Читать книгу Das mächtigste Wort der Welt - Jens Lämmerzahl - Страница 3

Kapitel 1

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„Tick, tick, tick“, die Zeiger der großen Uhr über dem Eingang der Turnhalle, irgendwo in Berlin sprangen auf 12.20Uhr. An den vier Schreibtischen in Reihe und Glied bildete sich eine lange Schlange von Autogramm-Jägern. Drei Schreibtische waren voll mit dem neuesten Werk von Paul König, „Warum sterben wir?“. Er saß am vierten Tisch und gab seit fast dreieinhalb Stunden unentwegt ein Autogramm nach dem anderen. Seine Hand fing bereits an zu schmerzen. Er rieb sich seine brennenden blauen Augen und fuhr sich durch die korrekt geschnittenen schwarzen Haare. Die Sonne brannte ihm ins Genick.

Nach drei Stunden Autogramme geben an diesem warmen Sommertag musste er nun doch den Knoten seiner blauen Krawatte lockern. Im Nachhinein musste er sich nun doch eingestehen, dass der Standort etwas ungünstig gewählt war.

Die bunte Warteschlange aus älteren Männern und Frauen, aus Literatur-Studenten, aus Philosophie-Liebhabern und denjenigen, die bereits seine elf vorherigen Werke kannten, schien kein Ende zu nehmen.

Eine junge, attraktive Frau schob ihm vorsichtig sein Buch zu, ganz nah an Pauls Hände. Beim Zurücknehmen ihrer Hand streifte sie Pauls Hand. Ein wohliges Gefühl durchfuhr Paul dabei. Paul schaute ihr in die Augen. „Wow, was für eine Frau“, dachte er. Paul schaute auf das Buch. Offenbar lag etwas unter dem Buchdeckel. Die Hand der Frau nahm den Buchdeckel und hob ihn so an, dass nur Paul sehen konnte, was darin lag. Paul erstarrte für einen Moment. So eindeutig wurde er noch nie zu einer Pause aufgefordert. Er nahm unbemerkt ein Kondom aus dem Buch, setzte sein Autogramm und gab der Wahnsinns-Frau das Buch. Als sie ging, warf sie Paul noch einen Blick zu, der ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Sein Blut jedoch floss in eine andere Richtung. Er verfolgte jede Bewegung der Frau, die sich Richtung Ausgang bewegte. Das leichte rhythmische Wackeln ihrer straffen und offensichtlich gut trainierten Pobacken beim Gehen, was durch das enge weiße Minikleid besonders gut zu sehen war oder das Wippen ihrer langen schwarzen, glatten Haare bei jedem Schritt. Kurz bevor sie außer Sicht war, warf sie Paul nochmal einen hypnotisierenden Blick mit ihren katzenartigen grünen Augen zu.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte der ältere Herr im Nadelstreifen-Anzug. Er wartete ungeduldig auf sein Autogramm. Paul setzte schnell seine Unterschrift und sprang auf.

Paul sprach zur Warteschlange: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich bitte um ihr Verständnis, das wir jetzt eine Pause einlegen. Es ist Mittag und ich möchte mich gern etwas stärken, so dass ich im Anschluss auch jedem von ihnen meine Aufmerksamkeit widmen kann. Aufgrund des Wetters haben wir draußen vor der Halle einen Grill und ein Buffet aufgebaut. Bitte stärken sie sich ebenfalls und lassen sie es sich schmecken.“ Ein Raunen machte die Runde. „Es ist kostenlos“, ergänzte Paul. Daraufhin drängten die Leute nach draußen. Paul setzte sich wieder hin.

Hundert Gedanken gingen ihm plötzlich zugleich durch den Kopf:

„Sollte ich das wirklich tun? Kann ich danach meiner Frau noch in die Augen schauen? Ok, wir hatten seit fast sechs Monaten eh keinen Sex mehr. Warum eigentlich? Ich bin viel unterwegs. Aber ist das ein Grund? Ich liebe meinen Job. Es geht uns finanziell gut. Ich habe zwei gesunde Kinder. Ach, verdammt…, ich will wieder mal Sex haben. Oh je, …, kann ich das überhaupt noch mit meinen 44 Jahren? Mein Körper sagt ja“. Paul spielte die ganze Zeit nervös mit dem goldenen Kugelschreiber, den ihm seine Frau zum vierzigsten Geburtstag schenkte. „Verdammt, ich brauche unbedingt wieder Sex“, wiederholte er den einen Gedanken. Er sprang auf und ging Richtung Toilette.

Mit schweiß-nasser Hand öffnete er vorsichtig die Toilettentür und lunzte langsam hinein. Niemand da. Drei Kabinen, alle Türen geschlossen. Paul ging hinein. Ihn durchdrangen Angst und Erregung zugleich. Er eilte zum Waschbecken, um sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen. Paul drehte das Wasser auf schaute einige Sekunden auf sein Spiegelbild und schob dann sein Kopf unter den erfrischenden Wasserstrahl.

Unbemerkt öffnete sich leise hinter ihm eine Kabinentür. Die Frau kam heraus. Sie ging auf Paul zu. Langsam schob sie ihre Hand zwischen seine Beine. Mit einem Aufschrei schreckte Paul hoch und drehte sich um. Dabei verletzte er sich am Wasserhahn. Etwas Blut floss an Pauls Jochbein herunter, doch er merkte das gar nicht. Die Frau warf ihm einen verschmitzten aber durchdringenden Blick zu.

Nicht gerade zimperlich schob Paul die Frau in die Kabine, schloss die Tür, riss ihr Kleid hoch, während sie ihm hastig die Hose öffnete. Ruckartig drehte Paul sie um und erforschte mit seinen Händen ihren straffen Körper unter dem Kleid und küsste dabei ihren Hals. Beide fingen an schwer zu atmen. Ihr stöhnen und ihre Beckenbewegungen verrieten, dass sie es genauso wollte. Paul nahm ihre Pobacken fest in die Hände und bewegte ihre Hüfte kräftig vor und zurück. Erst langsam, dann immer schneller. Beide wurden dabei immer lauter. Keine Minute später fing Paul an zu schreien und die Frau hielt den Atem an und schlug auf den Spülkasten, musste dabei aber zwischendurch lautstark Luftholen. Einen kurzen Moment verharrten sie in der Stellung. Dann schob sie sich an Paul vorbei aus der Kabine, rückte ihr Kleid zurecht und zog ein kleines Notizbuch aus ihrer kleinen schwarzen Handtasche und schrieb etwas hinein.

Sie ging zu Paul und flüsterte ihm ins Ohr: „Schriftsteller, 3 Minuten, 24 Sekunden. Jetzt fehlt nur noch ein Filmproduzent“. Sie gab Paul einen Kuss, steckte ihm noch ihre Telefonnummer zu und verschwand. „Was war das denn?“, runzelte Paul die Stirn. Dann fing er laut an zu lachen. Als er dann aber das unbenutzte Kondom aus der Hosentasche angelte, stockte ihm der Atem: „Oh, Scheiße“.

Paul stand am Waschbecken und säuberte seine Kopfwunde, die aber nicht mehr zu bluten schien. Die Tür öffnete sich und ein alter Mann mit Gehstock kam ohne Umwege auf Paul zu.

„Ja, ja, so eine Frau hatte ich auch mal, vor vielen Jahren“, gab der alte Mann Paul frech zu verstehen. Paul fiel der teure Maßanzug des Mannes auf. Er war so ein Lieber-Opa-Typ mit kurzem, grauen Haar, halb-glatze und modischer Brille.

„Kann ich ihnen helfen?“, fragte Paul misstrauisch. „In einer Minute“, sagte er zu Paul und ging in eine der Kabinen. Während der alte Mann unüberhörbar sein Geschäft verrichtete, sprach er zu Paul. „Ich habe ihnen ein Geschäft anzubieten. Doch zuvor denken sie mal über ein Rätsel nach:

Ein Mann kommt in eine Bar und bittet um ein Glas Wasser. Der Barkeeper nimmt ein Gewehr und schießt knapp am Kopf des Mannes vorbei. Daraufhin bedankt sich der Mann, legt Geld auf den Tresen und geht. Warum?“ Der alte Mann kam heraus und ging zum Waschbecken. Dabei schaute er immer wieder Paul erwartungsvoll an, wie dieser grübelte. „Bedenken sie, Herr König, dass Worte nicht wiederspiegeln, was gemeint ist“, ergänzte der alte Mann freundlich lächelnd. „Das bedeutet?“, fragte Paul völlig ratlos. „Bitte schenken sie mir draußen 5 Minuten ihrer kostbaren Zeit“, bettelte der alte Mann. „Ich möchte gern noch etwas essen. Solange können wir uns unterhalten“, antwortete Paul. Beide gingen nach draußen.

Paul stellte sich am Buffet eine Kleinigkeit zusammen. Ein Stück Zitronentorte mit Schlagsahne, eine Bulette vom Grill und eine große Tasse schwarzen Kaffee. Dabei suchte er unauffällig mit den Augen immer wieder nach der Frau von der Toilette, doch die war verschwunden.

Paul ging zu dem alten Mann der allein unter einem schattigen Baum saß und eine Pfeife paffte. „Was hat es nun mit dem Rätsel auf sich?“, fragte Paul nach. „Ich heiße übrigens Paul König. Und wie ist ihr Name?“, versuchte Paul es etwas aufzulockern. „Mein Name ist unwichtig“, sprach der alte Mann und kaute dabei auf seiner Pfeife. „Aber nennen sie mich Mister Nullius.“ Paul runzelte die Stirn und genoss seine Torte. „Nullius…, so wie Nemo…, also Niemand. Dann würde ich sie gern Mister Latein nennen“, scherzte Paul. Der alte Mann lachte verzückt. „Sie haben es verstanden“, frohlockte der alte Mann. Paul hielt kurz inne. „Machen wir hier Wortspiele?“, fragte Paul. Der alte Mann beugte sich zu Paul:

„Haben sie sich schon mal gefragt, was das wohl kraftvollste oder mächtigste oder wichtigste Wort der Welt ist?“ Paul schob sich das letzte Stückchen Torte in den Mund und spülte mit Kaffee nach. Er begann angestrengt nachzudenken. „In diesem Augenblick das erste Mal“, antwortete Paul und sah den alten Mann mit großen Augen an. Paul durchfuhr ein kalter Schauer. „Was für ein Gedanke. Ein einziges Wort, das die Welt veränderte und es noch tut.“

„Hören sie, Herr König, da sie gleich wieder Autogramme geben müssen. Ich kaufe alle ihre Bücher, wenn sie dieses eine Wort finden“. Paul verschluckte sich bald am Kaffee, als er das hörte. Er begann laut zu lachen und versuchte das Gespräch zu beenden. Paul gab ihm die Hand zum Abschied. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich denke, sie haben nen Knall“, verabschiedete sich Paul. Der alte Mann drückte ihm beim Handschlag eine Visitenkarte in die Hand, goldene Schrift auf völlig transparentem Untergrund. „Ich kann mir vorstellen, wie verrückt sich das anhören muss. Denken sie ein paar Tage darüber nach“, verabschiedete sich der alte Mann und verschwand.

Paul war den Rest der Autogrammstunde nicht mehr bei der Sache. Er dachte nur noch über dieses seltsame Gespräch nach. Ein einziges, mächtiges Wort. Gibt’s das überhaupt?“ Gedanklich ging er alle Worte durch, die er für mehr oder weniger mächtig hielt. „Leben, Liebe, Tod, Gott, Glaube. Hatte das etwas mit den Büchern zu tun, die ich bisher geschrieben hatte?“

Das mächtigste Wort der Welt

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