Читать книгу Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften - Johannes Deinzer - Страница 9
ОглавлениеKap. 3. Von der hebräischen Schrift und der Überlieferung des Textes.
§ 14.
Wie die Sprache, so hatten die Israeliten auch die Schrift mit den Völkern Kanaans, insonderheit den Phöniziern, gemein. Diese Schrift fanden die Patriarchen vielleicht schon vor, und ihre Kenntnis kann in der Patriarchenzeit zufolge Gen. 38, 18 mit Wahrscheinlichkeit, zur Zeit Moses aber mit voller Gewißheit vorausgesetzt werden. Man schrieb auf Steine, Metall, Holz und Tierhäute. Ps. 45, 2 deutet auf Schnellschreiber, was ebenso auf wohlbereitetes Material, als auf große Schreibfertigkeit hinweist. Diese ursprüngliche Schrift, welche sich noch auf den Makkabäischen Münzen und alten Denkmälern findet, und von den Samaritanern noch heutigen Tages gebraucht wird, vertauschten die Israeliten im Exil mit der babylonischen, die nach ihrer Gestalt auch Quadratschrift genannt wird. Sie hat ebenso wie die ursprüngliche (phönizische) Schrift die Eigentümlichkeit, daß nur die Konsonanten geschrieben werden, während man die Vokale im Lesen hinzudenken muß.
§ 15.
So lange die hebräische Sprache eine lebende war, hatte es keine Schwierigkeit, den vokallosen Text zu entziffern und die richtige Lesung im Volke fortzupflanzen. Als sie aber durch die aramäische verdrängt ward, wurde die Beschäftigung mit der Schrift und die Überlieferung des heiligen Textes Gegenstand einer besonderen Schriftgelehrsamkeit. Diese bewahrte die richtige Lesung des Textes und sorgte später auch, daß er mit Vokalen und Accenten versehen wurde, damit die Lesung ein für alle Male festgestellt wäre. Das herrschend gewordene Punktationssystem ist das der Schule zu Tiberias, welches wir bis ungefähr in das V. Jahrhundert zurück verfolgen können. Welche Bedeutung diese Vokalisation und Accentuation hat, ist demnach klar: sie ist nichts anderes als die Bezeichnung für die Textauffassung, wie sie in der jüdischen Überlieferung herrschend war. Da aber die Schriftgelehrten mit peinlicher Sorgfalt bedacht waren, den Text unversehrt zu erhalten und fortzupflanzen, und da auch der Text, der den ältesten Übersetzern vorlag, mit dem durch die Schriftgelehrten punktierten zusammenstimmt, so dürfen wir die Vokalisation für wesentlich richtig halten. Die Schriftauslegung braucht sich nur in seltenen Fällen Abweichungen zu gestatten, und das in dieser Textpunktation niedergelegte Schriftverständnis ist ein wahrhaft erstaunliches.
Anmerkung: Sehr wichtig sind die strengen Vorschriften des Talmud für die Verfertigung von heiligen Handschriften; er verordnet Musterhandschriften und befiehlt strengste Sorgfalt in der Schrift. Später zählte man die Verse, Worte, ja Buchstaben. Auch dann veränderten die Schriftgelehrten den Text nicht, wenn sie an demselben Anstoß nahmen. Sie ließen den ursprünglichen Text (das Chetib = das Geschriebene) stehen und schrieben das Keri (d. h. wie sie meinten, daß gelesen werden müsse) an den Rand. Soferne die Schriftgelehrten den Text überlieferten, nennt man sie Massorethen, ihre Bemerkungen aber heißen die „Massora“, und zwar ist die Gesamtheit derselben die große, ein Auszug aber, der an den Rand des Textes oder unter denselben geschrieben wird, die kleine Massora.
§ 16.
Mit großer Wahrscheinlichkeit läßt sich auch annehmen, daß die A. T.lichen Schriftsteller ohne Wortabteilung geschrieben haben. Als man anfing die Worte zu trennen, geschah dies durch Punkte oder kleine Zwischenräume zwischen den Worten.
Später als die Wortabteilung kam die Teilung des Textes in kleinere und größere Abschnitte auf. Zunächst unterschied man in den poetischen Büchern teils die zusammengehörenden parallelen Glieder eines Gedankens, teils die einzelnen Glieder selbst in der Schrift von einander, sei es durch neue Zeilen, sei es durch kleine Zwischenräume. Zur Zeit des Hieronymus waren diese Abteilungen in den griechischen, lateinischen und hebräischen Handschriften bemerklich gemacht. – Was die Thora und die Propheten betrifft, so erwähnt schon die Mischna Versabteilung (Pesukim). Die Verse waren zum Behuf des Lesens gemacht und wurden durch zwei Punkte bezeichnet. Zum Abschluß kam die Versabteilung durch die schriftliche Feststellung der Accentuation des Textes. Größere Abschnitte als die Verse sind die Paraschen, die schon in der Mischna erwähnt sind. Der Pentateuch zerfiel in 669 solche Paraschen, die für den Zweck der Vorlesung entstanden sein dürften. Von diesen Paraschen unterscheide man die Sabbatsparaschen, 54 an der Zahl. Auch die Propheten sind in Paraschen abgeteilt worden. Hievon unterscheide man aber die Haphtaren oder Schlußlektionen des Sabbats, die den Sabbatsparaschen entsprechen. Zur Zeit Jesu und der Apostel scheint es nach Luk. 4, 17 ff., A.Gesch. 13, 15 die jetzt feststehenden Sabbatsparaschen noch nicht gegeben zu haben. Aber die kleinen Paraschen gab es schon; sie trugen den Namen vom Inhalt, wie denn z. B. Röm. 11, 2 der Abschnitt 1. Kön. 19 der Abschnitt „Elia“ genannt wird.
Unsere gegenwärtige Kapiteleinteilung ist christlichen Ursprungs und stammt aus dem 13. Jahrhundert, entweder von Hugo von St. Caro († 1263) oder Stephan Langton († 1226). Die Versabteilung ist die der Juden; diese haben jetzt hinwiederum von uns die Kapiteleinteilung angenommen. Die Synagogenrollen haben weder Vers- noch Kapiteleinteilung.
§ 17.
Bis zum 15. Jahrhundert wurde der hebräische Text handschriftlich fortgepflanzt. Die Schriftgelehrten der Juden haben mit einer geradezu peinlichen Sorgfalt darüber gewacht, daß der Text nicht verfälscht würde. Die Handschriften, die wir noch haben, reichen freilich nicht über das 9. Jahrhundert, beweisen aber durch ihre Übereinstimmung die Sorgfalt, mit der sie abgeschrieben wurden, und die wunderbare Zuverlässigkeit der Textesüberlieferung. Soferne sich dennoch Verschiedenheiten der Handschriften finden, sind sie nur von sehr unwesentlicher Bedeutung. In allem Wesentlichen ist uns durch die jüdischen Schriftgelehrten der ursprüngliche Text des Alten Testamentes treu überliefert worden. Die Erfindung der Buchdruckerkunst erleichterte dann die Fortpflanzung des Textes. Die erste vollständige Ausgabe des ganzen Alten Testaments erschien zu Soncino 1488; die zweite zu Brescia 1494, aus welcher Luther schöpfte; die dritte in der Polyglotte von Complutum (Alcala) 1514 bis 1517; die vierte in Venedig durch Daniel Bomberg 1518 und korrekter 1526. – Der Complutensischen und Bomberg’schen Ausgabe folgten dann die meisten späteren Drucke, welche durch die Vergleichung der Masora und der Handschriften immer größere Richtigkeit anstreben.