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Kapitel 6

Polizeiabsperrung stand auf dem Trassierband, mit dem die Grundstückseinfahrt vor der ehemaligen Lkw-Werkstatt abgesperrt war. Die Leiche war gnädig mit einem weißen Laken abgedeckt worden, nachdem die Kriminaltechniker den gesamten Tatort vermessen und fotografiert hatten. Neben den Scherben einer Jägermeisterflasche, die in der Nähe des Toten gelegen hatte, stand eine gelbe Nummerntafel. Eine weitere befand sich an der Stelle, an der ein Edelstahlrohr im Rinnstein gelegen hatte. Die Kopfverletzung an Bohmerts Leiche und die Blutanhaftungen am Rohr legten die Vermutung nahe, dass es sich dabei um die Tatwaffe handelte.

Dr. Julius Bramstege, ein großer, bulliger und Respekt einflößender Mann mit buschigen Augenbrauen wie Theo Weigel, war als zuständiger Rechtsmediziner am Tatort erschienen. Nach seiner ersten Begutachtung hatte er die Vermutung der Beamten geteilt. Er hatte aber auch sofort erkannt, dass der Täter nicht nur einmal auf den Kopf des Opfers eingeschlagen haben musste, sondern mehrmals. »Es sieht fast nach Übertötung aus«, vermutete er. »Wenn das Edelstahlrohr wirklich die Tatwaffe war, wonach es momentan sehr aussieht, dann hätte vermutlich schon ein Schlag damit gereicht, um ihn umzubringen. Doch wenn man sich den Zustand der Leiche ansieht, dann könnte man meinen, dass hier jemand seinen ganzen Frust abgelassen hat.«

Neben der Leiche kniend erhob er sich und drückte dann mit einem gequälten Gesichtsausdruck die Schultern durch. »Zu viel Arbeit am Computer«, erklärte er seine Verspannungen und streckte sich. »Aber jetzt geht es in den Obduktionssaal.« Sein Bulldoggengesicht nahm einen geschäftigen Ausdruck an. Es schien fast so, als freue er sich auf diese Arbeit, die ihn von seinem Rechner wegbrachte. »Meine Herren, Sie kennen ja aus jedem Fernsehkrimi den schönen Satz: Mehr zu all dem, wenn ich ihn auf dem Tisch gehabt habe.« Mit diesen Worten und einem letzten Blick auf den Toten hatte er sich verabschiedet und die Kriminaltechniker und Ermittlungsbeamten allein am Tatort zurückgelassen.

»Übertötung also?«, murmelte Bernhard Vennbrock nachdenklich und kratzte sich am Kinn.

»Was hast du gerade gesagt?« Kriminalhauptkommissar Walter Langhans, der zusammen mit seinem Kollegen Siegfried Dannwolf als Erster zum Tatort gerufen worden war, sah seinen Kollegen von der Spurensicherung fragend an. Er war mit seinen Gedanken einen Moment lang woanders gewesen.

»Ich habe mir überlegt, was für eine Wut in einem stecken muss, um einen Menschen so zuzurichten.« Vennbrock schüttelte den Kopf. Er war nun seit mehr als fünfunddreißig Jahren Kriminaltechniker und hatte schon vieles gesehen, aber er fragte sich immer noch, wie Menschen so grausam sein konnten. Tiere töteten möglicherweise bestialisch, doch sie taten es, um Beute zu machen oder sich zu verteidigen, der Mensch aber hatte für eine solche Tat nur selten existenzielle Gründe. Er konnte zum Mörder werden, von einem Tier konnte man das nicht sagen, wenn man vom Paragrafen 211, Absatz 2 des Strafgesetzbuches ausging, dessen Text er in einer Strafrechtsklausur wortwörtlich hatte wiedergeben müssen und seitdem nicht mehr vergessen hatte.

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet. Herauszufinden, ob und welche Kriterien hier erfüllt waren, würde die Aufgabe der Ermittler sein, um die er sie nicht beneidete. Seine Aufgabe bestand nur darin, alle Spuren so zu sichern, dass man den Täter ermitteln und ihn anschließend auch rechtskräftig verurteilen konnte.

Siegfried Dannwolf war in der Zwischenzeit langsam herumgelaufen und hatte sich den gesamten Tatort genau angesehen. Ab und zu war er stehen geblieben und in die Hocke gegangen, um einen anderen Blickwinkel zu bekommen.

Er erinnerte sich noch an seine Ausbildung zum Kriminalbeamten, in der er zum ersten Mal von Ernst Gennat gehört hatte, dem legendären Kriminalrat aus Berlin. Im Jahre 1926 hatte er die Zentrale Mordinspektion ins Leben gerufen und galt als Urvater aller Mordkommissionen. Der von seinen Kollegen gern auch »Buddha« oder »der Dicke vom Alexanderplatz« genannte Gennat hatte die sieben Leitlinien aufgestellt, die auch heute noch bei der Bearbeitung eines Tatortes Anwendung fanden. Die erste davon war, sich einen Überblick zu verschaffen, und genau das tat Dannwolf gerade.

»Habt ihr sonst noch irgendwelche Spuren gefunden?«, wollte er von Vennbrock wissen.

»So wie es aussieht, hat es in der ehemaligen Lkw-Werkstatt ein Trinkgelage gegeben.« Er deutete auf die zersplitterte Flasche. »Die Leiche roch auf jeden Fall stark nach Alkohol.«

Dannwolf runzelte die Stirn. »Also mal wieder eine Beziehungstat? Täter und Opfer kennen sich, saufen zusammen, geraten in Streit und dann schlägt der eine dem anderen den Schädel ein?«

»Könnte was dran sein«, stimmte ihm der Kriminaltechniker zu. »Die Werkstatt gehört einem gewissen Sven Bohmert, und wenn die Ausweispapiere, die wir bei der Leiche gefunden haben, auch zu ihr gehören, dann liegt Bohmert da vor uns.« Vennbrock deutete mit dem Kopf zu dem Körper, den ein weißes Tuch verhüllte.

»Na, dann müssen wir nur noch rausfinden, wer sein Saufkumpan oder seine Saufkumpane waren«, vermutete Dannwolf, »und ihn oder sie befragen, was hier abgegangen ist.«

»Oh je, wenn sich überhaupt noch einer an was erinnern kann. Das muss hier ein ganz schönes Gelage gewesen sein, schau dir mal die Flaschenbatterie in der Werkstatt an. Oder das da.« Vennbrock wies auf einen Haufen Erbrochenes.

Siegfried Dannwolf kaute auf seiner Unterlippe, als sich Walter Langhans zu ihnen gesellte. Der hatte zuvor, etwas abseits stehend, ein Gespräch der Pressestelle entgegengenommen. Auf irgendeinem Wege hatten die Medien mal wieder bereits Wind von der Sache bekommen. Langhans blickte zu einigen jungen Leuten hinüber, die außerhalb der Absperrung standen und mit ihren Handys filmten. Zum Glück waren sie erst erschienen, nachdem Sven Bohmerts Leiche abgedeckt worden war. Bilder von dessen eingeschlagenem Schädel in sozialen Medien hätten ihm gerade noch gefehlt. Die Feuerwehr war inzwischen mit Sichtschutzwänden unterwegs, um so den Tatort, aber vor allem den Abtransport der Leiche den neugierigen Blicken der Schaulustigen zu entziehen.

Langhans wandte sich seinem Kollegen zu. »Was könnt ihr uns noch über das vermeintliche Tatwerkzeug sagen? Gibt es Fingerabdrücke darauf?« Der Kriminalhauptkommissar deutete auf das blanke Edelstahlrohr, das verpackt in einer Plastiktüte auf dem Boden lag.

Vennbrock ging ächzend neben dem Rohr in die Knie. »Oh Mann, wie ihr an meinen Knien hört, bin ich im knackigen Alter angekommen. Ich glaube, es wird langsam Zeit für eine Kur.« Er zog einen Kugelschreiber aus der Tasche und deutete damit auf das eine Ende des Rohrs. »Hier haben wir ein paar Fingerabdrücke gesichert, die als perfekte Illustration in einem Lehrbuch der Daktyloskopie stehen könnten.«

Dannwolf musste schmunzeln, da er wusste, dass die Lehre der Hand- und Fingerabdrücke Vennbrocks besonderes Steckenpferd war. Er wusste, wie gefährlich es war, seinen Kollegen auf dieses Thema zu bringen. Fing der erst einmal an zu dozieren, konnte man ihn kaum noch bremsen. Besser, ihn gar nicht erst in Versuchung zu führen. »Habt ihr sonst noch was gefunden?«

Der Kriminaltechniker zog eine kleine Plastiktüte aus der Tasche und hielt sie ihnen hin. »Das hier!«

Die beiden Kripobeamten mussten sich tief hinunterbeugen, um etwas zu erkennen. »Sieht aus wie eine rosa Faser.« Langhans hatte seine Lesebrille gezückt und den Inhalt der Tüte genau betrachtet.

»Ob sie etwas mit dem Fall zu tun hat, wissen wir natürlich nicht.« Vennbrock steckte die Tüte wieder ein. »Sie hing auch an dem Edelstahlrohr. Ich finde nur, dass Rosa eine Farbe ist, die kaum zu so einer Schrauber-Werkstatt passt.« Er deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Werkstatt.

»Dann werden wir mal anfangen, Klinken zu putzen«, verkündete Langhans und sah sich um. »Aber davon scheint es hier in der Gegend ja nicht allzu viele zu geben.« Sein Blick glitt über ein paar Häuser hinweg, die sich in der Nähe des Tatortes befanden. Er hegte aber keine allzu großen Hoffnungen, dass diese Nachbarschaftsbefragungen irgendetwas Brauchbares ergeben würden.

»Wer hat uns eigentlich informiert?«, wollte Siegfried Dannwolf von seinem Kollegen wissen.

Langhans musste nicht in sein Notizbuch schauen, um die Frage zu beantworten. »Das war ein anonymer Anrufer. Männerstimme. Schätzungsweise zwischen dreißig und fünfzig, wie mir die Leitstelle sagte.«

Dannwolf seufzte. »Na, dann wollen wir zuerst mal die Werkstatt durchsuchen und uns dann der Nachbarschaft widmen.«

Langhans nickte nur, steckte sein Notizbuch ein und marschierte in Richtung Rolltor.

Der Tod der blauen Wale

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