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Kapitel elf

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Um halb drei saß Axberg in seinem Saab 900 und war auf dem Weg zum Pfarrhaus in Ljustadalen.

Er fühlte sich nach der Dusche noch angenehm frisch und hatte ein kurzärmeliges, weißes Hemd angezogen. Die Fenster auf der Fahrer- und der Beifahrerseite waren jeweils zur Hälfte geöffnet, und der Wind trocknete seine Haare, während er die Stadt hinter sich ließ. Im CD-Player lief Bob Dylan, und Axberg sang so gut er konnte mit. »Don’t think twice, it’s alright.«

In solchen Momenten war das Leben als Polizist wunderbar. Freie Einteilung der Arbeitszeit mit eigener Verantwortung.

Während des Mittagessens hatte Axberg den Pfarrer angerufen und ein Treffen vereinbart. Das Gespräch mit Birgit Öberg hatte ihm klargemacht, dass er den Stier bei den Hörnern packen und Ekstedt die Zeit widmen musste, nach der dieser verlangte. Nachdem er Hamrins Bericht gelesen und den Fall mit Jeff Conrad besprochen hatte, war Axberg immer noch davon überzeugt, dass es sich nicht um eine Polizeiangelegenheit handelte. Dennoch war es wirklich an der Zeit, dass er als Ermittlungsleiter Ekstedt traf und dessen Version hörte. Außerdem war es schön, dem Revier zu entkommen und die stickige Luft, die reglos zwischen den beiden Bergen der Stadt lag, hinter sich lassen zu können. Axberg warf einen Blick auf die Karte auf dem Vordersitz. Das Pfarrhaus befand sich ein paar Kilometer nördlich von Ljustadalen. Auf einem Feld links der Straße lagen lange Reihen von in Folie verpackten Silagerundballen, die darauf warteten, abgeholt zu werden. Axberg fand, dass die kreideweißen Ballen in der Landschaft wie plötzlich gelandete Ufos aussahen. Die Subventionen für die Bauern nahmen sicher keine Rücksicht auf ästhetische Fragen.

Als er am Einkaufszentrum in Birsta vorbeifuhr und das Ikea-Schild sah, das über dem riesigen Parkplatz emporragte, bekam er ein schlechtes Gewissen. Wie sollte er den für diesen Abend versprochenen Einkaufsbummel überstehen? Wenn er nicht bald eine Entscheidung traf, wusste er, was ihn erwartete. Carolina, die mit dezidierten Meinungen zu unterschiedlichen Einrichtungsdetails und einer endlos langen Einkaufsliste neben ihm im Auto saß. Axberg schüttelte es bei diesem Gedanken. Von seiner eigenen Unentschlossenheit und dem unendlichen Einkaufszentrum gefangen würde er mürrisch schweigen. Carolina, die seine Gefühle immer schon gekannt hatte, noch bevor sie ihm selbst bewusst wurden, wäre stinksauer. Und würde fragen, warum er nie sagte, was er meinte. Dass er feige sei.

Sie riskierten, wieder in eine dieser schlimmen Spiralen abzurutschen, die immer in einer Katastrophe endeten. Das wollte er nicht. Er beschleunigte und überschritt die Geschwindigkeitsbeschränkung. Eigentlich war die Entscheidung, was diesen abendlichen Ausflug anging, eher symbolisch. Seine Angst hatte andere Gründe. Bei einem Abendessen auf dem Balkon hatte Carolina gesagt, dass sie Kinder haben wollte. Am liebsten mehrere. Und das bald. Sie wurde im Herbst dreiunddreißig.

Axberg war nicht besonders überrascht gewesen. Andeutungen hatte es schon lange gegeben, aber so klar hatte sie es noch nie ausgesprochen. Auch er wollte Kinder. Das war selbstverständlich. Aber eigentlich noch nicht jetzt. Gleichzeitig liebte er Carolina und wollte sie nicht verlieren. Was vielleicht passieren würde, wenn er sich nicht fügte und ihren Wünschen nachgab. War es überhaupt in Ordnung, ihre Beziehung so lange herauszuzögern, wie er es getan hatte?

Carolina musste die Chance bekommen, schwanger zu werden, bevor es zu spät war. Und wenn nicht mit ihm, dann mit einem anderen Mann. So lautete das Gesetz des Dschungels. Axberg spürte, wie die Unfähigkeit, sich zu entscheiden, ihm den Hals zuschnürte. Doch keine Entscheidung zu treffen war auch eine Entscheidung.

Er fuhr von der Autobahn ab und über einen rutschigen Schotterweg. Das Pfarrhaus lag auf einer gerodeten Fläche auf halbem Weg hinunter zum Wasser. Axberg fuhr durch eine lange Birkenallee. Das Hauptgebäude war ein gelbes Holzhaus mit weißen Kanten und vielen Schnitzereien vom Anfang des Jahrhunderts.

Er parkte auf einem kleinen Kiesplatz, schaltete den CD-Player aus und stieg aus. Zwei Fliederbüsche standen rechts und links vom Eingang und blühten um die Wette. Axberg sog den sommerwarmen Duft ein und fühlte sich wie immer an den Beginn der Schulferien in seiner Kindheit erinnert. Irgendetwas an diesem süßen Aroma brachte ihn sofort wieder dorthin.

Er betrat die Veranda. Noch bevor er anklopfte, wurde die Tür geöffnet. Im Flur war es dunkel, und Axberg erahnte die Umrisse eines kleinen Mannes mit Glatze. Der Mann stellte sich als Pfarrer Ekstedt vor. Sie gingen in die Küche.

»Meine Frau kommt bald mit dem Kaffeegeschirr«, begann Ekstedt.

Axberg fiel eine Kaffeemaschine auf, die auf der Arbeitsfläche stand und vor sich hin kochte. Sie setzten sich an den Küchentisch. Der Pfarrer starrte düster aus dem Fenster und seufzte. Axberg fühlte sich nicht willkommen, obwohl er wusste, dass sein Besuch lang ersehnt war.

»Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich noch die Mühe machen würden hierherzukommen«, sagte Ekstedt. »Es wurde wirklich Zeit.«

Axberg schluckte die Kritik herunter. Es war wohl keine gute Idee, ausfallend zu werden.

»Zuerst möchte ich Ihnen das Zimmer zeigen, in dem meine Mutter gestorben ist«, fuhr Ekstedt fort. »Dann möchte ich hören, wie Sie weiter vorgehen wollen.«

Ohne Umschweife auf den Punkt, dachte Axberg und holte einen Notizblock aus seiner Aktentasche.

»Ich habe den Bericht gelesen und das Obduktionsprotokoll«, sagte er und blätterte bis zu einer leeren Seite. »Außerdem habe ich mit dem Arzt gesprochen, der das Gutachten geschrieben hat.«

Ekstedt sah ihm zum ersten Mal während des Gesprächs in die Augen.

»Ich weiß, was dort steht. Aber etwas Wesentliches fehlt. Und zwar die Wahrheit.«

Axberg wurde klar, dass es schwerer sein würde, als er zunächst geglaubt hatte.

»Könnten Sie sich etwas genauer ausdrücken?«

»Ich glaube nicht, dass meine Mutter eines natürlichen Todes gestorben ist. Jemand war während der Nacht in ihrem Zimmer. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«

Die plötzliche ironische Selbstdistanz des Pfarrers mitten in seiner naiven Ernsthaftigkeit verwunderte Axberg.

»Gibt es irgendetwas Konkretes, das Ihre Aussage bestätigt?«

Sie wurden von einer Frau unterbrochen, die mit einem Tablett mit Kaffeetassen und Zimtschnecken hereinkam. Axberg wurde der Pfarrersfrau Karin vorgestellt. Sie war so klein wie ihr Mann. Mit zierlichen Händen servierte sie den Kaffee und verschwand wieder im Haus. Ekstedt griff Axbergs Frage auf, die noch in der Luft hing.

»Das Ganze klingt vielleicht merkwürdig. Zuerst war es nur so ein Gefühl. Aber jetzt weiß ich, woher es kam.«

Ekstedt machte eine Pause und trank Kaffee.

»Ich habe oft einen sehr leichten Schlaf. Und rückblickend bin ich mir sicher, dass ich Geräusche aus dem oberen Stockwerk gehört habe. Die Bodendielen knarrten und knackten ungewöhnlich stark. Sicher, das Haus ist alt, aber das allein kann es nicht sein.«

Der Pfarrer starrte mit halbgeschlossenen Augen nachdenklich vor sich hin.

»Da oben war jemand. Jemand, der nicht hierhergehört.«

Axberg runzelte die Stirn.

»Und das erzählen Sie erst jetzt? Verstehen Sie, wie unglaublich das klingt?«

Der Pfarrer sah ihn scharf an.

»Manche Details brauchen eben Zeit, bis sie an die Oberfläche steigen, Dinge, die man erlebt hat, die nicht richtig greifbar sind. Das ist ein bekanntes Phänomen. Wie gut kennen Sie Ihr eigenes Unterbewusstsein?«

Darauf wusste Axberg keine Antwort. Er versuchte, weiterzukommen.

»Es könnte Ihre Mutter gewesen sein, die Sie gehört haben. Sie ist vielleicht auf die Toilette gegangen?«

Der Pfarrer schnaubte.

»Unmöglich. Sie hat die Nächte immer durchgeschlafen. Außerdem war sie so schwach, dass sie nicht allein aufstehen konnte.«

Dann ist es wohl nicht so seltsam, dass sie gestorben ist, dachte Axberg. Er betrachtete den Mann vor sich. Der Pfarrer wirkte verwirrt. Aber er war nicht verrückt. In seinen Worten lag eine schwer einzuschätzende Überzeugung.

»Sie meinen also, dass jemand im Zimmer Ihrer Mutter gewesen ist und sie umgebracht hat?«, fragte Axberg.

Ekstedt breitete die Hände aus.

»Letzteres weiß ich nicht. Aber irgendetwas ist nicht so, wie es scheint.«

Axberg dachte an all die Religionen, die in Zungen sprachen und Wörtern durch den Glauben Bedeutung verliehen.

»Warum sollte jemand Ihre Mutter umbringen wollen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was hätte dieser Jemand in diesem Fall getan?«

»Das weiß ich nicht.«

Sie schwiegen. Eine Küchenuhr schlug halb vier. Der Pfarrer stand mit dem Schlag auf.

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen ihr Zimmer und erzähle weiter.«

Als sie die geschwungene Treppe hinaufstiegen, fiel Axberg auf, dass einige Stufen stark knarrten. Das Zimmer war ungefähr vier mal vier Meter groß und hatte offen liegende Balken an der Decke. Es herrschte dieselbe beklemmende Düsternis wie im Erdgeschoss, überall dunkle Möbel. An einer Wand stand ein sorgfältig gemachtes Bett mit hohem Kopf- und Fußende.

»Hier hat sie an dem Morgen gelegen, als ich sie gefunden habe«, sagte Ekstedt und machte eine vage Geste in Richtung des Bettes. »Was auch noch seltsam war, war, dass die Zudecke bis zum Bauch heruntergeschlagen war. So.«

Der Pfarrer ging zum Bett und machte es vor. Axberg nickte neutral.

»Und meine Mutter schlief immer mit der Decke bis an den Hals, weil sie so leicht fror.«

Noch ein unhaltbares Indiz, dass jemand im Zimmer gewesen ist, dachte Axberg. Er wollte den Beobachtungen des Priesters keine größere Bedeutung verleihen und stellte daher keinerlei Fragen. Stattdessen schaute er sich im Zimmer um. Der Nachttisch neben dem Bett war leer, abgesehen von einem weißen, ordentlich gebügelten Spitzendeckchen. Keine Tablettenschachteln. Keine Uhr.

»Der Wecker, der immer auf dem Nachttisch stand«, fuhr der Pfarrer fort, als hätte er Axbergs Gedanken gelesen. »Was die Zeit anging, war meine Mutter immer sehr präzise, als gegen Ende ihr Gedächtnis nachzulassen begann. Der Wecker war ihr fester Anker im Dasein. Sie aß und schlief zu bestimmten Uhrzeiten.«

Der Pfarrer machte einen Schritt auf Axberg zu, um seine Aussage zu bekräftigen.

»Ich bin mir sicher, dass er hier stand, als ich am Abend vorher gute Nacht sagte. Und am Morgen war er fort . . .«

Axberg ging noch einmal Hamrins Bericht durch. Da stand nichts von einem Wecker.

»Sie haben natürlich überall gesucht und ihn nicht gefunden?«

Ekstedt nickte.

»Er befindet sich nicht mehr im Haus. Die Person, die hier gewesen ist, muss ihn mitgenommen haben.«

Sie gingen zurück in die Küche. Axberg dachte nach.

»Ich glaube immer noch nicht, dass jemand in der Nacht, in der Ihre Mutter gestorben ist, im Haus war«, sagte er schließlich. »Die Geräusche, die Sie gehört haben, bringen uns nicht weiter. Das andere auch nicht. Der Wecker taucht sicher irgendwann wieder auf.«

Er machte eine Pause und wartete auf Ekstedts Gegenangriff. Der Pfarrer sagte nichts.

»Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Mutter eines natürlichen Todes gestorben ist«, schloss Axberg.

Der Pfarrer seufzte schwer auf und ging aus dem Haus. Axberg folgte ihm. Sie blieben im Hof stehen. Ekstedts Gesichtsausdruck war unverändert bitter.

»Sie irren sich«, sagte er kurz und sah dabei auf einen Traktor, der oben auf der Straße vorbeifuhr. »Sie irren sich . . .«

Axberg versuchte, das Gespräch zu beenden.

»Ich verspreche, den Fall noch einmal durchzugehen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich an und niemand anderen.«

Ekstedt presste seine Kiefer aufeinander. Dann streckte er plötzlich seine Hand aus. Als sie sich verabschiedeten, sah Axberg die Enttäuschung in den grauen Augen.

Axberg ließ das Pfarrhaus mit großer Erleichterung hinter sich. Er hoffte, dass die Sache jetzt aus der Welt wäre. Dass die ständigen Anrufe aufhören würden. Er war trotz der Argumente des Pfarrers überzeugt davon, dass kein Verbrechen begangen worden war, und würde versuchen, die Sache so schnell wie möglich zu vergessen.

Er schaute auf seine Armbanduhr. Fünf nach vier. Axberg fluchte und holte das Handy aus seiner Jackentasche. Er hatte vergessen, seine Großmutter anzurufen. Jeden Tag um drei Uhr sollte er sie aus ihrem Mittagsschlaf wecken, damit sie noch Zeit hatte, bevor der Sozialdienst kam. Das Telefonklingeln war das Einzige, das sie aufweckte. Und wenn Axberg vergaß anzurufen, dann war der ganze Abend ruiniert. Dann schaffte sie es nämlich nicht, das Geschirr in der Küche wegzuräumen und das Bett zu machen, bevor eine der wenigen akzeptierten Schwestern kam.

Axberg hatte vergeblich versucht, ihr zu erklären, dass der Sozialdienst genau für solche Sachen da war, doch seine Großmutter war und blieb unvernünftig. Nach zehn Mal Klingeln antwortete sie, die Stimme klang durcheinander und verschlafen.

»Hallo, ich bin’s. Es ist fünf nach vier.«

»Oje. Dann sind sie bald hier.«

»Hast du noch geschlafen?«

»Du weißt doch, dass ich nicht aufwache, bevor du anrufst.«

Axberg musste an den gestohlenen Wecker aus dem Pfarrhaus denken und fragte sich, warum seine Großmutter keinen hatte.

»Entschuldige, ich werde mich bessern. Stehst du jetzt auf?«

»Habe ich die Wahl?«

»Gut. Ich rufe morgen wieder an.«

Gerade als er auflegte, klingelte es noch einmal. Es war Carolina. Da er sich keine Gegenargumente überlegt hatte, gab es kein Zurück.

In ein paar Stunden würde er in Ikeas Paradies aus Bausätzen, Familien mit Kindern und Bücherregalen eintreten.

Herzversagen - Ein Schweden-Krimi

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