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Das Schlimmste an der Arbeit ist die Eintönigkeit. Dieselben Handgriffe, immer wieder. Platine zurechtlegen, Bauteil in die entsprechende Öffnung stecken, löten, stecken, löten, stecken, löten, nächste. Zurechtlegen, stecken, löten, stecken, löten, stecken, löten, nächste. Zurechtlegen, stecken, löten, stecken, löten, stecken, löten, nächste. Die Gedanken schweifen beinahe sofort ab, ob man will oder nicht. Allerdings hat so ein Lötkolben eine Temperatur von ungefähr 380 Grad. Eine gewisse Konzentration auf die Tätigkeit ist von daher ratsam, wie ich zu Beginn mehr als einmal schmerzhaft lernen musste. Mittlerweile geht es ganz gut. Die Schmerzen im Nacken und in den verkrampften Fingern werden zu ständigen Begleitern. Aber ich bin keine Mimose. Auch wenn Maya das Gegenteil behauptet. Ist wohl alles eine Frage der Perspektive. In meinem früheren Leben galt ich als ungemein tough. Meine Mutter Winona war alleinerziehend und alles andere als reich. Auch wenn ich heute zugeben muss, dass wir von echter Armut meilenweit entfernt waren. Dennoch musste ich mir meinen Platz im Leben hart erkämpfen. Meine Schulausbildung wurde durch Stipendien finanziert, während alle meine Mitschüler aus reichen Elternhäusern stammten. In Villen mit Pools und Bediensteten lebten, statt in einer winzigen Zweizimmerwohnung so wie wir.

Ich war es gewohnt, hart zu arbeiten. Aber damit meine ich nächtelanges Büffeln in der Bibliothek. Die Vorstellung, ein Referat für den Biologieunterricht vorzubereiten, entlockt mir heute ein sehnsuchtsvolles Seufzen.

Zurechtlegen, stecken, löten, stecken, löten, stecken, löten …

Egal. In der Vergangenheit zu schwelgen, hat noch niemanden nach vorne gebracht. Mein großes Problem ist allerdings, dass ich nicht die leiseste Ahnung habe, wo vorne überhaupt sein soll. Ich stecke nicht zuletzt deshalb in meiner unglücklichen Situation fest, weil ich nicht weiß, was ich als nächstes tun soll.

Was ist denn los? Willst du mich nicht retten?

Ich sehe Len so deutlich vor meinem inneren Auge, dass sich mein Herz zusammenkrampft. Dabei erlaube ich mir tagsüber nicht oft, an ihn zu denken. Mir vorzustellen, wie es ihm geht. Denn es ist einfach zu schrecklich. Er ist in einem Gefängnis, in dem es für die Menschen nur halb so viel Nahrung gibt, wie sie eigentlich bräuchten. Ganz langsam lässt man sie verhungern. Ich kann mir keine grausamere Art vorstellen, einen Menschen umzubringen. Ob er überhaupt noch lebt? Len, der über Jahre hinweg sein Leben riskiert hat, um Menschen zu retten? Kranken und Schwachen zu helfen? Was, wenn er dort in diesem schrecklichen Gefangenenlager das Gleiche tut? Wenn er die hungrigen Augen seines Zellennachbarn nicht ertragen kann? Mit ihm sein Essen teilt, obwohl es doch sowieso schon zu wenig ist. Viel zu wenig zum Überleben.

Ich muss doch etwas tun. Ich muss ihn retten. Er bittet jede Nacht darum. Aber was soll ich machen?

Natürlich weiß ich, dass das Unsinn ist. Len bittet mich um gar nichts. Am wenigsten darum, ihn in einer Art Selbstmordkommando aus dem Gefängnis zu befreien. Schließlich war er es, der meine Flucht ermöglich hat.

Du gehst zur Reling und springst. Und dann schwimmst du. Um die Wachen kümmere ich mich. Sieh dich nicht um.

Len alleine gegen vier bewaffnete Männer. Er hatte keine Chance.

Er hat mein Leben gerettet. Und ich bin dankbar dafür. Wirklich, das bin ich. Gleichzeitig bin ich wütend. Wie konnte er? Das war nicht abgemacht. Wir wollten zusammen fliehen.

Ich liebe dich, Len.

Ich liebe dich auch, Yma.

Was habe ich jetzt von meiner Rettung? Was ist das für ein Leben? Tagein tagaus löte ich mir die Finger blutig, für einen Lohn, der gerade für das Bett in einem Zwölfer-Zimmer im Wohnheim reicht. Billige Lebensmittel. Und ab und zu einen Kaffee bei Juri.

Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass ich lieber bei Len wäre als hier. Fühle mich gleich darauf schlecht, so zu denken. Undankbar. Als würde ich das Opfer nicht wertschätzen, das er gebracht hat. Gleichzeitig möchte ich schreien vor Wut. Ich wollte dieses Opfer nicht.

Jemand tritt an mich heran und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich bin beinahe froh darüber, bis ich merke, dass es Kele ist. Der Vorarbeiter mit der unangenehmen Vorliebe für meine Augenfarbe. Und meinen Hintern.

„Winona“, blafft er mich an. Offensichtlich ist es nicht die Zeit zum Süßholzraspeln. Er wedelt mit einer Platine vor meinem Gesicht hin und her, so dicht, dass ich unwillkürlich vor den scharfen Kanten zurückweiche.

„Ja?“, frage ich bemüht ruhig. „Gibt es ein Problem?“

„Ja, es gibt ein Problem. An dieser Platte sind mindestens zwei Stellen unzureichend gelötet.“

„Ist ja gut“, sage ich und greife danach. „Ich korrigiere das sofort.“

„Weißt du, was passiert, wenn wir so ein fehlerhaftes Motherboard ausliefern? Was das für ein Bild auf RGE zurückwirft?“

Das Bild einer Firma, die ihre Mitarbeiter weit über ihre physischen und psychischen Grenzen hinaus ausbeutet, würde ich gerne sagen. Die sie zu einem Hungerlohn Sechzehn-Stunden-Schichten schieben lässt in einem Raum mit viel zu wenig Sauerstoff und ohne natürliches Licht.

„Wir liefern es ja nicht aus“, sage ich stattdessen. „Dazu gibt es schließlich die Funktionstests.“ Die machen die Frauen in den roten Overalls.

„Werde ja nicht frech“, schnauzt Kele mich an. Weil er weiß, dass ich recht habe. Und vermutlich auch, weil ich ihn nicht ranlasse. „Sonst sorge ich dafür, dass du noch heute mit deinem Arsch auf der Straße sitzt. Verstanden? Es gibt genug Leute, die froh darüber wären, hier arbeiten zu dürfen.“

Womit er vermutlich sogar recht hat. Die Arbeitsbedingungen sind mies, aber immerhin verdient man überhaupt ein bisschen Geld. Das Wohnheim, in dem wir untergebracht sind, ist zwar das Gegenteil von einer Luxusunterkunft. Aber genau so würde sie vermutlich jenen Menschen vorkommen, die in den Slums am Rande der Hauptstadt leben. Ich beiße mir hart auf die Unterlippe.

„Na?“, fragt Kele und sieht mich lauernd an. „Wolltest du noch irgendwas sagen?“

Ich schüttele den Kopf und strecke die Hand nach der Platine aus. Spanne sie ein und korrigiere die fehlerhaften Lötstellen. Kele steht jetzt dicht hinter mir, beugt sich zu mir herunter unter dem Vorwand, meine Arbeit genau unter die Lupe nehmen zu wollen. In Wahrheit will er einfach nur seinen Körper an meinen pressen.

„Ich behalte dich im Auge, Winona“, flüstert er mir ins Ohr. „Und du solltest dich fortan ein bisschen besser konzentrieren. Es wäre doch schade um deinen hübschen Arsch, wenn er auf der Straße landet.“

Seine Hand legt sich auf mein Knie und ich spüre, wie mir der Schweiß ausbricht. Meine Finger verkrampfen sich um den Lötkolben. Beginnen zu zittern. Seine dagegen beginnen meinen Schenkel zu kneten, langsam an der Anzughose nach oben zu wandern.

„Komm in deiner Pause in mein Büro“, sagt er schwer atmend, „du wirst es nicht bereuen.“

Ein Gefühl der Übelkeit überkommt mich. Meine Kolleginnen links und rechts sitzen nur je einen Meter von mir entfernt. Sie können alles hören.

„Nimm deine Flossen von mir oder ich ramme dir den Lötkolben ins Auge“, flüstere ich und spüre, wie sich Keles gesamter Körper versteift. Die nächsten Sekunden dehnen sich endlos. Ich halte die Luft an, spanne meine Muskeln an und wappne mich für das Kommende. Einen brutalen Schlag ins Gesicht vielleicht. Definitiv meinen Rauswurf. Was habe ich getan? Wo soll ich denn jetzt hin? Ich habe kein Geld, keinen Platz zum Schlafen, gar nichts. Aber ein kleiner Teil von mir jubiliert trotz dieser trüben Aussichten. Endlich weg von hier. Endlich frei sein.

Im Zeitlupentempo nimmt Kele seine Hand von meinem Oberschenkel. Richtet sich auf und räuspert sich. Dann wendet er sich ab und geht ohne ein weiteres Wort davon. Ich starre ihm hinterher, bis ich neben mir einen anerkennenden Laut höre. Nea, die Arbeitskollegin zu meiner Rechten, lächelt mir anerkennend zu und hebt verstohlen den Daumen. Doch der Augenblick des Triumphes verfliegt in dem Moment, als ich meinen Blick zurück auf die Leiterplatte vor mir richte. Und den Lötkolben ansetze.

Broken World 2

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