Читать книгу Der Konvent - Jens van Nimwegen - Страница 6
ОглавлениеWende
Manchmal geht alles ganz schnell.
Das Schwein, das ich anderthalb Jahre zum Leib- und Haussklaven abgerichtet habe, hat bei Kalle in Berlin seinen letzten Schliff erhalten. Ich will morgen hin, um es vertragsgemäß freizulassen. Wie es danach weitergehen soll, ist offen. Ich wollte keine Pläne, keine Absprachen über das Ende der Lehrzeit hinaus.
Da ruft Direktor Dr. Dr. Meyer an, der elegante, zurückhaltende Reeder und Privatbankier, von dem wir immer noch nicht wissen, ob er derselbe ist wie der alte Mann, der manchmal nackt im 'Boots' herumkriecht und Stiefel leckt.
Er will mich dringend sprechen. Dass ich ebenso dringend nach Berlin will, ist kein Problem. Im Gegenteil. Ob wir nicht zusammen reisen könnten. Er würde dann einen Hubschrauber mieten. Er habe zwar von seinem Vater gelernt, dass man sparsam sein müsse. Er nehme auch höchst selten ein Taxi. Er habe darum anders als seine Konkurrenten weder einen Privatjet noch einen eigenen Hubschrauber. Aber wenn es nötig sei, würde er einen chartern. Die Aussicht gerade auf dieser Route sei ja auch schön, nur müsse man leider diesen Lärm aushalten.
Arztbrief
Er ist der Welt abhanden gekommen.
Er hat sich konsequenter in seine Phantasiewelt zurückgezogen als ich es je bei einem psychiatrischen Patienten beobachtet habe. Er unterhält keinen wie auch immer geartete Kontakte zu seiner früheren Umgebung, in der er so viel bedeutete. Er vermisst die Menschen, die ihm früher wichtig waren, nicht und will nicht wissen, ob ihn jemand vermisst.
In seiner Phantasie ist er ein alter, zahnloser Hund, der in einer WG auf dem Lande gefüttert wird und herumstreunt, wo er will. Stundenlang durch Wald und Feld, aber auch durch alle Zimmer. Er fühlt sich von jedem geduldet, selten verscheucht. Oft sitzt oder liegt er stundenlang in der Sonne und schaut den anderen zu.
Er ist körperlich für sein Alter sehr fit. Ich kann keine psychische Störung und keine Demenz nachweisen.
Aus medizinischer Sicht besteht kein Handlungsbedarf. Eine Wiedereingliederung in die „normale“ Gesellschaft hätte wenig Chancen, weil er dort keine Kontakte mehr hat und höchstens Anstoß erregen würde. Man sollte ihn in Ruhe alt werden lassen.
Dr. med. Kaldenhoff, Facharzt für Allgemeinmedizin und Geriatrie
Wir sehen am Horizont schon Berlin aber landen irgendwo in Brandenburg auf einer Wiese. Und da liegt es: „Ein ehemaliges Zisterzienserkloster, das sich im neunzehnten Jahrhundert eine preußische Fabrikantenfamilie zum Landsitz umgebaut hat. Nach dem Krieg waren Russen, Entschuldigung, sowjetische Freunde unserer Brüder und Schwestern darin. Darum ist es auch so verwohnt.”
Mir hat es den Atem verschlagen. Der riesige Gebäudekomplex muss einmal wunderschön gewesen sein und ist nun völlig heruntergekommen. Es gibt ein paar Scheußlichkeiten aus Beton, die dringend abgetragen werden müssten. Das meiste ließe sich restaurieren. Aber mit welchem Aufwand? „Herr Direktor Dr. Dr., warum zeigen Sie mir dies?” – „Ich habe es gekauft. Ich weiß, was ich auf meine alten Tage will. Und ich meine zu wissen, was Sie wollen und können. Sie verfügen über drei vielversprechende Bauingenieure, Sie haben Geschmack, und Sie wissen was Qualität ist. Ich will, dass Sie hieraus etwas machen. Und nun gehen wir erst mal in Ruhe essen.”
Pffff...
Er kennt in der Nähe ein Landgasthaus, in dem man wirklich gut und ungestört essen kann. Und bei diesem Essen erklärt er seinen Wunsch. Einen Ort schaffen, an dem Männer wie er, ich, Ratte, Punk, mein Schwein und Sucker zusammen leben können, und zwar unbehelligt von den gesellschaftlichen Zwängen, die er inzwischen leid ist. An dem Männer auch zusammen alt werden können, wenn sie das wollen, ja, und auch sterben, denn auch an das Sterben müsse man denken. Aber kein Altersheim, und auch kein Getto. Die S-Bahn nach Berlin sei erreichbar. Er denke an Männer jeden Alters, auch ganz junge, die es zu Hause nicht mehr aushalten, an Freundespaare, Wohngemeinschaften, Herren mit ihren Sklaven, suum cuique, wie der schöne Wahlspruch der ehemaligen Landesherren hier ja lautete. Kurzum, ich solle mit meinen drei Bauingenieuren hier schnellstmöglich einziehen, auch wenn es erst einmal etwas primitiv wäre, und im Hinblick auf die Zukunft wäre ein Goldschmied auch nicht unerwünscht, also soll Punk, so heiße er doch, ruhig mitkommen. Dieser Juwelier Schwichtenberg, bei dem er derzeit arbeitet, könne ruhig wieder selbst für sich aufkommen. Also: von hier aus sollen wir die Sache aufbauen. Geld spiele keine Rolle, und er habe volles Vertrauen in uns. Er wisse auch schon, welche hiesige Baufirma geeignet wäre. Es würde ihn nicht wundern, wenn der Inhaber irgendwann selbst einzöge. Dass mein Schwein morgen freigelassen wird, interessiert ihn nicht.
„Und wenn all diese Leute sich nicht verstehen? Wenn es Streit gibt?” – „Streit gibt es immer, das wissen Sie. Aber ich traue Ihren Männern zu, dass Sie das so hinbekommen, dass man sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren kann, statt sich zu streiten, wer einen halben Quadratmeter Balkon mehr bekommt. Das Leben ist doch reich genug als dass man mit sowas seine Energie verschwendet. Genau darum will ich Sie ja haben.” Und die finanziellen Dinge müsse man eben von Anfang an vertraglich perfekt regeln. Es gebe ja wohl auch Juristen, die sich auf so etwas verstehen würden. Und wem es nicht gefalle, der könne ja weg. – Und der finanzielle Rahmen? – „Geld spielt keine Rolle, dazu errichten wir eine Stiftung.”
004-0
„Übermorgen kann ich nicht nach Brandenburg fahren. Ich muss zum Gericht. Die Erben Buckendahl.“ – „Dann lassen Sie sich von Frau Willems vertreten.“ – „Nichts gegen Frau Willems, aber ich will die Sache gewinnen.“ – „Wenn Doktor Doktor Sie in Brandenburg wünscht, sollten uns die Erben Buckendahl egal sein. Er ist mit Abstand der wichtigste Kunde unserer Kanzlei. Sie fahren.“ – „Und was soll ich da, Herr Dr. Wallraff?“ – „Unsere Dienste anbieten. Da soll irgendetwas gegründet werden. Sie sollen sagen, dass Sie auch etwas von Klosterrecht verstehen. Das ist ihm wichtig. Sie sind seiner Meinung nach genau der richtige Mann. Also: hin, und offen sein für alles und mitdenken! Es soll Ihr Schaden nicht sein. Und vergessen Sie das Klosterrecht nicht! Wenn es sich gut anlässt, werden Sie dort vielleicht vorübergehend eine Außenstelle der Kanzlei eröffnen. Doktor Doktor meinte, da gebe es auch Wohnraum für Sie. Aber schauen Sie erst mal!“
Und dann saß ich im Auto nach Brandenburg. Es würde bestimmt ein interessanter Auftrag werden, sonst hätte Wallraff mich da nicht hingeschickt. Ich löse gern knifflige Probleme und kann das gut. Es war gutes Motorradwetter, aber Klientenbesuche nur in unverknittertem Anzug mit gebügeltem Hemd! Steht mir ja auch. Mein Dreitagebart und der Millimeterhaarschnitt hatte noch nie Anstoß erregt. In Köln kann man gut leben, ohne sich zu verstecken. Mit den anderen Gay Bikers führe ich immer in voller Lederkluft auf dem Rad die Parade am CSD an. Alle paar Monate fliege ich nach San Francisco und lasse mich von Master Carl so richtig rannehmen. Jeder in der Kanzlei weiß das.
Also dann eben mit dem Auto hin, Klosterrecht erwähnen, Lederzeug im Kofferraum, danach ne Nacht in den Schöneberger Kneipen, schlafen bei einem Kollegen von den Gay Managers in Dahlem, am nächsten Tag im verschwitzten Leder zurück. Dachte ich.
Aber was ich dort vorfand, hatte ich wirklich nicht erwartet.
Klar, neun Zehntel all der Männer, die von SM einen Kick kriegen, geilen sich an der Phantasie auf, für immer und ewig versklavt zu werden. Leben ohne Rechte, ohne eigene Zeit, einfach nur da sein, gehorchen und bestraft werden, wenn man Fehler macht. Am liebsten nackt in Ketten. Von diesen Träumen lebt die halbe Pornoindustrie und in jeder Großstadt ein paar Kneipen und Fetischläden. Aber es bleibt dann meist bei Rollenspielen. Manche bezahlen sogar dafür. Und am nächsten Morgen verstecken sie das Lederhalsband im Nachtschrank und gehen wieder ins Büro, wo sie ohne Ketten und total ungeil die langweiligste Arbeit machen, und sich schämen für ihr Doppelleben.
Ein gewisser Mike Pastori hatte vor Jahren in Amerika mal ein Projekt, wo solche Sklavennaturen gehalten wurden, nachdem sie alle Bande mit dem bürgerlichen Leben durchgeschnitten hatten. Bis die Polizei einfiel. Aus der Traum.
Und hier nun sind ein paar Männer dabei, genau so etwas ins Leben zu rufen, und brauchen mich dafür. Das wurde natürlich erst deutlich, nachdem dieser Chef, ein Dr. van Nimwegen, und ich uns vorsichtig abgetastet hatten. Als wir dann sicher waren, dass wir ähnlich denken, wurde das Abtasten weniger vorsichtig.
Ich war total überrascht, weil unvorbereitet, aber nicht verwirrt. Ich war glasklar, auch während ich durchgerammelt wurde. Hier sollte ein Traum Realität werden, über den ich schon oft nachgedacht hatte – ja, und, zugegeben, etliche einschlägige Schundromane gelesen – und ich bekam die Chance, dabei zu helfen.
Wir mochten uns. Ich war schnell sicher, dass dieser Chef das Richtige wollte und konnte. Er hatte prima Männer um sich. Und er hatte schnell raus, was ich für einer war. Der geborene Sklave. Nur wusste er natürlich noch nicht, wie gut ich in meinem Fach war und ob ich Qualität liefern konnte.
Nix mit Lederzeug nach Schöneberg! Zimmer im nächstbesten Gasthof und sofort anfangen, gut nachzudenken! Der Küchenjunge mit seiner geilen Fresse versuchte mich anzumachen. Den hätte ich leicht ins Bett kriegen können. Aber jetzt nicht. Jetzt geht es um das Große, Ganze. So eine Chance bekommt man nur einmal. Die krempelt das ganze Leben um, wenn man was kann und nicht kneift.
Aber es wird ein Machtkampf werden. Wenn ich das nicht perfekt hinkriege, verliere ich und werde ausgelacht. Mit dem ist nicht zu Spaßen.
Ein hieb- und stichfestes juristisches Werk bauen, das Sklaverei auf Lebenszeit so strikt ermöglicht, wie es in Deutschland nur geht. Ein Vertragswerk, das radikale Ungleichheit ohne Ausweg festschreibt. Juristische Ketten schmieden, die man nie mehr los wird. Und ich will meine eigenen Ketten für immer tragen müssen. Jedenfalls bei diesem Herrn und seinen Männern. Alles starke Persönlichkeiten, auch die Sklaven. Und ich ja auch. Desto geiler werden die Ketten sein. Auch noch in Jahrzehnten! Aber nur, wenn sie kein Nepp sind. Nix Phantasie, der Ernst des Lebens!
Einfach würde das nicht werden. Der Eine muss alle Rechte und seine ganze Freiheit für immer aufgeben, mit Ausnahme des Rechts auf Leben und Gesundheit, der Andere muss alle Rechte erhalten, auch das Recht zur körperlichen Züchtigung und weitestgehender Einschränkung der Freiheit, und das Ganze so solide, dass der Staat sich nicht zum Eingreifen gezwungen sieht und auch keine Möglichkeit zum Eingreifen hat.
Und die Kanzlei? Meine gute Stelle? Man weiß ja nie...
Ketten! Also: sofort kündigen und nur noch alle laufenden Sachen ordentlich abrunden. Und dann: zeige was du kannst!
Das gute Essen gibt Zeit zum Nachdenken. Beim Dessert sehe ich klar. „Bekomme ich freie Hand?” – „Ja, Sie bekommen freie Hand. Hauptsache, Sie fangen sofort an. Und wenn es sich nach einem halben Probejahr gut angelassen hat, woran ich nicht zweifle, werden Sie sich noch wundern über welche Mittel und Menschen Sie verfügen können. Aber lassen Sie mich jetzt hier schlafen. Sie werden gleich zu Ihrem verehrten Schwein geflogen.”
Was sich übrigens nicht als der reine Luxus erweist, denn man landet in irgendeiner Ecke auf Tempelhof und muss sich dann durchschlagen. Aber letztendlich halte ich das Schwein in den Armen.