Читать книгу Eltern Stärken. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung - Johannes Schopp - Страница 11

[21] Einführung

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Die meisten Eltern handeln in der Überzeugung, das Beste für ihre Kinder zu tun. Dabei stoßen sie jedoch immer wieder an Grenzen, die in der Natur der Sache liegen. Kinder sind von Geburt an individuelle Wesen, die ihren eigenen Willen und eigene Vorstellungen haben, die sie mit zunehmendem Alter immer weiter entwickeln. Von daher gibt es ganz natürliche Reibungspunkte zwischen den Interessen der Eltern und denen ihrer Kinder. Darüber hinaus bedeutet Elternsein ganz pragmatisch, Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen und im Dschungel der Möglichkeiten zwischen „richtig“ und „falsch“ abzuwägen.

Darum suchen heute mehr Eltern denn je Halt und Unterstützung, um im Zusammenleben mit ihren Kindern die selbst gestellten bzw. gesellschaftlich formulierten Anforderungen bewältigen zu können. Dabei stand ihnen noch nie so viel pädagogisches und psychologisches Wissen zur Verfügung: In Elternzeitschriften, Internetplattformen und anderen Ratgebern werden sie geradezu überschwemmt mit Vorschlägen für gelingende Erziehung. Doch durch die Vielzahl sich widersprechender Tipps nimmt die Verunsicherung zu. Wem soll man vertrauen? Was war zuerst da, die Ratlosigkeit oder die Ratgeber?

„Die Menschen vergessen, was Du sagst und was Du tust. Aber was sie in deiner Gegenwart gefühlt haben, Vergessen sie nie.“

Maya Angelou Auf der anderen Seite suchen auch professionelle Experten nach Alternativen bzw. Ergänzungen für die so genannten „Eltern-Erziehungs-Konzepte“. Der vorliegende Leitfaden widmet sich genau diesem Punkt. Er will zeigen, welche Bedeutung die Dialogische Grundhaltung im Rahmen von Seminaren und Beratung haben kann, damit Eltern wieder an sich und ihre Kompetenzen glauben lernen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, Kinder auf dem Weg zu innerlich starken, lebensfrohen und zuversichtlichen Persönlichkeiten zu begleiten.

Die Dialogische Haltung stellt die einzigartige Existenz eines jeden Menschen in den Mittelpunkt. Sie betont den Respekt vor der Unterschiedlichkeit, vor unterschiedlichen, auch von der Norm abweichenden Lebenswegen, vor dem Tempo individueller Entfaltung und vor der Unvollkommenheit menschlicher Existenz. Dieser Einstellung liegt die Annahme zugrunde, dass jede und jeder durch den Dialogkreis ermutigt werden kann, das Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit und das Gespür für den eigenen „richtigen“ Weg wieder zu finden. Das macht die [22] Menschen langfristig unabhängiger vom Urteil sogenannter Experten und deren Wissen und es stärkt sie. Im Titel des Buches ELTERN STÄRKEN verbinden sich also gleichzeitig die Grundannahme, dass Eltern die eigenen Stärken bereits in sich tragen, und das Ziel, diese mit der Begleitung im Dialog wieder zu finden.

Diejenigen, die sich auf den Dialog einlassen, erfahren Wertschätzung und Anerkennung, sie erleben, was es heißt, gehört zu werden und sich Gehör zu verschaffen. Ohne dem perfekten Ideal nachzueifern, das es im Leben nicht geben kann, werden sie ermutigt, ihr eigenes Ideal zu finden, das sich wandeln und entwickeln darf. Die Verantwortung für ihren individuellen „Lernzuwachs“ bzw. „-rückschritt“ trägt jede/jeder für sich.

„Wir sagen nicht, wir haben eine neue Denkweise, sondern wir sagen es gibt viele Denkweisen, die uns nützlich sein können.“

L. Freeman Dhority Dialog ist eine Form, die eigene Achtsamkeit (wieder) zu entdecken und zu verfeinern. Achtsamkeit „schult“ auch die Wahrnehmung für die Augenblicke des Staunens über das Wunderbare, aber auch das Komische und das Andere bzw. Fremde im Zusammenleben zwischen Erwachsenen und Kindern. Für das Leben gibt es kein Rezept. Das Zusammenleben mit Kindern hat etwas mit Experimentieren zu tun. Es ist ein gemeinsamer Lebens- und Entwicklungsweg.

Im Dialog geht es konkret nicht darum, was ich anderen Menschen vermittle oder beibringe, sondern wie ich mit ihnen in Beziehung trete. Im Dialog soll niemand um-erzogen oder durch Training dazu gebracht werden, bestimmte Verhaltensweisen abzulegen und sich andere anzueignen. Unter sensibler Dialogbegleitung geschieht gegenseitige Unterstützung ohne Belehrung. Die Philosophie, die dahinter steckt ist, dass niemand – auch nicht die Dialogbegleitung – weiß, welcher Schritt gerade in diesem oder jenem Augenblick in der jeweiligen Familie der richtige ist.

Im Dialog nehmen sich die Teilnehmenden – die Dialogbegleiter eingeschlossen – anders, persönlicher wahr, ohne sozialromantisch zu verschmelzen. Der Dialog meint den ganzen Menschen, und die Betonung liegt auf dem Wort Mensch. Funktionen und Titel spielen im Dialog keine Rolle. „Im Dialog [ist] kein Platz für das Autoritätsprinzip, Überordnungen und Unterordnungen…“ (Bohm 2000, S. 92). Wer sich auf den Dialog einlässt, versteht, warum niemand ein Anrecht auf die objektive „Wahrheit“ hat. Jeder nimmt seine Sicht als seine Wahrheit wahr.

[23] Radikaler Respekt für Verschiedenheit bedeutet, dass wir unsere Ansichten über generell „Richtiges“ und generell „Falsches“ aufgeben müssen. Unter dieser Prämisse ist die Frage neu zu beantworten, wer „Experte“ ist und für welchen Bereich.

Eckpunkte einer Dialogbegleitung in diesem Sinne sind:

• Es gibt keine allgemeingültigen „Rezepte“.

• Eltern werden beim Suchen eigener Antworten auf ihre Fragen begleitet.

• Eltern werden sich bewusst, dass Fehler zum Leben dazugehören.

• Im gegenseitigen Verständnis füreinander spüren Eltern Entlastung und lernen, wieder über sich und ihre Situation zu schmunzeln oder zu lachen.

• Eltern sind Fachleute und Verantwortliche in eigener Sache.

• Eltern sind gleichwertige und gleichwürdige Dialogpartner.

• Wir können niemanden verändern. Ziel ist es, die Überzeugung der Eltern zu bestärken, selbst wirksame und eigenverantwortliche Lebensgestalter zu sein.

Das folgende Beispiel soll diese Prinzipien veranschaulichen.

„Beziehung ist Gegenseitigkeit. Mein Du wirkt an mir, wie ich an ihm wirke.“

Martin Buber Ermutigt durch die vertrauensvolle Atmosphäre in der Dialogrunde einer Gesamtschule berichtet eine Mutter über ihren eigenwilligen Umgang mit dem Fernsehkonsum ihrer acht- und elfjährigen Töchter. Immer dann, wenn sie zu Besorgungen die Wohnung verlässt, schließt sie das Zimmer ab, in dem sich der Fernseher befindet. Die beiden Töchter sollen nicht unkontrolliert fernsehen.

Als Dialogbegleiter kommt es jetzt darauf an, den „Raum“ für ein offenes und ehrliches Gespräch über den Umgang anderer Eltern mit dem Fernsehkonsum ihrer Kinder und deren Erfahrungen zu schaffen. Wenn jede und jeder bei sich bleibt, wird vermieden, dass die Protagonistin in der Rolle der „schlechten“ Mutter ihr Verhalten rechtfertigen muss. Gleichzeitig ermöglicht ein solches Vorgehen, dass andere Mütter und Väter angstfrei und ohne Schönfärberei von ihren gelingenden oder scheiternden Auseinandersetzungen erzählen.

In diesem Fall brauchte die Mutter den Erfahrungen der anderen Eltern nur zuzuhören. In ihrem persönlichen Abschlusswort bedankte sie sich später bei der Gruppe, dass sie sich von niemandem bloß gestellt gefühlt habe. Sie wolle zuhause einmal über alles nachdenken und das eine oder andere, was sie an diesem Tag von anderen gehört habe, ausprobieren.

[24] Das Beispiel macht auch deutlich, dass sich Dialogbegleitung, so wie ich sie hier beschreibe, erheblich von Veranstaltungen im Vortragsstil oder von verhaltenstherapeutischen Trainingskursen unterscheidet. Der Schwerpunkt im Dialog liegt auf Gegenseitigkeit und Gleichwürdigkeit (Juul 2004) zwischen den Dialogpartnern, während sich die Kommunikation beim Vortrag in der Regel auf einer belehrenden „Einbahnstraße“ bewegt und wenn überhaupt, dann oft nur Diskussionen „um des Kaisers Bart“ entstehen. Das macht nicht nur müde, passiv und unmündig. Noch schwerer wiegt, dass Eltern sich noch unfähiger fühlen, wenn sie merken, dass es ihnen nicht gelingt, das Gehörte und scheinbar so Einfache und Vernünftige im Zusammenleben mit ihren Kindern erfolgreich umzusetzen.

Frustrierende Erfahrungen dieser Art, die ich sowohl in der Rolle als Vater von zwei Kindern als auch als Fachreferent in der Prävention und der Elternbildung machte, waren für mich der Anlass, mich mit dem Dialog zu beschäftigen.

Eltern Stärken. Die Dialogische Haltung in Seminar und Beratung

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