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Karl der Große und die Karolinger

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Pippins Unternehmungen trugen Früchte in der Regierungszeit seines Sohnes Karl – später Karl der Große –, dessen Errungenschaften erklärlich machen, warum seine Dynastie als die der Karolinger, nicht der Pippiniden bezeichnet wird. In vielfacher Hinsicht führte Karl der Große (Reg. 768–814) die Vorhaben seines Vaters fort. Über dreißig Jahre lang bekämpfte er die Sachsen an der nordöstlichen Grenze, bis er sie schließlich, im Jahr 804, unterworfen hatte. In Italien führte er einen erfolgreichen Feldzug gegen die langobardischen Könige, der in der Ermordung der gesamten Königsfamilie, der Erbeutung des Schatzes und der Erweiterung von Karls Titel durch Rex Francorum et Langobardorum gipfelte. Am Ende seiner Regierungszeit hatte er neben Sachsen und der Lombardei auch Aquitanien, Schwaben, Bayern und Kärnten völlig in seine Gewalt gebracht. Die slawischen Provinzen im Osten seines Reichs waren zu abhängigen Territorien geworden.

Wie schon Pippin trug Karl neben seinen militärischen Offensiven für die säkulare wie die kirchliche Verwaltung Sorge. Er blieb der Tradition, Grafen zu ernennen, treu, berief aber nun auch besondere Verwalter für die Marken oder Grenzgebiete (comes marcae, Markgrafen). Da diese unvermeidlicherweise aus dem ortsansässigen Adel stammten, schuf Karl auch einen neuen Typus königlicher Beamter, die missi dominici oder Königsboten. Sie hatten keinen festen Aufenthaltsort, sondern reisten in Diensten des Monarchen. Die Berufung von Herzögen, bei denen die Gefahr nahelag, dass sie sich zu starken regionalen Führungspersönlichkeiten und damit Gegenkräften zur Krone entwickeln könnten, wurde eingestellt.

Zugleich förderte Karl der Große die Kirchenreform und den Bau von Klöstern, wobei er viel Sorgfalt auf die Berufung von Bischöfen und anderen hohen kirchlichen Würdenträgern legte. So wurde die Kirche zu einer Hauptakteurin karolingischer Regierungstätigkeit. Neben Karls Aachener Residenz wurden Bischofssitze wie Köln, Mainz, Trier und Salzburg Ausbildungszentren für Kleriker, die auch als Verwalter eingesetzt werden konnten. Des Kaisers Bemühen um eine moralische und religiöse Reform seiner Herrschaftsgebiete zog nach und nach Gelehrte und Lehrer an seinen Hof und zu den Bischofssitzen und großen Klöstern. Ihre Hauptbeschäftigung wurde das Kopieren antiker Texte, was durch die Erfindung einer neuen Schrift erleichtert wurde. Die karolingische Minuskelschrift bestand aus in der Form vereinheitlichten und gerundeten Buchstaben; sie kannte Großbuchstaben und setzte einen Abstand zwischen die Wörter. Geschrieben wurde nicht auf Papyrus, sondern auf Pergament; die Schrift war relativ schnell zu schreiben und leicht zu lesen. Mehr als 90 Prozent aller uns heute bekannten klassischen Texte verdanken wir den karolingischen Schreibern.

Doch waren diese Dinge nicht entscheidend für die Erlangung des Kaisertitels. 797 wurde der oströmische Kaiser Konstantin VI. (Reg. 780–797) von seiner Mutter, Kaiserin Irene, gestürzt, was in Konstantinopel ein Machtvakuum hinterließ. 802 wurde Irene dann ihrerseits von den byzantinischen Patriziern vom Thron gejagt. In Rom wurde im Jahre 799 Papst Leo III. (Reg. 795–816) von seinen Feinden angegriffen, die versuchten, ihn zu blenden und zu verstümmeln. Leo wurde jedoch von Karls Königsboten gerettet und von Karl persönlich nach Rom eskortiert. Dort verkündete der Papst öffentlich, er habe sich weder Ehebruch noch Meineid zuschulden kommen lassen, und er krönte den fränkischen König zum Kaiser von Rom. Da Kaiserin Irene ihres Geschlechts halber nicht als für den Titel legitimiert galt, wurde die Proklamation für rechtens gehalten.


Thron Karls des Großen in der Kapelle der Aachener Königspfalz, dem Zentralbau des heutigen Aachener Doms.

Der neue oströmische Kaiser, Nikephoros I. (Reg. 802–811), weigerte sich indes, die Kaiserwahl anzuerkennen, weil er den Titel Karls für sich selbst beanspruchte. Doch blieben seine Einwände ohne Einfluss. Im Westen war von entscheidender Bedeutung, dass Leos Handlung die ultimative Macht des Papstes bezeugte. Die Machtfrage erlangte dann für die Beziehung zwischen Kaiser- und Papsttum entscheidende Bedeutung; die Auseinandersetzungen währten bis zum 13. Jahrhundert.

Doch während der Regierungszeit Karls des Großen spielte dieses Problem noch keine Rolle. Mochte der oströmische Hof Karl auch für wichtigtuerisch halten und sich über ihn und sein barbarisches, ungehobeltes Gefolge lustig machen, konnte das den neuen Kaiser nicht anfechten: Der Titel mehrte sein Prestige über alle Maßen. Über zwei Kronen verfügte er als König der Franken und Langobarden bereits, doch die Kaiserkrone erhob ihn über alle anderen Herrscher im Westen. Das Ausmaß seiner Macht war nicht klar definiert; erst später einigten er und seine Berater sich auf einen präzisen Titel, der zugleich ehrgeizig und zweideutig war:

Carolous serenissimus augustus, a Deo coronatus magnus pacificus imperator, Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam Dei rex Francorum et Langobardum. (Karl, der erlauchteste Erhabene, von Gott gekrönt, großer friedebringender Kaiser, der das römische Reich regiert und auch durch Gottes Gnade König der Franken und Langobarden ist.)

Karls unmittelbare Nachfolger kürzten den Titel zu imperator augustus oder rex ab und tilgten auch die ethnischen Bestimmungen („Franken und Langobarden“), um so die ungeteilte Herrschaftsbefugnis über ihre Gebiete zu behaupten.

Die nächsten Jahre sahen das fränkische Königreich auf seinem Höhepunkt. Feldzüge brachten militärische Erfolge und reichlich Beute, wodurch die fränkische Oberschicht mit ihren Verbindungen zur gallo-römischen Bevölkerung ein Bewusstsein von Zusammengehörigkeit und Identität entwickelte. Aus Erzählungen von berühmten Siegen und Beweisen von Tapferkeit und Treue in der Schlacht wuchsen Mythen, in denen die Heldentaten fränkischer Krieger verklärt wurden, die für die Einigung der germanischen Völker und ihrer Kulturen und Rechtstraditionen gekämpft hatten. Doch lebten die germanischen Stämme immer noch in einer vielsprachigen Gesellschaft, in der das Latein das sprachlich verbindende Element war. Hinzu kam, vorherrschend, das Vulgär- oder Volkslatein im Westen sowie Alemannisch, Bayrisch, Sächsisch und andere Regionalsprachen im Osten. Die Kaiserkrönung stattete die Monarchie mit der Aura aus, Nachfolgerin Roms zu sein und eine bedeutende sakrale oder religiöse Dimension zu besitzen. Karl der Große sah sich selbst als Knecht Gottes, der seine Kriege im Dienste einer höheren Idee führte: der Schaffung von Gottes Reich auf Erden. Folglich begriffen sich die Franken als Gottes auserwähltes Volk, als Vertreter des Guten gegen das Böse.

Doch wurden die Visionen einer neuen Weltordnung schnell auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt. Als Idee blieb das imperium unter einem einzigen Kaiser ungeteilt, nicht aber in der geografischen Realität. Vielmehr bildeten die regna, die einzelnen Königtümer, die irdische Grundlage der kaiserlichen Macht und standen in der fränkischen Tradition, die Brüdern wie Söhnen einen Anspruch auf die Erbfolge gestattete. Die beiden ältesten Söhne Karls starben 810 bzw. 811. Im Jahr vor seinem eigenen Tod 814 krönte Karl, byzantinischer Tradition folgend, seinen verbleibenden Sohn zum Mitkaiser. Den Papst hatte er dabei nicht hinzugezogen, aber die Zustimmung der führenden fränkischen Adligen erhalten. Ludwig der Fromme (Reg. 814–840) konnte seine Regierungszeit relativ stabil gestalten, doch sein Tod führte zu einem blutigen Bürgerkrieg, der mit dem Vertrag von Verdun 843 sein Ende fand. Nun wurde das Reich in drei Königreiche – ein westliches, ein mittleres und ein östliches – aufgeteilt. Der Kaisertitel ging an Lothar I., den Sohn Ludwigs des Frommen, dessen mittleres Reich auch das italienische Königreich umfasste. Die Dreiteilung war der Anfang vom Ende der fränkisch-karolingischen Dynastie. Die Kaiserwürde blieb demjenigen vorbehalten, der das italienische Königreich regierte. Am Ende des 9. Jahrhunderts aber starben die Karolinger aus. Im Verlauf mehrerer Generationen wurde der Kaisertitel von einer römischen Familie zur nächsten gereicht und verlor seine Bedeutung. Zwischen 924 und 962 gab es überhaupt keinen westlichen Kaiser.

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