz darauf höre ich aus dem Nachbarzimmer spitze Schreie, die von klatschenden Geräuschen begleitet werden. Mir dreht sich beinahe der Magen um, wenn ich daran denke, dass die arme Frau sich für ein paar Credits von dem Kerl vermöbeln lassen muss.
Gleichzeitig frage ich mich, was für Dinge Kimi wohl gerade im Zimmer gegenüber über sich ergehen lässt, nur damit sie die Miete und etwas zu Essen bezahlen kann.
„Und jetzt komm her und zeig mir, dass es dir leid tut“, höre ich den Mann sagen und entdecke im gleichen Moment, dass hinter dem Küchenregal eine Verbindungstür verborgen ist. Deshalb kann ich alles hören, als stünde ich mit im Raum.
Ich presse mir die Hände auf die Ohren und beginne, zu summen. Finde meinen Job bei RGE, so ausbeuterisch er auch sein mag, plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Es geht immer noch schlimmer, Yma, merk dir das! Wenn du das nächste Mal im Selbstmitleid ertrinkst, dann denk daran, dass es andere noch viel härter getroffen hat. Wie diese Frau.
Und Kimi.
Und Len.
Mist. An ihn wollte ich doch heute ausnahmsweise einmal nicht denken. Und doch steht mir sein Gesicht so glasklar vor Augen, als hätte ich ihn gestern zum letzten Mal gesehen. Seine dunkelgrünen, melancholischen Augen. Ich spüre seinen Kuss auf meinen Lippen. Den einzigen Kuss, den wir je geteilt haben, im Bug eines Schiffes, das uns auf die Gefangeneninsel bringen sollte. Nur Len ist dort angekommen.
Schwimm. Sieh dich nicht um.
Das habe ich getan. Ich habe mich nicht umgesehen. Aber nun, in Freiheit, scheine ich nichts anderes zu tun. Wie könnte ich auch nicht? Was hat Len sich gedacht? Dass ich ihn einfach vergessen werde? Mir irgendwo ein neues Leben aufbaue, ohne einen Blick zurückzuwerfen oder einen Gedanken an ihn zu verschwenden? Ist es das, was er will?
„Was zum Teufel …“
Der Aufschrei durchdringt sogar meine Hände, die noch immer schützend über meinen Ohren liegen. Mein Kopf ruckt hoch, und ich sehe Kimi in einem hellblauen Bademantel mitten im Raum stehen. Sie hat die Hand aufs Herz gedrückt und starrt mich fassungslos an.
„Hallo, Kimi“, sage ich und lasse die Hände sinken.
„Oh, ja, fick mich, Daddy!“
„Yma“, haucht meine Freundin.
Ich erhebe mich langsam, von einer plötzlichen Scheu ergriffen. Unser Wiedersehen hatte ich mir anders vorgestellt. Damit meine ich nicht nur die akustische Untermalung.
„Bö-ses Mäd-chen, bö-ses Mäd-chen!“
Ich dachte, wir würden uns erleichtert in die Arme fliegen. Aber Kimi steht da wie angewurzelt. Also gehe ich auf sie zu, nicht zu schnell. Natürlich. Das muss ein Schock für sie sein. Sie dachte, ich wäre tot.
„Ich lebe“, sage ich leise und schließe sie in die Arme. Sie riecht nach einem schweren, billigen Parfüm. „Ich lebe, Kimi.“
Es dauert eine Weile, bis ihre Arme mich endlich umschließen. Es ist die erste zärtliche Berührung eines Menschen seit Monaten und es fühlt sich so gut an, dass ich weinen möchte. Wir stehen einfach nur da, während der Freier nebenan endlich mit einem Brunftschrei zum Ende kommt.
„Uaaaaahmpf.“
„Gott sei Dank“, sage ich inbrünstig. „Ich dachte schon, der kommt gar nicht mehr.“ Eigentlich hatte ich erwartet, dass Kimi zu kichern beginnt. Aber sie findet das wahrscheinlich gar nicht witzig. „Tschuldigung“, sage ich deshalb zerknirscht und löse mich aus unserer Umarmung. „Ich wollte nicht …“
Ich weiß selber nicht genau, was ich nicht wollte, aber ich komme auch gar nicht mehr dazu, es herauszufinden. Kimi packt mich so hart und unvermittelt am Handgelenk, dass ich überrascht aufschreie.
„Aua, was …?“
„Wieso bist du hergekommen? Bist du vollkommen verrückt geworden?“
Überrascht sehe ich sie an. Sie sieht richtig wütend aus. Ich entziehe ihr mein Handgelenk und streiche darüber.
„Tut mir leid“, sage ich. „Ich wollte dich sehen. Und dir sagen, dass ich noch lebe.“
„Ich weiß, dass du noch lebst“, sagt Kimi. „Jedes Kind in Johtaja weiß das. Und sie suchen dich.“