Читать книгу Broken World 2 - Jana Voosen - Страница 14
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ОглавлениеNur Minuten später lande ich auf einer harten Unterlage, es riecht nach Benzin und altem Teppich. Mit einem Ruck setzt sich das Fahrzeug in Bewegung. Bin ich von Polizisten umringt, die auf mich herabblicken? Oder liege ich hier ganz allein? Ich weiß es nicht. Mein Arm, auf dem ich gelandet bin, schmerzt fast unerträglich. Ich drehe mich auf den Bauch, um ihn zu entlasten, und dann weiter auf die andere Seite. Ziehe die Beine an und rolle mich zusammen. Konzentriere mich auf meinen Atem, denn er ist das Einzige, was ich jetzt noch habe. Wo bringen sie mich hin? Auf direktem Weg zur Insel? Zu Len? Das Bild einer verglühenden Zigarette taucht vor meinem inneren Auge auf, die Funken stiebend durch den Nachthimmel fliegt. Wie eine Sternschnuppe.
Pass auf, was du dir wünschst. Es könnte in Erfüllung gehen.
Irgendwann ist die Fahrt zu Ende. Ich werde aus dem Wagen gehoben und meine Fußfesseln gelöst. Links und rechts grobe Hände an meinen Oberarmen. Man führt mich irgendwohin. Ich versuche, durch die dünnen Sohlen meiner abgetragenen Turnschuhe den Untergrund zu erspüren. Ist das Beton? Asphalt? Marmor? Auf jeden Fall ein harter Untergrund. Treppenstufen. Wieder geradeaus. Die Luft um uns herum verändert sich. Wird spürbar wärmer. Wir haben ein Gebäude betreten. Auch der Boden ist anders. Meine Füße sinken tiefer ein. Wie in weichen Teppichboden. Ich frage mich, welche Farbe er wohl hat. Ob die langen Gänge, durch die ich wandere, völlig leer sind? Oder sind da andere Menschen? Starren sie mich an? Was muss ich für einen Anblick bieten?
Wieder eine Luftveränderung. Harter Boden. Noch ein paar Schritte. Wir kommen zum Stehen. Jemand rammt mir etwas von hinten in die Kniekehlen, so dass meine Beine wegknicken. Hart lande ich mit dem Hintern auf einem Stuhl. Meine gefesselten Hände knallen gegen die Lehne, und ich stöhne in meinen Knebel. Der grobe Stoff kratzt in meinem Rachen, meine Mundschleimhaut fühlt sich staubtrocken an. Jemand nimmt mir die Kopfhörer ab und ich höre ein hohes, kaltes Lachen. Eine Gänsehaut läuft über meinen gesamten Körper. Noch bevor er ein Wort gesagt hat, weiß ich, wen ich vor mir habe.
„Also wirklich, Leute“, sagt Akando, „das ist doch nur ein kleines Mädchen. Nicht zu fassen, dass ihr zwei lange Monate gebraucht habt, um es zu finden. Entfernt die Augenbinde!“
Der Druck über meinen geschlossenen Augen verschwindet, ich öffne sie und blinzele in das grelle Neonlicht. Als ich den Raum erkenne, in den man mich gebracht hat, bricht mir der Schweiß aus allen Poren. Ich war schon einmal hier. Oder zumindest in einem Verhörzimmer, das genauso aussah. Sofort stürzen die Bilder auf mich ein. Bruak. Seine Fistelstimme. Die Schmerzen. Meine Haare auf dem steinernen Boden. Ich ringe mühsam nach Luft.
„Da bist du ja wieder, Yma“, sagt Akando. „Herzlich Willkommen zurück.“
Mit verschränkten Armen steht er vor mir, in einem teuren Maßanzug, den kalten, blauen Blick auf mich gerichtet. Ich sehe zu ihm auf.
„Ich muss zugeben, Yma, dass ich dich unterschätzt habe. Dabei dachte ich, es wäre eine gute Idee, dich und deinen Geliebten gemeinsam zur Insel bringen zu lassen. Als eine Art … Versicherung, verstehst du? Ihr seid doch beide so gefühlsduselig. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, einer von euch könnte stiften gehen und den anderen einfach so zurücklassen. Grausam ist das, wenn man es sich recht überlegt.“
Obwohl ich versuche, seine Worte nicht an mich herankommen zu lassen, versetzen sie mir einen Stich. Akando merkt es und grinst zufrieden.
„Und ehrlich gesagt, wenn überhaupt, dann hätte ich mein Geld auf Len gesetzt. Aber dass du einfach so abhaust und ihn seinem Schicksal überlässt, wirklich, Yma, das hätte ich nicht von dir gedacht. Vielleicht bist du doch nicht ganz so selbstlos, wie du uns alle immer glauben machen wolltest. Hmm?“
Er tritt näher zu mir heran, beugt sich herab und stützt die Hände auf seine Oberschenkel. Sein Gesicht ist jetzt dicht vor meinem. Er sieht verändert aus. Hagerer, als ich ihn in Erinnerung habe. Irgendwie erschöpft. Aber vielleicht bilde ich mir das nur ein.
„Einfach ins Wasser gesprungen bist du. Ohne einen einzigen Blick zurück.“
Sieh dich nicht um, egal was passiert.
„Du bist eiskalt, Yma. Dafür zolle ich dir einen gewissen Respekt, das muss ich schon sagen. Denn du kannst dir ja sicher denken, wie wütend die Wachen auf dem Schiff waren, nachdem du verschwunden warst. Und an wem sie diese Wut dann ausgelassen haben. Na? Kannst du es dir vorstellen?“
Mir entfährt ein erstickter Laut und Akando lächelt.
„Du hast wohl nur an dich selbst gedacht, oder?“
Ich schließe die Augen, um nicht mehr in seine blicken zu müssen. Sofort erscheinen in meinem Kopf genau die Bilder, die Akando mir mit seinem Monolog einpflanzen wollte. Len, der von vier wütenden Wachleuten zusammengeschlagen wird. Len, blutend und halbtot. Ich öffne die Augen wieder.
„Ich bin sehr gespannt, wie dein Loverboy reagieren wird, wenn er dich wiedersieht.“
Dieses Mal gelingt es mir, jede Reaktion vor Akando zu verbergen. Obwohl mein Herz wie wild zu klopfen beginnt. Er lebt. Len lebt.
Ja, noch, sagt eine gnadenlose Stimme in meinem Kopf. Genau wie du. Aber das ist bei euch beiden einfach nur eine Frage der Zeit.
„Du hast dich ziemlich gut versteckt, das muss ich schon sagen. Zwei Monate lang haben wir jeden verdammten Stein umgedreht, um dich zu finden. Aber eigentlich war es klar, dass du irgendwann auftauchen würdest. Wenn auch ausgesprochen dumm, was so gar nicht zu deinem Intelligenzquotienten passen will. Du hattest Sehnsucht nach deiner kleinen Freundin, aber du hast wohl vergessen, was aus ihr geworden ist. Eine Hure, die für zehn Credits die Beine breitmacht. Wie konntest du auch nur eine Sekunde lang glauben, dass sie dich nicht verraten würde?“
Ich beginne vor Erleichterung zu zittern. Wenigstens dieser Plan ist aufgegangen. Kimi wird meinetwegen keine Schwierigkeiten bekommen.
„Ja, ich weiß, das tut weh. Aber nicht die schlimmsten Schmerzen, die du je hast aushalten müssen, oder?“ Er tritt auf mich zu, so schnell, dass ich nicht ausweichen kann. Legt seine Hand auf meinen Kopf und streichelt darüber. Ich sitze da wie erstarrt.
„Ich soll dich übrigens ganz herzlich von Bruak grüßen. Er hätte sich so gerne eine Weile mit dir unterhalten. Aber leider hat er … andere Verpflichtungen. Und ich für meinen Teil finde, dass wir uns lange genug mit dir aufgehalten haben. Ich denke, es ist an der Zeit, dich auf deine letzte Reise zu schicken.“
Akando verlässt den Raum, noch bevor jemand kommt, um mich abzuholen. Ich sehe ihm nach. Auch ihn werde ich niemals wiedersehen. Und ich bin froh darüber.
Wieder werden mir Kopfhörer aufgesetzt und ich werde von einer ganzen Polizeieskorte durch das Gebäude geleitet. Wenigstens auf die Augenbinde haben sie dieses Mal verzichtet. Die Gänge sind leer, aber im Foyer herrscht reger Betrieb. Die Leute starren mich an, ich sehe stur geradeaus. Zwinge mich, nicht den Blick niederzuschlagen. Bis ich jemanden sehe, bei dessen Anblick mir beinahe das Herz stehenbleibt.
Mein Vater. Ehemals illegaler Heiler, so wie Len. So wie ich. Aber das ist lange her. Er wurde vor fünfzehn Jahren verhaftet und vom Regime umgedreht. Er arbeitet jetzt für sie. Hat eine Droge entwickelt, die Menschen zu empathielosen Wesen machen soll. Zumindest solche wie mich. Die sich dem System widersetzen. Die die Frechheit besitzen, all das Elend und die Not nicht einfach hinnehmen zu wollen. Die Mitleid empfinden, obwohl es verboten ist.
Nur die Starken und Gesunden zählen in Vahvin. Nur sie überleben.
Ich sollte seine erste Probandin werden. Vielleicht wollte er mich dadurch sogar retten.
Sag Ja, Yma.
Aber ich habe Nein gesagt. Der Rest ist Geschichte. Noch immer verfolge ich meinen Vater mit den Augen.
Mit einem Bündel Unterlagen unter dem Arm durchquert Manteo die Halle, sein weißer Kittel weht wie ein Segel hinter ihm her, und er scheint mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein, als sein Blick meinen trifft. Wie angewurzelt hält er mitten in der Bewegung inne. Kneift die Augen zusammen. Ungläubig. Fassungslos. Dann rennt er los. Auf uns zu. Mit solchem Tempo und solcher Entschlossenheit, dass ein paar der Männer um mich herum die Gewehre heben. Ich kann nicht hören, was sie sagen. Vermutlich befehlen sie ihm stehenzubleiben. Das tut er, aber erst ganz dicht vor mir. Er hebt die Hände, als wollte er mein Gesicht umfassen, hält dann inne. Seine Lippen bewegen sich schnell. Er sagt meinen Namen und anderes mehr. Ich schüttele den Kopf, will ihm zeigen, dass ich ihn nicht hören kann. Was er natürlich selber wissen müsste. Die riesigen Schallschutzkapseln über meinen Ohren sind schließlich nicht zu übersehen. Aber vielleicht realisiert er das nicht. Manteo scheint vollkommen aufgelöst und redet noch immer auf mich ein. Einer der Hünen um mich herum löst sich aus dem Halbkreis, in dem sie mich umschließen, und tritt an meinen Vater heran. Bellt ihm etwas zu. Legt ihm die Hand auf den Arm. Manteo schüttelt ihn ab, greift jetzt doch nach mir. Umfasst meine Schultern, sein Gesicht nah an meinem, redet er ununterbrochen auf mich ein.
Ich kann dich nicht hören, Papa!
Der Polizist versucht erneut, ihn von mir wegzuziehen, doch Manteo, obwohl fast einen Kopf kleiner als der Kerl und halb so breit, macht sich von ihm los.
Papa, es tut mir leid.
Die Worte dringen nicht nach außen, sondern bleiben innen an dem widerlichen Lappen in meinem Mund kleben.
Ich sehe Tränen in seinen Augen. Sehe seine Lippen, die sich noch immer bewegen, mir letzte Worte sagen, die ich nicht verstehen kann. Ich sehe, wie der Mann hinter meinem Vater sein Gewehr hebt. Es umdreht und den Kolben gegen Manteos Hinterkopf schmettert. Wie er zu Boden geht. Ein Stoß in meinen Rücken, dass ich weitergehen soll. Doch ich denke gar nicht daran. Ich bewege mich keinen Millimeter vorwärts. Den Männern ist das egal. Sie packen mich unter den Achseln und schleifen mich aus der Halle. Ich verrenke mir den Kopf, um einen letzten Blick auf meinen reglos am Boden liegenden Vater zu erhaschen. Auch ihn werde ich nicht wiedersehen. Und nun weine ich doch.