Читать книгу Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens - Josef Frey - Страница 20

Оглавление

14. Pilgertag, Dienstag, 06.05.2014

Kloster Fischingen–Gibswil: 17 km, Gesamt: 263 km

Bereits um 06.30 Uhr läutet mein Wecker. Ich habe wunderbar geschlafen. Nach einer ausgiebigen Dusche packe ich meinen Rucksack und gehe zum Frühstück. Wie erwartet, steht ein herrliches Buffet zum Zugreifen bereit. Es gibt alles, was das Herz begehrt. Das ist die richtige Stärkung für die heutige Bergetappe über das Hörnli auf 1133 Meter Höhe.

Meine Pilgerfreundin kommt auch schon kurz nach sieben Uhr. Wir lassen uns den Kaffee und die Brötchen schmecken, bevor wir in die Idda-Kapelle zum Pilgersegen gehen. Bis unser Ordensmann von den Benediktinermönchen kommt, haben wir noch etwas Zeit, um die Kirche mit der hl. Idda zu betrachten und aus unseren Reiseführern ihre Geschichte zu erkunden.

Schon bald kommt Bruder Daniel, bereitet seinen Gebetsordner und die Pilgerabzeichen auf dem Altar aus und heißt uns um diese frühe Stunde zum Pilgersegen herzlich willkommen. Es ist ein feierlicher Moment. Nach dem Segen erhalten wir unsere Pilgerabzeichen und dürfen uns in das große Pilgerbuch eintragen.

Als wir so nebeneinander vor dem Altar stehen, schauen wir uns an und müssen beide kurz schmunzeln. Wir haben gleiche Lebenserfahrungen. Schon amüsant, beide erleben wir auch jetzt einen glücklichen Moment, aber Kuss dürfen oder müssen wir uns jetzt keinen geben … Aber über das Pilgerabzeichen dürfen wir uns freuen. Es hat bis heute seinen Platz an meinem Pilgerhut und leistete mir treue Gesellschaft bis nach Santiago de Compostela.

Gut gestärkt an Leib und Seele fülle ich meine Wasserflaschen mit dem köstlichen Nass vom Klosterbrunnen und starte zu meiner heutigen Etappe. Stetig bergauf komme ich bald an einer Pilgerkäserei vorbei, welche einen speziellen Pilgerkäse herstellt und diesen werbemäßig als regionale Spezialität anpreist. Daran erkenne ich voller Ehrfurcht, welche Pilgertradition hier gelebt wird. Der Käsereimeister lässt es sich nicht nehmen, persönlich ein Foto von mir zu machen.

Käserei Au


Durch die Ortschaft Au/Thurgau, in deren kleiner Kirche ich noch einen Pilgerstempel ergattere, geht es nun immer steiler hinauf zum Gipfel des Hörnli in 1133 Meter Höhe. Fünfhundert Höhenmeter habe ich auf dem Anstieg insgesamt zu erklimmen. Und dabei meinen Rucksack fünfhundert Meter in die Höhe zu stemmen. Pilger Sepp, jetzt gilt es, Stärke zu zeigen … Und es geht gleich richtig los. Schritt für Schritt dem Himmel näher, die Sonne brennt, und ich erfrische mich immer wieder am kühlen Nass des Klosterbrunnens aus meiner Wasserflasche.

Bei einer kurzen Rast drehe ich mich um und sehe unter mir das hügelige Voralpenland, durch welches ich bisher gepilgert bin. An einer kleinen Restauration komme ich noch vorbei, die wirkt zwar sehr einladend, aber mich treibt es Schritt für Schritt weiter hinauf. Auch wenn jeder Schritt irgendwann immer mehr wehtut. Man spürt den Rucksack auf dem Rücken. Dieses Gewicht muss mit jedem Schritt nach oben gestemmt werden. Mein Freund Rudi würde jetzt wahrscheinlich lachen, der hat ganz andere Bergtouren gemacht. Für mich als Schreibtischtäter und Saisonpilger ist das jedoch eine gefühlte Tour auf das Dach der Welt.

Plötzlich sehe ich vor mir eine „Grenzhütte“ und davor einen Grenzstein, welcher das Zusammentreffen der Kantone Thurgau, St. Gallen und Zürich markiert. Ein markanter Ort in dieser Region. Es darf darüber spekuliert werden, bis zu welcher Zeit diese Grenzhütte durch Wachsoldaten regelmäßig kontrolliert wurde. Der Wandersteig führt unermüdlich nach oben. Ich freue mich schon auf den Gipfel. Dort oben wird, wie so oft, jeder Schweißtropfen mit einem traumhaft schönen Blick auf die Schweizer Alpenwelt belohnt. Und obwohl ich jetzt sehr, sehr viel geschwitzt habe, kann ich die Aussage über die Belohnung gänzlich bestätigen. Das ist sogar eher noch untertrieben.

Blick vom Hörnli


Ich kann mich am Ausblick vom Hörnli gar nicht sattsehen und freue mich, dass ich heute auch wettermäßig ein gutes Los habe. Vor mir im Tal, gut vierhundert Höhenmeter tiefer, kann ich meinen bevorstehenden Wanderweg über Fischenthal nach Gibswil sehen. In der Ferne gibt es das schneebedeckte Schweizer Hochgebirge zu bewundern. Kommet, sehet und staunet. Ich bin erfreulicherweise schon bei Letzterem angelangt. Aber zur Vervollständigung meines Glückes lasse ich mich auf der Terrasse der Gipfelhütte noch mit einer guten Hüttenwurst und einer Tasse Kaffee verwöhnen, bevor ich mich für den Abstieg fertig mache.

Es ist eine gute Straße, die ins Tal führt. Aber das andauernde Abbremsen geht so richtig in die Knie und die Muskulatur. Eine ebene Strecke ist wesentlich erholsamer zu gehen. Und der Abstieg nimmt kein Ende. An einigen Gehöften und Almhütten geht es vorbei. Manchmal auf weichen Fußwegen, mitunter aber auf dem harten, festgepressten Schotterweg. Ach, wie bin ich froh, nach einer gefühlten Ewigkeit wieder im Tal anzukommen.

In Fischenthal, dem stolzen Heimatort der Schweizer Olympiasieger Philipp und Simon Schoch, möchte ich die kleine Kirche besichtigen, stehe aber vor verschlossenen Türen, ebenso wie nebenan am Restaurant. Wieder mal so eine kulinarische Diaspora, wie ich es auch schon in Deutschland auf dem Weg in Oberschwaben erlebt habe. Auch kein geöffnetes Lebensmittelgeschäft ist zu sehen. Ich muss mich weiter an meinem Klosterwasser schadlos halten. Aber auch das geht bald zur Neige.

Entlang einem kleinen Naturschutzgebiet mit seinen blumenreichen Wiesen und einem kleinen Bachlauf erreiche ich schon bald Gibswil. Mein heutiges Tagesziel mit der Pilgerherberge im „Drösli“. Drösli bedeutet so viel wie Scheune. Rustikal, aber sauber und mit sehr freundlicher Betreuung. Ich werde ganz herzlich aufgenommen. Und den Schlafraum mit ca. fünfzehn Matratzenlagern habe ich heute für mich allein. Tags zuvor hätte ich nette Damengesellschaft gehabt.

Nach einer erfrischenden Dusche mache ich es mir mit den Wirtsleuten, Ursula und Jörg, sowie einem Ehepaar aus dem Ort bei einem Gläschen Bier gemütlich. Zum Abendessen gibt es eine köstliche Suppe mit Gemüse, Nudeln und Wurst. Alles drin, was ein Pilger zur Stärkung braucht. Schmeckt herrlich.

Abends sitze ich mit Jörg noch ein Stündchen beim selbst gemachten Likör. Er erzählt mir von seinen Erlebnisse als Herbergsvater. Es sind viele Gruppen unterwegs. Für die ist so ein Quartier natürlich Gold wert. In jeder Hinsicht. Günstig, sauber und sehr gemütlich. Da kann eine Gruppe am Abend auch mal feuchtfröhlich zusammensitzen und feiern.

Wie befürchtet, hatte der Wetterbericht recht, und am nächsten Morgen werde ich von einem ausgiebigen Landregen erwartet. Auch ein erfahrener Landmann im nahegelegenen Ortsladen meint: „Das hört heut nüt uff!!!“ Die Wolken haben sich im Tal so richtig festgezurrt. Für solch einen flächendeckenden Regen bin ich noch nicht ausgerüstet.

Ein halber oder ganzer Ruhetag und abwarten, bis sich der Regen wieder etwas verzieht, würde sich angesichts meiner ohnehin überschaubaren restlichen Strecke nicht lohnen. Ich entschließe mich deshalb, vom nahegelegenen Bahnhof gleich die Heimreise anzutreten. Und während ich im Zug sitze, freue ich mich bereits darauf, nächstes Jahr nach Gibswil zurückzukehren und meine Pilgerschaft mit verbesserter Ausrüstung fortzusetzen.

Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens

Подняться наверх