Читать книгу Herzversagen - Ein Schweden-Krimi - Jonas Moström - Страница 18
Kapitel dreizehn
ОглавлениеAls Axberg am Abend des 9. Juli zum Polizeirevier ging, war fast niemand draußen.
Obwohl es ein Ferienmonat war und recht warm, waren die Straßen leer. Axberg betrachtete die Häuser, die stummen Steinfassaden sahen wie hohle Kulissen auf ihn herab. Alles war, wie es an Sonntagabenden immer war. Das Hochdruckgebiet verlor wohl an Kraft, die Sonne brannte nicht mehr so höllisch wie früher am Tag, und einzelne Wolken glitten neugierig auf die Bühne. Alles in allem war es dort, wo er langging, ziemlich angenehm.
Im Fach vor dem Büro erwartete ihn ein Stapel handgeschriebener A4-Bogen und Post-it-Zettel in schreienden Farben. Axberg griff sich den Haufen, ging in den Pausenraum und goss einen Pulverkaffee auf. Dann ließ er sich auf das Sofa fallen und genoss die ungewöhnliche Stille im Zimmer. Er blieb lange dort sitzen.
Die Gedanken an Carolina kehrten ständig zurück. Er versuchte immer wieder, eine Möglichkeit zu finden, ihr von der fatalen Nacht zu erzählen. Über mehrere Tage hinweg hatte er verschiedene Worte ausprobiert: Untreue, Seitensprung, Fehler, ein einmaliger Vorfall. Nichts davon konnte er aussprechen. Er wusste nicht, was er sagen sollte, aber er begriff, dass er aufrichtig sein musste. Nicht noch mehr Lügen, es war an der Zeit, die Waffen niederzulegen.
Er stellte die Tasse ins Spülbecken und ging in sein Büro. Die meisten Angelegenheiten konnten bis morgen warten. Aber da war eine Sache, die er sofort erledigen musste. Ein Name im Stapel, den er fast übersehen hätte, weil er auf der Rückseite einer Einladung zu einer Fortbildung für Führungskräfte stand. Birgit Öberg.
Was konnte sie wollen? Axberg wägte eine Sekunde lang ab. Dann beschloss er anzurufen, obwohl es Sonntagabend war. Er musste wissen, was los war. Nach ihrem letzten Gespräch hatte er eigentlich gedacht, dass der Fall abgeschlossen wäre. Birgit Öberg hob nach dem dritten Klingeln ab.
»Da gibt es etwas, das ich Ihnen erzählen muss«, sagte sie mit trauriger Stimme.
»Ich höre«, sagte Axberg.
»Als wir vor kurzem miteinander gesprochen haben, haben Sie gefragt, ob irgendetwas nach Kents Tod fehlte.«
»Ja?«
»Das tut es. Etwas, woran ich zunächst nicht gedacht habe. Nicht bevor der Pfarrer Ekstedt erzählt hat, dass in der Nacht, in der seine Mutter gestorben ist, im Pfarrhaus ein Wecker verschwunden ist . . .«
Axberg sank gegen die Rücklehne des Stuhles. Jetzt mal ganz langsam und deutlich, dachte er.
»Was wollen Sie mir sagen?«
»Dass Kents Uhr verschwunden ist. Eine Golduhr, die er nach fünfundzwanzig Dienstjahren von der Gemeinde bekommen hat.«
Axberg verdrehte die Augen. Er traute seinen Ohren nicht.
»Haben Sie und der Pfarrer viel Kontakt?«
»Nein, wir sprechen nur ab und zu über das, was passiert ist. Er war mir eine große Stütze.«
Oder umgekehrt, dachte Axberg.
»Sind Sie sich wirklich sicher mit dieser Uhr?«
Birgit Öberg seufzte.
»Ja. Kent legte sie immer auf den Nachttisch, wenn er schlief. Und jetzt ist sie weg, ich habe überall gesucht.«
Axberg versuchte, seine Eindrücke zu sortieren. Er wusste nicht so richtig, was er mit dieser Information anfangen sollte.
»Wieso vermissen Sie die Uhr erst jetzt?«
»Das habe ich doch gesagt. Der Pfarrer hat mir erst gestern von dem verschwundenen Wecker erzählt. Außerdem wohne ich ja nicht mehr zu Hause, seit es passiert ist.«
»Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?«
»Ich habe darüber nachgedacht. Ich bin mir sicher, dass Kent die Uhr trug, als wir die Spätnachrichten sahen. Direkt danach sind wir zu Bett gegangen.«
Axberg schrieb die Angaben auf einen Zettel unter Birgit Öbergs Namen und Telefonnummer.
»Und dann lag sie auf dem Nachttisch?«
Axberg hörte Birgit Öbergs ruhiges Atmen.
»Das glaube ich«, sagte sie nach einer Weile.
»Vielleicht hat er sie irgendwohin gelegt, wo Sie nicht danach gesucht haben?«, schlug Axberg vor.
»Das glaube ich nicht. Kent war sehr ordentlich, außerdem achtete er auf diese Uhr. Er war sehr stolz darauf, so lange für die Gemeinde gearbeitet zu haben.«
»Ich habe mir das, was Sie gesagt haben, notiert«, schloss Axberg. »Sie sollten jetzt die Uhr ganz normal als gestohlen melden. Dann sehen wir weiter.«
»Es tat auf jeden Fall gut, es zu erzählen«, sagte Birgit Öberg.
Axberg legte auf und schloss die Augen. Was hatte er da gerade gehört?
Dass noch eine Angehörige eines kürzlich Verstorbenen glaubte, dass es sich nicht um einen natürlichen Todesfall handelte und dass eine Uhr verschwunden war. Wie hing das zusammen?
Axberg wusste nicht, was er glauben sollte. Das Ganze wirkte wie ein unlogischer Traum, in dem man weiß, dass alles verrückt ist, aber trotzdem mitmacht, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. Was jedoch absolut klar war, war, dass Pfarrer Ekstedt sich nicht an ihre Übereinkunft gehalten hatte. Er hatte versprochen gehabt, nicht mehr mit Birgit Öberg über den Tod seiner Mutter zu sprechen.
Axberg ging zur Wand mit den wohl gefüllten Bücherregalen: Mehrere Reihen mit Fachbüchern, die er während des Studiums durchgearbeitet hatte. Er strich mit dem Zeigefinger über die Buchrücken, als hoffte er, dort eine Antwort auf seine Fragen zu finden.
Das meiste musste auf Zufällen beruhen, entschied er, die dann von zwei trauernden Menschen künstlich aufgebauscht wurden. Dass der Schatten, den Birgit Öberg beschrieben hatte, ihren Mann tötete, um dann dessen Uhr zu stehlen, war so verrückt, dass er über diese Logik lächeln musste. Entweder war die Uhr bereits früher verschwunden oder sie vergammelte immer noch in irgendeiner Ecke. Für die Geschichte des Pfarrers gab es sicher eine ähnliche Erklärung. Axberg überlegte einen Augenblick, ob er bei der morgendlichen Besprechung den Fall mit seinen Kollegen diskutieren sollte. Dann verwarf er den Gedanken. Es war bereits mehr als genug, dass er selbst sich damit auseinandersetzen musste.
Er ging zum Fenster und öffnete es. Zündete die dritte Blend Menthol für heute an. Draußen war es windig geworden, die Reihe der Trauerbirken an der Straße bewegte sich wie in einem ruckartigen Tanz. Es war fünf nach zehn. Wenn er sich beeilte, nach Hause zu kommen, könnte er noch in Ruhe den Doppellauf des Tages anschauen. Das Pferd, auf das er im zweiten Lauf gesetzt hatte, hieß Blue Heaven. Dort, philosophierte er, hatte der Pfarrer Ekstedt sein Paradies. Oben im blauen Himmel. Tangled up in blue.
Würde man auf zwei solche Außenseiter wie den Pfarrer und Birgit Öberg setzen, würde man nie gewinnen, dachte Axberg und lief die Treppe hinab.