Читать книгу Der Tod der blauen Wale - Joachim H. Peters - Страница 8

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Kapitel 5

Natalie hatte gerade ihren Wagen abgeschlossen, als sie von hinten angesprochen wurde. Sie drehte sich um und schaute ihrer Chefin, Katharina Vogt, direkt ins Gesicht.

»Hallo, Frau Börns. Na, wie gefällt es Ihnen im Ermittlungsdienst? Ich hoffe, die Arbeit macht Ihnen Spaß.« Die Polizeioberrätin mit den blonden Haaren und den beiden goldenen Sternen auf jeder Schulterklappe, lächelte sie freundlich an. Seit der Versetzung von Polizeioberrat Hartmann war sie die Leiterin der Schutzpolizei, ihr unterstanden alle Wachen und Streifenbeamten. Sie war es auch, die Jürgen Kleekamp vom Dienst suspendiert hatte, nachdem er mit Natalie einen Serienmörder gestellt hatte.

Natalie musste sich schütteln, als sie an die gefährliche Situation dachte, in der sie von der Schusswaffe hatte Gebrauch machen müssen. Dann tauchten in ihrer Erinnerung auch wieder die Flammen auf. Sie sah sie vor ihrem inneren Auge aus dem alten Gebäude schlagen und erlebte noch einmal die bangen Minuten des Wartens, bis Kleekamp unverletzt aus dem Gebäude gestürzt kam. Bis heute wusste sie nicht, wie das Gebäude hatte in Brand geraten können, doch es war zum Scheiterhaufen für einen unsagbar grausamen Mörder geworden.

Nach diesem spektakulären Einsatz war Kleekamp suspendiert und sie war aus fürsorglichen Gründen, wie man es höflich formuliert hatte, vorübergehend zur Kripo versetzt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Ermittlungsverfahren gegen sie beide eingeleitet, dessen Ausgang bis heute noch offen war. Natalie blickte ihre Chefin mit gemischten Gefühlen an, weil sie nicht einschätzen konnte, warum sie versetzt worden war, aus Fürsorge oder um sie aus dem Verkehr zu ziehen.

Sie hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und erinnerte sich an Katharina Vogts Frage. »Ist schon okay. Ich sitze zwar lieber auf dem Streifenwagen als im Büro, aber es ist ja mal ganz interessant mit den Kollegen von der Kripo zu arbeiten. Meist schreiben wir ja im Streifendienst nur die Anzeigen, geben sie in den Geschäftsgang und hören dann nichts mehr davon. Jetzt erlebt man mal, wie sie weiterbearbeitet werden.«

Katharina Vogt strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ja, so ein Perspektivwechsel kann sowohl aufschluss- als auch hilfreich sein. Schön, dass es Ihnen gefällt. Könnten Sie sich denn vorstellen, mal dauerhaft in diesem Bereich zu arbeiten?«

Natalie schüttelte den Kopf. »Nein, wie ich schon gesagt habe, ich fahre lieber Streife. Da kann man seine Einsätze abarbeiten und somit abschließen. Jetzt erlebe ich oft, dass viele Vorgänge gleichzeitig bearbeitet und immer wieder hin und her geschoben werden. Mal fehlt noch eine Zeugenaussage, mal will die Staatsanwaltschaft noch eine Frage beantwortet haben, dann fehlen kriminaltechnische Untersuchungsergebnisse. Ich habe den Eindruck, die Bearbeitung mancher Vorgänge dauert ewig. Das wäre nichts für mich.«

Ihre Chefin schmunzelte. »Irgendwie kommt mir das bekannt vor.«

Natalie nutzte die Gunst dieses Gesprächs. »Wie lange muss ich denn noch da oben bleiben?«

»Die Staatsanwaltschaft hat gestern das Ermittlungsverfahren gegen Sie und ihren Kollegen Kleekamp eingestellt. Man geht bei dem Brand von einem Unglücksfall aus und ihre Schussabgabe wurde aufgrund der Aussagen Ihrer Kollegen als Notwehrhandlung eingestuft.«

Man konnte Natalie die Erleichterung ansehen und den Stein förmlich hören, der ihr vom Herzen fiel. Auch wenn sie sich immer wieder wie ein Mantra heruntergebetet hatte, richtig gehandelt zu haben, so waren ihre Selbstzweifel doch nie ganz verschwunden. Schließlich hatte sie auf einen Menschen geschossen. Die Obduktion der Leiche hatte zwar ergeben, dass er aufgrund des Feuers gestorben war, aber auch das hatte sie nicht wirklich beruhigen können. Ihre einzige Rechtfertigung war, dass der Täter versucht hatte, Jürgen Kleekamp zu töten, und sie diesem damit das Leben gerettet hatte. Als ihr sein Name in den Sinn kam, fiel ihr sofort etwas anderes ein.

»Wenn das so ist, dann wird ja jetzt auch Jürgens Suspendierung aufgehoben, oder?« Das wurde auch höchste Zeit, denn bei ihrem Besuch hatte sie deutlich gespürt, wie sehr er darunter litt.

»Nein, die Suspendierung von Herrn Kleekamp bleibt bestehen, bis die Vorermittlungen des Disziplinarverfahrens abgeschlossen sind.«

»Aber wenn die Staatsanwaltschaft doch schon zu dem Schluss kommt …«

Katharina Vogt unterbrach die junge Polizistin. »Frau Börns, Herr Kleekamp ist nicht wegen der Vorfälle in der Auguste-Viktoria-Klinik suspendiert worden, sondern weil er gegen eine dienstliche Anordnung verstoßen hat. Hier geht es um disziplinar- und nicht um strafrechtliche Aspekte. Erst wenn der Vorermittlungsführer zu einem Ergebnis gekommen ist, werden wir sehen, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Ich glaube aber, ich brauche Ihnen nicht zu erklären, dass so ein Verfahren im Falle Kleekamp aufgrund seiner vielen bereits vorausgegangenen Verfehlungen nur das Ziel der Entlassung haben könnte.«

Dann geht er kaputt, dachte Natalie. Bei den Ausführungen ihrer Chefin war sie kreidebleich geworden. Wenn dieser Fall eintrat, wäre es das Todesurteil für Jürgen. Sie war sicher, dass er sich das Leben nehmen würde, aber nicht mit einer Pistole, sondern mit einer Flasche Schnaps.

»Aber er hat doch vollkommen richtig gehandelt, als er sich aus dem Einsatz entfernt und sowohl Vanessa als auch mir das Leben gerettet hat.«

Katharina Vogt sah, dass der jungen Polizeibeamtin die Tränen in die Augen stiegen. Auch wenn sie erst kurze Zeit in Paderborn war, so wusste sie doch, was Natalie zusammen mit Jürgen Kleekamp bereits erlebt hatte. »Frau Börns, es kann nicht angehen, dass er sich ohne Absprache aus einem Einsatz entfernt, Sie dazu überredet mitzumachen und sie beide sich in eine Situation begeben, bei der wir normalerweise das Sondereinsatzkommando eingesetzt hätten.«

»Aber der Täter wollte uns doch haben, auf etwas anderes hätte er sich doch vermutlich gar nicht eingelassen.«

Katharina Vogt seufzte. »Frau Börns, ich schätze Sie und Ihre Art, aber glauben Sie nicht, dass die Beurteilung einer solchen Situation anderen Leuten überlassen werden sollte? Dazu gibt es Führungskräfte und Sondereinsatzkommandos wie die Verhandlungsgruppe.« Sie blickte Natalie ernst in die Augen. »Und wer weiß, vielleicht wäre der Täter heute noch am Leben, wenn Herr Kleekamp nicht auf eigene Faust gehandelt hätte.«

Natalie schnappte hörbar nach Luft. »Was wollen Sie denn damit sagen?«, brauste sie auf.

»Dann sagen Sie mir doch bitte, wie und warum der Brand entstanden ist«, verlangte Katharina Vogt.

Natalie senkte betroffen den Blick. »Das kann ich nicht«, musste sie zugeben.

Eine Weile schwiegen beide, dann ergriff die Polizeichefin noch einmal das Wort. »Lassen Sie uns abwarten, ob es ein Disziplinarverfahren geben und wie es ausgehen wird, dann sehen wir weiter.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und streckte Natalie dann die Hand hin. »Ich muss leider los, der nächste Termin wartet schon. Halten Sie die Ohren steif und genießen Sie das schöne Wetter.« Dabei deutete sie mit dem Kopf zum wolkenlosen blauen Paderborner Himmel und ließ sie dann stehen.

Der Tod der blauen Wale

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