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Kapitel neun

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Der Mann saß am leeren Küchentisch und sah auf seine Hände.

Die langen, schmalen Finger lagen ordentlich ineinander verschränkt da. Er war immer geschickt mit den Händen gewesen, und trotz deren scheinbarer Zartheit war er ungewöhnlich stark. Wieder kam die Erinnerung an seine Jugend zurück. Ab und zu liefen kleine Filme vor seinem inneren Auge ab, oft ohne einen offensichtlichen Auslöser.

Jetzt sah er gerade, wie er in der Oberstufe den Werklehrer Eriksson vor der ganzen Klasse im Fingerhakeln besiegte. Eriksson, dessen Spitzname der Diktator war, war bei allen wegen seiner mürrischen und gewaltsamen Art unbeliebt. Es ging das Gerücht, dass er im Flur vor dem Werkraum mal einen Schüler am Pullover an einem Kleiderhaken aufgehängt hätte.

Der Mann erinnerte sich deutlich an das Geschehen. Wie immer waren die Erinnerungsbilder lebhaft und detailliert. Während einer turbulenten Doppelstunde hatte Eriksson herumgeschrien, bis sein Gesicht knallrot angelaufen war, hatte ihm befohlen, den Mund zu halten und ruhig an seiner Arbeitsbank zu sitzen. In einem Moment des trotzigen Übermuts hatte er den Lehrer gefragt, ob Eriksson es wagen würde, sich auf ein Duell im Fingerhakeln einzulassen. Zu seinem großen Erstaunen hatte Eriksson zugestimmt.

Sie saßen einander auf Hockern vor dem Katheder gegenüber und krempelten die Hemdsärmel hoch. Die gesamte Klasse versammelte sich in gebührendem Abstand im Kreis um sie. Der Kampf wurde lang und schmerzhaft. Er hatte sich antrainiert, den Schmerz wegzudenken, ihn vollkommen zu ignorieren. Sein Vater hatte ihm beigebracht, dass das Leiden nur der Ausdruck dafür war, dass die Schwäche den Körper verließ. Er fixierte Erikssons graublaue Fischaugen ohne zu blinzeln; die Unterarme zwischen ihnen vibrierten.

Als die Finger langsam weiß wurden, ließ Eriksson plötzlich los. Der große Mann zog die Hand zurück und begann den Zeigefinger zu massieren, gleichzeitig sank er auf dem Stuhl zusammen und fing an zu weinen. Er weinte so untröstlich wie ein Kind. Alle Dämme brachen, und der riesige Körper zitterte wie im Schüttelfrost. Niemand im Klassenzimmer wagte es, auch nur einen Laut von sich zu geben, alle standen wie erstarrt an ihren Bänken. Die Zeit schien unendlich. Die Schüler, die sich trauten, schielten auf die Wanduhr über der Tür. Eriksson saß abgesehen von dem ihn immer seltener durchlaufenden Zittern reglos da. Als er keinerlei Anzeichen machte, mit dem Weinen aufzuhören, und es zur Pause klingelte, schlichen die Schüler einer nach dem anderen aus dem Zimmer.

Bei der Erinnerung lächelte er. Nach diesem Ereignis hatte es niemand mehr gewagt, sich mit ihm anzulegen, der Respekt war sofort da gewesen und verbreitete sich wie ein Lauffeuer in der Schule. Er lehnte sich über den Tisch vor und rückte einen leeren Blumentopf im Fenster gerade. Letzte Nacht war er abrupt von einer unbekannten Person unterbrochen worden. Eine zufällige Besucherin hatte ihn vollkommen überrascht. Es war pures Glück, dass er nicht dazu gezwungen gewesen war, seine Kräfte gewalttätig einzusetzen. Er spürte, wie heftiger Zorn in ihm wuchs. Was passiert ist, war nicht akzeptabel. Er musste alles, was geschah, selbst kontrollieren, ohne darauf zu vertrauen, dass ihm das Schicksal beistand. Sicher hatte er es geschafft, ungesehen zu verschwinden, aber das Ziel war und blieb unerreicht. Er verabscheute es, wenn etwas von dem geplanten Szenario abwich. Es ging inzwischen zu leicht, die Vorbereitungen waren nicht optimal gewesen. Sicher war seine Fähigkeit, sich unter Menschen unsichtbar zu machen, angeboren. Aber er musste sie trainieren. Zum Weitermachen war ein Plan notwendig, eine überzeugende Strategie gegen alle Eventualitäten.

Er stand auf und ging zum Kalender an der Wand. Dort stand er lange da und starrte auf die leere Fläche unter der Zahl Acht. Dann hob er die Hand und fuhr mit dem Zeigefinger wieder und wieder über die unendliche, ewige Zahl. Die Bewegung wurde immer schneller, rund und rund wie in Trance.

Janus war nicht zufrieden. Ein dumpfes Ticken erfüllte seinen Kopf. Nach einer Weile spürte er, wie es in den Fingerspitzen zu brennen begann. Das beruhigte ihn etwas. Er musste die Ordnung wiederherstellen. Sich etwas ausdenken, das sein Pech kompensierte. Sonst ging er das Risiko ein, sein Ziel nicht zu erreichen. Der Gedanke beunruhigte ihn, ein Gefühl des Kontrollverlusts lähmte seinen Körper. Es musste einen Weg geben, ES MUSSTE.

Niemand durfte die Harmonie der zeitlosen, endlos wiederkehrenden Bewegung des Pendels stören.

Trotz all der Energie, die er während der vergangenen vierundzwanzig Stunden investiert hatte, hatte er keine Idee, wie er das gebrochene Glied reparieren könnte. Jetzt vertraute er darauf, dass es sich mit der Zeit einfach ergeben würde. So war es immer gewesen. Nun war es am wichtigsten, nicht an Geschwindigkeit zu verlieren, nicht abzuweichen und nicht auf den ursprünglichen Plan zu verzichten.

Alles hat seine Zeit, jede Unternehmung unter dem Himmel ihren Augenblick. Geboren zu werden hat seine Zeit, und zu sterben hat seine Zeit. Er würde bald eine Kompensation für das Vorgefallene finden, etwas zur Besänftigung.

Die nächste Welle war bereits auf dem Weg an den Strand.

Er konnte nur weitermachen.

Herzversagen - Ein Schweden-Krimi

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