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Kapitel vier
ОглавлениеAls Johan Axberg am Montagmorgen ins Konferenzzimmer kam, waren alle bereits dort versammelt. Alle Mitglieder des Ermittlungsteams saßen auf ihren Plätzen rund um den Konferenztisch.
Alle außer Sven Hamrin. Getreu seiner Angewohnheit stand er mit dem Rücken an die einzige fensterlose Wand des Zimmers gelehnt. Axberg warf einen Blick auf die Wanduhr und sah, wie der Sekundenzeiger einen Tick näher auf die volle Stunde zurückte.
»Warum sind heute denn alle so früh da?«, sagte er. »Gibt’s irgendwas Besonderes?«
»Die Ferienaufteilung steht an«, antwortete Sankari.
»Ferien, was ist das denn?«, sagte Axberg und grinste sarkastisch.
Jens Åkerman lachte nervös auf und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Axberg ging zu seinem Platz am Kopfende des Tischs, hängte die Jacke über die Rückenlehne und setzte sich.
»Wie immer sind die letzten zwei Juliwochen das Problem. Wenn wir uns nicht einigen können, müssen wir losen. Ich habe jedenfalls nicht vor, so eine Kinderkacke nach oben weiterzureichen.«
»Natürlich nicht«, warf Pablo Carlén ein. »Das müssen wir selbst lösen. Ich hätte gern die letzte Woche frei. Wir haben eine Reise nach Gotland geplant, die sich nur schlecht verschieben lässt.«
Sven Hamrin sah ihn vielsagend an.
»Du kannst doch verdammt noch mal nicht zuerst sagen, dass wir eine Lösung finden müssen, um in der nächsten Sekunde zu verlangen, dass gerade du dann frei bekommst?«
»Das wollte ich nicht sagen, falls du mir zugehört hast.«
Pablo wandte sich wieder Axberg zu.
»Ich könnte mir vorstellen, den Urlaub teilweise zu verschieben und die vorletzte Woche Dienst zu tun. Wenn ich die dreißigste Woche frei bekomme.«
»Wahnsinnig großzügig«, brummte Hamrin von der Wand her.
Sven Hamrin und Pablo Carlén hatten Schwierigkeiten miteinander, seit Pablo vor drei Jahren in der Abteilung angefangen hatte. Laut Hamrin war Pablo ein viel zu selbstgefälliger Moralapostel angesichts seiner geringen Erfahrungen als Polizist. Pablo wiederum fand, dass Hamrin ein unbeholfener Ochse sei, der immer direkt sagte, was er dachte und meinte. Einmal hatte Hamrin sogar einen abwertenden Kommentar über »Kanaken« gemacht, den Pablo noch lange nicht vergessen hatte. Von dem Tag an, an dem Pablo als Adoptivkind aus Kolumbien gekommen war, hatte er sich Kommentare über seine Hautfarbe anhören müssen. Über die Jahre hatte er gelernt, sie als Zeugnisse menschlicher Dummheit zu übergehen. Aber er würde nie akzeptieren, dass jemand aus den eigenen Reihen rassistische Anspielungen machte.
»Gut«, sagte Axberg. »Bleibt also noch die dreißigste Woche . . .«
Er ließ seinen Blick über die Kollegen schweifen.
»Ich selbst arbeite während der fraglichen Wochen bereits«, fuhr Axberg fort und tippte mit dem Zeigefinger auf den Kalender.
»Ich auch«, warf Sankari ein. »Ich verstehe sowieso nicht, warum man im Sommer frei haben möchte, da ist doch gar keine Jagdsaison.«
Alle im Zimmer außer Hamrin lächelten. Sankari biss ein Stück von der Apfeltasche ab, die seine Frau ihm für den nachmittäglichen Kaffee mitgegeben hatte. Im buschigen Bart blieben Unmengen von Zuckerkristallen hängen. Böse Zungen im Haus behaupteten, dass Sankari seine Körperform all den Apfeltaschen verdankte, die er in sich reinstopfte.
»Okay«, sagte Jens Åkerman und sah von seinem PDA auf. »Ich kann während beider Wochen arbeiten.«
Alle drehten sich überrascht zu ihm um.
»Klasse!«, rief Hamrin aus und strahlte.
Er trat vor und schlug Jens Åkerman auf den Rücken, so dass diesem der Atem stockte. Axberg hoffte, dass Åkermans Rückgrat dem Prankenhieb gewachsen war. Sven Hamrin hatte die größten Hände der ganzen Abteilung. Sie waren unübersehbar. Meist hielt er sie ruhig, dann hingen sie wie zwei Sandsäcke schwerfällig zu seinen Seiten. Wenn er die Hände bewegte, nahmen sie das gesamte Zimmer ein. Laut Hamrin war das typisch für seine Familie. Die lange Reihe der Fährmänner unter seinen Vorfahren hatte angeblich Hände so groß wie Stalltüren gehabt.
»Damit wäre das also gelöst«, fuhr Hamrin fort.
Axberg sah, dass die Besetzung für die Sommerwochen jetzt akzeptabel war. Wenn er Åkerman als vollwertigen Kollegen rechnete. Åkerman hatte gerade erst seinen Abschluss auf der Polizeischule gemacht, und es war sein erster Sommer in Sundsvall. Axberg musste jedoch nicht lange darüber nachdenken. Als er sah, wie erleichtert alle waren, wusste er, dass die Entscheidung schon gefallen war.
»Danke, Jens«, sagte er und nickte ihm zu. »Da hast du uns wirklich aus einer schwierigen Situation gerettet.«
Als Antwort lächelte Åkerman zufrieden.
»Sind wir fertig?«, fragte Sofia Waltin. »Ich muss in zehn Minuten einen Zeugen vernehmen.«
»Ja, der wichtigste Beschluss des Tages ist wohl gefasst«, sagte Axberg. »Ansonsten wisst ihr alle, was ihr zu tun habt. Ich selbst werde mich um den Fall häuslicher Gewalt in Timrå kümmern. Sankari leitet bis auf Weiteres die Drogenermittlung.«
Sankari nickte. »Wir überwachen weiterhin die Schulhöfe. Heute am Hedengrenska Gymnasium. Leider ist es schwierig, zivile Ermittler auf einem Schulhof unterzubringen. Das Alter verschwindet auch durch eine Verkleidung nicht.«
»Am besten, du ziehst eine Perücke an und nimmst ein Springseil mit«, sagte Hamrin.
Sankari ignorierte den Sarkasmus.
»Es ist erwiesen, dass der Handel mit Hasch und Ecstasy unter den Jugendlichen zunimmt. Es wurde mehr beschlagnahmt . . .«
»Die Statistik zeigt einen fünfzigprozontigen Anstieg der Anzeigen innerhalb von zwei Monaten«, ratterte Åkerman herunter, als hätte er es auswendig gelernt.
Axberg ging zum Kaffeeautomaten, wählte Espresso und sagte: »Und das Seltsame ist, dass keiner sagen will, wie er an den Dreck gekommen ist. Normalerweise bricht immer einer unter dem Druck zusammen und erzählt die Wahrheit. Nur die Vierzehnjährige, die fast an einer Überdosis gestorben wäre, hat was gesagt . . .«
»Johanna Svensson«, warf Åkerman ein.
»Genau«, sagte Axberg, »aber das Einzige, was wir aus ihr rausbekommen haben, war, dass sie die Tabletten von einem unbekannten Mann gekauft hat. Während der Mittagspause, hinter der Turnhalle. Sie weigert sich zu erzählen, wie sie überhaupt Kontakt zu ihm bekommen hat und wer außer ihr noch beim Kauf dabei gewesen ist.«
Axberg ging an seinen Platz zurück.
»Im Übrigen haben wir nur indirekte Beweise dafür, dass das Zeug tatsächlich in den Schulen selbst verkauft wird«, fasste er zusammen.
»Abgesehen von dem Hasch, das in der Granbergsschule beschlagnahmt wurde«, berichtigte Pablo ihn.
Hamrin ließ sich mit einem dumpfen Knall zurück gegen die Wand fallen.
»Das war doch vor über drei Monaten«, stöhnte er.
»Jedenfalls besser als nichts«, sagte Pablo.
»Ach, lass gut sein«, unterbrach Axberg. »Es ist wichtig, dass wir einen Weg in die Organisation finden, die dahintersteckt. Denn bei den Mengen, die im Umlauf sind, muss es sich um eine Organisation handeln. Und das Ganze geschieht offensichtlich sehr diskret.«
»Ich gehe von einem gut entwickelten Kuriersystem aus, das wir knacken müssen«, sagte Sankari und leckte sich die Reste der Apfeltasche von den Fingern.
»Und das schnell«, sagte Axberg. »Beunruhigte Eltern fragen sich, warum die Polizei nichts unternimmt. Ståhl stellt mir auch jeden Tag diese Frage. Er will Resultate sehen.«
Hamrin verschränkte seine Hände, drehte sie um und ließ sie knacken.
»Er darf gerne seine Papierberge verlassen, herkommen und selbst mit anpacken.«
Niemand am Tisch kommentierte das. Die ständigen Belehrungen des Polizeichefs der Region waren allen nur zu bekannt. Die Sonne fiel durch die schmutzigen Fenster, die zur Storgata hinausgingen. Axberg spürte, wie sein Nacken angenehm warm wurde.
»Ich muss jetzt jedenfalls los«, sagte Sofia und stand auf.
»Du hast Recht«, sagte Axberg, »es ist schon zwanzig nach.«
Genau in dem Moment klingelte das interne Telefon. Sofia beeilte sich hinauszukommen, während Axberg den Hörer abhob und antwortete. Das Gespräch war kurz. Axberg übernahm wieder mal die Rolle des Verteidigers der Polizeiarbeit. Die Kollegen hörten interessiert zu. Es war ungewöhnlich, dass das Telefonat durchgestellt worden war, obwohl sie sich in einer Besprechung befanden.
»Leider«, sagte Axberg. »Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich nicht um ein Verbrechen handelt. Falls neue Fakten vorliegen, können Sie die ordnungsgemäß melden. Das müssen Sie akzeptieren.«
Axberg seufzte und legte auf.
»Das war wieder Pfarrer Ekstedt aus Ljustadalen.«
»Der, dessen Mutter vor zwei Wochen gestorben ist?«, fragte Sankari.
»Genau der. Er hat seit letzter Woche fast jeden Tag angerufen und verlangt, dass wir uns der Sache noch einmal annehmen. Jetzt behauptet er, dass ein alter Wecker, der auf dem Nachttisch der Frau stand, verschwunden ist . . .«
Hamrin löste sich von der Wand und machte einen Schritt nach vorn.
»Er soll verdammt noch mal Ruhe geben. Der Fall ist abgeschlossen. Wir haben nichts gefunden, was auf ein Verbrechen hinweist.«
Hamrin machte eine Pause und atmete tief ein.
»Was ist da draußen eigentlich passiert?«, fragte Sankari.
»Nichts«, donnerte Hamrin. »Wir wurden gerufen, weil der Arzt ein Verbrechen nicht ausschließen konnte. Auf ihrem Nachttisch lagen nämlich mehrere Schachteln Schlaftabletten. Der Arzt glaubte, sie hätte vielleicht eine Überdosis genommen. Und der Pfaffe hat die ganze Zeit was davon gefaselt, dass jemand während der Nacht im Zimmer gewesen sei.«
Sankari zog fragend eine Augenbraue hoch.
»Warum glaubte er das?«
»Weiß der Teufel. Er konnte auch nichts Genaueres sagen.«
»Und?«
»Wegen der Tabletten ist es zu einer Polizeisache geworden, sogar mit rechtsmedizinischer Untersuchung.«
»Was kam dabei heraus?«, fragte Pablo.
Hamrin verjagte eine Fliege, die sich ins Zimmer geschmuggelt hatte.
»Dass die Gute gestorben ist, weil ihr altes Herz nicht mehr schlagen wollte. Der Todesfall war vollkommen natürlich. In ihrem Blut gab es keine Spuren von Medikamenten. Ich habe den Obduktionsbericht selbst gelesen. Außerdem deutete nichts auf einen Einbruch oder auf Diebstahl hin.«
Axberg trank den Espresso aus und dachte nach.
»Der Fall wurde korrekt bearbeitet. Aber der Pfarrer gibt offensichtlich keine Ruhe. Er war schon die ganze Zeit davon überzeugt, dass jemand in dieser Nacht im Haus gewesen ist. Und die verschwundene Uhr bestätigt ihn jetzt natürlich noch einmal in diesem Glauben.«
»Er sollte sich vielleicht lieber an den Glauben an Gott halten«, sagte Sankari lächelnd, offensichtlich zufrieden über sein Wortspiel.
»Ein schwieriger Typ«, sagte Axberg. »Wir können jedenfalls nicht mehr tun. Ich muss mit der Zentrale sprechen, damit sie nicht alles Mögliche durchstellen.«
Axberg stand auf und schob seinen Stuhl unter den Schreibtisch.
»Zurück zum Tagesgeschäft. Wir sehen uns wie üblich am Nachmittag.«
Alle verließen das Zimmer und machten sich an ihre Arbeit.