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2. Die griechischen Versionen: Aufbau und Themen
ОглавлениеWie oben erwähnt229 teilt die LXX in der „gemeinsamen Erzählung“ den Aufbau und die Themen des MT, von dem sie weitgehend abhängig ist. Das Vorhandensein der Zusätze A–F in der LXX verändert aber den Aufbau im Ganzen und wirkt sich darauf aus, wie die Erzählung interpretiert werden kann.
Die „theologische“ Dimension des Werks, die in der „gemeinsamen Erzählung“ mehr oder weniger am Rande stand, tritt durch die Zusätze A1, C, D und F entschieden hervor. Ester und Mordechai bekennen sich in ihren Gebeten zur göttlichen Souveränität über die Geschichte (C,1–4.23b) und bekräftigen, dass die Juden Gottes Erbbesitz sind (C,8a.9.16). Ester weist sogar darauf hin, dass die traurige Situation der Deportierten als Strafe Gottes verstanden werden kann (C,17–18). Das Gebet der beiden Helden (C,10.22–25.30b) drückt die Überzeugung aus, dass Gott am Werk ist, wenn die Juden gerettet werden. Mordechais ahnungsvoller Traum (A1) und seine Interpretation (F) setzen voraus, dass Gott Herr über die Ereignisse ist (F,6–9).
Die Ergänzungen machen auch die Motivationen der Protagonisten und den Sinn ihrer Taten deutlicher. In der „gemeinsamen Erzählung“ (3,2–4) wird nicht gesagt, warum Mordechai es ablehnt, sich niederzuwerfen, aber sein Gebet erklärt, dass man sich nur vor Gott niederwerfen dürfe (C,7). In der „gemeinsamen Erzählung“ ist die Vorstellung, dass eine jüdische Frau Königin von Persien wird, weder etwas Positives noch etwas Negatives, aber Esters Gebet (C,26–29) erwähnt, dass sie angewidert ist, die Frau eines ausländischen Königs zu sein, und dass sie nicht an den Mahlzeiten der Heiden teilnimmt. Schließlich beschreibt Zusatz D das erste Vorsprechen der Königin vor dem König auf eine viel theatralischere Weise als der MT. Hervorgehoben werden dabei die Unsicherheit ihrer Lage und ihre Angewiesenheit auf Gott – beides Elemente, die das Herz des Königs milde stimmen (D,8).
In den Zusätzen A1, C, D und F wird die nichtjüdische Welt sehr negativ gezeichnet in dem Sinne, dass jüdisches dort Leben fast unmöglich ist. Laut den Gebeten von Ester und Mordechai ist das Leben eines gläubigen Juden in der nichtjüdischen Welt kompliziert und mühsam.
In den Zusätzen A2, B und E werden die Nichtjuden weniger kritisch gesehen. Für die beiden königlichen Erlasse trägt Haman die Verantwortung (E,5–6.10–14). Der Großkönig hingegen wird als weiser und gütiger Herrscher dargestellt, der von einem schlechten Berater getäuscht wurde (E,5–9). Wie schon in der Episode von der Intrige der Eunuchen in A,12–17 erscheinen die jüdischen Protagonisten als treue Untertanen des Königs (E,13), und die jüdischen Gesetze werden positiv beurteilt (E,15.19). Schließlich bekräftigt der persische König in seinem Erlass die alles überragende Macht des Gottes der Juden (E,16.21).
Die griechischen Zusätze geben der Ester-Erzählung eine andere Tendenz, indem sie sie zu einer Geschichte machen, in der der allmächtige Gott die gläubigen Juden (A1, C, D und F) in einem Reich, das von einem weisen König regiert wird (A2, B, E), nachdrücklich beschützt.