Читать книгу Der Tod der blauen Wale - Joachim H. Peters - Страница 11

Оглавление

Kapitel 8

Als sich die eiserne Grundstückstür wieder hinter Natalie und Marx schloss, verließ Kleekamp gerade seine Wohnung und staunte. Die Tür gegenüber stand weit offen, sodass er in einen leeren Flur blicken konnte. Eigentlich hatte er erwartet dort die alte Eichengarderobe, den abgetretenen roten Teppichläufer und die Tapete mit dem Muster aus den siebziger Jahren zu sehen. Doch stattdessen blickte er auf kahle Wände, den blanken Estrich, eine hölzerne Malerleiter und diverses Werkzeug. Entweder war die alte Kreienhorst ausgezogen oder ihre Bude wurde endlich mal renoviert. Kleekamp wunderte sich, dass er davon nichts mitbekommen hatte, was aber sicherlich daran lag, dass er in letzter Zeit kaum vor die Tür gegangen war. Außer zum Saufen.

Er stieg die fünf Stufen zur Haustür hinunter, wo ihm ein junger Mann mit dunklem Teint und schwarzen Haaren entgegenkam. Der Türke von oben. Kleekamp kannte nicht mal seinen Namen. Der leere Abfalleimer in seiner Hand ließ jedoch darauf schließen, wo er gerade gewesen war.

»Hallo, Herr Kleekamp, lange nicht gesehen.«

»Tach«, knurrte Kleekamp einsilbig und wollte schon an ihm vorbei gehen, als der ihm den Weg versperrte. Er deutete mit dem Kopf zur offen stehenden Wohnungstür und grinste. »Na, was sagen Sie dazu, dass wir so schnell eine neue Mitbewohnerin bekommen?«

Kleekamp sah ihn mäßig interessiert an. »Ist die alte Kreienhorst endlich ausgezogen? Ins Altersheim?«

Der junge Mann sah ihn mit erstauntem Gesichtsausdruck an. »Wissen Sie das denn nicht? Die ist doch letzte Woche gestorben. Wir waren doch alle auf der Beerdigung«, er stutzte kurz, »na ja, alle bis auf Sie!«

»Und wieso hat mir keiner Bescheid gesagt?«, blaffte Kleekamp ihn an.

Der Mann fuhr erschrocken zurück. »Aber es haben doch alle eine Karte bekommen. Ich habe sie doch persönlich in den …« Sein Blick ging zur Haustür hinunter, neben der die Briefkästen montiert waren. Man musste nicht einmal genau hinsehen, um festzustellen, dass der von Kleekamp vollgestopft war, nicht einmal die Klappe ließ sich noch schließen.

Kleekamp war seinem Blick gefolgt und schluckte. Verdammt, wie lange hatte er da nicht mehr reingesehen? Der letzte Brief, den er bekommen hatte, war ihm als Einschreiben persönlich zugestellt worden und auch der Grund, warum er heute das Haus verließ. Er warf seinem Mitbewohner einen letzten Blick zu, zuckte nur mit den Achseln und ließ ihn dann ohne jedes weitere Wort im Treppenhaus stehen.

»Auf jeden Fall kommt jetzt Farbe ins Haus«, rief sein Nachbar ihm hinterher, doch Kleekamp reagierte nicht darauf.

Wäre er dem jungen Mann in letzter Zeit häufiger begegnet, dann wäre ihm aufgefallen, dass Kleekamp heute frisch geduscht und rasiert war. Das lag wiederum daran, dass ihm sein Rechtsanwalt dringend dazu geraten hatte. Bei ihrem letzten Treffen hatte sich Kleekamp zunächst allen Argumenten widersetzt, einen Termin beim disziplinarischen Vorermittlungsführer wahrzunehmen. »Die glauben mir doch sowieso nicht. Was soll ich also da?«

Moorland hatte ihm schließlich doch klarmachen können, dass eine Weigerung seinerseits vielleicht nicht ganz so clever war. Der über 70-jährige Rechtsanwalt hatte nicht nur eine Menge Lebens-, sondern auch Berufserfahrung und wusste daher genau, wann es Zeit für welchen Weg war. Allerdings hatte es ihn mehr als eine halbe Stunde gekostet, seinen Mandanten von dieser Vorgehensweise zu überzeugen.

Widerstrebend hatte Kleekamp sich also an diesem Morgen rasiert und geduscht, denn sein Rechtsverdreher hatte ihm mit auf den Weg gegeben, dass sein bloßes Erscheinen noch nicht reiche. Es käme auch auf einen guten Eindruck an, wenn er seinen Job behalten wollte. Und das wollte er, denn er hing daran.

Als er draußen die Haustür hinter sich ins Schloss zog und sich umdrehte, stieß er mit einer jungen Frau zusammen, die soeben ins Haus hineinwollte. Kleekamp blickte sie an und stutzte. Sie war fast so groß wie er, schlank, hatte pechschwarze Haare, die straff nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Augenblicklich fielen ihm ihre schneeweißen geraden Zähne auf, was vermutlich daran lag, dass ihre Haut dunkelbraun war.

»Oh, Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen, sondern in meiner Tasche nach dem Schlüssel gesucht.« Sie sprach ohne erkennbaren Akzent, doch Kleekamp hatte den Eindruck, als höre er unterschwellig einen leichten amerikanischen Akzent.

»Ist schon gut«, antwortete er, »ist ja nichts passiert.« Er trat einen Schritt zur Seite und gab ihr die Haustür frei.

»Wohnen Sie hier?« Sie steckte den Schlüssel ins Schloss.

»Ja, unten links.« Kleekamp betrachtete ihre langen Beine, die in einer hautengen Stretchhose steckten. Sie war aus einem Stoff, der irgendwo zwischen schwarzem Leder und schwarzem Gummi lag. Ihre roten Heels bildeten einen auffälligen Kontrast dazu.

»Oh, dann sind wir ja bald Nachbarn«, sagte die junge Frau und streckte ihm die Hand entgegen. »Mein Name ist Yvonne. Schön, Sie kennenzulernen.«

Kleekamp wurde von ihrem freundlichen Vorstoß ein wenig überrumpelt und es dauerte einen Augenblick, bis er ihre Hand nahm. »Kleekamp.« Er blickte in ihre Augen und hielt ihre Hand einen Moment länger als üblich fest. Dann bemerkte er ihren Gesichtsausruck, fühlte sich ertappt und ließ schnell los. »Äh, ich muss los, man sieht sich. Tschüss.«

Er drehte sich abrupt um und stiefelte den Plattenweg zum Gehweg hinunter. Das war nicht die erste schwarze Frau, die er gesehen hatte, konnte sich aber nur an wenige erinnern, die so attraktiv waren. Plötzlich musste er grinsen. Sobald sie ihr Namensschild an der Tür angebracht hätte, würde er auch wissen, wie sie mit Nachnamen hieß. Er war sich allerdings sicher, dass er ihren Beruf bereits kannte, denn für Nutten hatte Kleekamp einen guten Riecher. Nicht umsonst hatte er mal eine zur Freundin gehabt.

Der Tod der blauen Wale

Подняться наверх