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Altes Testament. I. Allgemeiner Teil. Kap. 1. Entstehung und Geschichte des Alttestamentlichen Kanon.
Оглавление§ 1.
Der Ursprung der h. Schriften des A. T.s ist nach ihrem Selbstzeugnis ein göttlich menschlicher. Der Gott der Offenbarung hat je und je selbst den Befehl gegeben, seine Offenbarungs-Worte und seine Offenbarungs-Thaten aufzuzeichnen und diejenigen, welche seinen Befehl ausrichteten, mit seinem Geist erfüllt. Die heiligen Menschen Gottes, aber haben sich mit ihren Gaben und Kräften Gotte zu Werkzeugen begeben.
Vgl. Ex. 17, 14; 24, 4. Dt. 31, 9. 24. Jos. 24, 25. 26. I. Sam. 10, 25. Jes. 30, 8. Jer. 30, 2; 36, 27, 28. Hab. 2, 2, – aus welchen Stellen das oben Gesagte für einzelne Stücke der h. Schrift bewiesen wird; daß aber für das A. Testament als Ganzes dasselbe gilt, war jederzeit der Glaube der israelitischen Gemeinde, den die Zeugnisse des Herrn und seiner Apostel bestätigen. Vgl. Luc. 24, 44. Joh. 5, 39. Röm. 1, 2. 2. Tim. 3, 15–17. 1 Petri 1, 10–12. 2. Petri 1, 21 u. a.
§ 2.
Wie der Gott der Heilsgeschichte die h. Schriften aufzeichnen ließ, so sorgte er auch für ihre Aufbewahrung. Den Anfang machte das Gesetzbuch, welches Mose neben der Bundeslade niederlegen ließ, Dt. 31, 24–26; diesem Beispiel folgte Josua, indem er den Akt der Bundeserneuerung in Sichem, Jos. 24, 25. 26, und Samuel, indem er das Recht des Königtums dem Gesetzbuch im Heiligtum zufügte, 1 Sam. 10, 25.
§ 3.
Das im Heiligtum aufbewahrte Gesetzbuch wurde, wie schon das Königsgesetz, Dt. 17, 18, 19 mit sich brachte, in Abschriften vervielfältigt. Die vielen direkten und indirekten Beziehungen in den Geschichtsbüchern und Hagiographen, besonders den Psalmen, beurkunden, daß das Gesetzbuch und namentlich das Deuteronomium im Volke bekannt und verbreitet war. Das Gesetzbuch war die Grundlage und blieb für alle Zeiten das Hauptbuch unter den heiligen Büchern Israels.
Zu dem Gesetzbuche kamen aber im Laufe der Zeit hinzu einerseits die prophetischen Geschichtsbücher, welche die mit dem Tode Moses abbrechende Heilsgeschichte des Gesetzbuches fortführen, und die prophetischen Weissagungsbücher, welche die jedesmalige Gegenwart in das Licht der Gesetzesoffenbarung stellen und nach dem Geiste derselben richten, – andererseits solche Schriften, welche das durch die Offenbarung gewirkte Geistesleben widerspiegeln, wie die Psalmen Davids, die Schriften Salomos nebst denen ihrer Zeitgenossen. Auch diese Schriften verbreiteten sich als heilige Schriften im Volke Israel. Daß die Psalmen frühe gesammelt wurden, lehrt Ps. 72, 20, in welcher Stelle die sichere Spur einer früheren als der gegenwärtigen Psalmensammlung vorliegt; daß die Salomonischen Schriften gesammelt, verbreitet und bekannt waren, ersieht man aus Spr. 25, 1 und aus den Nachklängen derselben, besonders der Sprüche und des Buches Hiob, in den Propheten; daß endlich auch die Weissagungen der Propheten schriftlich vorlagen und in Abschriften verbreitet, als heilige Schriften geehrt wurden, zeigt die Wiederaufnahme der Worte älterer Propheten bei ihren Nachfolgern. Die prophetischen Weissagungsbücher bilden eine stetige Kette in einander greifender und sich wechselseitig Zeugnis gebender Glieder. So erkennen wir, wie allmählich eine große Zahl heiliger Schriften entstand, welche alle in der Thora ihre Grundlage hatten, aber gleichfalls als heilige Bücher galten, wie denn Jeremia für alle vorexilischen Propheten als Zeuge eintritt.
Neben den im Kanon aufbewahrten h. Büchern gab es in alter Zeit auch zwei Sammlungen national-religiöser Lieder und überhaupt Schriftdenkmäler, welche uns nicht erhalten geblieben sind, nämlich das Buch der Kriege des Herrn und das Buch des Frommen (vgl. Num. 21, 14. Jos. 10, 13).
Eine lateinische Schrift über „Jeremia als Gewährsmann für alle älteren h. Schriften.“ (Jeremias vindex etc.) hat August Küper 1837 herausgegeben.
§ 4.
Die Gesamtheit aller dieser Schriften nun nennen wir den Kanon, dessen einzelne Bestandteile, wie oben bemerkt, nur sehr allmählich im Laufe der heilsgeschichtlichen Entwickelung von Mose an bis zum Ausgang der Prophetie entstanden sind. Aber wer nun diese einzelnen Bestandteile zum Ganzen des Kanon zusammenfaßte, und warum er gerade diese und nur diese Schriften aufnahm, darüber ist uns etwas Sicheres nicht bekannt. Es finden sich zwar im A. T. Spuren einer auf die Sammlung der h. Schriften Israels gerichteten Thätigkeit, es ist auch zweifellos, daß Esra, der Schriftgelehrte und Reformator Israels, für die Sammlung der h. Schriften thätig gewesen; aber ob er oder die s. g. große Synagoge dieselbe zum Abschluß brachte, darüber fehlen verlässige Berichte.
a. Die erste oder grundlegende Sammlung h. Schriften geschah durch Mose und die Ältesten, welche unmittelbar auf ihn folgten (vgl. § 25).
b. Daß eine zweite Sammlung h. Schriften von Samuel ausgegangen und von seinen Schülern fortgesetzt worden sei, und zwar so, daß sie die Sammlung der ersten Propheten abschlossen und der Thora somit das Buch Josua, das Richterbuch mit Ruth und das erste Buch Samuelis bis Kap, 11, später noch den Schluß und das zweite Buch Samuelis hinzufügten, ist lediglich talmudische Überlieferung. Vgl. noch § 29, 2.
c. Aus 2 Chron. 29, 25–30 schließen wir, daß in Hiskias Zeit die Psalmen Davids und Asafs für den Tempelkultus gesammelt und im Gebrauch waren. Sprüche 25, 1 heißt es, daß die „Männer des Hiskia“ Sprüche Salomos gesammelt haben. Ob diese Männer eine von Hiskia zum Zweck der Sammlung der h. Schriften niedergesetzten Kommission waren, mag dahingestellt bleiben, ist aber bei dem religiösen Interesse des Königs nicht unwahrscheinlich.
d. Was den Abschluß der Sammlung heiliger Schriften betrifft, so ist uns von einem förmlichen Akte, durch welchen derselbe erfolgt wäre, nichts bekannt. Ja es ist ein solcher Akt gar nicht wahrscheinlich. Angenommen, Esra hat sich mit der Sammlung der h. Schriften seines Volkes beschäftigt, und zugegeben, daß niemand so wie er zu beurteilen vermochte, welche Schriften zu den heiligen zu rechnen seien, so wird ihm doch kaum der Abschluß des Kanons zugeschrieben werden dürfen. Esra konnte ja nicht wissen, daß nunmehr kein Prophet mehr auftreten werde. Es wird sich eben die Sammlung von selbst geschlossen haben, indem nichts mehr zu ihr hinzukam. Unter der Voraussetzung aber solch einer thatsächlichen, nicht förmlichen, Schließung hat die jüdische Tradition, derzufolge die durch Esra und Nehemia ins Leben gerufene s. g. große Synagoge die Sammlung in die Hand nahm und zu Ende führte, vieles für sich.
Für sie spricht zum ersten der Kanon selbst. Die Redaktoren desselben haben bei der Zusammenstellung der heiligen Schriften zu einem Ganzen nicht nach chronologischen, sondern inneren sachlichen Motiven gehandelt. Die Thora als die Grundlage aller Offenbarung bildet einen Hauptteil für sich, und zwar den ersten. Im zweiten Hauptteile folgen zuerst die Bücher, welche in prophetischem Geiste die geschichtliche Entwicklung des Bundesverhältnisses bis zum Exile darstellen, sodann die Bücher, welche die Weissagungen vom Untergang des alten Reiches Israel und der Zukunft des Reiches Gottes enthalten. Eine so einheitliche Idee ergab sich für die dritte Hauptabteilnng nicht. Doch fehlen auch hier nicht die sachlichen Gesichtspunkte. Das dem Pentateuch entsprechende fünfgliedrige Gebetbuch der Gemeinde (Psalter) eröffnet es, Bücher der Chokma oder sinnenden Betrachtung (Sprüche und Hiob) folgen, die fünf nach dem Festkalender geordneten Megilloth (Hoheslied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Esther) reihen sich an, das apokalyptische Buch Daniel als das Buch der Geheimnisse sollte den Kanon offenbar abschließen. Kein Bestandteil dieses Urkanons reicht, wie die spezielle Einleitung zeigen wird, unter die Esra-Nehemianische Zeit herab. – Nun waren aber von der Hand des Esra und Nehemia selbst Aufzeichnungen über denkwürdige Begebnisse vorhanden, die der neukonstituierten Gemeinde von höchster Wichtigkeit waren. Sie wurden später ergänzt und sind namentlich die darin vorkommenden genealogischen Reihen bis zu der Zeit des Redaktors fortgeführt worden. Was geschah nun mit diesem Schriftwerk? Es ist dem Kanon nicht mehr organisch, d. h. etwa nach dem zweiten Königsbuche eingefügt, sondern am Schlusse, d. h. nach dem Buche Daniel, ganz äußerlich angefügt worden.[1] Denn wenn die Massora und die Handschriften spanischer Klasse im Unterschiede von den Handschriften deutscher Klasse die Chronik (getrennt vom Buche Esra und Nehemia) vor den Psalter stellen – vielleicht weil sie so viel von David erzählt und so als Einleitung zum Psalter Davids zu gehören schien – so war das nicht die ursprüngliche Stellung der Chronik. Unsere ältesten geschichtlichen Belege für die Stellung des Psalters im Kanon deuten darauf hin, daß er die dritte Hauptabteilung des Kanons eröffnete (mit Vorausgehen von Ruth), da man diese Abteilung nach ihm benannte, siehe 2 Makk. 2, 13, Luk. 24, 44, auch Philo. Die Chronik, Esra und Nehemia wurde also in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. einer schon bestehenden Sammlung heiliger Schriften noch angefügt, welche damals, in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, bereits als ein unantastbares Heiligtum galt. Und wer sollte nun damals die Autorität gehabt haben, ein solches zu schaffen, wenn nicht Esra, der Mann, der überhaupt die religiösen Institutionen schuf, auf denen das neujüdische Gemeinwesen ruht?
Ein zweiter Beweis, daß der Kanon um 300 v. Chr. längst als ein ehrwürdiges Heiligtum galt, das, keiner Erweiterung oder Veränderung fähig, lediglich als solches zu bewahren war, ist das Buch des Jesus ben Sira. So hoch dieses Buch von Anfang an und weiter gehalten wurde, so nahe es sich mit den Sprüchen Salomos und Koheleth berührte, es wurde nicht mehr in den Kanon recipiert. Also zur Zeit der Siraciden war der Kanon längst abgeschlossen, gehörte der Geschichte an. Nach der Meinung des einen Teils der Gelehrten ist das Buch des Jesus ben Sira um 300 v. Chr. entstanden. „Der Verfasser ist Zeitgenosse eines Hohepriesters Simon, den er c. 50 so lebendig schildert, wie nur ein Zeitgenosse es vermag. So besonnene Forscher, wie Winer, geben zu, daß hier nur von Simon dem Gerechten die Rede sein könne, der das Hohepriestertum von 310–291 bekleidete, da der Hohepriester Simon II., der von 219–199 im Amte stand, keinerlei Eindruck auf seine Zeitgenossen machte, der der Schilderung von c. 50 des Jesus Sirach entspräche. Wir wissen „eigentlich nichts“ von ihm, er hat kein Andenken bei seinem Volk zurückgelassen. Von anderen aber ist hiegegen eingewendet worden, daß Jesus Sirach c. 50 doch auch nach der Überlieferung könne geschildert haben und kein Zeitgenosse jenes Simon des Gerechten gewesen sein müsse. Es gebe Gründe dafür, daß er hundert Jahre später geschrieben habe. Sein Enkel, der das ursprünglich hebräische Buch in Ägypten ins Griechische übersetzte, sage nämlich im Prolog, er sei im 38. Jahre unter König Euergetes nach Ägypten gekommen. Dieses 38. Jahr sei das Regierungsjahr des Euergetes; es habe aber Euergetes I. nur von 247–222, also keine 38 Jahre lang regiert, während die Regierungszeit des Euergetes II. von 170–116 angesetzt werden kann. Der Enkel des Jesus ben Sira sei also erst 132 nach Ägypten gekommen, und der Großvater habe also etwa 200 v. Chr. geschrieben. Die Entscheidung ist schwierig. Gesetzt aber, das Buch stamme aus der Zeit um 200 v. Chr., so war also damals jedenfalls der Kanon längst abgeschlossen. (Die jüngst aufgefundenen hebräischen Originalhandschriften des Sirachbuches, welche bereits eine innerhebräische Geschichte des Werkes aufweisen, sprechen eher für ein noch höheres Alter dieses apokryphisch gebliebenen Buches.) Wo fänden wir nun aber in dem Zeitalter von 200–400 rückwärts die Autorität, die zur Herstellung einer im ganzen jüdischen Volke gültigen Sammlung normativer heiliger Schriften nötig war? Das 3. Jahrhundert besaß kein Synedrium, mit Simon dem Gerechten erlosch das zu Esras Zeit konstituierte Synedrium. Wir werden also auch aus inneren Gründen über das 4. Jahrhundert zurück, in die Esra-Nehemianische Restaurationsperiode verwiesen, und äußere geschichtliche Zeugnisse unterstützen diese Annahme.
Anmerkung 1. Ein wichtiges Zeugnis für die Herstellung des Kanons durch Esra und Nehemia aus späterer Zeit finden wir im 2. Makk. 2, 13 f. Es wird hier nämlich gesagt, daß Judas der Makkabäer dem Nehemia darin glich, daß er wie dieser sorgsam die alte Nationallitteratur sammelte und so rettete. Der Berichterstatter beruft sich in betreff Nehemias auf alte Akten und Gedenkbücher, welche erzählen, wie Nehemia, eine Bibliothek begründend, die mancherlei heiligen Schriften zusammenbrachte. In der Nennung derselben ist auch hier die Aufeinanderfolge der drei Hauptteile des Kanons erkennbar, selbstverständlich der Kanon vorausgesetzt.
Anmerkung 2. Beachtenswert als Zeugnis späterer Zeit ist auch das Zeugnis des Josephus (contra Apionem I. § 8). Nachdem er gesagt hat, daß die schriftstellerische Thätigkeit im jüdischen Volke von jeher dem in reiner uralter Abfolge sich fortsetzenden Priesterstande und den durch göttliche Inspiration befähigten Propheten befohlen war, fährt er fort, daß das jüdische Volk nicht Myriaden sich widersprechender Bücher besitze, sondern nur 22, welche die gesamte alte Geschichte enthalten und mit Recht für göttliche gehalten werden. Jene 22 Bücher seien unverletzt überliefert und unantastbar; jeder Jude halte sie von Kindheit für Gottes eigenes Wort, stütze sich darauf und sei bereit, wo nötig, darob zu sterben. Er zählt hier 22 Schriften nach Zahl der Buchstaben des hebräischen Alphabets und, was von großer Wichtigkeit, er schließt die Apokryphen aus, obwohl er sich in seinen Citaten ebenso wie Philo, an die Septuaginta (s. § 18) anschließt. In Bestimmung der Grenze der kanonischen Schrift setzt er voraus, daß die Geschichte des Buches Esther unter Artaxerxes Longimanus falle, und daß die später erschienenen Schriften, besonders wegen des unterdes erloschenen Prophetentums, nicht auf gleiches Ansehen Ansprüche machen können.
§ 5.
Der Kanon des A. T.s gliederte sich in drei Hauptteile: Thora (Gesetz), Nebiim (Propheten) und Ketubim (andere Schriften mannigfaltigen Inhalts). Für den dritten Teil finden wir auch den Ausdruck: „die Psalmen“, weil sie die dritte Abteilung beginnen (s. o.) oder „die anderen Bücher“. Nach diesen drei Hauptteilen wurde der Kanon auch bezeichnet.
Soferne nun aber dieses Schriftganze die Schrift im einzigartigen Sinne war, nannte man es bald „das Buch“, „die Bücher“, oder auch „Mikra“ = das Buch, das man vorzüglich lesen soll, wie denn lesen in der Mischna geradezu heißt: die Schrift studieren; am häufigsten jedoch ist die Benennung: „die heiligen Schriften“. Diese Bezeichnungen finden sich oft im Talmud. – Die christliche Kirche aber benannte – nachweisbar seit Ende des II. Jahrhunderts – die h. Schriften des Volkes Israel als die Schriften des A. Bundes oder kurzweg als den Alten Bund oder das Alte Testament, eine Benennung, die bis jetzt eine allgemeine in der Kirche geblieben ist, während die Juden sie Mikra, das Buch der Lesung (Anagnose), oder Tenach, d. i. T(hora), N(ebiim), Ch(etubim), oder nach der Zahl der Bücher die 24, oder das Buch der 24 heißen.
§ 6.
Das Gesetz (Thora) besteht aus den fünf Büchern Moses und bildet ein Ganzes für sich; die Propheten sind teils „frühere“, teils „spätere“; jene sind die Geschichteschreibenden, diese die weissagenden. Die prophetischen Geschichtsbücher sind die Bücher Josua, Richter, Samuelis und der Könige. Die Weissagungsbücher zerfallen wieder in die großen und kleinen Propheten, welche letztere ein Buch für sich (das Zwölfprophetenbuch) bilden. Die übrigen Schriften werden der herrschend gewordenen Aufeinanderfolge nach im hebräischen Kanon folgendermaßen aneinandergereiht: Psalmen, Sprüchwörter, Hiob; Hoheslied, Klagelieder, Ruth, Prediger (Koheleth), Esther (welche fünf letzteren die Megilloth heißen); endlich Daniel, Esra, Nehemia, Chronik. – Die Zählung der Bücher des A. T.s ist verschieden. Die alexandrinische Übersetzung LXX (s. § 18) zählt 22 Bücher, parallel den 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. So bezeugen es Josephus, Melito von Sardes, Origenes und noch Hieronymus. In den babylonischen Schulen aber zählte man 24, und diese Zählung wurde dann die unter den Juden bräuchliche. Esra und Nehemia gelten als ein Buch, Ruth wird in LXX zum Richterbuch, die Klagelieder werden zum Weissagungsbuch des Jeremia gefügt.
§ 7.
Der Kanon ist in der Gestalt, welche er bei seinem letzten Abschluß hatte, unter den palästinischen Juden unverändert erhalten worden, wenn gleich darüber in den Schulen später gestritten ward, ob das Buch des Ezechiel, die Klagelieder, besonders das Hohelied, die Sprüche und Koheleth nicht dem öffentlichen Gebrauche zu entziehen seien. Dagegen hat die alexandrinische Übersetzung (s. § 18) der Vermischung von Kanonischem und Nicht-Kanonischem dadurch Vorschub geleistet, daß sie auch nachkanonische Schriften von großem Ansehen, z. B. das Buch Sirach u. a., den kanonischen Büchern anfügte, ohne den Unterschied bemerklich zu machen.
§ 8.
Aus der Synagoge ging der A.T.liche Kanon in die christliche Kirche über. Nach Christi und der Apostel Vorgang (s. o.) ehrte man die A. T.lichen Bücher als „von Gott eingegebene“ (2 Tim. 3, 16), „heilige (2 Tim. 3, 15. Röm. 1, 2) Schriften, als den „alten Bund“ (2 Kor. 3, 14), und las aus denselben in den öffentlichen gottesdienstlichen Versammlungen vor.
Die christlichen Schriftsteller citieren sie als heilige Schriften, als Wort Gottes. Da aber nur wenige derselben die Grundsprache des A. T.s verstanden und übrigens die alexandrinische Übersetzung ein ungemein hohes Ansehen genoß, so beziehen sie sich auf die A.T.liche Schrift fast nur in der Gestalt, wie sie in dieser Übersetzung vorlag, bis der Verkehr mit Juden sie auf den Unterschied zwischen Original und Übersetzung aufmerksam machte. Schon Melito von Sardes, bei welchem uns zuerst die Benennung „A.T.liche Bücher“ begegnet, erkundigte sich in Palästina nach dem ursprünglichen Umfange des Kanon. Das Verzeichnis, welches er von da mitbrachte, schließt die Apokryphen aus. Origenes zählt gleichfalls nur 22 kanonische Bücher, nimmt jedoch die Apokryphen gegen Julius Afrikanus in Schutz. Aber die griechischen Verzeichnisse der kanonischen Schriften aus dem IV. Jahrhundert sondern bereits die Apokryphen von den kanonischen Schriften geflissentlich; Athanasius (im 39. Festbrief a. 367) unterscheidet von den kanonischen die nichtkanonischen: Weisheit Salomos, Sirach, Esther, Judith, Tobias, was nicht hinderte, daß dieselben als gute Privat-Leseschriften besonders für Katechumenen von ihm und anderen Vätern empfohlen wurden. Hiebei ist es in der griechischen Kirche verblieben, vgl. den an die Beschlüsse des Concils von Laodicea (360) später angefügten 60. Kanon.
Aus der lateinischen Kirche haben wir Verzeichnisse der kanonischen Schriften von Hilarius, Rufinus und Hieronymus, welchen das Verzeichnis des Origenes oder des hebr. Kanon zu Grunde liegt. Dagegen wurde im Verzeichnis des Concils zu Hippo Regius in Numidien (393), bestätigt durch die 3. und 5. Karthagische Synode (397 und 419) und sanctioniert durch die römischen Bischöfe (405 und 494), kein Unterschied zwischen den kanonischen und apokryphischen Schriften gemacht, sondern im Anschluß an den Gebrauch der bedeutendsten Gemeinden beiden gleiches Ansehen beigelegt.
Diese Beschlüsse waren für die kirchliche Praxis des Mittelalters maßgebend. Doch hat das Ansehen, in welchem die Schriften des Hieronymus standen, in den Gelehrten das Bewußtsein von dem Unterschied zwischen kanonisch und apokryphisch wach erhalten, denn Hieronymus hatte diesen Unterschied ebenfalls festgehalten.
Zum endgültigen Austrag kam der Streit in der Reformationszeit. Die römische Kirche sanctionierte zu Trient 1546 den Gebrauch der abendländischen Kirche, hob also den Unterschied zwischen kanonischen und apokryphischen Büchern auf und erklärte sämtliche in der Vulgata enthaltenen Bücher als kanonisch; die protestantischen Kirchen aber halten nur diejenigen Bücher für kanonisch, welche der hebräische Kanon enthält. Die apokryphischen Bücher werden von der lutherischen Kirche nach des Hieronymus, Athanasius und anderer Vorgang für nützliche Schriften erklärt, aber den kanonischen nicht gleich geachtet. Die Reformierten verwerfen sie gänzlich.